Die israelischen Atomwaffen und ihre Bedeutung für die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten
von Clemens Ronnefeldt *
"Israel wird nicht als erstes Land Atomwaffen in der Region
einführen", so haben immer wieder israelische Ministerpräsidenten die
offizielle Sprachregelung ihres Landes verkündet. 1975 ergänzte
Premier Yitzhak Rabin: "Wir können es uns aber auch nicht leisten, die
zweiten zu sein" [1].
Zur Geschichte des israelischen Atomprogramms
Vier Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges und der Shoah suchten 1949
israelische Wissenschaftler im Auftrag der israelischen Streitkräfte
nach Uran in der Negev-Wüste. Im September 1956 unterzeichneten Israel
und Frankreich ein Geheimabkommen, dem zufolge Frankreich einen
Reaktor zur Plutoniumgewinnung bei Dimona bauen sollte. Alle
Mitglieder der israelischen Atomkommission traten daraufhin mit
Ausnahme des Vorsitzenden zurück, weil sie nicht bereit waren, an
einer militärischen Atompolitik mitzuwirken.
Im Juli 1956 hatte der ägyptische Regierungschef Nasser den Suez-Kanal
verstaatlicht. Im Oktober 1956 reisten der israelische Premier David
Ben-Gurion, Vize-Verteidigungsminister Shimon Peres und
Generalstabschef Moshe Dayan nach Paris, um mit den Militärs und
Politikern Englands und Frankreichs einen Kriegspakt gegen Ägypten zu
schmieden. Israel eroberte daraufhin sehr schnell die gesamte
Sinai-Halbinsel, auf der zuvor ägyptische Waffen modernster
sowjetischer Bauart stationiert waren. Im Machtkampf der Siegermächte
des 2. Weltkrieges setzten USA und Sowjetunion einen Waffenstillstand
durch, noch bevor Großbritannien und Frankreich ihr Kriegsziel der
Suez-Kanal-Kontrolle erreichen konnten.
Als die israelische Führung Anfang November 1956 über das UN-Ersuchen
nach einem Waffenstillstand beriet, entsandte Ben Gurion Shimon Peres
und Golda Meir nach Paris, um Frankreich um eine Garantie zu bitten,
Israel bei der Entwicklung der Atombombe zu helfen. Der damalige
französische Regierungschef Guy Mollet kam dieser Bitte nach, weil er
einerseits die Verteidigung des von ihm vereehrten Landes Israel
sicherstellen und andererseits einen neuen strategischen Partner für
Frankreich im Nahen Osten gewinnen wollte.
Seit Anfang der 1960er Jahre gingen die USA von einem militärischen
Atomprogramm Israels aus. Die US-Regierungen unter den Präsidenten
Kennedy und Johnson knüpften weitere Waffenverkäufe an Israel an die
Bedingung, eigene US-Inspektoren nach Dimona zu entsenden. Bei diesen
Besuchen ab 1961 wurden den US-Inspektoren mehrfach die Besichtigung
der gut getarnten unterirdischen Stockwerke vorenthalten, in denen
Plutonium gewonnen und Bombenteile produziert wurden.
Erst als der in Dimona beschäftige Techniker Mordechai Vanunu im
Herbst 1986 seine Bilder und sein Wissen über das israelische
Atomprogramm der Londoner Zeitung "Sunday Times" anvertraute, wurde
das unterschätzte Ausmaß der damals bereits vermutlich mehr als 100
israelischen Atomwaffen öffentlich. Vanunu wurde nach seiner
Entführung durch den israelischen Geheimdienst Mossad zu 18 Jahren
Haft verurteilt, die 2004 endeten -- und zahlt bis heute unter
Hausarrest und völliger Überwachung stehend einen hohen Preis für
seine Gewissensentscheidung.
Die arabischen Staaten brachten nach der Vanunu-Enthüllung eine
UN-Resolution in die Vollversammlung ein, die eine UN-Untersuchung von
Israels Atomprogramm forderte. Diese wurde mit 92 Ja-Stimmen bei zwei
Enthaltungen sowie zwei Nein-Stimmen von Israel und den USA
angenommen, blieb jedoch folgenlos.
