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"Wir brauchen ein Ende der Doppelmoral"

Obamas "Welt ohne Atomwaffen" ist noch lange kein echtes Abrüstungsprogramm. Ein Gespräch mit Xanthe Hall

Unsere Gesprächspartnerin Xanthe Hall ist Referentin für Abrüstung und Atomwaffen bei der deutschen Sektion der »Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs – Ärzte in sozialer Verantwortung«



US-Präsident Barack Obama hat der Welt am Wochenende eine Welt ohne Atomwaffen versprochen und damit bei hiesigen Politikern und Kommentatoren einen Begeisterungssturm ausgelöst. Halten Sie den Enthusiasmus für berechtigt?

Auch wir begrüßen die Aussagen des US-Präsidenten. Solche Töne waren bis heute aus den USA nicht zu hören. Bisher hatten sich die USA stets geweigert, Reue für das atomare Massaker in Hiroshima und Nagasaki zu zeigen. Gleichwohl sollte man den Vorgang differenziert betrachten, denn der Teufel steckt immer im Detail.

Welche Details meinen Sie?

Zunächst einmal haben Obamas Worte nur den Charakter von Ankündigungen. Dazu zählt die geäußerte Absicht, den Atomteststoppvertrag zu unterzeichnen sowie mit Rußland über niedrigere Obergrenzen für die Menge von Atomsprengköpfen und Trägersystemen im Rahmen eines Folgeabkommens zu START-I zu verhandeln. Das sind durchaus positive Signale, aber wie es danach weiter gehen soll, steht in den Sternen. Auf keinen Fall hat Obama ein echtes Abrüstungsprogramm entworfen.

Ist es den USA wirklich zuzutrauen, daß sie alle ihre etlichen tausend Atomsprengköpfe verschrotten?

Der erste mögliche Abrüstungsschritt auf verbleibende 1000 Sprengköpfe wird sowohl den USA als auch Rußland nicht schwerfallen. Problematisch wird es dann, wenn es um eine Reduzierung auf wenige hundert gehen soll. Oba­ma hat an anderer Stelle selbst erklärt, die USA wollten so lange an einem Restarsenal festhalten, bis alle anderen Atomstaaten ihre Bestände komplett vernichtet haben. Die anderen Staaten werden da allerdings nicht mitspielen, weil sie den USA damit schutzlos ausgeliefert wären – insbesondere Rußland.

Wird Obamas Vorstoß in diesem Lichte nicht zum reinen Lippenbekenntnis?

Nötig ist eine Nuklearwaffenkonvention – also ein für alle bindender Vertrag über das Verbot und die Abschaffung von Atomwaffen. Einen entsprechenden Modellentwurf haben wir den Vereinten Nationen vorgelegt. Darin wird aufgezeigt, wie sämtliche Atommächte in gemeinsamen und gleichzeitigen Schritten ihre Sprengköpfe und Trägersysteme auf Null reduzieren könnten. Wir wünschen uns vom US-Präsidenten, daß er den Ansatz einer Atomwaffenkonvention bei dem angekündigten Gipfel zum Abbau und der Sicherung von Atomwaffen auf die Tagesordnung setzt.

Ist es nicht reichlich naiv zu glauben, daß die USA dabei mitziehen? Gerade auch vor dem Hintergrund der ständigen Drohgebärden in Richtung Iran und der Beschwörung einer atomaren Gefahr durch »Terroristen«?

Ich halte es nicht für unmöglich, sämtliche Atomwaffen weltweit zu vernichten. Davor bedarf es jedoch einer tiefgreifenden Bewußtseinsänderung bei allen Beteiligten. Dazu gehört auch die Bereitschaft, über Sicherheiten zu verhandeln. Enttäuschend an Obamas Rede war vor allem, daß er weder über den Abzug der US-Atomwaffen aus Europa noch über das Vorhaben ein Wort verloren hat, in Osteuropa einen Raketenschild zu errichten. Die Verhandlungen mit Rußland wären viel einfacher, wenn Washington diese Pläne stoppen würde.

In einer atomwaffenfreien Welt hätten die USA immer noch die absolute militärische Übermacht. Warum sollten bei dieser Aussicht andere Atommächte ihr nukleares Abschreckungspotential preisgeben?

Das meinte ich damit, daß über Sicherheiten verhandelt werden muß. Es wird keine Abschaffung von Atomraketen geben, solange die USA ihre Dominanz im konventionellen Bereich nicht aufgeben. Auch über die NATO müßte in diesem Zusammenhang gesprochen werden und über die Frage, ob nicht an ihre Stelle eine neue weltweite Sicherheitsstruktur – ähnlich der OSZE in Europa – treten muß, die mit den alten Feindbildern bricht und statt dessen auf Gemeinsamkeiten setzt.

Gibt es ohne die Abschaffung der NATO also auch keine atomwaffenfreie Welt?

Darüber will ich nicht spekulieren. Notwendig ist vor allem auch mehr Glaubwürdigkeit und ein Ende der Doppelmoral. Die USA verurteilen in harschen Tönen den Start einer nordkoreanischen Rakete, haben aber im vergangenen Jahr allein viermal ihre Minuteman-Raketen getestet.

Interview: Ralf Wurzbacher

* Aus: junge Welt, 7. April 2009


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