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B61-12: Das vergoldete Atombomben-Projekt der NNSA

Von Hans M. Kristensen *


Der folgende Artikel erschien 2012 im Internetblog der US-amerikanischen Wissenschaftler-Vereinigung (Federation of American Scientists) unter dem Titel "B61-12: NNSA's Gold-Plated Nuclear Bomb Project". Wir hielten eine Übersetzung dieses Beitrags - mit freundlicher Genehmigung des Autors - für lohnend, weil die darin geschilderten Vorgänge auch ein Licht auf die Modernisierung von US-Atomwaffen wirft, die in Europa, unter anderem auch in Büchel (Pfalz) stationiert sind.

Die Bekanntgabe während der gestrigen Anhörung im Senats-Unterausschuss zur Haushaltsaufstellung (Appropriations Subcommittee), dass die Kosten des B61 Einsetzbarkeitsverlängerungs-Programms (LEP: Life Extension Program) bedeutend höher sind als selbst die allerletzten Kostensteigerungen, setzt doch ein Fragezeichen hinter die Fähigkeit der Nationalen Nuklear-Sicherheits-Behörde (NNSA: National Nuclear Security Administration) zu managen und sollte das B61 LEP selbst in Frage stellen.

Wenn diese Kostensteigerungen im privaten Sektor stattfänden, würden Köpfe rollen und das Programm würde wohl gestrichen werden.

Bei der Anhörung gestern enthüllte die Senatorin Dianne Feinstein, dass die NNSA ihr kürzlich berichtet habe, dass der Kostenvoranschlag von $4 Milliarden, den sie im FY2011 Waffenarsenal-Verwaltungs-Management geliefert hatten, zu niedrig sei, und dass sie weitere $4 Milliarden zum Fertigstellen des Programms benötigen würden. Vor zwei Monaten berichtete ich übrigens, dass die Kosten auf $6 Milliarden angestiegen seien.

Der neue Kostenvoranschlag der NNSA wird bereits angefochten, dieses Mal vom Kosten-Beurteilungs- und Programm-Evaluierungs-Büro des Pentagon (CAPE) das vor nur ein paar Tagen den Voranschlag um weitere zwei Milliarden auf saftige $10 Milliarden erhöhte.

Man bedenke aber: Der bereits zu hohe B61 LEP Kostenvoranschlag bezieht nicht andere kostspielige Elemente des B61 Modernisierungsprogramms mit ein. Zusätzlich zum LEP selbst kommt noch eine steuerbare Heckflossen-Konstruktion, die die Luftwaffe entwickelt, um die Genauigkeit der B61 zu erhöhen. Der Kostenvoranschlag für diese Heckausrüstung ist kürzlich um 50% angestiegen, von $800 Millionen auf $1,2 Milliarden.

Dazu addiere man die Kosten der Ausrüstung des F-35 Joint Strike Fighter für die Fähigkeit die neuen Waffen zu transportieren, vor kurzem geschätzt auf ungefähr $340 Millionen. Wenn die oben angesprochenen LEP- und Heckflossen-Kostenerhöhungen einen Hinweis liefern, dann werden die Kosten für die Ausstattung der F-35 mit nuklearen Fähigkeiten wohl ebenfalls ansteigen.

Die sich steigernden Kosten könnten tatsächlich das B61 LEP zum teuersten Nuklearwaffen-Programm (pro Sprengkopf) im US-Waffenarsenal machen. Bereits die projizierten B61 LEP Kosten übertreffen bei weitem die Kosten des W76 LEP, das wohl dreimal so viele Sprengköpfe enthält, als vom B61 LEP produziert werden. Wie Nick Roth aufgezeigt hat, entspricht der neue $10 Milliarden Kostenvoranschlag bereits zu zwei Dritteln dem, was die NNSA auszugeben geplant hatte für Haltbarkeitsverlängerungen aller Sprengkopf-Typen im US-Arsenal über den Zeitraum der nächsten zwanzig Jahre!

Die genaue Zahl der geplanten B61-12 ist noch geheim. Meine Annahme liegt gegenwärtig bei ungefähr 400. Falls das zutrifft, würde es bedeuten, dass jede B61-12 Bombe $28 Millionen kosten würde (inklusive der Heckvorrichtung).

