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Stühlerücken auf der Titanic?

Atomwaffensperrvertrag vor dem Aus? Von Xanthe Hall

Den folgenden Beitrag dokumentieren wir mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift "Wissenschaft und Frieden", in deren nächstem Heft der Artikel erscheint (Juni 2003).


Rebecca Johnson, langjährige Beobachterin der diplomatischen Verhandlungen in Genf, beschrieb die Arbeit der Diplomaten einmal als ein "rearranging deckchairs on the Titanic". Ein Bild, dass zur Tagung des Vorbereitungskomitees zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags (NPT PrepCom, Genf, 28. April bis 9. Mai 2003) passt: Außer einem verbalen Schlagabtausch zwischen USA und Iran dominierte diplomatische Gelassenheit, so als ob niemand zur Kenntnis nehmen will, dass der Atomwaffensperrvertrag langsam aber sicher auf seinen Untergang zusteuert. Nordkoreas Kündigung ist hier nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Durch die US-Strategie des präventiven Krieges, die Aufhebung der Sicherheitsgarantien, die Entwicklung neuer Atomwaffen und die Nichterfüllung der Verpflichtung der A-Waffen besitzenden Staaten abzurüsten droht dem Vertrag das endgültige Aus.

Es ist unverkennbar, dass das Vertragsgebäude an allen Ecken bröckelt und die Abrüstung bereits seit Jahren stagniert. Verglichen mit der Notwendigkeit gibt es nur wenige Initiativen zur Rettung des Vertrages, darunter allerdings einige kreative Ansätze für einen pragmatischen Neubeginn.

Sicherheitsgarantien

Ein Arbeitspapier Neuseelands, Brasiliens, Ägyptens, Irlands, Mexikos, Schwedens und Südafrikas, der »New Agenda Coalition« (NAC), beschäftigte sich vor allem mit der Frage der Sicherheitsgarantien der Vertragsparteien. Seit Jahren gibt es die Forderung einiger atomwaffenfreier Staaten, die »negativen« Sicherheitsgarantien (Die Zusicherungen der Atomwaffenstaaten, atomwaffenfreie Staaten nicht atomar anzugreifen ) in einem juristisch verbindlichen Abkommen festzuschreiben. Jetzt legte die NAC einen Entwurf für ein Zusatzprotokoll zum Vertrag vor, das diese Sicherheitsgarantien regelt. Damit wurde der Druck auf die USA erhöht, deren Sicherheitsdoktrin auch den Einsatz von A-Waffen gegen atomwaffenfreie Staaten vorsieht sowie gegen Staaten, die im Verdacht stehen, B- oder C-Waffen zu besitzen. Eine Position, die im klaren Widerspruch zu den jetzigen Sicherheitsgarantien steht. Als Anreiz für Unterzeichner des Vertrages sollen die Sicherheitsgarantien zu einem attraktiveren Angebot als die zivile Nutzung der Atomenergie werden: "Sicherheitsgarantien gehören rechtmäßig denen, die auf die Atomwaffenoption verzichtet haben und nicht denen, die ihre Optionen offen halten" heißt es im Papier.

Vertragsverstöße

Nach dem Vorwurf des Vertragsbruchs gegen den Irak und Nordkorea stand auf dieser Konferenz der Iran unter Beschuss der USA. Die US-Diplomaten behaupteten, dass sich hinter der iranischen Urananreicherungsanlage, die jüngst der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) deklariert wurde, ein geheimes Atomwaffenprogramm verberge. Der iranische Vertreter antwortete mit einer Anklage über die Nichterfüllung der Vertragsverpflichtungen durch die USA und erinnerte daran, dass die USA als einziger Staat Atomwaffen eingesetzt habe.

Die Befürchtung, dass der Kündigung Nordkoreas weitere folgen könnten und dass der Iran sich tatsächlich als neue Atomwaffenmacht etablieren könnte, ist weitverbreitet. Nicht nur deswegen fordert Deutschland als Lehre aus der nordkoreanischen Kündigung eine Änderung der Vertragskündigungsprozedur. Botschafter Heinsberg schlug vor, dass ein Staat vor einer Kündigung sich mit anderen Vertragsparteien auf einer umgehend einzuberufenden Sonderkonferenz beraten müsse. Es gelte Wege und Maßnahmen zu finden, um Kündigungen zu vermeiden und die Sicherheitsbedürfnisse betroffener Länder zu berücksichtigen. Frankreich und Deutschland riefen zudem dazu auf, ein Sondertreffen des Sicherheitsrates auf der Ebene der Staats- bzw. Regierungschefs zum Thema Weiterverbreitung der Atomwaffen und Vertragsverstöße einzuberufen.

