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Relikte des Kalten Krieges

Xanthe Hall über die Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland und Europa *


Die Kampagne »atomwaffenfrei.jetzt« und das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) haben am Donnerstag in Berlin eine umfangreiche Studie mit dem Titel »Atomwaffen-Modernisierung in Europa - Das Projekt B61-12« vorgestellt [siehe: "US-Atombomben: Modernisierung statt Abzug"]. Mit der Kampagnensprecherin Xanthe Hall, Abrüstungsreferentin der Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW), sprach Olaf Standke.


nd: Warum die Fokussierung auf diese taktischen Atomwaffen?

Xanthe Hall: Das sind Waffen, die auch in Deutschland stationiert sind, in Büchel in der Eifel, und es sind die ersten des US-Arsenals, die modernisiert werden. Geht diese Modernisierung reibungslos über die Bühne, dann werden weitere bewilligt.

Die NATO hat also auf ihrem Mai-Gipfel in Chicago definitiv beschlossen, die US-Atomwaffen weiter in Europa zu belassen?

Nicht so explizit. Aber die NATO will eine nukleare Allianz bleiben, solange es Atomwaffen gibt. Und ihre sollen sicher und zuverlässig sein, sie brauchen eine Verlängerung der »Lebensdauer«. Sie sollen modernisiert werden, damit sie bis 2050 einsetzbar bleiben.

Schwarz-Gelb hat im Koalitionsvertrag als Ziel den Abzug der US-Atomwaffen formuliert, der Bundestag einen entsprechenden Beschluss gefasst. Hat die Bundesregierung zu wenig getan, um das zu verwirklichen?

Das Tückische ist, dass im Koalitionsvertrag wie im Bundestagsbeschluss steht, dass der Abzug im Konsens erreicht werden soll. Die NATO-Staaten konnten in diesem Punkt keinen Konsens erzielen. Geeinigt hat man sich darauf, Bedingungen zu schaffen, um die Zahl der Atomwaffen in Europa zu reduzieren. Dafür allerdings will man von Russland Gegenleistungen, und die Aussichten dafür sind minimal.

Um wie viele Atomwaffen geht es dabei?

In Europa insgesamt um rund 180 Atomwaffen, in Deutschland sind es etwa 20.

In welche Richtung wird die Modernisierung vorangetrieben?

Die bisherigen vier Versionen der Bombe B61 sollen in einer verschmelzen. Diese B61-12 wird eine lenkbare Waffe sein, viel präziser als ihre Vorgänger, mit weniger radioaktivem Fallout. Und sie eröffnet neue Einsatzmöglichkeiten beispielsweise gegen verhärtete oder unterirdische Ziele. Diese Änderungen erschrecken am meisten, denn sie würden bedeuten, dass die B61-12 nicht nur zur Abschreckung gedacht ist, sondern für den Einsatz. Die Hemmschwelle für einen Nuklearschlag sinkt.

Wie teuer würde diese Modernisierung werden?

Man spricht von acht bis zehn Milliarden Dollar.

Und welche Kosten kommen auf den deutschen Steuerzahler zu? Die Bundesrepublik stellt ja im Rahmen der »nuklearen Teilhabe« Flugzeuge für die Bomben.

Das wissen wir noch nicht. Deshalb gibt es auch eine Anfrage an die Bundesregierung. In Medienberichten war jüngst von über 250 Millionen Euro für eine Modernisierung der Tornado-Flugzeuge die Rede. Aber dabei würde es ja nicht bleiben. Die USA wollen, dass auch die Infrastruktur für ihre Atombomben sicherer gemacht wird. Eine frühere Studie hat da erschreckende Mängel konstatiert.

Alle Parteien müssen in ihren Wahlprogrammen erklären, dass sich die Bundestagsfraktionen in der nächsten Legislaturperiode für eine vertragliche Ächtung aller Atomwaffen weltweit einsetzen und jene in Deutschland sofort abgezogen werden. Das soll im Koalitionsvertrag festgeschrieben werden. Es dürfen weder Haushaltsmittel für die Infrastruktur noch für eine Modernisierung der Trägerflugzeuge genehmigt werden.

Sie haben schon auf Russland hingewiesen. Welche Auswirkungen muss man denn auf die Abrüstungspolitik befürchten?

Die nächste Runde der Abrüstungsgespräche soll die taktischen Atomwaffen betreffen. Mit der NATO-Modernisierung entsteht aber eine neue Bombe, die dann nicht mehr als taktische eingestuft wird. Russland sagt ohnehin, dass letztlich alle Atomwaffen strategisch seien. Der Begriff »taktisch« suggeriert, dass man auf einem Schlachtfeld ein, zwei von diesen Waffen einsetzen könne, und dann sei alles vorbei. Nur würde dieser Einsatz bei Atomwaffenmächten zu einem nuklearen Gegenschlag führen, die Eskalation wäre programmiert.

Im Prinzip droht man Russland mit einer Art zweiten NATO-Doppelbeschluss: Bringt eure taktischen Atomwaffen auf den Verhandlungstisch oder wir modernisieren unsere. Dieses Vorgehen ist fatal. Wir brauchen ein Vertrauensverhältnis mit Russland, um gemeinsam abzurüsten, und kein Druck mit diesen letzten Relikten aus dem Kalten Krieg.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 14. September 2012


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