Wegen der Art und Weise, wie das B61 LEP vorgestellt wurde, haben viele den Eindruck, dass das Programm eine Einsetzbarkeitsverlängerung für alle vier Versionen der B61 vorsieht. In Wirklichkeit wird aber nur eine der vier Versionen damit erfasst: die B61-4. Sie könnte Komponenten der anderen drei (B61-3/7/10) ausschlachten, aber das Herzstück der neuen B61-12 ist die B61-4 nukleare Sprengvorrichtung. Anstelle der vereinfachten Graphik, die STRATCOM in Umlauf gebracht hat, illustriert die folgende Graphik den Prozess genauer.

(Anmerkung: Aus technischen Gründen können wir die Abbildung hier nicht wiedergeben. Zur Erläuterung mag aber folgende Bildunterschrift dienen:
"Anstatt als Einsetzbarkeitsverlängerungs-Programm, das vier Bomben in einer vereint, sollte das B61 LEP eher zutreffender beschrieben werden als Einsetzbarkeitsverlängerung der B61-4, die ausgewählte nicht-nukleare Komponenten der drei übrigen B61 Versionen enthält, die abgebaut werden nach Einführung neuer Sicherheitsmerkmale und einer neuen ferngelenkten Heckvorrichtungs-Konstruktion.")


Implikationen und Empfehlungen

Die Tatsache, dass die B61-12 die nukleare Sprengvorrichtung der B61-4 verwenden wird, begrenzt offensichtlich die Anzahl der B61-12, die gebaut werden können, auf die Anzahl der ursprünglich hergestellten B61-4. Die Zahl liegt bei ungefähr 660. Aber die meisten davon sind bereits außer Dienst gestellt, und man glaubt, dass sich nur noch etwa 200 im Arsenal des Verteidigungsministeriums befinden. Wenn die B61-12 -Produktion die Zahl von 200 übersteigen soll, dann müsste sie auch Sprengsätze von außer Dienst gestellten B61-4 verwenden. Da die B61-12 nicht vom B-52 Bomber transportiert wird und da die B-2 Bomber nicht bis zur vollen Nutzlast mit Waffen beladen werden (sie transportieren auch anderes) und da die Arsenale in Europa innerhalb der nächsten Dekade verkleinert werden, erscheint ein Bestand von 400 B61-12 Exemplaren eine begründete Annahme zu sein. Aber die genaue Zahl ist geheim – nicht weil es für die nationale Sicherheit von Bedeutung wäre, sondern weil es um Nuklearwaffen geht.

Die steigenden Kosten des B61 LEP fügen sich ein in die katastrophale Vorgeschichte der NNSA mit ihren zu gering angesetzten Kostenvoranschlägen bei nuklearen Waffenprogrammen. Sie folgen nur den enormen Kostenüberschreitungen der National Ignition Facility (NIF) im Lawrence Livermore Research Replacement – Nuclear Facility (CMRR-NF) im Los Alamos National Laboratory in New Mexico und der Uranium Processing Facility (UPF) am Y-12 National Security Complex bei Oak Ridge in Tennessee.

Wie oben bereits erwähnt: Wenn diese Kostensteigerungen im privaten Sektor stattfänden, würden Köpfe rollen und das Programm würde wohl gestrichen.

Außer durch ganz einfach schlechte Planung wird die Kosten-Eskalation bei der B61 LEP wohl auch angetrieben von Planern, die trunken sind von Versprechungen auf steigende Finanzierung von Nuklearprogrammen und politischen Verpflichtungen zu nuklearen Modernisierungen. Das Resultat ist ein über-ehrgeiziges Programm, das, anstatt grundlegende Einsetzbarkeitsverlängerungen für die vorhandenen Modelle vorzunehmen, nun versucht, der Waffe, die ursprünglich getestet wurde, exotische Merkmale und Komponenten hinzuzufügen. Und die geplante B61-12 ist noch nicht einmal die ehrgeizigste Version, die die Planer gefordert hatten (es wurde ihnen nicht gestattet, Vorrichtungen für multi-point safety und optical firing hinzuzufügen), was sogar noch teurer gewesen wäre.