Transparenz der Abrüstungsmaßnahmen

Die Initiativen zu Themen wie Sicherheitsgarantien, Transparenz, NGO-Teilnahme, Prozessverstärkung, taktischen Atomwaffen, Bildung und Verifizierung wurden auf der Konferenz meistens in Arbeitspapieren vorgestellt und hinter verschlossenen Türen diskutiert. Mehr Transparenz ist da generell notwendig, vor allem aber, wenn es um die Abrüstungsmaßnahmen selbst geht. Und auch hier gab es einige Initiativen.

Kanada setzte sich in einem Arbeitspapier für mehr Transparenz bei der Erfüllung des Artikel VI (Abrüstung aller Atomwaffen) und der 13 Schritte ein, die die Überprüfungskonferenz 2000 verabschiedet hatte. Alle Staaten hatten sich im Schritt 12 verpflichtet, über ihre Maßnahmen zur Abrüstung und zur Sicherung des Vertrages zu berichten. Die USA reichten ein »Informationspapier« ein, das sich auf das Abkommen von Moskau (SORT) konzentriert. Das Abkommen wurde wiederum von der NAC und China kritisiert, da es keine dauerhaft, verifizierbaren Abrüstungsmaßnahmen enthalte. Kanada schlug jetzt vor, dass die Atomwaffenstaaten über die genaue Zahl, Typen und Sprengkraft ihrer Atomwaffen, die Zahl der Trägersystemen, welche Waffen auf Trägersystemen montiert sind und welche nicht sowie den Stationierungs- und Bereitschaftsstatus der Waffen, berichten müssen. Alle Staaten sollen über den Transfer und Erwerb nuklearer Materialien, ihrer Lagerung und ihre Atomanlagen berichten. Laut Kanada ist eine solche Transparenz für die Verwirklichung der Ziele des Vertrages wesentlich.

NGO-Teilnahme

Beim diesjährigen Treffen wurde die Teilnahme der NGOs auf die Eröffnungsstatements, ihre eigenen Präsentationen, die Präsentation der Internationalen Atomenergiebehörde und das Schlussplenum begrenzt. Alle anderen Verhandlungen blieben den NGOs verschlossen, in den Besitz der Arbeitspapiere kamen sie nur mittels besonderer Beziehungen. Nach wie vor wird bei der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags den NGOs nicht der Platz eingeräumt wie es in anderen Bereichen der UN selbstverständlich ist. Ein Zustand, für dessen Veränderung sich besonders Kanada einsetzt. Es legte ein »Hintergrundpapier« vor, das u.a. vorschlägt:
  • NGO-Präsentationen als permanenter Bestandteil der NPT-Treffen;
  • den NGOs Interventionen zu ermöglichen;
  • den Zugang der NGOs zu mehr Diskussionsforen;
  • den Zugang der NGOs zu allen Papieren;
  • die Aufnahme von NGO-Vertreter in die Delegationen aller Staaten
Diese Initiative sowie alle andere werden bis zur Überprüfungskonferenz 2005 in New York weiter diskutiert und ggf. weiter entwickelt, wenn sie Anklang finden. Dort wird erst entschieden, ob sie im Schlussbericht als beschlossene Maßnahmen erscheinen (wie die 13 Schritte bei der 2000 Konferenz) und dann realisiert.

Abolition 2000

VertreterInnen der Mitgliedsorganisationen des globalen Netzwerks für die Abschaffung aller Atomwaffen (Abolition 2000, mit über 2.000 Mitgliedsorganisationen) trafen sich regelmäßig während der zwei Wochen des NPT-PrepComs. Aus dem jährlichen Treffen des Netzwerks am 3. Mai in Genf entstanden neue Initiativen, z.B. ein Projekt für Abrüstungsausbildung (Disarmament Education); eine neue Kooperation mit »BürgermeisterInnen für den Frieden« (ein Projekt des Hiroshima-Bürgermeisters) für eine Beschleunigung des Abrüstungsprozesses und ein erhöhtes Interesse für den NPT auf kommunaler Ebene; die Einführung des nuklearen Themas bei den Sozialforen sowie für ein neues »World Court Project« zum juristischen Status von Präventivenkriegen und vieles mehr. Alle Statements, Arbeitspapiere und die Zusammenfassung des Vorsitzenden des NPT PrepCom sind bei www.reachingcriticalwill.org abzurufen.

* Xanthe Hall ist Abrüstungsreferentin der IPPNW. Sie ist Mitbegründerin von Abolition 2000, ein globales Netzwerk für die Abschaffung aller Atomwaffen und Co-Koordinatorin des deutschen Trägerkreises »Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen!«

Dieser Artikel erscheint in der Juni-Ausgabe von "Wissenschaft und Frieden".


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