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Appell für eine atomwaffenfreie Welt

Bundesregierung soll sich für Abrüstung einsetzen / Proteste gegen Raketenmodernisierung *

Mit einer weltweiten Kampagne will ein internationales Bündnis von Organisationen die Staatengemeinschaft zur atomaren Abrüstung bewegen. In England blockierten Atomwaffengegner eine Rüstungsfabrik.

Ein Bündnis von mehr als 250 Organisationen hat am Montag eine globale Kampagne zur atomaren Abrüstung gestartet. 65 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki sei die Zeit »reif für mutige Schritte hin zu einer atomwaffenfreien Welt«, heißt es in einem am Montag in Berlin vorgestellten Aufruf.

Hintergrund der Kampagne ist die für Mai geplante siebte Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags in New York. Bis Ende April wollen die Initiatoren weltweit Unterschriften sammeln, die UN-Generalsekretär Ban Ki Moon übereicht werden sollen.

Getragen wird das Bündnis unter anderem von Friedensorganisationen, Wissenschaftlern, Kirchen und Gewerkschaften. Der internationale Appell zur atomaren Abrüstung »Disarm Now!« sollte am Montag (15. Feb.) auch in New York, London, Paris und Tokio vorgestellt werden.

In dem deutschen Aufruf wird die Bundesregierung zu konkreten Abrüstungsschritten aufgefordert. Sie müsse dazu beitragen, dass die Konferenz im Mai ein Erfolg wird. Anderenfalls »wäre der Weg offen für ein ungehemmtes Wettrüsten mit immer mehr Atomwaffenstaaten«, sagte der Geschäftsführer der Organisation »Internationale Juristen gegen den Atomkrieg«, Reiner Braun. Dem auch als Nichtverbreitungsvertrag bekannten Abkommen gehören 189 Staaten an.

Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Renke Brahms, betonte bei der Präsentation, die Drohung mit Atomwaffen gehöre aus politischen und militärischen Gründen »nicht mehr zu den legitimen Mitteln« zwischen Staaten. Dabei erinnerte Brahms an die im Atomwaffensperrvertrag festgehaltene Pflicht der Atommächte zur Abrüstung.

Konkret fordern die Erstunterzeichner des deutschen Appells von der Bundesregierung den Abzug der verbliebenen US-Atomwaffen aus Deutschland, einen Verzicht auf Nuklearwaffen in der künftigen NATO-Strategie, den Stopp aller Modernisierungspläne für Atomwaffen und Trägermittel sowie den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen. Zudem werden Sicherheitsgarantien der Atommächte gegenüber allen Nicht-Atomwaffenstaaten gefordert. Der Aufruf kann im Internet (www.npt2010.de) unterzeichnet werden.

Ebenfalls am Montag haben mehrere Hundert Atomwaffen-Gegner eine Rüstungsfabrik im Südosten Englands blockiert. Nach Polizeiangaben versammelten sich rund 400 Demonstranten vor dem Gelände des staatlichen Atomwaffenproduzenten AWE in der Ortschaft Aldermaston, um gegen die geplante Modernisierung der britischen Trident-Atomraketen zu protestieren. Nach Angaben der Veranstalter nahmen bis zu 800 Atomwaffen-Gegner aus Großbritannien und anderen europäischen Ländern an den Protesten teil, darunter auch Vertreter der deutschen Friedensbewegung.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Februar 2010


Kriegsproduktion gestört

Von Frank Brunner **

Mehrere hundert Friedensaktivisten aus ganz Europa haben am Montag die Tore einer Rüstungsfabrik im britischen Aldermaston blockiert. »Um acht Uhr hatten 800 Kiegsgegner alle sieben Zufahrtsmöglichkeiten zum Gelände des staatlichen Atomwaffenproduzenten AWE dichtgemacht«, so Marion Küpker von der Organisation »Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen« gegenüber junge Welt. Küpker gehörte zu einer Gruppe von Frauen, die sich an das Südtor gekettet hatten. Hintergrund der Protestaktion: In dem etwa 80 Kilometer westlich von London gelegenem Werk werden Atomsprengköpfe für britische U-Boote produziert. Damit verstoße die Londoner Regierung gegen den Atomwaffensperrvertrag, der die Unterzeichnerstaaten zur Abrüstung verpflichte, kritisierte Küpker. Nach Angaben der DFG-VK will die Regierung von Premierminister Gordon Brown – trotz hoher Schulden im Staatshaushalt – umgerechnet etwa 113 Millionen Euro in die Modernisierung atomarer Waffensysteme investieren. Das wollen die Aktivisten verhindern. Die Präsidentin der britischen Kampagne für nukleare Abrüstung (CND), Kate Hudson, sprach von der wichtigsten Blockade seit Jahren.

