Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Eine atomwaffenfreie Welt - Vision und Wirklichkeit

Eine Artikelserie von Wolfgang Kötter *


INHALT
  1. Konzept und Geschichte kernwaffenfreier Zonen
  2. Die Kubakrise als Katalysator: Der Vertrag von Tlatelolco über eine kernwaffenfreie Zone in Lateinamerika
  3. Testopfer Südpazifik von Atomwaffen befreit - Der Vertrag von Rarotonga
  4. Atomwaffenfreiheit in Asien - Die Verträge von Bangkok und Semipalatinsk
  5. Aus für die "Apartheid-Bombe" - Der Vertrag von Pelindaba
  6. "Unsere zukunft - atomwaffenfrei!"
  7. Chancen und Perspektiven der Atomwaffenfreiheit

1. Konzept und Geschichte kernwaffenfreier Zonen

Atomwaffen scheinen als Trumpfkarte im Spiel um die internationale Macht wieder zu stechen. Vor aller Augen vollzieht sich eine Renuklearisierung der Weltpolitik. Die Atomwaffenmächte, die gerade ihre Arsenale optimieren, der nordkoreanische Nukleartest vom vergangenen Herbst und die iranischen Nuklearambitionen könnten eine gefährliche Dynamik in Gang setzen. Wenn aber immer mehr Staaten und möglicherweise auch Terroristen oder Kriminelle nach der verheerenden Massenvernichtungswaffe greifen, wird das Risiko eines absichtlichen oder auch versehentlichen Atomwaffeneinsatzes enorm ansteigen.

Um diesen lebensbedrohlichen Trend umzukehren, gewinnt seit einiger Zeit die radikale Forderung nach Schaffung einer atomwaffenfreien Welt wieder an Boden. Die vollständige Beseitigung aller Kernwaffen ist eine jahrzehntealte Vision der Friedensbewegung. Aber diesmal kommt die Forderung nach atomarer Abrüstung nicht allein von den Rüstungsgegnern. Vielmehr sind es gestandene Politiker, die aus den Erfahrungen ihrer eigenen Verantwortung für Atomrüstung und nukleare Einsatzstrategien die Lehren gezogen haben.

Erst vor wenigen Tagen schlossen sich vier ehemalige Spitzenpolitiker Großbritanniens - die Ex-Außenminister Douglas Hurd, Malcolm Rifkind, David Owen und der ehemalige NATO-Generalsekretär George Robertson - ihren Kollegen in den USA an. Dort haben Ex-Außenminister Henry Kissinger und George Shultz, sowie der ehemalige Verteidigungsminister William Perry und Senator Sam Nunn wiederholt eindringlich zur Schaffung einer Welt ohne Kernwaffen aufgerufen: „Die immer schnellere Verbreitung von Atomwaffen, nuklearem Know-how und Nuklearmaterial hat uns zu einem atomaren Wendepunkt geführt", warnen die bereits als Apokalyptische Reiter titulierten Vier. „Wir stehen vor der sehr realen Möglichkeit, dass die tödlichsten Waffen, die jemals erfunden wurden, in gefährliche Hände fallen könnten." Die bisherige Politik, um dieser Bedrohung zu begegnen, halten sie für nicht adäquat, denn: „Durch die breitere Verfügbarkeit von Atomwaffen verliert die Abschreckung zunehmend an Effektivität und wird zudem selbst immer riskanter."

Die Idee, sich regional vom globalen nuklearen Wettrüsten abzukoppeln und dadurch einem möglichen Angriff mit Kernwaffen und den katastrophalen Folgen eines Nuklearkrieges aus dem Wege zu gehen, entstand in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Eine vertraglich festgeschriebene kernwaffenfreie Zone könnte ihre Bewohner vielleicht vor der atomaren Katastrophe bewahren, bindet sie doch durch Zusatzprotokolle auch die Kernwaffenmächte in einen völkerrechtlichen Verpflichtungsrahmen ein und begrenzt etwaige Nuklearkriegsambitionen. Außerdem verzichten die Teilnehmer auf einen ruinösen und selbstmörderischen nuklearen Rüstungswettlauf mit ihren Nachbarn. Von Anfang an aber sahen die Nichtkernwaffenstaaten in der regionalen Atomwaffenfreiheit nicht das Endziel, sondern lediglich eine Zwischenetappe zur umfassenden nuklearen Abrüstung.

Nicht zufällig galten die ersten Pläne Europa, der unmittelbaren Konfrontationslinie zwischen den Militärallianzen von Ost und West. So bot der polnische Außenminister  Adam Rapacki im Jahre 1957 den eigenen nuklearfreien Status für den Verzicht beider deutscher Staaten auf die Produktion, den Erwerb und die Stationierung atomarer Waffen an. Als modifizierte Variante schlug später die vom schwedischen Ministerpräsidenten geleitete Palme-Kommission vor, zwischen NATO und Warschauer Vertragsorganisation einen 300 km breiten von nuklearen Gefechtsfeldwaffen  freien Korridor zu schaffen. Schwedens Außenminister Bo Östen Undén hatte bereits im Jahre 1961 einen weltweiten "Club atomwaffenfreier Staaten" angeregt. Daran anknüpfend schlug der finnische Präsident Urho Kekkonen zwei Jahre später eine kernwaffenfreie Zone in Skandinavien vor. Wie zuvor auch Rumänien, forderte Griechenland einen kernwaffenfreien Balkan. Letztendlich jedoch scheiterten alle diese Vorhaben an der Einbindung potentieller Teilnehmer in die strategische Planung und  Waffendislozierung der Militärbündnisse während des Kalten Krieges.

Aber auch heute fragen sich viele Menschen, ob eine Welt ohne Atomwaffen wirklich erreicht werden kann oder ob sie lediglich ein utopischer Wunschtraum bleiben muss? Was die Zweifler aber häufig vergessen: Kernwaffenfreie Zonen haben auf der südlichen Hemisphäre bereits die Hälfte unseres Planeten von diesen verheerenden Massenvernichtungswaffen erlöst. Im Folgenden stellen wir die bisher erreichten Erfolge bei der Befreiung ganzer Regionen von Atomwaffen vor und prüfen die Chancen für die Abrüstung aller Atomwaffen.

