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60 Jahre Hiroshima und Nagasaki:

Am Anfang war das Manhattan-Projekt

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Beiträge, die anlässlich des 60. Jahrestages des ersten Atomtests in der Wüste New Mexicos erschienen sind. Es handelt sich um einen Artikel von Till Bastian, der im "Neuen Deutschland", und um einen Artikel von Karl Grobe, der in der "Frankfurter Rundschau" erschien.



Countdown zum Massenmord

Vor- und Nachgeschichte der Explosion am 16. Juli 1945

Von Till Bastian*


Der 16. Juli 1945 war ein Montag - ein Montag, der die Welt verändert hat, und zwar so nachhaltig wie wenige andere Tage.

Am Donnerstag, den 13. Juli 1945, hatte ein Kleintransporter die erste Atombombe der Welt von der "Geheimstadt" Los Alamos auf das Testgelände von Alamogordo in der Wüste New Mexicos gebracht. Und am frühen Morgen jenes Schicksalsmontags hatte der "Countdown" für den ersten Atomtest der Weltgeschichte begonnen. Um 5 Uhr 29 Minuten und 29 Sekunden Ortszeit wurde die neue Superwaffe zur Explosion gebracht.

General Leslie Groves, Leiter des USA-Atomprojektes, an dem Wissenschaftler aus aller Welt arbeiteten, schrieb später: "Das starke, andauernde Grollen war eine Warnung vor dem Jüngsten Gericht und ließ uns spüren, dass wir winzige Wesen gotteslästerlich handeln, weil wir es wagten, mit Kräften zu spielen, die bisher dem Allmächtigen vorbehalten waren."

Der Zeitpunkt für diesen "gotteslästerlichen" Test war mit Bedacht gewählt worden. Einen Tag später, am 17. Juli, sollte in Potsdam eine Konferenz beginnen, in der die Zukunft jenes Landes auf der Tagesordnung stand, dessen nationalsozialistische Führung am 8. Mai die Kapitulation unterzeichnet hatte. Die Konferenz tagte bereits eine Woche, als sich USA-Präsident Henry Truman am 24. Juli an seinen einstigen Verbündeten und künftigen Gegner Josef Stalin wandte. Wie Truman später notierte, teilte er Stalin "beiläufig" mit, dass sein Land über "eine neue Waffe von ungewöhnlicher Zerstörungskraft" verfüge. Stalin erwiderte, so Truman später, er sei froh, das zu hören, und hoffe, die USA machten guten Gebrauch davon - gegen Japan. Einen Überraschungscoup hatte Truman nicht gelandet: Stalin war bereits seit 1942 durch Klaus Fuchs über das "Manhattan-Projekt" unterrichtet.

Und es hätte auch Stalins Empfehlung zum "guten Gebrauch" der neuen Waffe nicht bedurft. Schon am 16. Juli, dem Tag des Atomtests von New Mexico, hatte der Kreuzer U.S.S. Indianapolis die Bucht von San Francisco verlassen. Seine Ladung: ein zylindrischer Bleibehälter, 45 mal 60 Zentimeter groß. Er enthielt das radioaktive Inventar für jene zweite Atombombe, die am 6. August 1945, um 8 Uhr 15 Minuten und 17 Sekunden Ortszeit über Hiroshima abgeworfen wurde. Ein Besatzungsmitglied des Flugzeugs "Enola Gay", aus dessen Schacht die Bombe fiel, blickte auf die brennende Stadt hinunter und notierte: "Ein Topf von kochendem schwarzen Öl." Freilich lebten - und starben - Menschen in diesem "Topf". 256.000 Einwohner zählte die Stadt im August 1945; 70.000 tötete "Little boy" auf der Stelle, etliche Tausende starben seither (und sterben bis heute. Nach dem Abwurf einer zweiten Atombombe auf Nagasaki am 9. August kapitulierte Japan. Der Weltkrieg war zu Ende.

