Wollen die USA wieder unterirdische Atomtests aufnehmen?
Die Nuklearstrategie könnte bald auch Mini-Atombomben vorsehen
Von Rainer Rupp
                          
                         Im Gegensatz zu den vorschnellen Berichten einiger
                         Nachrichtenagenturen, daß die USA ihr Moratorium für
                         Atomwaffentests nicht in Frage stellen, hat die amerikanische
                         Regierung in ihrem neuen Grundsatzdokument zur
                         militärischen Nuklearstrategie (Nuclear Posture Review) doch
                         Zeichen gesetzt, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß
                         unterirdische Test wieder aufgenommen werden. In der für die
                         Öffentlichkeit bestimmten Version des Strategiedokuments,
                         das die Regierung von George Bush am Dienstag dem Kongreß
                         vorgelegt hatte, wird zwar empfohlen, daß die USA das
                         Moratorium für Atomwaffenversuche beibehalten. Zugleich
                         aber heißt es, daß die USA darauf vorbereitet sein müßten,
                         nicht erst nach zwei Jahren – wie bisher geplant –, sondern
                         innerhalb kürzester Zeit die Tests wieder aufzunehmen, sollte
                         man sich entschließen, daß Moratorium aufzugeben. Im
                         Klartext heißt das, daß die Bush-Regierung beabsichtigt, alle
                         notwendigen Vorbereitungen zu treffen, um sofort nach
                         Beendigung des Moratoriums die Versuche unverzüglich wieder
                         aufzunehmen. (Zur Erinnerung: bei der Abstimmung über die
                         Ratifizierung des nuklearen Teststoppvertrags am 13. Oktober
                         1999 war im US-Senat die erforderliche Mehrheit nicht
                         zustande gekommen.) 
                         In amerikanischen Zeitungen rechtfertigen derzeit hohe
                         Beamte des Pentagon die im neuen Strategiedokument
                         angedeutete Wiederaufnahme der Tests damit, daß in
                         Anbetracht der beabsichtigten Reduzierung des strategischen
                         Atomwaffenarsenals von derzeit rund 7000 auf 1700 bis 2200
                         Waffen die Tests der restlichen Waffen an zusätzlicher
                         Bedeutung gewinnen würden. 
                         Bereits vor zwei Jahren hatte Stephen Younger, der
                         beisitzende Direktor der US-Atomwaffenschmiede Los Alamos
                         National Laboratory und Chef der dortigen
                         Nuklearwaffenabteilung, sich für eine Entwicklung eingesetzt,
                         die weg von großen und hin zu kleinen Atomwaffen führt. Die
                         große, flächendeckende Sprengkraft der als »City-Busters«
                         (»Städtezerstörer«) bekannten Atombomben sei heute nicht
                         mehr nötig, wenn durch punktgenaue Navigation eine Rakete
                         mit einem viel kleineren nuklearen oder gar mit einem
                         konventionellen Sprengkopf dieselbe Aufgabe erledigen
                         könnte, nämlich, gegnerische Raketensilos oder unterirdische
                         Kommando- und Kommunikationszentralen in die Luft zu jagen.
                         Younger setzt sich denn auch konsequent für die Entwicklung
                         kleiner, d.h. »einsetzbarer« Nuklearwaffen ein, die tief in den
                         Fels eingegrabene, gegnerische Bunker zerstören. 
                         Auch andere, in der Vergangenheit den Atomwaffen
                         zugewiesene Aufgaben (z. B. die Vernichtung von
                         großflächigen Aufmärschen von Panzerverbänden), können
                         heute zunehmend durch sogenannte Smart Bombs oder
                         Intelligente Waffensysteme übernommen werden, die
                         entweder von hochempfindlichen Sensoren gelenkt
                         eigenständig ihr Ziel finden oder über immer genauer
                         arbeitende und bei jedem Wetter funktionierende globale
                         Positionierungssysteme (GPS) ins Ziel gesteuert werden. Wie
                         sich bereits bei der US-Kriegführung gegen Irak vor zehn
                         Jahren abzeichnete, können die sogenannten intelligenten
                         Waffensysteme bei der Vernichtung konzentrierter
                         Großverbände in der Tat die bisher den Atomwaffen
                         zugedachten Aufgaben mit Erfolg übernehmen. Genau diese
                         Entwicklung wird in der neuen Nuclear Posture Review – die
                         erste seit 1994 – mit als Grund für die vorgeschlagene
                         Reduzierung der Atomwaffen vorgetragen. 
                         Trotz aller Fortschritte auf dem Gebiet der Präzisionswaffen ist
                         es jedoch nach wie vor nicht möglich, ohne Atomwaffeneinsatz
                         gut befestigte, unterirdische Bunkerkomplexe zu zerstören.
                         Allerdings sollen die schweren Nuklearwaffen, die auch im
                         weiten Umkreis der Bunkeranlagen alles Leben zerstören,
                         durch kleine Atomwaffen ersetzt werden, weshalb der
                         amerikanische Kongreß bereits vor Jahren die Pläne der
                         US-Regierung zur Miniaturisierung der Atomwaffen und
                         Entwicklung einer »Deep-Penetration-Bombe« abgesegnet
                         hat. Das Ziel ist – in den Worten eines Pentagon Beamten –
                         »Saddam Husseins Bunker auszuheben, ohne dabei ganz
                         Bagdad anzuzünden«. Aber ohne unterirdische Versuche
                         werden sich die USA auf diese neuen Waffen nie verlassen
                         können. Und hier liegt der eigentliche Grund, warum das
                         Pentagon verstärkt mit der Wiederaufnahme der
                         Atomwaffentests liebäugelt. 
                         Während diese Zusammenhänge in der öffentlichen Diskussion
                         um die Nuclear Posture Review außen vor bleiben, zeigten
                         Kongreßmitglieder ihre Verwunderung darüber, daß die
                         Bush-Regierung daran denkt, die abzurüstenden
                         Atomsprengköpfe der strategischen Waffen nicht zu zerstören,
                         sondern statt dessen waffentauglich einzulagern. Das dürfte
                         für Moskau kaum ein Anreiz sein, sein Arsenal von etwa 6000
                         strategischen Systemen um zwei Drittel zu reduzieren und
                         unbrauchbar zu machen. Die Entwicklung in China geht sogar
                         in die vollkommen entgegengesetzte Richtung. Nicht zuletzt
                         unter dem Eindruck der einseitigen Kündigung des
                         ABM-Vertrages und der Entwicklung eines strategischen
                         Raketenabwehrschirms durch Washington will Peking sein
                         strategisches Abschreckungsarsenal weiter ausbauen. Ein am
                         Mittwoch veröffentlichter Bericht der CIA geht davon aus, daß
                         bis zum Jahre 2015 die Volksrepublik ihr nukleares
                         Abschreckungspotential vervierfacht hat und zwischen 75 und
                         100 Langstreckenraketen auf die USA gerichtet sein werden.
Aus: junge welt, 12. Januar 2001
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