Um die Nuklearwaffen zum Einsatz bringen zu können, verfügt Israel
aktuell über ein breites Spektrum von Trägersystemen aus land-, luft-
und möglicherweise seegestützten Waffenplattformen mit Reichweiten von
mehreren tausend Kilometern. Deutschland lieferte in den Jahren 1999
und 2000 drei Dolphin U-Boote, zwei weitere leistungsfähigere Boote
stehen noch vor der Auslieferung. Diese können in Israel mit
Marschflugkörpern bestückt werden, die auch Atomsprengköpfe tragen
könnten.
Konflikte im Zusammenhang mit den israelischen Atomwaffen
In der israelischen Gesellschaft war und ist die eigene atomare
Bewaffnung umstritten. Ein Teil der Bevölkerung glaubte lange Zeit,
dank nuklearer Absicherung leichter die besetzten palästinensischen
Gebiete räumen zu können, ein anderer Teil wiederum war und ist der
Ansicht, das Atomprogramm binde sehr viele finanzielle Mittel, die für
konventionelle Aufrüstungen dringender notwendig seien.
Unmittelbar vor Beginn des Sechstagekrieges 1967 ließ der israelische
Ministerpräsident Eshkol zwei Atombomben zusammenbauen. Grund war der
Überflug eines ägyptischen MiG-Kampfflugzeuges über dem
Dimona-Atomgelände. Die israelische Luftabwehr hatte vergeblich
versucht, die MiG abzuschießen.
Auch während des Yom-Kippur Krieges 1973 wurden israelische Atombomben
zusammengebaut, nachdem Israel hohe Verluste am Suez-Kanal und auf den
Golanhöhen erlitten hatte. Ministerpräsidentin Golda Meir erteilte
daraufhin Anfang Oktober 1973 dem damaligen Verteidigungsminister
Moshe Dayan die Genehmigung zur Atomwaffen-Aktivierung.
Das irakische Atomprogramm begann Anfang der 60er Jahre - auch als
Gegengewicht zum israelischen Atomprogramm. Als Frankreich 1980 in der
Nähe von Bagdad einen Reaktor baute, der das Material für ein bis zwei
Atombomben pro Jahr hätte produzieren können, zerstörten 14
israelische Kampfflugzeuge am 7. Juni 1981 den unmittelbar vor der
Fertigstellung stehenden irakischen Reaktor bei Tuweitha. Die Arbeiten
am Reaktor unterlagen zu diesem Zeitpunkt der Internationalen
Atomenergiebehörde in Wien (IAEA), der die israelische Führung keine
effektive Kontrolle zutraute. Im Juni 1981 verurteilte der
UN-Sicherheitsrat - mit Zustimmung der USA - den israelischen
Luftangriff auf den irakischen Atomreaktor in der Resolution 487 als
"danger to international peace and security created by the
premeditated (...) attack" (SRRes. 487 (Präambel)) und "clear
violation of the Charter of the United Nations and the norms of
international conduct (SRRes. 487 (1)) und forderte Israel auf, "to
refrain in the future from any such attacks or threats thereof"
(SRRes. 487 (2)). Sanktionen scheiterten anschließend am US-Veto [2].
1986 begann Pakistan mit der Produktion von waffenfähigem Plutonium.
Um diesen Start zu verhindern, hatte zuvor die israelische Regierung
bei der indischen Regierung angefragt, ob israelische Kampfjets auf
dem Weg zur Bombardierung der pakistanischen Nuklearanlage einen
indischen Luftwaffenstützpunkt zur Betankung der israelischen
Kampfflugzeuge benutzen dürfen. Als die indische Regierung dies
ablehnte, bot die israelische Regierung ersatzweise Indien
hocheffektive Bomben zur Zerstörung der pakistanischen Atomanlage
durch die indische Luftwaffe an.
Während des Golfkrieges 1991 ließ Saddam Hussein 39 konventionell
bestückte Scud-Raketen auf Israel abfeuern. Für den Fall, dass die
Raketen mit chemischen Sprengköpfen bestückt worden wären, sahen
israelische Überlegungen den Einsatz von Atomwaffen gegen Irak vor.
Die Zustimmung der israelischen Bevölkerung zur eigenen atomaren
Bewaffnung stieg nach der Bombardierung durch Irak erheblich an.
Nuklearwaffen wurden verstärkt als Abschreckung gegenüber Angriffen
mit chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen angesehen.
Im Herbst 2007 bombardierten israelische Kampffugzeuge in Syrien bei
Al-Kibar eine mutmaßliche Atomanlage.