Kernwaffenfreie Zonen

Vertrag

Region

Unterzeichner / Ratifikationen, Akzessionen

Jahr Unterzeichnung /

in Kraft

Antarktisvertrag

Antarktis

12 / 45

1959 / 1961

Tlatelolco

Lateinamerika/Karibik

33 / 33

1967 / 1968

Rarotonga

Südpazifik

13 / 13

1985 / 1986

Bangkok

Südostasien

10 / 10

1995 / 1997

Pelindaba

Afrika

50 / 25

1996 /    -

Semipalatinsk

Zentralasien

5 /   2

2006 /    -

 

2. Die Kubakrise als Katalysator: Der Vertrag von Tlatelolco über eine kernwaffenfreie Zone in Lateinamerika

Mit der Kubakrise von 1962 rückte Lateinamerika in den Brennpunkt der Weltpolitik. Hier gerieten die Supermächte Sowjetunion und USA erstmals dramatisch nahe an einen direkten nuklearen Schlagabtausch. Dreizehn Tage lang stand die Welt am Abgrund eines Atomwaffenkrieges. Er hätte katastrophale Folgen vor allem für die unmittelbar betroffenen Länder der Region gebracht (siehe Infokasten).

Irrtümer und Fehleinschätzungen hatten die Welt in die gefährlichste Krise der Nachkriegszeit gestürzt. Später stellte sich heraus, dass die Sowjetunion bereits funktionstüchtige atomare Kurzstrecken-Raketen auf Kuba stationiert hatte. Sie sollten gegen die erwarteten US-Invasionstruppen eingesetzt werden. Wäre das geschehen, so erklärte US-Verteidigungsminister McNamara rückblickend, hätten die USA „zu 99 Prozent" einen nuklearen Vergeltungsschlag gegen die UdSSR ausgelöst. In beiden Lagern gab es genug Scharfmacher, die den Nuklearkrieg wirklich riskieren wollten. So warf US-Luftwaffenchef Curtis LeMay Kennedy vor, er habe „die größte Niederlage unserer Geschichte" hingenommen und Fidel Castro soll Chruschtschow ein feiges „Arschloch" genannt haben, er selbst hätte den Abschuss der Atomraketen befohlen.

Beide Supermächte zogen Lehren aus der Beinahekatastrophe: Sie schufen mit dem „heißen Draht" eine Direktverbindung zwischen den Hauptstädten, um bei künftigen Krisen direkt kommunizieren und folgenschwere Missverständnisse vermeiden zu können. Außerdem begannen erste Verhandlungen zur nuklearen Rüstungskontrolle, die alsbald zum Teil-Teststoppvertrag führten. McNamara räumte später ein: „Wir standen so nah am nuklearen Abgrund wie nie zuvor. Und verhindert haben wir den atomaren Schlagabtausch nicht etwa durch ein gekonntes Management, sondern durch schieres Glück. Keiner von uns begriff damals wirklich, wie nahe wir am Rand der Katastrophe standen." Das Schockereignis des nur knapp vermiedenen atomaren Showdowns wirkte für die Länder Lateinamerikas als traumatisches Grunderlebnis. Durch die Schaffung einer von Nuklearwaffen freien Zone suchten sie ihm zu entkommen.

Eine Region, die selbst ohne Atomwaffen ist, so hoffte einer der Gründungsväter und spätere Außenminister Alfonso García Robles aus Mexiko, stellt für niemanden eine Bedrohung und deshalb auch kein Angriffsziel dar: „Wenn ich weiß, dass meine Nachbarn nicht an der Bombe bauen, gibt es auch für mich keinen Grund dazu." Auf seine Initiative hin begannen am 15. März 1965 die Verhandlungen in Tlatelolco, einem Vorort von Mexiko City, und wurden zwei Jahre später erfolgreich abgeschlossen. Der „Vertrag über das Verbot von Kernwaffen in Lateinamerika und der Karibik" verbietet die Produktion, den Erwerb, die Anwendung, Erprobung, Entgegennahme, Lagerung und  Stationierung von Kernwaffen in der Region und den angrenzenden Seegebieten. Die Partner werden zur ausschließlich friedlichen Kernenergienutzung verpflichtet und dürfen sich nicht an militärisch orientierten Nuklearaktivitäten in anderen Ländern beteiligen. Friedliche Kernexplosionen, z.B. für die Errichtung eines Staudamms oder zur Flussbegradigung, wie auch der Transit von Kernwaffen bleiben jedoch erlaubt. In Zusatzprotokoll I verpflichten sich die Staaten mit Territorialhoheit (Frankreich, Großbritannien, Niederlande und USA), den kernwaffenfreien Status der Mitgliedstaaten zu respektieren und in Protokoll II garantieren die offiziellen Kernwaffenmächte (China Frankreich, Großbritannien, Sowjetunion/Russland und die USA), keinen Staat der Zone mit Atomwaffen anzugreifen. Seit auch Kuba im Jahre 2002 beigetreten ist, gehören heute alle Regionalstaaten der kernwaffenfreien Zone an.