Die Geschichte der Superbombe hatte kurz vor Kriegsbeginn ihren Anfang genommen. Ende Dezember 1938 war Otto Hahn, Fritz Strassmann und Lise Meitner (die wenig später als Jüdin aus Deutschland flüchtete) in Berlin-Dahlem die erste Spaltung eines Atomkerns gelungen. Auf die Möglichkeit, damit ungeheure Energien freizusetzen, wurden Physiker in aller Welt rasch aufmerksam, auch der aus Deutschland emigrierte Nobelpreisträger Albert Einstein. Im Sommer 1939 unterzeichnete er einen von Leo Szilard entworfenen Brief an USA-Präsident Franklin D. Roosevelt. Darin wiesen Einstein/Szilard mit Nachdruck auf die Möglichkeit einer "Bombe neuer Art" hin. Später nannte Einstein diesen Brief den größten Fehlers seines Lebens. Freilich habe es einen guten Grund für diesen Fehler gegeben: die Angst, dass die Nazis diese Bombe bauen. Sie war nicht unbegründet.

Der Atomphysiker Paul Harteck hatte schon im April 1939 in einem Schreiben an das Heereswaffenamt in Berlin den Bau einer Atombombe gefordert. Wahr ist auch, dass Carl Friedrich von Weizsäcker schon im Sommer 1941 eine Plutoniumbombe zum Patent anmeldete. Als Werner Heisenberg und von Weizsäcker wenig später Niels Bohr in Kopenhagen besuchten, um angeblich eine Art "internationalen Wissenschaftlerstreik" zu verabreden (so ihre spätere Darstellung), lag dieser Schriftsatz bereits beim Reichspatentamt in Berlin!

Mehrere deutsche Wissenschaftlerteams gaben ihr Bestes für den Reaktor- und Atombombenbau, so auch die Gruppe um Heisenberg, der es 1945 im Keller der Gastwirtschaft "Zum Schwan" in Haigerloch noch fast gelungen wäre, einen Reaktor "anzufahren" - es fehlte, wie überall, an Uran und schwerem Wasser. Das "Dritte Reich" war zu einem Manhattan-Projekt schlicht unfähig. Am Einsatzwillen deutscher Physiker mangelte es aber nicht. Als General Groves sich 1945 die mitgeschnittenen Gespräche der auf dem britischen Landgut Farm Hall internierten deutschen Atomphysiker anhörte, kommentierte er: "Dass wir imstande gewesen waren, eine Riesenarbeit zu vollbringen, die die Voraussetzung für den Erfolg war, wie die deutschen Gelehrten genau wussten, und dass sie unter den Verhältnissen des Dritten Reichs damit nicht einmal hatten anfangen können, dies schien auf die deutschen Gelehrten sehr tiefen Eindruck zu machen ... Dann plötzlich drang das Bestreben durch, sich zu rechtfertigen: Wenn sie mit dem Bau einer Atombombe nicht zum Erfolg gelangt seien, dann deshalb, weil sie ihn in Wirklichkeit gar nicht hätten haben wollen ..."

Zurück zum Manhattan-Projekt: Es war von nichts anderem motiviert als vom Wunsch nach einer kriegsentscheidenden "Superwaffe". Als am 2. Dezember 1942 in einer Squash-Halle der Universität Chicago der erste Reaktor angefahren wurde, dachte niemand daran, mit dem "atomaren Feuer" Turbinen zu betreiben und Strom zu erzeugen. Erst lange nach Kriegsende entstanden die ersten Atomkraftwerke: 1954 in der UdSSR, 1956 in Großbritannien, 1957 in den USA. Atomenergie, so verkündeten Wissenschaftler und Politiker, sei billig, gefahrlos und garantiere eine sorgenfreie Zukunft. Aber als es am 26. April 1986 zur ersten Megakatastrophe des Atomzeitalters kam, schwenkte die Weltmeinung allmählich ins Gegenteil. Dass allerdings allein die Atombombentests - seit 1945 über 2000 - durch ihren radioaktiven Niederschlag mindestens 400000 Krebstodesfälle verursacht haben, wird gerne verdrängt.

