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Netanjahu drückt sich um Aussage zu Atomrüstung

Israelischer Ministerpräsident lässt sich bei Washingtoner Konferenz vertreten, um Kernwaffenbesitz nicht eingestehen zu müssen

Der israelische Ministerpräsident Netanjahu nimmt nicht an dem von US-Präsident Obama einberufenen Gipfel zur Atomsicherheit kommende Woche in Washington teil. Netanjahu will sich durch Atomenergieminister Meridor vertreten lassen.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat seine Teilnahme an dem internationalen Gipfel zur Atomsicherheit Anfang kommender Woche in Washington abgesagt. Wie ein Regierungsmitarbeiter am Freitag mitteilte, reagiere Israel damit auf Informationen, wonach eine Reihe von Ländern die Gelegenheit für eine antiisraelische Kampagne während des Gipfels nutzen wolle. Netanjahu habe deshalb entschieden, dass Atomenergieminister Dan Meridor die israelische Delegation leiten werde. Der Ministerpräsident werde sich am Sonntag noch persönlich äußern.

Israel gilt seit Jahrzehnten als Atommacht, obwohl es den Besitz von Nuklearwaffen offiziell nie bestätigt hat. Mit den bisherigen US- Regierungen besteht – davon wird allgemein ausgegangen – eine stillschweigende Übereinkunft, wonach Israel sein Atomwaffenpotenzial nicht offiziell eingestehen muss und zumindest von den NATO-Staaten auch in keiner Weise darauf angesprochen wird. Dies ist seit den 60er Jahren so. 1958 hatte Israel mit französischer Hilfe in Dimona, einer 34 000-Einwohn- er-Stadt im nördlichen Teil der Negev-Wüste, einen Kernreaktor errichtet. Ab 1962 soll dort waffenfähiges Plutonium produziert worden sein.

Folglich wurde Israel auch nie gedrängt, dem Kernwaffensperrvertrag beizutreten, dem heute fast 190 Staaten angehören. Experten schätzen, dass Israel mittlerweile zwischen 200 und 400 Atomwaffen besitzt – das wäre zum Beispiel deutlich mehr als bei der »regulären« Kernwaffenmacht Großbritannien. Dass Israel die Bombe gebaut hat, machte in den 80er Jahren der israelische Kernphysiker Mordechai Vanunu von Westeuropa aus weltweit bekannt. Vanunu wurde daraufhin 1986 von einem israelischen Geheimkommando in Italien gekidnappt, nach Israel entführt und steht seitdem dort unter Arrest.

Der erste hohe Diplomat, der sich nicht der Gepflogenheit des Ignorierens der israelischen Nuklearambitionen unterwarf, war Mohammed al-Baradei, bis vergangenes Jahr Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA). Als Baradei sich im Juli 2004 zur Visite in Israel anmeldete – offizieller Besuchsgrund war das Werben der IAEA für die Idee eines kernwaffenfreien Mittleren Ostens –, wurde dies von Israel als feindseliger Akt gewertet.

Auf die noch immer aktuelle Idee der Arabischen Liga einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten ist Israel niemals eingegangen. Baradei wurde seinerzeit von Ministerpräsident Ariel Sharon mit der wenig freundlichen Äußerung beschieden: »Ich weiß nicht, was Sie hier wollen und zu sehen wünschen.« Der »Wunsch« nach einer Inspektion des »Kernkraftwerks« Dimona wurde von Israel offiziell nicht zur Kenntnis genommen und folglich bis heute nie beantwortet.

Die israelische Zeitung »Haaretz« berichtete am Freitag (9. April) , dass eine Gruppe muslimischer Staaten unter Führung der Türkei und Ägyptens die israelische Regierung zur Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags drängen wolle. Man sei »enttäuscht« von der Entwicklung im Vorfeld der Konferenz, zitierte »Haaretz« daraufhin ein Mitglied der israelischen Regierung. »Bei der Konferenz sollte es um den Umgang mit der Gefahr des nuklearen Terrors gehen. In den letzten Tagen haben wir aber Berichte über die Pläne einiger Teilnehmerstaaten erhalten, von der Frage des Kampfes gegen den Terror abzurücken und stattdessen die Veranstaltung dazu zu missbrauchen, Israel beim Atomwaffensperrvertrag anzutreiben.«

Zu dem Treffen hat US-Präsident Barack Obama Vertreter aus 43 Ländern eingeladen, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der zweitägige Gipfel beginnt am Montag. Der Atomwaffensperrvertrag wartet immer noch auf vier wichtige Unterzeichner: Indien. Nordkorea, Pakistan – und Israel.

* Aus: Neues Deutschland, 10. April 2010


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