Die Kubakrise

Am 16. Oktober erfährt US-Präsident John F. Kennedy durch Luftaufnahmen des Spionageflugzeugs U-2, dass die Sowjetunion in der kubanischen Provinz Pinar del Rio Abschusssilos für nukleare Mittelstreckenraketen aufbaut, deren Sprengköpfe auch Washington erreichen können. Um der Einsatzbereitschaft der SS-4- und SS-5-Raketen zuvorzukommen, stellt Kennedy am 22. Oktober ein Ultimatum für deren Demontage und Entfernung. Umgehend droht KPdSU-Chef Nikita Sergejewitsch Chruschtschow aus Moskau mit einem „weltweiten nuklearen Raketenkrieg". Im Washingtoner Krisenstab „ExComm" werden derweil verschiedene Handlungsoptionen erörtert. Zu ihnen gehören rein diplomatische Bemühungen, gezielte Flugzeugangriffe auf die Raketenbasen, aber auch ein umfassender Luftkrieg oder eine Invasion. Schließlich setzt sich der Vorschlag zur Errichtung einer Seeblockade durch. Aber niemand weiß, ob das Aufeinandertreffen der von Atom-U-Booten begleiteten sowjetischen Raketenfrachter und der US-Navy nicht zu Gefechten und militärischer Eskalation führen würde. Näher und näher - fast schon auf Sichtweite -  kommen die sowjetischen Schiffe dem amerikanischen Blockadegürtel in der Karibik. In fieberhaften Verhandlungen mit Sowjet-Botschafter Anatoly Dobrynin und Geheimdienstler Aleksandr Fomin gelingt es schließlich, die Zeitbombe zu entschärfen. Buchstäblich in letzter Minute drehen die sowjetischen Schiffe ab und am Sonntag, dem 28. Oktober, endet die Konfrontation. Über Radio Moskau gibt Chruschtschow den Rückzug der Raketen bekannt. Als Reaktion verspricht Washington, auf eine erneute Invasion gegen Kuba zu verzichten und, in einer Geheimzusage, 30 Jupiter-Atomraketen aus der Türkei abzuziehen.


 

3. Testopfer Südpazifik von Atomwaffen befreit - Der Vertrag von Rarotonga

„Bravo", nannten die USA-Militärs ihren größten Atomwaffentest aller Zeiten. Sie zündeten die Wasserstoffbombe am 1. März 1954 auf dem Bikini-Atoll im Südpazifik. Mit 15 Megatonnen entwickelte sie die tausendfache Vernichtungskraft der über Hiroshima im Sommer 1945 abgeworfenen Atombombe, die 240 000 Menschenleben gefordert hatte. Selbst vor Ort anwesende Experten waren von dem gewaltigen Blitz und dem schier endlos wachsenden Feuerpilz überrascht, denn durch einen Rechenfehler der Atomwissenschaftler im Entwicklungslabor von Los Alamos übertraf die Explosion die erwartete Stärke bei weitem. Der unvorhergesehen nach Südost drehende Wind trieb die radioaktive Wolke direkt über die benachbarten Inseln Rongelap, Rongerik und Utirik und fügte deren Bewohnern schmerzhafte Verbrennungen zu. Mit menschenverachtender Fahrlässigkeit zündeten die USA zwischen 1946 und 58 insgesamt 67 atmosphärische Nukleartest auf den Marshall-Inseln. Wider besseres Wissen erlaubten die Militärs im Jahre 1957 den evakuierten Einwohnern von Rongelap die Rückkehr auf die Insel, da diese angeblich strahlenfrei sei. Erst im Frühjahr vergangenen Jahres sprach ein Gericht den Opfern der radioaktiven Verseuchung insgesamt eine Milliarde Dollar zu. Bisher wurde allerdings noch kein einziger Cent davon gezahlt.

Auch die Atomacht Großbritannien hatte im März 1952 damit begonnen, Kernsprengsätze auf den Monte-Bello-Inseln in Australien und den Christmas Islands zu testen, musste aber nach heftigen Protesten wegen des nuklearen Fallouts bei weiteren Versuchen auf das amerikanische Testgelände im Bundesstaat Nevada ausweichen. Frankreich verschwieg jahrzehntelang die Folgen der zwischen 1966 und 1974 in der Atmosphäre über den Südsee-Atollen Moruroa und Fangataufa gezündet 41 Atombomben. Ihnen folgten rund 170 unterirdische Kernwaffenversuche, ehe im Mai 1996 die Testanlagen auf den Polynesien-Inseln Moruroa und Fangataufa endgültig geschlossen wurden.

Bis dahin waren die Testinseln längst zu radioaktiven Mülldeponien verkommen und wurden durch Erdrutsche und Bodenabsenkungen entstellt. Verseuchtes Grundwasser sickerte in den Stillen Ozean - Tausende Bewohner, die einst auf dem Testgelände arbeiteten, sind immer noch verstrahlt. Die Langzeitwirkungen der Nukleartests rufen bis heute massenhaft Leukämie und andere Krebserkrankungen hervor, sie verursachen genetische Schäden, Erbkrankheiten und Schwächungen der Immunsysteme. Zwei französische Wissenschaftler untersuchen zurzeit, warum  die Schilddrüsenkrebsrate auf den Pazifikinseln doppelt bis dreifach so hoch ist wie in Frankreich. Auch Leukose tritt abnormal häufig auf. Die Vereinigung der Atomtestopfer „Moruroa e Tatou" (Wir sind Moruroa) fordert vom französischen Staat für die Geschädigten zumindest eine kostenlose medizinische Behandlung sowie Entschädigungen und Pensionen für die Hinterbliebenen. Bisher ohne Erfolg.

Die verheerenden Auswirkungen der von Frankreich, Großbritannien und den USA im Pazifik unternommenen Kernwaffentests entfachten eine enorme Protestbewegung der betroffenen Einwohner. Vor allem die fortgesetzten Atomwaffenversuche, die Paris noch bis in die neunziger Jahre im Südpazifik betrieb und die verbreitete Praxis, dort nukleare Abfälle zu versenken, bildeten schließlich die auslösenden Momente für die regionale Initiative. Auf Rarotonga, der Hauptinsel der Cook-IsIands, unterzeichneten die Regierungen am 6. August 1985 den „Vertrag über eine nuklearfreie Zone im Südpazifik", Der Vertrag ist seit 1986 rechtswirksam und bis auf die Marshallinseln, Mikronesien und Palau gehören ihm die restlichen 13 Staaten der Region an. Grundsätzlich modelliert nach dem lateinamerikanischen Vorbild, geht er in zwei Punkten weiter. Auch sogenannte friedliche Kernexplosionen, die zwangsläufig radioaktive Verstrahlungen der Umwelt zur Folge hätten, sind verboten. Außerdem verpflichten sich die Nuklearmächte in einem dritten Zusatzprotokoll zum Verzicht auf Kernwaffenversuchen im Südpazifik.  Mit Rücksicht auf die Interessen der USA setzte Australien allerdings einen Passus durch, nach dem jeder Teilnehmer selbst über die Anwesenheit von nuklear bewaffneten Schiffen oder U-Booten in seinen Häfen und Gewässern entscheiden darf.

