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Vertrag über Verbot nuklearer Mittelstreckenwaffen in Gefahr

Eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen aus Zeiten des Kalten Krieges steht zur Disposition

Von Wolfgang Kötter

In seinen gestrigen Gesprächen mit US-Außenministerin Condoleezza Rice und US-Verteidigungsminister Robert Gates deutete der russische Präsident Wladimir Putin den möglichen Ausstieg aus dem Vertrag über das Verbot Nuklearer Mittelstreckenraketen an. Damit steht eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen aus der Zeit des Ost-West-Konflikts zur Disposition.

Vor 20 Jahren, am 8. Dezember 1987, unterzeichneten US-Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow in Washington den Vertrag zur Beseitigung der Nuklearen Mittelstreckenraketen (Intermediate Range Nuclear Forces - INF) mit Reichweite zwischen 500 und 5500 Km. Sie vollzogen damit einen wahrhaft historischen Schritt. Jenseits der Denkschablonen des Kalten Krieges befreiten sich die Führer der beiden Supermächte von der irrationalen Logik des nuklearen Erbsenzählens und gaben gleich eine ganze Waffenkategorie zur Verschrottung frei. Erleichtert wurde Reagan die Entscheidung durch Gorbatschows "Neues Denken", das Moskau auf weitaus mehr Waffen verzichten ließ als Washington. Unter dem Strich befreite der INF-Vertrag die Welt bis 1991 von etwa 2 700 Atomraketen (UdSSR: 1.846; USA: 846), immerhin etwa vier Prozent der nuklearen Gesamtpotenziale beider Staaten.

Vorausgegangen war eine gefährliche Eskalation des nuklearen Wettrüstens in Europa. Beide Seiten modernisierten ihre Atomwaffenarsenale und machten sich gegenseitig dafür verantwortlich. Die USA suchten nach Wegen, die technologischen Neuentwicklungen Cruise Missiles und Pershing-2-Raketen in Westeuropa zu stationieren. Gegen die sich formierende Anti-Raketenbewegung verwiesen sie auf die von der Sowjetunion ihrerseits betriebene Ersetzung älterer Mittelstreckenwaffen durch die mit drei Sprengköpfen ausgestatteten SS-20-Raketen von größerer Reichweite als ihre Vorgänger. So schlichen die 1980 begonnenen Verhandlungen jahrelang ohne konkrete Fortschritte dahin und zeitweise waren sie sogar unterbrochen.

Moskaus unerwartetes Eingehen auf eine Verhandlungslösung nach der Machtübernahme Gorbatschows im Jahre 1985 konfrontierte Washington mit dem Problem, wie man der unerwarteten Wendung begegnen sollte. Damals erfand der bis in die jüngste Vergangenheit als Hardliner und einer der Hauptproponenten des Irakkrieges hervorgetretene Richard Perle die „doppelte Nulllösung“, d.h., die USA würden auf die Stationierung verzichten, wenn die Sowjetunion dafür alle ihre Mittelstreckenwaffen abbaut. Bei sowjetischer Verweigerung, so das Kalkül, könnte man Moskau den schwarzen Peter zuschieben und das volle Programm von 572 Raketen in Belgien, der BRD, Großbritannien, Italien und in den Niederlanden dislozieren.

Bekanntlich kam das Abkommen trotzdem zustande. Jetzt aber wird mmer unwahrscheinlicher, dass die USA und Russland dauerhaft auf Mittelstreckenwaffen verzichten, während andere Länder gerade diese Arsenale ausbauen. Natürlich wäre es denkbar, dem konstruktiv zu begegnen, indem weitere Staaten beitreten und er, wie Putin gestern vorschlug, zu einem "wahrhaft universalen Vertrag" ausgeweitet wird. Allerdings ist eine solche Lösung nicht wahrscheinlich. Sollten die USA ihre Pläne zur Stationierung von Radaranlagen und Abfangraketen in Tschechien bzw. Polen weiterverfolgen, könnten - so versichern die russischen Militärs - diese potentiellen Ziele effektiv bekämpft werden – mit den bislang noch vom INF-Vertrag verbotenen Mittelstreckenraketen


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