Die Bilanz der Atomkraftnutzung, ob militärisch oder "friedlich", ist jedenfalls alles andere als strahlend. Oder vielleicht doch - im negativen Sinn des Wortes ...

* Der Autor, Arzt und Friedensforscher war lange Jahre führendes Mitglied der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges. Sein Buch "High Tech unter dem Hakenkreuz" erscheint im September.

Aus: Neues Deutschland, 16. Juli 2005



Jahrestag des ersten Atombomben-Tests

Truman und der Urknall des Atomwaffen-Zeitalters

Von Karl Grobe*


"Dann setzt das mal schön gegen die Japaner ein", sagte Josef Stalin in Potsdam zu Harry Truman. Der US-Präsident hatte dem sowjetischen Diktator gerade am Rande der Potsdamer Konferenz beiläufig etwas über eine Waffe von außerordentlicher Sprengkraft erzählt. Eine Woche vorher, am 16. Juli 1945, hatten die USA in Alamogordo (New Mexico) die erste Atombombe getestet. Die Explosion, Codename Trinity, war der Urknall des Atomwaffen-Zeitalters.

Warnungen standen am Anfang. Wissenschaftler, die vor der Nazi-Diktatur in die USA geflohen waren, fürchteten, Forscher in Deutschland könnten an der Atombombe arbeiten. Sie bewogen Albert Einstein, US-Präsident Franklin D. Roosevelt auf die Gefahr hinzuweisen. Einstein schickte seinen Brief am 2. August 1939 ab. Später sagte er: "Ich könnte meine Finger dafür verbrennen, dass ich diesen Brief geschrieben habe."

Washington machte erst einmal 6.000 Dollar für die Forschung locker. Daraus entstand das Manhattan Project, das - nach heutigem Kurswert - zwanzig Milliarden Dollar kostete und in dem 130.000 Personen beschäftigt waren. Das Ziel: die 1939 entdeckte Kernspaltung militärisch zu nutzen. Praktisch die gesamte Wissenschaftler-Elite der Erde - außer den Deutschen und den Russen - war beteiligt.

Das Manhattan Project war streng geheim. Von der Existenz der Zentrale in Los Alamos wusste selbst der damalige Vizepräsident Harry Truman nur in Umrissen. Aber Stalin war informiert, einerseits durch professionelle Spione, andererseits durch Wissenschaftler, die ihre Kenntnisse nicht vor dem wichtigsten Verbündeten im Zweiten Weltkrieg verbergen wollten. Deshalb war er am 24. Juli 1945 in Potsdam über Trumans Bemerkung gar nicht erstaunt.

Truman war gerade erst nach Roosevelts Tod Präsident geworden und hatte nun zu entscheiden, ob die beiden nach dem Trinity-Test vorhandenen Bomben eingesetzt werden sollten. Das Ziel Berlin gab es nicht mehr; Deutschland hatte im Mai kapituliert. Japan führte den Krieg weiter, hatte aber Friedensfühler ausgestreckt. Der alliierte Oberkommandierende in Europa, Dwight D. Eisenhower, befand: Es ist unnötig, "die Bombe" einzusetzen, weil Japan am Ende ist; und moralisch würde der Einsatz auf die USA zurückfallen.

Aber die Manhattan-Project-Leute und der US-Präsident meinten, die gewaltige Summe für das Projekt müsse vor dem Kongress gerechtfertigt werden - und es sei angesichts künftiger Rivalität wichtig, den Sowjets zu zeigen, was die Bombe leisten kann.

So fiel am 6. August die erste Uran-Bombe auf Hiroshima, am 9. August die erste Plutonium-Bombe auf Nagasaki. 350.000 Menschen starben. Nie wieder danach wurden Atombomben eingesetzt. Doch ein knappes Dutzend Staaten hat sie oder arbeitet daran.

*Aus: Frankfurt Rundschau, 16. Juli 2005


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