Bisherige Kernwaffenversuche

Land

Anzahl

Testgebiete

USA

1 146

New Mexico und Südpazifik, später Wüste von Nevada

UdSSR/Russland

715

Nowaja Semlja, Semipalatinsk

Frankreich

215

Sahara, später Polynesieninseln Moruroa und Fangataufa

China

45

Wüste Lop Nor

Großbritannien

44

Südpazifik, später Wüste von Nevada

Pakistan

6

Chagai-Berge in Baluchistan

Indien

5

Thar-Wüste von Rajasthan

KDVR

1

nahe Kilju in der nordöstlichen Provinz Hamkyong

gesamt

2 177

 

Quellen: Arms Control Association, Bulletin of the Atomic Scientists

 

4. Atomwaffenfreiheit in Asien - Die Verträge von Bangkok und Semipalatinsk

Nachdem die Außenminister des Verbandes Südostasiatischer Staaten ASEAN im Jahre 1971 auf ihrem Treffen in Kuala Lumpur die „Deklaration einer Zone des  Friedens, der Freiheit und Neutralität" verabschiedet hatten, richteten sich die Bemühungen auch auf die Atomwaffenfreiheit der Region. Bis in die neunziger Jahre verhinderte jedoch der Streit um Kambodscha substanzielle Fortschritte. Erst nach Überwindung des Terrorregimes der Roten Khmer und den von der UNO organisierten Wahlen, die einer demokratischen Entwicklung den Weg ebnen sollten, kam wieder Bewegung in das Projekt. Am 15. Dezember 1995 unterschrieben zunächst Brunei, Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam in Bangkok den „Vertrag über eine kernwaffenfreie Zone in Südostasien". Das Abkommen trat im März 1997 in Kraft und später schlossen sich auch Laos, Myanmar und Kambodscha an. Der Anwendungsbereich erstreckt sich, sehr zum Ärgernis der Atomwaffenmächte China und USA, auch auf den Festlandsockel und die 200-Meilen-Wirtschaftszone. Über die traditionellen Bestimmungen hinaus verbietet der Vertrag ebenfalls die Verklappung radioaktiven Mülls. Die friedliche Nutzung der Kernenergie bleibt ausdrücklich erlaubt, nukleare Unfälle müssen aber unverzüglich an die Nachbarn gemeldet werden. Der Aufenthalt ausländischer, möglicherweise mit Kernwaffen ausgerüsteter Flugzeuge, U-Boote und Schiffe verbleibt in nationaler Entscheidung.

Die Außenminister der fünf zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan unterzeichneten am 8.September 2006 in Semipalatinsk den „Vertrag über eine kernwaffenfreie Zone in Zentralasien". Auf dem Territorium dieser fünf ehemaligen Sowjetrepubliken befanden sich zu Zeiten der UdSSR mehr als 1 400 strategische und über 700 taktische Nuklearwaffen, die inzwischen auf russisches Gebiet abgezogen wurden. Die Unterschrift unter den bereits seit längerem fertigen Vertragstext verzögerte sich zunächst, weil die gegensätzlichen Positionen der etablierten Kernwaffenmächte nur schwer unter einen Hut zu bringen waren. Vor allem Moskau fühlt sich durch die militärische Präsenz der USA im postsowjetischen Raum beunruhigt. Washington wiederum scheut vor rechtsverbindlichen Beschränkungen für künftige Waffenstationierungen und die Bewegungsfreiheit seiner Nuklearwaffen zurück. Während Russland und China immerhin grundsätzliche Zustimmung signalisierten, bestanden die westlichen Kernwaffenmächte USA, Frankreich und Großbritannien auf der Zusicherung, dass Russland die Zone nicht durch bilaterale Abkommen unterläuft, die eine Raketenstationierung in den zentralasiatischen Republiken erlauben. Doch ungeachtet der Widerstände beharrten die Regionalstaaten auf dem Projekt, denn gerade wegen der von den Atommächten neuerdings verfolgte Doktrin präventiver Kriege sehen sie darin eine Sicherheitschance. Außerdem bewahrt die Zone deren Teilnehmer davor, in einen regionalen Rüstungswettlauf hineingezogen zu werden, denn mit China, Indien und Pakistan verfügen drei weitere rivalisierende Nachbarn über Kernwaffen. Die zentralasiatischen Regierungen gaben mit ihrer Initiative ein deutliches Signal an Moskau und Washington gegen mögliche Stationierungsabsichten in ihren Ländern. Das Abkommen verbietet darüber hinaus den Transit von Atomwaffen und schützt die Region davor, von Terroristen als  Bewegungsraum für illegales Spaltmaterial missbraucht zu werden.

Nicht zufällig erfolgte die Unterzeichnung im kasachischen Semipalatinsk. Hier erkranken und sterben immer noch Menschen an den Spätfolgen von über 500 sowjetischen Kernwaffentests. Wenn auch die noch ausstehenden Staaten Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan den Vertrag ratifiziert haben, wird das dritte derartige Projekt auf dem asiatischen Kontinent Realität.

Weitere Initiativen und Projekte für kernwaffenfreie Zonen in Asien


Die Mongolei hat sich bereits vor 16 Jahren zur „Einstaaten-kernwaffenfreien-Zone" erklärt und appelliert an die Nuklearwaffenstaaten ihre Atomwaffenfreiheit auch völkerrechtlich verbindlich zu respektieren.

