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Vertrag nie ratifiziert

Vor 30 Jahren beendeten USA und Sowjetunion SALT-II-Gespräche

Von Knut Mellenthin *

Am 18. Juni 1979 unterzeichneten der Präsident der USA, James Carter, und der Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breshnew, in Wien das SALT-II-Abkommen. Es wurde von US-amerikanischer Seite nie ratifiziert, also vom Kongreß abgesegnet. Trotzdem blieb SALT II de facto während seiner vertraglich vereinbarten Laufzeit, die 1985 endete, in Kraft. 1986 sagte sich der damalige US-Präsident Ronald Reagan offiziell von allen Verpflichtungen aus SALT II los, ließ aber gleichzeitig die schon 1982 begonnenen Verhandlungen mit der Sowjetunion über ein Nachfolgeabkommen weiterführen. Das Ergebnis war schließlich am 31. Juli 1991 die Unterzeichnung des START-I-Vertrages – Strategic Arms Reduction Treaty, Vertrag zur Verringerung der Strategischen Nuklearwaffen. Fünf Monate später wurde die Sowjetunion aufgelöst. Die Gültigkeit von START I läuft Ende dieses Jahres aus. Zur Zeit verhandeln die USA und Rußland über einen Anschlußvertrag.

SALT I mit Schwächen

Das Akronym »SALT« stehen für »Strategic Arms Limitation Talks«, also Gespräche über die Begrenzung strategischer Waffen. Gemeint sind Atomwaffen, und zwar solche, die von Trägern mit interkontinentaler Reichweite transportiert werden. Die amerikanisch-sowjetischen SALT-Verhandlungen begannen im November 1969 in Helsinki. Vorausgegangen war am 1. Juli 1968 die Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags – auf englisch: Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, NPT – durch die USA, Sowjetunion und Großbritan­nien. Der Vertrag, der erst 1970 in Kraft treten konnte, nachdem er von 40 Staaten ratifiziert worden war, sollte hauptsächlich dazu dienen, das Entstehen neuer Atommächte zu verhindern. Er verpflichtete aber auch in Artikel VI diejenigen Unterzeichnerstaaten, die schon Atomwaffen besaßen, zur Aufnahme von »Verhandlungen über wirksame Maßnahmen zur baldigen Beendigung des nuklearen Wettrüstens und zur atomaren Abrüstung«, mit dem Ziel, einen »Vertrag über die allgemeine und vollständige Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle« abzuschließen.

Mit der Aufnahme der SALT-Verhandlungen kamen USA und Sowjet­union scheinbar dieser Verpflichtung nach. Heraus kam zunächst SALT I, ein provisorisches Interimsabkommen, das am 26. Mai 1972 von Breshnew und auf US-amerikanischer Seite von Präsident Richard Nixon unterzeichnet wurde. Unter anderem wurde vereinbart, die Zahl der Interkontinentalraketen (ICBM) beider Seiten für die nächsten fünf Jahre auf dem Stand vom 1. Juli 1972 einzufrieren. Auch die Zahl der auf U-Booten stationierten Raketen (SLBM) sollte auf dem damaligen Stand bleiben und durfte nur vergrößert werden, wenn eine entsprechende Anzahl von ICBM verschrottet wurde. Nicht begrenzt wurde aber die Zahl der von je einer Rakete, ICBM oder SLBM, zu transportierenden Sprengköpfe, die auf verschiedene Ziele programmiert werden konnten. Die englische Bezeichnung dafür lautet Multiple Independently Targetable Reentry Vehicle, abgekürzt MIRV. Die USA stellten die ersten MIRV-fähigen Raketen gerade zur Zeit des SALT-I-Abkommens in Dienst. Sie konnten zehn Sprengköpfe tragen. SALT I löste somit einen Modernisierungswettlauf und eine Vervielfachung der einsetzbaren Atomsprengköpfe aus.

Das Abkommen sah außerdem vor, daß USA und Sowjetunion nur jeweils zwei Raketenabwehrstellungen (Anti-Ballistic Missiles, ABM) mit maximal 100 Raketen errichten durften: eine für ihre Hauptstadt und eine für einen ICBM-Stützpunkt. Hintergrund war die Überlegung, daß Raketenabwehr grundsätzlich destabilisierend wirkt, weil sie den Anreiz für beide Seiten erhöht, mit einem Erstschlag weitgehend die Atomwaffen des Gegners auszuschalten und dank der Abwehr einen Gegenschlag mit dem verbliebenen Potential der anderen Seite mit relativ geringem Schaden zu überstehen. Ein 1974 abgeschlossenes Zusatzabkommen reduzierte die ABM auf jeweils nur noch eine.

Reagan aggressiv

Einigkeit bestand darüber, das Provisorium SALT I möglichst schnell durch einen solideren Nachfolgevertrag abzulösen. Das wird auch daran deutlich, daß die neuen Verhandlungen nur sechs Monate nach Unterzeichnung von SALT I aufgenommen wurden. Trotzdem dauerte es fast sieben Jahre, bis man sich einig war. Beteiligt waren schließlich drei US-Präsidenten: Richard Nixon, der am 8. August 1974 wegen der Watergate-Affäre zurücktreten mußte, sein Nachfolger (und ehemaliger Vizepräsident) Gerald Ford und schließlich James Carter. Einige Probleme, wie die Einordnung der Cruise Missiles in das Zahlenwerk und die Bewertung eines neuen sowjetischen Bombenflugzeugs (»strategisch« oder nicht), wurden als vorläufig nicht klärbar ausgeklammert und einem künftigen, nie zustande gekommenen SALT III überlassen.

