Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Europäische NATO-Alliierte gegen amerikanische Atombomben in Europa

Ein Beitrag aus der Lateinamerikanischen Zeitschrift CLAEI

Im Rahmen einer für die USA unerwarteten Initiative, haben fünf der europäischen Alliierten des Nordatlantikpakts (NATO) - Deutchland, Belgien, Holland, Luxemburg und Norwegen - eine Überprüfung der Atompolitik der Allianz sowie die Abrüstung sämtlicher in Europa befindlichen amerikanischen Atomwaffen vorgeschlagen.

Im Zusammenhang mit der in der NATO üblichen Politik in Bezug auf die gemeinsame Nutzung von Kernwaffen haben die USA trotz der Beitrittserklärung zum Atomwaffensperrvertrag (NPT), der die Ausrüstungsweitergabe an Nichtatomwaffenstaaten verbietet, keinerlei Bedenken gehabt, diese in Deutschland, Belgien, Holland, Italien und in der Türkei zu installieren.

Die europäischen USA-Alliierten haben der amerikanischen Atompolitik einen eleganten Schlag verabreicht, als sie die von Präsident Barack Obama in Prag ausgesprochenen Worte anläßlich der angekündigten Verpflichtung seitens der USA "den Weltfrieden und die Weltsicherheit ohne Atomwaffen zu suchen" zitierten.

Die Abrüstung der amerikanischen nicht-strategischen Atomwaffen in Europa wird jedoch nicht ohne eine radikale Änderung des zentralen Strategiekonzepts der NATO möglich sein, über dessen Bestimmung Washington einen außschlaggebenden Einfluss hat. Aus diesem Grund besitzt die Stellungnahme der fünf beteiligten europäischen Länder momentan die Eingenschaft einer durch innere politische Interessen bestimmte Aussage.

Die Regierungen der fünf Länder sahen sich beträchtlichen inneren Forderungen unterworfen, um der Heuchelei mit der sich der Atomwaffensperrvertrag ausgibt ein Ende zu machen während die Atomgroßmächte ihre Abrüstungsverpflichtung straflos ignorieren und auf Druckausübung, Strafen, Kriegsdrohungen und sogar bewaffnete Eingriffe - wie im Falle Irak - zurückgreifen, um den Atomwaffenzugang anderer Länder zu verhindern.

Diese fünf NATO-Länder haben eine große Auswirkung auf die internationale öffentliche Meinung erzielt, indem sie sich der Initiative gegen Atomwaffenweiterverbreitung seitens politischer und militärischer Persönlichkeiten jeglicher Herkunft, einschließlich einiger ehemaligen amerikanischen und europäischen hohen Staatsbeamten, sowie dem Fünfpunkteprogramm des NATO-Generalsekretärs Ban-ki Moon mit dem Ziel "die Welt von Atombomben zu befreien" angeschlossen haben. Zusätzlich gaben sie ihre Entscheidung bekannt, gemeinsam für die Aufrechterhaltung der NPT-Integrität während der Fünfjahresüberprüfungskonferenz nächsten Monat Mai im newyorker NATO-Hauptsitz zu arbeiten.

Inzwischen haben das Weiße Haus und dessen Berater sich noch nicht entschieden, ob die Auffassung, dass die in Europa installierten nicht-strategischen Atomwaffen ein Grundfaktor der Kriegslehre der Allianz darstellen, aufgegeben werden soll, übereinstimmend mit dem Prinzip, dass eine gemeinsame Atomwaffenpolitik eine lükenlose Verbundenheit aller Teilnehmer und eine weitgehende Beteiligung bei den Entscheidungen zur Verhinderung eines Atomwaffenkrieges erfordert. Die fünf Dissidenten haben das Thema der Atompolitik als Tagesordnung beim NATO-Treffen über Strategie am 22. und 23. April in Tallinn, Estland, mit einbeschlossen und haben sich weder durch die vorsichtige Behauptung Obamas im Sinne, dass das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen wahrscheinlich nicht "während seines Lebens" erreicht würde, noch durch die Umdeutung der Staatssekretärin Hillary Clinton, die noch hinzufügte "oder während zukünftiger Leben", abschrecken lassen.

Ein Kernpunkt der neuen Verteidigungspolitik der Allianz, die auch wirklich als solche betrachtet werden kann und keine Globalisierungsmachtpläne beinhaltet, verlangt eine grundsätzliche Änderung der amerikanischen Einstellung über die euroatlantische Allianz. Wenn man aber bedenkt, dass die Gruppe der 12 Experten, die die neue NATO-Strategie strukturieren sollen von der ehemaligen Staatssekretärin Madeleine Albright, einer Rechtsextremistin der harten Linie, des Militärinterventionismus und der hegemonischen Wettrüstung, geführt werden, wird der von vielen erwartete Wandel wohl schwer erfolgen.