Nord- und Südkorea vereinbarten bereits im Jahre 1992 eine Deklaration über die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel. Im Rahmen der 6-Staaten-Verhandlungen erklärte die KDVR im Februar vergangenen Jahres ihre Bereitschaft, das Kernwaffenprogramm aufzugeben und in den Atomwaffensperrvertrag zurückzukehren, wenn die USA auf die Stationierung von Nuklearwaffen in Südkorea verzichten und eine Nichtangriffserklärung abgeben. Inzwischen hat Pjöngjang seinen Atomreaktor Yongbyon abgebaut und umfangreiche Dokumente zur Offenlegung seines Atomprogramms übergeben.

Während sich damit die Chancen für die Atomwaffenfreiheit auf der koreanischen Halbinsel verbessern, ist ein anderes Projekt gescheitert: Mit den Nukleartests von Indien und Pakistan im Jahre 1998 ist das von Islamabad  lange  propagierte Vorhaben einer kernwaffenfreien Zone in Südasien wohl endgültig obsolet geworden.



5. Aus für die „Apartheid-Bombe" - Der Vertrag von Pelindaba

Der nächste Schritt in Richtung globaler Denuklearisierung erfolgte auf dem afrikanischen Kontinent. Noch Ende des vergangenen Jahrhunderts geisterte das Phantom einer "schwarzen Bombe" durch die Reden afrikanischer Politiker. Mit der Entwicklung eigener Kernwaffen sollte den nuklearen Ambitionen Südafrikas begegnet werden. Viele Staaten sahen in dem Apartheidregime das Haupthindernis für ein kernwaffenfreies Afrika, das die damalige Organisation für Afrikanische Einheit OAU bereits im Jahre 1964 als Ziel deklariert hatte. Das Misstrauen bestand zu Recht.

Am 22. September 1979 gegen ein Uhr nachts registrierten die optischen Sensoren des US-amerikanischen Vela-I-Satelliten im südlichen Atlantik zwei kurz aufeinanderfolgende ominöse Lichtblitze, wie sie ansonsten für eine Atomwaffenexplosion typisch sind. Auch weitere Indizien sprechen für eine Kernwaffenexplosion in der Region zwischen Bouvet-Insel und Prince-Edward-Island. In Südafrika wurden kurz nach dem Ereignis kurzlebige Isotope gefunden, die unter anderem bei Kernwaffenexplosionen produziert werden. Angeblich soll auch in verschiedenen Wetterstationen in der Antarktis erhöhte Radioaktivität gemessen worden sein. Aufzeichnungen von Hydrophonen und seismische Messungen deuten ebenfalls auf die Explosion eines nuklearen Sprengkopfes mit einer Sprengkraft von wenigen Kilotonnen TNT hin, die auf Meereshöhe oder in wenigen Kilometern Höhe gezündet worden war. Die Hinweise führten zur Vermutung, dass Südafrika und Israel möglicherweise gemeinsam eine Atomwaffe getestet haben. Aber trotz Untersuchungen US-amerikanischer Spezialisten und von UNO-Expertenstudien kann bis heute niemand den Vorfall eindeutig erklären. Allerdings stützen Aussagen des israelischen Nukleartechnikers Mordechai Vanunu die Vermutung über eine Beteiligung Israels an dem Test. Medienberichten zufolge lieferte Israel zwischen 1977 und 1979 30 Gramm Tritium an Südafrika. Das für die Erhöhung der Explosivkraft nuklearer Sprengsätze verwendete Material war im israelischen Kernforschungszentrum Dimona hergestellt worden

Nach dem Ende des Apartheidregimes stellte sich heraus, dass Südafrika tatsächlich sechs Kernsprengköpfe hergestellt hatte. Anfang der Neunziger Jahre wurden sie jedoch unter internationaler Kontrolle vernichtet und das Land trat dem Atomwaffensperrvertrag bei. Mit dem Verzicht Südafrikas war eine der schwierigsten Barrieren für ein atomwaffenfreies Afrika aus dem Weg geräumt. Auf diesen positiven Schritt reagierten andere afrikanische Staaten wie Algerien, Namibia, Niger, Sambia und Tansania ebenfalls mit ihrem Beitritt zum Kernwaffensperrvertrag. Ein drohendes nukleares Wettrüsten auf dem afrikanischen Kontinent wurde so verhindert und das Vorhaben einer "schwarzen Bombe" ad acta gelegt. Nun kam es lediglich darauf an, den de-facto kernwaffenfreien Status in völkerrechtlich verbindliche Normen und Verhaltensregeln umzusetzen. Ausgehandelt wurde der Vertrag nicht zufällig in Pelindaba, denn hier war das  südafrikanische Atomwaffenprogramm betrieben worden.

Nach Abschluss der Verhandlungen unterzeichneten die Vertreter von 45 afrikanischen Staaten am 11. April 1996 in Kairo den „Vertrag über die Afrikanische Kernwaffenfreie Zone". Wie auch in gleichartigen Projekten anderer Regionen verbietet er die Produktion, den Erwerb, die Anwendung, Erprobung, Entgegennahme, Lagerung und  Stationierung von Kernwaffen in der Region und den angrenzenden Seegebieten. Die Partner werden zur ausschließlich friedlichen Kernenergienutzung verpflichtet und dürfen sich nicht an militärisch orientierten Nuklearaktivitäten in anderen Ländern beteiligen Außer den üblichen Verpflichtungen, trägt das Abkommen der afrikanischen Spezifik Rechnung und verlangt von den Teilnehmern auch eine ausdrückliche Erklärung, keine Kernwaffenforschung zu betreiben und vorhandene Atomwaffen beseitigt zu haben. Die Kontrollen führen die IAEA und die Afrikanische Nuklearenergiekommission AFCONE gemeinsam durch. Die Verklappung von radioaktivem Müll und Angriffe auf kerntechnische Anlagen werden verboten. Der Vertrag untersagt darüber hinaus alle Nuklearexporte an Nichtkernwaffenstaaten, in denen nicht die gesamten kerntechnischen Aktivitäten von der IAEA überwacht werden. Nach den jüngsten Ratifikationen durch Äthiopien und Mosambik fehlen nur noch drei weitere Staaten, damit der Vertrag in Kraft treten kann.