Wenn schlechte Planung nicht der Grund ist, dann muss die NNSA wohl unter der Annahme arbeiten, dass die Kosten immer zu niedrig veranschlagt werden sollten, um die Billigung des Programms im Kongress zu erhalten, denn die Steuerzahler werden den Kostenanstieg später sowieso bezahlen müssen. Man muss der Senatorin Feinstein zugute halten, dass sie auf eine stärkere Kontrolle der Programme drängt, und sie berichtete Aviation Week, dass der Kostenanstieg zusätzliche Untersuchungen durch den Kongress auslösen wird. „Wir müssen einen Weg finden, zu verhindern, dass dies weiterhin passiert. … Wir haben gefordert, dass wir monatliche Berichte erhalten, dass eine Person die Verantwortung übertragen bekommt. …Der Zweck davon ist, Leute dazu zu bewegen Probleme schnell zu lösen, bevor man diese liegen lässt und sie dann anfangen zu wachsen.“

Das B61 LEP ist nicht das einzige oder auch nur komplexeste LEP in Aussicht. Die NNSA und das Verteidigungsministerium planen bereits das W78 LEP und fassen den Bau einen „gemeinsamen“ Sprengsatzes ins Auge, der auf Interkontinental-Raketen und U-Boot gestützten ballistischen Raketen eingesetzt werden kann. Ein derartiger Sprengsatz ist gegenwärtig noch nicht auf Lager. Am Entwurf wird zwar noch gearbeitet, aber er könnte Merkmale von W78 und W88 kombinieren und einen Plutonium-Kern von einem dritten Sprengatz verwenden – ein W87. Wer sich schon besorgt zeigt über die B61 LEP Kosten, sollte mal auf das W78 LEP warten! Ist der Kongress darauf vorbereitet, $10 Milliarden-plus für exotische LEP zu bewilligen gegenüber grundlegenderen LEP?

Aber abgesehen vom Geld müssen die ansteigenden Kosten für B61 LEP Fragen aufwerfen über die Bedeutung der Mission. Während die strategische Mission bezüglich des B-2 strategischen Bombers wohl nicht in Zweifel gezogen wird, sollte dies bei der nicht-strategische Mission sicherlich der Fall sein. Nach gegenwärtigen Plänen kann die B61-12 an vier taktischen Flugzeugen angebracht werden – F-15E Strike Eagle, F-16 Falcon, F-35A Lightning und PA-200 Tornado. Es gibt keinerlei bedeutsame oder drängende Bedrohungen, die von den Vereinigten Staaten verlangen, alle diese taktischen Flugzeuge mit der neuen Bombe auszustatten. Aber die Modernisierung wird das militärische Potenzial der Atomwaffendoktrin der NATO steigern, was allerdings nicht gut in Übereinstimmung zu bringen ist mit den Zusagen aus dem Weißen Haus und der NATO, die Rolle der nuklearen Waffen zu reduzieren und militärisches Potenzial während der LEP nicht zu steigern.

Und die wenigen NATO-Offiziellen, die entweder ihre Sicherheitsvoraussetzungen missverstanden haben oder von nuklearen Kalten Kriegern in der Lobby bearbeitet wurden, um die fortgesetzte Aufstellung taktischer Nuklearwaffen in Europa zu unterstützen, die müssten sich einer Befragung stellen oder aufgefordert werden ihren Anteil zu bezahlen. Das würde die Aufstellung schnell zu einem Ende bringen.

Was auch immer der beste Weg für die Zukunft sein mag, die USA sollten ihre verbliebenen nicht-strategischen Nuklearwaffen auslaufen lassen, das B612 LEP verzögern und neu entwerfen und ihre Ressourcen auf die Bewahrung der strategischen Nuklearwaffen und konventionellen Streitkräfte fokussieren, die tatsächlich für die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten in der vorhersehbaren Zukunft erforderlich sind.

[Diese Veröffentlichung wurde ermöglicht durch ein Stipendium der Carnegie Corporation of New York and Ploughshares Fund. Die getroffenen Aussagen und vorgetragenen Ansichten sind alleinig in der Verantwortung des Autors.]

(Übersetzung: Eckart Fooken)

* Über den Autor:
Hans M. Kristensen ist Direktor des Nuclear Information Project at the Federation of American Scientists, wo er die Öffentlichkeit mit Analysen und Hintergrundinformationen versorgt über den Status der Nuklearmächte und die Rolle nuklearer Waffen. Er ist spezialisiert auf die Nutzung des Freedom of Information Act (FOIA) bei seinen Forschungen und ist ein häufiger Berater und eine vielzitierte Quelle in den Nachrichtenmedien über die Rolle und den Status von nuklearen Waffen.

Originalartikel:
B61-12: NNSA’s Gold-Plated Nuclear Bomb Project, By Hans M. Kristensen. In: FAS Strategic Security Blog from the federation of American Scientists, July 26, 2012; http://blogs.fas.org



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