Auch in Deutschland geht die Friedensbewegung derzeit in die Offensive. »Wir werden in den nächsten Monaten kreative Unruhe stiften«, sagte Reiner Braun, Geschäftsführer der Initiative »Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen« in Berlin. Dort startete ein Bündnis aus Wissenschaftlern, Gewerkschaftern, Künstlern und Kirchenfunktionären am Montag eine bundesweite Abrüstungskampagne. Die Initiatoren hoffen, den Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland zu erreichen. »Die Bundesregierung bekennt sich im Koalitionsvertrag zur atomaren Abrüstung, sie muß jetzt Taten folgen lassen«, heißt es im Aufruf zu einer Unterschriftenaktion. In Fußgängerzonen und Veranstaltungssälen werde man um die Unterstützung der Menschen werben, so Braun. Zu den Erstunterzeichnern gehören der Liedermacher Konstatin Wecker, Schauspieler Peter Sodann, ver.di-Chef Frank Bsirske, Literaturnobelpreisträger Günter Grass, der Tübinger Politologieprofessor Volker Rittberger und Organisationen wie das globalisierungskritische Netzwerk attac, Pax Christi, die Evangelische Kirche sowie die Lehrergewerkschaft GEW.

Eine Art Zwischenbilanz wollen Pazifisten, Politiker und Publizisten vom 19. bis zum 21. März in Essen ziehen. »Friedenskultur – Unsere Zukunft atomwaffenfrei«, lautet das Motto des Symposiums zu diesem Thema. Peter Schüler von »Mayors for Peace« (Bürgermeister für den Frieden) kündigte gestern zudem eine internationale Konferenz in Potsdam an. Bei der Veranstaltung am 11. und 12. Juni soll unter anderem an den 65. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki erinnert. Weltweit planen Friedenaktivisten ähnliche Aktionen. Einen gestern vorgestellten internationalen Aufruf für nukleare Abrüstung haben bislang 250 Organisationen unterzeichnet. Am 4. Mai sollen die Petitionen dann in New York dem UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon übergeben werden. In der US-Metropole findet zeitgleich die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag statt. Das letzte Meeting 2005 war an der Blockade der Atommächte gescheitert. Derzeit verfügen die USA, China, Frankreich, Großbritannien, Rußland sowie Israel, Pakistan, Indien und Nordkorea über Atomwaffen.

** Aus: junge Welt, 16. Februar 2010


Pandoras Erbe

Von Olaf Standke ***

Vor 65 Jahren haben die USA mit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki die nukleare Büchse der Pandora geöffnet. Und auch zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges ist die Erde noch immer von Tausenden Kernwaffen verseucht. Die Zeit, da sind sich Aktivisten aus aller Herren Länder einig, sei überreif für mutige Schritte hin zu einer kernwaffenfreien Welt. In New York, Paris, London, Tokio und Berlin hat ein internationales Bündnis die Staatengemeinschaft gestern zu verstärkten Anstrengungen für eine umgehende atomare Abrüstung aufgerufen. Auch von der Bundesregierung wird da viel mehr erwartet, etwa mit Blick auf eine überfällige Konvention zur Abschaffung der Atomwaffen, den Verzicht auf ihren Ersteinsatz in der neuen NATO-Strategie oder den Abzug aller US-Kernwaffen von deutschem Boden.

Prominente Vertreter aus der Friedens- und Umweltbewegung, aus Wissenschaft und Kultur, Kirchen und Gewerkschaften gehören zu den Erstunterzeichnern des Appells und machen ihn zu einer besonders breiten zivilgesellschaftlichen Initiative. Politische Wirkung aber kann sie nur entfalten, wenn ihr viele Menschen folgen. Denn Anfang Mai wollen die Initiatoren weltweit gesammelte Unterschriften an den UN-Generalsekretär übergeben. Dann nämlich beginnt die Überprüfungskonferenz für den Atomwaffensperrvertrag, eines der wichtigsten völkerrechtlichen Instrumente, um Pandoras tödliches Erbe zu bändigen.

*** Aus: Neues Deutschland, 16. Februar 2010 (Kommentar)


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