Der Überfall


Zwei Gruppen bewaffneter Männer stürmten am 8. November 2007 das Kontrollzentrum von Südafrikas Atomforschungszentrum Pelindaba bei Pretoria. In einem Schusswechsel mit dem Wachpersonalverletzten verletzten sie einen Sicherheitsoffizier schwer. Zwei Bewaffnete verschafften sich Zugang zu einem elektronisch gesperrten Kontrollraum, vermochten es jedoch nicht, in den Lagerraum für hochangereichertes Spaltmaterial vorzudringen. Das dort gelagerte radioaktive Material stammt aus den während der Apartheid-Herrschaft seit 1974 heimlich produzierten sechs Atomsprengsätzen. Präsident de Klerk hatte das bis dahin sorgsam gehütete Geheimnis dem südafrikanischen dem Parlament am 24. März 1993 mitgeteilt. Die Atomwaffen seien aber angesichts der sicherheitspolitischen Veränderungen mit allen Unterlagen und Produktionseinrichtungen vernichtet bzw. friedlicher Nutzung zugeführt worden. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA überprüfte zwei Jahre lang den Abrüstungsprozess, und Außenminister Pik Botha überreichte  dem damaligen IAEA-Chef Hans Blix 1994eine aus dem verschrotteten Metall der Atomwaffen hergestellte Pflugschar. Das heute noch in Pelindaba lagernde Uran würde für etwa zwei Dutzend Atomsprengköpfe ausreichen. "Wenn es den bewaffneten Einbrechern gelungen wäre, in den Lagerraum des hochangereicherten Urans einzudringen", meint der Nuklearexperten Micah Zenko von der Harvard Universität,  „dann hätten sie  das Material für die erste Terroristen-Atombombe der Welt mitnehmen können. "


 

6. "Unsere zukunft - atomwaffenfrei!"

Die beiden deutschen Staaten gehörten während des Kalten Krieges zu den am dichtesten mit Atomwaffen bestückten Regionen. Allein im Westen waren Berechnungen der Wissenschaftlerorganisation Federation of American Scientists zufolge etwa 7 300 Atomsprengköpfe der Alliierten deponiert. Ab 1953 verlegten die USA zunächst als „Atomic Annie" bezeichnete Atomgeschütze, dann atomare Fliegerbomben, später aber auch Granaten, Raketen und Atomminen in die Bundesrepublik. Berühmtberüchtigt wurde der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer mit seiner Forderung nach Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen, denn sie seien  ja "nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie". Einer der emsigsten Befürworter des deutschen Kernwaffenbesitzes, der Atom- und spätere Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, befand, die Deutschen könnten „den Russen doch nicht mit Pfeil und Bogen" gegenüberstehen. Im Osten waren andererseits seit 1958 sowjetische nukleare Trägermittel z.B. in den brandenburgischen Wäldern nahe dem kleinen Ort Himmelpfort zwischen Fürstenberg und Lychen, später auch bei Storkow, und eine kleinere aber nicht exakt bekannte  Zahl von Sprengköpfen stationiert, die bis 1991/92 endgültig abgezogen wurden.

Nicht nur, dass auf deutschem Boden die atomaren Vernichtungswaffen so dicht wie nirgends sonst gesät lagerten. Hier drohte im Konfliktfall auch am ehesten ein Atomkrieg zwischen Ost und West auszubrechen. Das Territorium sowohl der Bundesrepublik als auch der DDR wäre zum ersten Gefechtsfeld eines nuklearen Schlagabtausches mit Millionen Opfern geworden. Die atomar aufmunitionierten Jagdbomber der US-Air-Force befanden sich in Sofortbereitschaft und konnten binnen Minuten von den Militärflughäfen Memmingen in Bayern und Nörvenich in Nordrhein-Westfalen abheben. Regelmäßig übten sie den Luft-Boden-Einsatz atomarer Waffen auf den  Schießplätzen Nordhorn und Siegenburg.

Nicht vergessen werden sollte auch, dass die Alt-Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit eine höchst unrühmliche Rolle gespielt hat, um sich die nukleare Option möglichst lange offenzuhalten. In den 1950er und -60er Jahren galt die BRD als einer der hartnäckigsten Anwärter auf den Atomwaffenbesitz. Während der Verhandlungen zum Atomwaffensperrvertrag trat sie als Hauptbremser auf, verwässerte den Abkommenstext, wo sie nur konnte und unterzeichnete den Nichtverbreitungsvertrag mit mehr als einem Jahr Verspätung erst im November 1969. Bis zur Ratifikation vergingen dann noch weitere vier Jahre. Heute bekennt sich Deutschland zum nuklearen Nichtverbreitungsregime, aber das Engagement für die nukleare Abrüstung ist bestenfalls lauwarm.

Zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges proben die USA in dem verträumten Eifeldorf Büchel mit seinen 1 160 Einwohnern immer noch den Nuklearkrieg. In unterirdischen Bunkern unweit des Ortsausgangs halten sie bis zu 20 Atomwaffen vom Typ B61 mit einer Sprengkraft von insgesamt 150 Hiroshima-Bomben einsatzbereit. Im Ernstfall würden hier die Bomben unter Bundeswehr-Tornados montiert und entsprechend der „nuklearen Teilhabe" von deutschen Soldaten des Jagdbombengeschwaders 33 transportiert und abgeworfen. Doch der Widerstand gegen die Atomwaffen in Deutschland wächst, zumal einer aktuellen Studie zufolge die Sicherheitsvorkehrungen längst nicht den geltenden Standards entsprechen. Der Atomwaffenexperte Hans Kristensen von der Federation of American Scientists machte einen Untersuchungsbericht der US-Air-Force öffentlich, der erhebliche Sicherheitsmängel feststellt. Reklamiert werden z.B. reparaturbedürftige Gebäude, Zäune, ungenügende Ausleuchtung der Anlagen und Sicherheitssysteme. Bundeswehrsoldaten im Grundwehrdienst ohne Spezialausbildung und wenig Erfahrung sollen die Waffen vor Diebstahl durch Kriminelle oder Terroristen schützen. Darüber hinaus seien die Dienstposten nur einfach besetzt, sodass schon bei Krankschreibungen oder Personalwechsel bestimmte Aufgaben nicht mehr wahrgenommen werden können.