Das am 18. Juni 1979 unterzeichnete Abkommen sah in der Hauptsache eine Obergrenze von jeweils 2400 Trägern (land- und seegestützte Raketen, Langstreckenbomber) nuklearer Waffen vor. Davon durften maximal 1320 MIRV-fähig sein. Die Zahl der Sprengköpfe wurde auf zehn für ICBM und auf 14 für SLBM, also U-Boot-gestützte Raketen, beschränkt.

Beide Atommächte hatten die im SALT-II-Abkommen vorgesehenen Obergrenze zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht ausgeschöpft. Es handelte sich also, im Gegensatz zur offiziellen Propaganda, nicht um einen Abrüstungsvertrag, sondern im besten Fall um ein Agreement zur Regulierung und Begrenzung künftiger Aufrüstung und Waffenmodernisierung. Es benachteiligte die Sowjetunion, die zu dieser Zeit mehr Träger als die USA besaß, aber in der MIRV-Technologie zurücklag.

Carter leitete am 22. Juni 1979, vier Tage nach Unterzeichnung des Vertrags, das Ratifizierungsverfahren durch den Senat ein. Am 3. Januar 1980 jedoch forderte er den Senat auf, die Behandlung des Abkommens ruhen zu lassen, nachdem am 27. Dezember 1979 die sowjetische Militärintervention in Afghanistan begonnen hatte. Etwas später erklärte Carter, die USA würden sich trotz fehlender Ratifizierung weiterhin an SALT II gebunden fühlen, so lange die Sowjetunion sich ebenso verhalte. Breshnew gab eine ähnliche Stellungnahme ab.

Auch Ronald Reagan, der am 20. Januar 1981 das Präsidentenamt übernahm und gleich mit einem aggressiven Programm zur »Zurückdrängung« und zum »Totrüsten« der Sowjetunion antrat, versicherte zunächst, er werde sich, Gegenseitigkeit vorausgesetzt, weiter an das Abkommen halten. In den Jahren 1984 und 1985 jedoch behauptete Reagan immer häufiger und in zunehmend scharfer Form, daß die Gegenseite ihre Verpflichtungen aus den SALT-Abkommen verletze. Am 26. Mai 1986 schließlich, als die vereinbarte Laufzeit von SALT II schon beendet war, erklärte der US-Präsident, sein Land werde Entscheidungen über seine nuklearstrategische Streitmacht künftig nicht mehr am SALT-Rahmen, sondern an Art und Umfang der »sowjetischen Bedrohung« orientieren.

Zu dieser Zeit liefen allerdings schon seit mehreren Jahren die Verhandlungen über das Nachfolgeabkommen START I. Am 31. Juli 1991 unterzeichnet, sah es vor, daß beide Seiten ihr strategisches Atomwaffenarsenal auf höchstens 1600 Träger und 6000 Sprengköpfe reduzieren sollten. Das reicht immer noch zur »gesicherten Zerstörung« der menschlichen Zivilisation aus.

Quellentext: Aus der Präambel des SALT-II-Abkommens

Die USA und die Sowjetunion, im folgenden bezeichnet als »die Parteien« haben

Im Bewußtsein, daß ein Atomkrieg verheerende Konsequenzen für die gesamte Menschheit hätte, (…)

Unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Begrenzung strategischer Waffen und entschlossen, ihre Anstrengungen fortzusetzen, die sie mit dem Vertrag über die Begrenzung der Raketenabwehrsysteme und dem Interimsabkommen über Bestimmte Maßnahmen bezüglich der Begrenzung Strategischer Offensivwaffen vom 26. Mai 1972 begonnen haben,

In der Überzeugung, daß die zusätzlichen Maßnahmen zur Begrenzung strategischer Offensivwaffen, die in diesem Vertrag vorgesehen sind, zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Parteien beitragen werden und daß sie helfen werden, das Risiko des Ausbruchs eines Atomkrieges zu verringern und den internationalen Frieden und die Sicherheit zu stärken,

Eingedenk ihrer Verpflichtungen aus Artikel VI des Vertrags über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen,

Geleitet vom Prinzip der Gleichheit und der gleichen Sicherheit,

Anerkennend, daß die Stärkung der strategischen Stabilität den Interessen der Parteien und der internationalen Sicherheit entspricht,

In Bekräftigung ihres Wunsches, Maßnahmen für die weitere Begrenzung und Reduzierung strategischer Waffen zu ergreifen, wobei sie das Ziel im Auge haben, eine allgemeine und vollständige Abrüstung zu erreichen,

In der Absicht, in naher Zukunft Verhandlungen zur weiteren Begrenzung und Reduzierung strategischer Offensivwaffen aufzunehmen,

sind wie folgt übereingekommen: (…)



* Aus: junge Welt, 13. Juni 2009


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