Auf das iranische Atomprogramm kann hier aus Platzgründen nicht weiter
eingegangen werden. Der Autor hat sich dazu unter
www.versoehnungsbund.de mehrfach an anderer Stelle geäußert.
Ausblick für mögliche Konfliktlösungen
US-Präsident Bill Clinton hatte während seiner Regierungszeit
vorgeschlagen, Israel könnte den Reaktor in Dimona stilllegen und auf
die weitere Plutoniumproduktion verzichten, um damit dem Ziel eines
von atomaren, biologischen und chemischen Waffen freien Nahen und
Mittleren Ostens näher zu kommen. Sowohl die israelische Führung als
auch arabische Staaten, die das Atom-Monopol Israels schon damals
nicht länger hinnehmen wollten, lehnten dies ab.
Nach dem Golfkrieg 1991 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am
3.4.1991 die UN-Resolution 687, die u.a. vom "Ziel der Schaffung einer
kernwaffenfreien Zone in der Nahost-Region" und dem "Bewusstsein der
Gefahr, die alle Massenvernichtungswaffen für den Frieden und die
Sicherheit in dem Gebiet darstellen, und der Notwendigkeit, auf die
Schaffung einer von derartigen Waffen freien Zone im Nahen Osten
hinzuarbeiten" handelt. Ihre Umsetzung wird bis heute von den Mächten
des UN-Sicherheitsrates nicht einmal ansatzweise vorangetrieben. Auch
Initiativen zu einer Konfliktlösung etwa in Form einer Konferenz für
Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten wurden
nicht mit Nachdruck verfolgt.
Im März 2009 beging das Oberkommando der US-Streitkräfte einen
politischen Tabubruch und bezeichnete Israel erstmals als bedeutende
Nuklearmacht. Im Mai 2009 nannte die US-Staatssekretärin Rose
Gottmoeller als fundamentales Ziel der neuen US-Politik, Israel,
Indien und Pakistan zum Atomwaffensperrvertrag-Beitritt zu bewegen.
Israels Außenministerium bat daraufhin um Klarstellung und konnte
diese Forderung kaum glauben.
Am 23. Oktober 2009 berichtete die Süddeutsche Zeitung: "Erstmals seit
30 Jahren haben Israel und Iran an Gesprächen über eine
atomwaffenfreie Zone in Nahost teilgenommen. Die Begegnung fand
bereits am 29. und 30. September in Kairo statt. ... Von israelischer
Seite handelte es sich um Meirav Zafari-Odiz, zuständig für
Rüstungskontrolle bei der Atombehörde. Iran hatte seinen Botschafter
bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Ali Ashgar
Soltanieh, und einen Botschafter im Ruhestand entsandt. ...
Anschließend habe Zafari-Odiz erklärt, dass Israel am Ende eines
umfassenden regionalen Friedensschlusses grundsätzlich zu einem Dialog
über eine nukleare Abrüstung im Nahen Osten bereit wäre".
Bis zu wirklich substantiellen Verhandlungen dürfte der Weg noch sehr
weit sein: "Von allen Atomwaffen in der Welt wird man sich des
israelischen Arsenals am schwierigsten entledigen können", prophezeite
1995 der frühere Direktor des Internationalen Stockholmer
Friedensforschungsinstitutes SIPRI, Dr. Frank Barnaby [3].
Fußnoten-
Yoel Cohen, Die Vananu-Affäre. Israels Geheimes Atompotential,
Heidelberg 1995, S. 9
- http://www.ipw.rwth-aachen.de/pub/paper/paper_01.html
- Yoel Cohen, a.a.O., aus dem Vorwort von Dr. Frank Barnaby, S. 12.
Weitere Quellen:-
Seymour M. Hersh, Atommacht Israel. Das geheimeVernichtungspotential
im Nahen Osten. Aus dem Amerikanischen von Hans Bangerter, Gabriele
Burkhardt und Karlheinz Dürr, München 1991.
-
Avner Cohen, Israel and the Bomb, Columbia University Press, New
York, 1998.
-
Gawdat Bahgat, Israel and Nuclear Proliferation in the Middle East,
Middle East Policy, Vol. XIII, No. 2, Summer 2006.
-
www.atomwaffena-z.info/atomwaffen-glossar/i/i-texte/artikel/548/998f05bb0f/index.html
* Clemens Ronnefeldt ist Referent für Friedensfragen beim deutschen
Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes
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