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USA wollen Produktionsstopp für nukleares Spaltmaterial ...

... die eigenen Vorräte bleiben aber unberührt

Von Wolfgang Kötter*

"USA schlagen neuen Abrüstungsvertrag vor". Mit dieser Überschrift überraschte die Washington Post am 18. Mai 2006 die Leser ihrer Internetseiten noch bevor die Sitzung der Genfer Abrüstungskonferenz beendet war. Tatsächlich unterbreitete der Unterstaatssekretär im State Department, Stephen G. Rademaker, dem 65-Staaten-Gremium den Entwurf für einen Vertrag zum Produktionsstopp für nukleares Spaltmaterial. Der 8 Artikel umfassende Vorschlag bezieht bestehende Vorräte an Nuklearmaterial nicht ein, verzichtet auf Kontrollbestimmungen und soll bis September vereinbart werden. Die generelle Nützlichkeit einer derartigen Vereinbarung zweifelt kaum jemand an, Diskrepanzen über die konkrete Ausgestaltung verhinderten bisher jedoch den Verhandlungsbeginn.

Den politischen Willen vorausgesetzt, könnte ein Produktionsstopp von nuklearem Spaltmaterial durchaus einen ersten Schritt zur atomaren Abrüstung bedeuten. Weitere Maßnahmen zur Reduzierung bzw. Beseitigung von Kernwaffen und Nuklearmaterial müssten allerdings folgen. Da radioaktives Material wie Plutonium oder hochangereichertes Uran unverzichtbarer Ausgangsstoff für die Kernwaffenproduktion bildet, würde ein Abschneiden ("cutoff") des Zuflusses von Bombenmaterial die nukleare Aufrüstung zumindest quantitativ anhalten. Die Konferenzteilnehmer sind sich seit Jahren im Prinzip darüber einig und ein japanischer Vertragsentwurf liegt ebenfalls bereits seit längerem vor. Streit gibt es aber zum Verbotsumfang und anderen substantiellen Aspekten der angestrebten Vereinbarung. Weil Pakistan beispielsweise vergleichsweise geringe Mengen an Spaltmaterial besitzt, fordert Islamabad, vorhandene Bestände in ein Verbot einzubeziehen. Gerade das aber will Neu Delhi verhindern. Beobachter vermuten nun, dass die Initiative der USA sich unter anderem gegen internationale Besorgnisse und Kritik aus dem USA-Kongress richtet, das jüngste US-indische nukleare Kooperationsabkommen würde Indien bei der atomaren Aufrüstung unterstützen. Auch China hat lange laviert. Obwohl ursprünglich Befürworter eines Produktionsstopps, sieht es seine Sicherheitsinteressen durch den forcierten Aufbau von Raketenabwehrsystemen der USA, möglicherweise unter Einbeziehung Taiwans und Japans, beeinträchtigt. Da China darauf vor allem mit der Aufstockung seiner eigenen Offensivwaffen reagiert, könnte dafür bald zusätzliches Spaltmaterial benötigt werden. Doch inzwischen verzichtet Peking darauf, Cutoff-Verhandlungen mit der Weltraumfrage zu blockieren und hat den Ball damit wieder in Washingtons Korb gespielt. Nun also wollen die USA zumindest propagandistisch in die Offensive gehen. Denn sie haben sich vor allem in der Kontrollfrage selbst ins Abseits manövriert.

Gerade als andere Staaten Kompromissbereitschaft signalisierten, erklärten die amerikanischen Vertreter plötzlich, die effektive Verifikation eines Produktionsstopps von nuklearem Spaltmaterial sei nicht erreichbar. Die Suche nach wirksamen Kontrollmechanismen, die ohnehin für viele Staaten zu teuer wären, würde die Verhandlungen nur unnötig in die Länge ziehen. Sie sollte darum im Interesse eines schnellen Ergebnisses gar nicht erst stattfinden. Der Verweis auf nationale Sicherheitsinteressen, die durch weitgehende Kontrollmaßnahmen kompromittiert werden könnten, lässt jedoch das wahre Motiv erahnen. Wie bereits bei den Verboten biologischer und chemischer Waffen demonstrieren die USA auch hier, dass Transparenz dort aufhört, wo sie sich selbst internationalen Inspektionen öffnen müssten. Kontrolle wolle man lieber mit nationalen Mitteln und Methoden realisieren - das ist gewöhnlich die Umschreibung für Satellitenaufklärung und Spionage. Das Fehlen von Kontrollbestimmungen, meint Jon Wolfsthal vom Center for Strategic and International Studies in Washington, mache den Vorschlag zu einem "sehr geringen Risiko für die Administration, weil ein Vertrag ohne einen Verifikationsmechanismus zwar eine hübsche Sache ist, aber niemand denkt, dass er eine wirkliche Auswirkung haben wird." Eine Reihe anderer Staaten, darunter Australien, Ägypten, Belgien, Niederlande, Nigeria und Südafrika, bemängelt denn auch das Fehlen von Kontrollbestimmungen im vorgelegten Entwurf und verweist darauf, dass es durchaus möglich ist, die Vertragseinhaltung zu überprüfen. Grundsätzlich könnten die bisherigen Kontrollerfahrungen der Internationalen Atomenergieorganisation IAEA auch für einen Produktionsstopp von Nuklearmaterial genutzt werden. Zumal ein Cutoff-Vertrag einen wirksamen Beitrag zur nuklearen Nichtverbreitung leisten könnte und auch außerhalb des Sperrvertrages stehende Staaten wie Israel, Indien und Pakistan einbeziehen würde.

Auf Kritik trifft ebenfalls, die Verweigerung der Nuklearmächte, ihre vorhandenen Bestände an Spaltmaterial zu Disposition zu stellen. Zurecht wird dies als Versuch gewertet, sich die Option zur Wiederverwendung in neuen Sprengköpfen offen zu halten. Jede Begrenzung, Erfassung und Verminderung des weltweit verstreuten Spaltmaterials aber hilft zu verhindern, dass es in falsche Hände gerät. Im letzten Jahrzehnt hat die IAEA mehr als 650 Fälle aufgelistet, in denen radioaktives Material auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurde, Tendenz steigend. Auch das Arsenal von immer noch über 27 000 Atomwaffen ist ein ständiger Gefahrenherd. Statt der dringend erforderlichen nuklearen Abrüstung jedoch, haben die Kernwaffenstaaten mit den USA an der Spitze gerade eine neue Runde atomarer Aufrüstung eingeläutet. "Unsere Sorge ist, dass der Iran in dieselbe Richtung wie Nordkorea geht", macht Rademaker deutlich, worauf es Washington mit seinem jetzigen diplomatischen Vorstoß vor allem ankommt: "Die Frage ist, gibt es im Iran nichtdeklariertes Nuklearmaterial? Darin besteht der Sinn der ganzen Sache."

Globale Vorräte an nuklearem Spaltmaterial (in Tonnen)

Material zivil militärisch
Plutonium 1.700 155
hochangereichertes Uran 175 1.725

Quelle: Bulletin of the Atomic Scientists

* Der Beitrag erschien - leicht gekürzt - in: Neues Deutschland, 20. Mai 2006 ("Mogelpackung aus Washington")


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