Die Atomwaffengegner in Deutschland haben sich gut organisiert. 48 Vereine, Verbände und Initiativen, darunter Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW), Bürgermeister für den Frieden, die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), schlossen sich zum Bündnis „unsere zukunft - atomwaffenfrei" zusammen. Im Mai übergab eine Abordnung  im Bundeskanzleramt 10 000 Unterschriften mit Forderungen nach Abschluss einer internationalen Konvention zum Verbot aller Atomwaffen. In einem offenen Brief forderte die Initiative Kanzlerin Angela Merkel im Juni zur Beendigung der deutschen Teilhabe und den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland bis spätestens 2010 auf. Da bisher offensichtlich keine entsprechenden Taten gefolgt sind, veranstaltet das Bündnis vom 23. August bis 1. September  ein Aktionscamp "Kehraus" am Atomwaffenlager Büchel. „Bringt Besen mit!", rufen sie die Teilnehmer auf, um gemeinsam die Atomwaffen in die symbolische Tonne zu kehren.  

Mit einer Großdemonstration am 30. August, einer gewaltfreien „Go-In-Aktion", die den reibungslosen Arbeitsablauf stören soll, und  16-km-Wanderungen um den Fliegerhorst wollen die Friedensgruppen gegen die Atomwaffenpolitik der Bundesregierung protestieren. 

 

USA-Atomwaffen in Europa

Land

Ort

Anzahl

Belgien

Kleine Brogel

10-20

Deutschland

Büchel

10-20

Italien

Aviano /

Ghedi Torre

50

20-40

Niederlande

Volkel

10-20

Türkei

Incirlik

50-90

gesamt

 

150-340


Quelle: Federation of American Scientists

 


Die Kampagne "unsere zukunft - atomwaffenfrei" wurde vom Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen" ins Leben gerufen. Mitglieder sind:

Aktionskreis für Frieden, Erfurt; Aktion Völkerrecht; Arbeitsgruppe NPT im Netzwerk Friedenskooperative; Arbeitskreis Darmstädter Signal (AKDS); Arbeitskreis für Friedenspolitik (AKF) - Atomwaffenfreies Europa; Bremer Friedensforum; Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen (BAkJ); Bundesausschuss Friedensratschlag; Bundesverband Christliche Demokraten gegen Atomkraft (CDAK), CDU/CSU - Mitglieder für die Überwindung der Kernenergie; Darmstädter Friedensforum; Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK); Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), Deutsche Sektion des International Network of Scientists and Engineers against Proliferation (INESAP); Deutscher Friedensrat; Dresdener Studiengemeinschaft Sicherheitspolitik; Frauen für den Frieden; Friedensgruppe Harburg-Land; Friedensgruppe (FI) Berlin-Wilmersdorf; FI Neustadt/Weinstraße; FI Ramelsloh; Friedensweg, Leipzig; Friedensinitiative Westpfalz (FIW); Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen; Gewaltfreie Aktion "Atomwaffen abschaffen" (GAAA); Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Mecklenburg-Vorpommern; Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung; Helsinki Citizen's Assembly; Hiroshima Arbeitsgemeinschaft, Kiel; IG Metall Jugend; Initiative für Frieden (IFIAS), Initiativkreis gegen Atomwaffen, Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF); Internationaler Versöhnungsbund - Deutscher Zweig (VB); Interessensgemeinschaft EntRüstung, Rostock; JuristInnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen, für gewaltfreie Friedensgestaltung (IALANA); Komitee für Grundrechte und Demokratie; Künstler in Aktion (KIA); Lebenshaus Schwabische Alb; NaturwissenschaftlerInnen Initiative "Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit" (NatWiss); Nuclear Free Future Award; Ohne Rüstung Leben (ORL); Ostermarsch Ruhr; Pax Christi - Internationale Katholische Friedensbewegung - Deutsche Sektion; Pazifik-Netzwerk; Sächsische Friedensinitiative Dresden; SozialdirektdemokratenVereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW); Warenshof.

 

 

7. Chancen und Perspektiven der Atomwaffenfreiheit

Überall auf der Welt gedenken Menschen in jedem Jahr Anfang August der US-Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Sie forderten mehr als 240 000 Todesopfer und immer noch leiden tausende Überlebende an unheilbaren Folgeschäden. Nur die vollständige Beseitigung aller Atomwaffen kann die Wiederholung einer solchen Tragödie verhindern und deshalb darf keine noch so geringe Chance, die zu diesem Ziel führen kann, vergeben werden. Wir beenden unsere siebenteilige Folge mit einem Ausblick auf Projekte und Perspektiven für eine Welt ohne Nuklearwaffen.   

Angesichts der neuen Spirale im nuklearen Wettrüsten wenden sich Rüstungsgegner aber auch immer mehr verantwortungsvolle Politiker nachdrücklich dem Konzept kernwaffenfreier Zonen als einer möglichen Abwehr der existentiellen Bedrohung zu. Doch die Atomwaffenmächte zelebrieren gerade eine neue Renaissance der Nuklearwaffen. Sie reduzieren zwar deren Anzahl, erhöhen jedoch Zielgenauigkeit wie auch Zerstörungskraft und in den Sicherheitsdoktrinen rangieren Nuklearwaffen ganz oben. Das könnte einen gefährlichen Dominoeffekt in Gang setzen, bei dem weitere Staaten nach der verheerenden Massenvernichtungswaffe greifen. Mehr als ein Dutzend Anwärter könnten demnächst die Schwelle zum exklusiven Club der Atomwaffenmächte überschreiten. Dazu gehören neben dem Iran auch Ägypten, Algerien, Argentinien,  Brasilien, Japan, Saudi-Arabien, Syrien, Südafrika, Südkorea, Taiwan, Venezuela und sogar die Türkei. Wenn auch nur ein Staat Atomwaffen hat, werden andere sie ebenfalls haben wollen, warnen Abrüstungsexperten. Solange diese Waffen existieren, wird auch das Risiko bestehen, dass sie eines Tages absichtlich oder irrtümlich benutzt werden. Jegliche Anwendung wäre katastrophal. 

