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Indianer siegen gegen Atomkrieger

Generalprobe für Atomwaffentests in der Wüste von Nevada geplatzt

Von Wolfgang Kötter

Eigentlich hatte der Bombentest "Divine Strake" (Göttliche Planke) in einem abgelegenen Wüstental knapp 150 km nordwestlich von Las Vegas heute (2.6.) stattfinden sollen. Doch der Widerstand der Anwohner hat das Projekt auf unbestimmte Zeit verzögert. Diese bangen um Ihre Sicherheit und befürchten weitreichende Umweltschäden auf ihrem Heimatterritorium. Denn, so schreibt es zumindest der Vertrag von Ruby Valley aus dem Jahre 1863 fest, die 90 000 Quadratkilometer im US-Bundesstaat Nevada sind Shoshone-Land. Das Gebiet fast so groß wie Portugal - von Idaho im Norden und Utah im Osten quer durch ganz Nevada bis nach Kalifornien im Süden - gehört den Nachfahren des legendären Indianerstamms. Die Westlichen Shoshone, organisiert in der “Stop Divine Strake Coalition”, kämpfen mit Anwälten und Klageschriften, einstweiligen Verfügungen und Einsprüchen gegen das Pentagon. Erst vergangenes Wochenende organisierten sie bei dem kleinen Örtchen Mercury am Highway 95 in der Nähe des Testgeländes ein "Peace Camp" mit vielfältigen Protestinitiativen.

Robert Hager, der das Anliegen der Bevölkerung vor Gericht vertritt, hatte zunächst eine dreiwöchige Terminverschiebung erreicht, weil die Besorgnis über mögliche radioaktive Niederschläge bisher von den Miltärbehörden nicht ausgeräumt werden konnte. "Wir möchten, dass es eine permanente Verschiebung wird, bekennt der Rechtsanwalt, "und wir sind bereit, weiterzumachen bis die Sache für immer schlafen gelegt wird." Unterstützung findet die Verzögerungstaktik auch bei den örtlichen Parlamentariern. "Ich finde, dass alle Fakten an die Öffentlichkeit kommen sollten", fordert der demokratische Kongressabgeordnete Jim Matheson, "die Verschiebung könnte helfen, das zu erreichen." Und Senator Orrin Hatch von den Republikanern verlangt vom Verteidigungsministerium den zuverlässigen Nachweis, dass der Versuch keine radiologische Verseuchung verbreitet. Daraufhin teilte die für den Test verantwortliche National Nuclear Security Administration (NNSA) am vergangenen Freitag die unbefristete Verschiebung mit, bis die Ergebnisse weiterer Umweltstudien vorlägen.

Bei dem geplanten Test ist vorgesehen, ein Gemisch aus 700 Tonnen Ammoniumnitrat und Heizöl auf einem unterirdischen Kalksteintunnel explodieren zu lassen. Messgeräte sollen innerhalb des Tunnels und in dessen Umgebung die durch die Detonation entstandenen Schäden und Erderschütterungen aufzeichnen. Sie registrieren ebenfalls die Bewegung der aus dem Explosionspilz bis in 3 000 m Höhe aufsteigenden Staubwolke. Bei dem Test wird kein nukleares Spaltmaterial eingesetzt und deshalb handelt es sich auch nicht um eine Kernexplosion. Wie die Sprecher der NNSA immer wieder beteuern, geht es lediglich um eine "Atomsimulation". Die Detonation sei nötig zur Entwicklung von Computerprogrammen, die es ermöglichen, die Erdbewegungen nach einer Großexplosion vorauszusagen. Aber trotzdem wird die Detonation fünfzigmal so stark sein wie die Sprengkraft der größten existierenden konventionellen Bombe.

Allerdings soll sie geringer sein, als die des kleinsten Atomsprengkopfes, den die USA zur Zeit in ihrem Arsenal haben. Obwohl es sich nicht um einen nuklearen Sprengsatz handelt, wird dennoch der Austritt radioaktiver Strahlung erwartet. Anwohner befürchten, dass die enorme Explosion Boden- und Gesteinsmassen in die Luft schleudert, die durch frühere Nuklearwaffentests strahlenverseucht sind. "Es geht nur um eine Sache, nur um die eine", klagt J. Preston Truman, Leiter der Gruppe Downwinders, einem Verein von Menschen die durch den radioaktiven Fallout vergangener Atomtests krank wurden. "Das heißt doch nichts anderes, als dass sie immer noch mit diesen dummen, geisteskranken Waffen weitermachen." "Wir haben ganz sicher Grund zur Besorgnis", fürchtet auch Vanessa Pierce von der Health Environment Alliance in Utah. "Ich denke, dieser Test zeigt, dass die Waffenentwickler so besessen sind von der Idee, neue Atomwaffen - beispielsweise Mini-Nukes - zu erzeugen, dass sie alles tun werden, um zum Zuge zu kommen". Die Vorwürfe werden von Dokumenten des Verteidigungsministeriums erhärtet, wonach der Test dazu dient, "den kleinsten, angemessenen nuklearen Impakt zu ermitteln, der nötig ist, um unterirdische Einrichtungen zu zerstören und gleichzeitig den Kollateralschaden so gering wie möglich zu halten." Mit anderen Worten geht es um einen weiteren Schritt zur Entwicklung von nuklearen Bunkerknackern, die die Militärs so dringend herbeisehnen, um sie in kommenden militärischen Konflikten gegen Terroristen oder "Schurkenstaaten" einsetzen zu können. Die Kritiker argwöhnen außerdem, dass demnächst wieder wirkliche Atomtests folgen könnten. "Das ist nicht nur ein Schritt in Richtung Atomtest" meint schon jetzt Atomwaffenexperte Hans Kristensen von der Federation of American Scientists, "das ist ein Atomtest - so, wie diese Tests heutzutage eben durchgeführt werden." Zwar befolgen die USA offiziell seit 1992 ein Moratorium nuklearer Testexplosionen, doch der Senat hat den vor 10 Jahren von Präsident Clinton unterzeichneten Teststoppvertrag nie ratifiziert. Die nuklearen Waffenlabors in Livermore und Los Alamos betreiben derweil die Modernisierung der Sprengköpfe durch Computersimulationen weiter. Der technologischen Fortentwicklung dienen auch die bisher insgesamt 22 "subkritischen" Tests, bei denen Einzelkomponenten der Sprengsätze erprobt werden, ohne eine nukleare Kettenreaktion auszulösen. Seit geraumer Zeit wendet die Bush-Regierung Millionen Dollar auf, um das Nevada-Versuchsgelände herzurichten und innerhalb von zwei Jahren wieder Atombomben testen zu können. Doch die Generalprobe scheint vorerst geplatzt zu sein.

* Diese Artikel erschien am 2. Juni 2006 unter dem Titel "Indianer siegen über die Atomkrieger" in der Tageszeitung "Neues Deutschland".


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