Der "gordische Knoten" dieser Situation ist die Politik über eine gemeinsame Atomwaffennutzung oder nukleareTeilhabe, ein von der NATO eingeführter Begriff innerhalb der Abschreckungspolitik. Das bedeuted, dass diejenigen Länder, die keine eigenen Atomwaffen besitzen, ihre Militärkräfte durch Spezialisten ausbilden lassen unter der Voraußsetzung, dass die Waffen im Notfall von deren Besitzern, hauptsächlich die USA, geliefert werden.

Der geopolitischen und geostrategischen Anschauung Washingtons gemäß, soll die Anwesenheit nicht-strategischer Atomwaffen in Europa die politische und militärische Bindung der Überseestaaten stärken und soll außerdem die europäische Sicherheit gegenüber eines möglichen Angriffs außenstehender Feinde gewährleisten.

Der amerikanische Verteidigungssekretär Robert Gates hat die NATO-Alliierten wegen fehlender Eindämmung der Abrüstungsanfrage in ihrem Landesbereich verurteilt. Er behauptet, dass eine Ablehnung der Militärmacht ein Hindernis ist "um eine wahre Sicherheit und einen anhaltenden Frieden im 21. Jahrhundert zu erreichen". Das Pentagon befürwortet nach Außsage des Saatsicherheitsberaters, General James Jones, eine globale NATO. Jones machte darauf aufmerksam, dass die Allianz auf jegliche Bedrohungen, einschließlich jener "weit weg von ihren Grenzen", vorbereitet sein muss.

Die USA unterhalten in Europa zwischen 150 und 240 Atombomben, Die genaue Anzahl ist nicht einmal den beteiligten Regierungen bekannt. In Deutschland, Belgien und Holland befinden sich jeweils zwischen 10 und 20 Atomwaffen; in Italien zwischen 70 und 80 und in der Türkei zwischen 50 und 90. Die westlichen Regierungen beziehen sich auf den NPT auf selektiver Weise, um außchließlich auf die Nichtverbreitung im Bereich der Gegner-Staaten hinzuweisen, wie z.B. Iran und Nordkorea, welche Atomwaffen besitzen oder angeblich besitzen möchten, ohne zu erwähnen, dass es eine weit größere Gruppe von Atomwaffenbesitzer gibt, die Indien, Pakistan und Israel mit einbeschließt.

Washingtons Hauptziel ist es, fließende Beziehungen, frei von irgendwelchen Kaltkriegselementen, mit Russland zu verhindern und dafür werden alle für notwendig gehaltenen Raketenschilder und Atomstützpunkte in Osteuropa aufgestellt. Atomwaffen gehören zu diesem Kontext. Es ist sogar abzusehen, dass sie eventuell nach ihrer Entfernung aus Westeuropa in Polen, in den Balkanländern oder an inrgendeinem anderen zentral- oder osteuropäischen Standort wieder auftauchen, dort wo es die passende Infrastruktur und den politischen Willen sie zu empfangen gibt.

Staatssekretärin Clinton hat ausdrücklich angezeigt, dass die Atomwaffen in Deutschland bleiben müssen. Washingtons Druck wird sich exponentiell im Hinblick auf die Fünfjahresüberprüfung der NPT in Mai verstärken. Wichtig zu erwähnen ist, dass die Anregung der Fünf, wenn auch willkommen, sich weit weg von einer vollständigen Denuklearisierung in Europa befindet. In der Europäischen Union sind nicht nur amerikanische Atombomben vorhanden, sondern auch völlig sinnlose, vollständig ausgerüstete französische und britische Atomarsenale. Diese Arsenale sind noch viel sinnloser, unvernünftiger und anachronischer als die der USA und Russland, welche sich auf irgendwelcher Art gegenseitig rechtfertigen.

Europa wird keine Glaubwürdigkeit geschenkt bis Paris und London nicht zu einer gemeinsamen Initiative zur Verbannung von Atomwaffen aus der Europäischen Union mit einbeschlossen werden. Dies wäre eine optimaler und echter Beitrag zum NPT und für eine sichere Welt. Der einzige Ausweg aus diesem Atomlabyrinth wäre ein internationaler Vertrag, der die Atommächte dazu zwingen müsste keine derartigen Waffen außserhalb ihrer Staatsgebiete abzusetzen, einschließlich die Überlassung oder Verleih unter Alliierten sowie den Verbot einer Weitergabe an bestimmten nicht bewaffneten Staaten.

Dies könnte ein glaubwürdiger und übergreifender Beitrag der europäischen und amerikanischen Regierungen zum Atomwaffensperrvertrag und einer sicheren Welt sein.

* Aus: CLAEI - Circolo Latinamericano de Estudios Internacionales centro; www.claei.org.mx


Zurück zur Seite "Atomwaffen"

Zur NATO-Seite

Zurück zur Homepage