Der Ost-West-Konflikt ist inzwischen überwunden, dennoch stehen in Europa einer Entnuklearisierung immer noch erhebliche Barrieren entgegen. Frankreich verfügt über ca. 350 Kernwaffen und Großbritannien besitzt rund 200 nukleare Sprengköpfe. Dazu kommen bis zu 340 US-Atombomben vom Typ B-61, von denen jede die mehrfache Zerstörungskraft der Hiroshimabombe besitzt. Die USA haben sie in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und in der Türkei stationiert. Nach dem Ende des Kalten Krieges sahen viele Staaten zunächst Chancen für weitere Projekte kernwaffenfreier Zonen. Ein atomwaffenfreies Mitteleuropa von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer strebte Belorussland eine zeitlang an. Da entsprechend dem 2+4-Vertrag in den östlichen Bundesländern Deutschlands keine Kernwaffen stationiert werden dürfen, wäre somit das gesamte Territorium zwischen Elbe und russischer Westgrenze zu einem völkerrechtlich garantierten atomwaffenfreien Raum geworden. Inzwischen legten die Neu-NATO-Staaten bzw. -bewerber in Osteuropa die Idee allerdings zu den Akten.

Die Auseinandersetzung um das Atomprogramm Irans und die Bemühungen zur Wiederbelebung des Friedensprozesses im Nahen Osten machen die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone in dieser Region dringender denn je. Israel hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass es einen nuklear bewaffneten Iran für lebensbedrohlich hält und auf keinen Fall dulden wird. Beide Seiten rasseln zurzeit mit dem Säbel und demonstrieren in martialischen Manövern militärische Stärke. Für den Fall, dass israelische Bomben auf iranische Atomanlagen in Natanz und Isfahan fallen, stehen tausende Antwortraketen zum sofortigen Gegenschlag auf Jerusalem, Tel Aviv und die atomare Waffenschmiede Dimona bereit. Das aber bedeutet Krieg und würde den gesamten Nahen und Mittleren Osten in ein Flammenmeer verwandeln. Andererseits bilden die Atomwaffen Israels eines der Hauptprobleme für den immer wieder stockenden Friedensprozess und liefern den arabischen Nachbarstaaten den Grund, sich offen oder verdeckt um eine eigene Nuklearoption zu bemühen. Darum könnten sofortige und ernsthafte Bemühungen aller Beteiligten um eine kernwaffenfreie Zone möglicherweise der einzige Ausweg aus der hochexplosiven Situation sein.

Erschreckende Aktualität erhält die Kernwaffenfreiheit ebenfalls im Lichte der von der Bush-Administration entwickelten Präventivkriegs-Doktrin, denn diese sieht im Bedarfsfall auch den unilateralen Ersteinsatz von Atomwaffen vor.  Abkommen der räumlichen Denuklearisierung könnten durch den erwiesenen Verzicht auf den Besitz, die Herstellung und die Erprobung derartiger Massenvernichtungswaffen für die Teilnehmer eine gewisse Schutzfunktion erfüllen. Sie binden auch die Kernwaffenmächte in einen völkerrechtlichen Verpflichtungsrahmen ein und begrenzen deren nukleare Kriegsführungsoptionen. Nuklearfreie Zonen reduzieren Bedrohungsängste und verhindern regionale nukleare Aufrüstung. Das Vorgehen wirkt somit einerseits der weiteren Verbreitung von Nuklearwaffen entgegen, kann aber gleichzeitig eine Zwischenetappe zur umfassenden nuklearen Abrüstung darstellen.

Seit einigen Jahren verfolgt Brasilien in der UNO die Initiative für eine "Kernwaffenfreie Süd-Hemisphäre", die von rund 170 Staaten unterstützt wird. Die bereits existierenden Zonen und die vertraglich seit langem nuklearfreie Antarktis würden zu einem einheitlichen Netzwerk  verknüpft werden. Damit entstände ein internationaler Rechtsrahmen für die südliche Hälfte der Welt, in der bereits fast zwei Milliarden Menschen in über 100 Staaten von Nuklearwaffen befreit sind.

Sofortmaßnahmen zum Ingangsetzen der nuklearen Abrüstung:

1.      Verhandlungen zwischen Russland und den USA über weitergehende Reduzierungen der Nukleararsenale, Einbeziehung der übrigen Atomwaffenmächte.

2.      Abzug der vorne und im Ausland stationierten Atomwaffen mit dem Ziel ihrer völligen Beseitigung.   

3.      Ratifizieren und Inkraftsetzen des Nuklearen Teststoppvertrages.

4.      Verlängerung der Vorwarnzeit durch Herabsetzung des Alarmstatus der Atomwaffen.

5.      Verbesserung des Schutzes und der Sicherheit bestehender Nukleararsenale vor Diebstahl und Überfällen.

6.      Vereinbarung eines Produktionsstopps für nukleares Spaltmaterial zu militärischen Zwecken.

7.      Reduzierung und langfristige Eliminierung taktischer Nuklearwaffen mit bis zu 150 km Reichweite.


Atomwaffenarsenale weltweit (2008)


Land

Anzahl

Russland

ca. 14.000

USA

ca. 5.400

China

240

Frankreich

348

Großbritannien

200

Israel

200 - 400

Indien

55 - 110

Pakistan

55 - 100

KDVR

6 - 9

gesamt

über 20.000


Quellen:  Arms Control Association, Bulletin of the Atomic Scientists



* Dieser Beitrag erschien - z.T. gekürzt - als Artikelserie im "Neuen Deutschland" am 6., 9., 11. 13., 16. und 18. August. Der Autor hat uns dankenswerter Weise das Gesamtmanuskript zur Verfügung gestellt.


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