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Abrüstung mit START-Problemen

Die Außenminister Russlands und der USA treffen sich heute zu Abrüstungsverhandlungen

Von Wolfgang Kötter *

Der russische Außenminister Sergej Lawrow wird heute in Washington mit seiner USA-Amtskollegin Hillary Clinton versuchen, die Weichen für ein Nachfolgeabkommen für den im Dezember auslaufenden START-I-Vertrag über die Abrüstung strategischer Nuklearwaffen zu stellen.

Die Präsidenten beider Staaten hatten Anfang April vereinbart, bis Jahresende ein »neues, umfassendes und rechtlich verbindliches« Abrüstungsabkommen auszuhandeln, das »ein Rekordmaß an Reduzierung« beinhaltet und ein Schritt in Richtung atomwaffenfreie Welt darstellen soll. Auch wenn die Unterhändler Rose Gottemoeller und Anatoli Antonow ihre ersten Vorbereitungsgespräche am 24. April in Rom als »sehr produktiv« bezeichnet haben, bleiben erhebliche Interessenunterschiede bestehen. Grundsätzlich geht es um den Gesamtumfang der Reduzierungen, d.h. bis zu welcher Zahl von verbleibenden Atomwaffen jede Seite ihr Arsenal verringern kann, ohne die eigene Sicherheit gefährdet zu sehen. Jüngsten Angaben des Washingtoner State Departments zufolge verfügt Russland über 814 strategische Trägermittel mit 3909 nuklearen Gefechtsköpfen, während die USA 1198 Träger und 5576 Sprengköpfe besitzen.

Auf russischer Seite warnen die Skeptiker vor zu radikalen Einschnitten. Medien berichten von Höchstgrenzen unter 1500 oder sogar 1000 Nuklearsprengköpfen. Um eine Veränderung des militärischen Gleichgewichts zuungunsten Moskaus zu verhindern, fordert Präsident Dmitri Medwedjew »umfassende Vereinbarungen« und will die Liste der zu berücksichtigenden Waffensysteme erweitern. Russland sei bereit zu einer noch umfangreicheren Abrüstung als dem im Moskauer Vertrag von 2002 vereinbarten Minimallimit von 1700. Dies dürfe aber nicht nur eine Reduzierung der Zahl atomarer Sprengköpfe bedeuten. »Es muss auch um Interkontinentalraketen, um ballistische U-Boot-Raketen und schwere Kampfbomber gehen, die atomare Waffen transportieren können.« Abgerüstete Sprengköpfe dürften nicht wieder reaktivierbar sein, sondern müssten verschrottet werden.

Weiterhin will Moskau eine Stationierung strategischer Offensivwaffen außerhalb der nationalen Territorien ausschließen. Außerdem dürfe die Reduzierung der atomaren Sprengköpfe nicht durch strategische Systeme kompensiert werden, die mit hochmodernen konventionellen Waffen bestückt sind. Russische Militärexperten betonen, dass die USA dank der Entwicklung von Raketenabwehrsystemen und der beträchtlichen Überlegenheit bei den konventionellen Waffen und Streitkräften leichter auf atomare Sprengköpfe verzichten könnten und trotzdem militärisch überlegen blieben. Der Präsident der Akademie für Geopolitik, Generalleutnant a. D. Leonid Iwaschow, wittert in niedrigen Zahlen gar die schlaueste Falle der USA-Initiative. Damit wollten sie »mittels Verhandlungen die russischen Atomwaffen auf ein Minimum reduzieren, bis zu dem Niveau, das vom US-Raketenabwehrsystem neutralisiert werden kann«.

Moskaus »Gegenvision« strebt ein neues weltweites Sicherheitssystem von »Vancouver bis Wladiwostok« an. Russland ist ebenfalls bereit, sich am Aufbau einer globalen Raketenabwehr zu beteiligen. Dafür müssten die USA aber auf Alleingänge bei der Aufrüstung im Weltraum verzichten und kein Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien errichten. Aus Moskauer Sicht halten die USA jedoch an den geplanten Anlagen in Osteuropa fest, ja sie intensivierten die Arbeiten sogar. Russland bleibe deshalb weiter bei einer möglichen Stationierung von Iskander-Raketen in der Exklave Kaliningrad. Ein globales Raketenabwehr-System dürfe nicht nur den Interessen eines Staates oder einer Gruppe von Staaten dienen. Vielmehr sollten an Gesprächen darüber alle europäischen Staaten teilnehmen.

Unter den US-amerikanischen Militärs scheint die Vision einer atomwaffenfreien Welt in ganz weiter Ferne zu liegen. Das Pentagon erwähnt sie in seinem Entwurf für eine neue Nuklearstrategie der USA jedenfalls mit keinem Wort. Vielmehr geht die »Nuclear Posture Review« weiter von der nuklearen Abschreckung aus. Möglicherweise werde es eine Reduzierung des Atomarsenals geben. Grundlage sei aber die Beibehaltung eines sicheren Abschreckungspotenzials. Andererseits kündigte Obama an, in die Abrüstungsbemühungen »alle Arten von Nuklearwaffen einzubeziehen« -- also auch taktische Atombomben, von denen die USA noch bis zu 340 in Europa stationiert haben, darunter etwa 20 in Deutschland. Da diese keine sinnvolle militärische Funktion mehr erfüllen, scheinen sie durchaus verzichtbar. Für Russland hingegen sind taktische Kernwaffen das wichtigste Mittel, um die konventionelle Überlegenheit der NATO auszugleichen. Deshalb bleiben immer noch über 2000 atomare Gefechtsfeldwaffen einsatzbereit, während die USA ihre auf etwa 500 aktive Sprengköpfe abgerüstet haben.

Es sind also noch erhebliche Hürden zu überwinden bevor ein unterschriftsreicher Vertrag vorliegt, und ob bis zum nächsten Gipfeltreffen zwischen Obama und Medwedjew im Juli wesentliche Fortschritte zu berichten sein werden, ist nicht sicher. Zunächst werden beide Delegationen am 18. Mai in Moskau zu einer weiteren Verhandlungsrunde zusammentreffen. Immerhin deutete US-Verhandlungsführerin Gottemoeller Entgegenkommen in einigen Streitpunkten an und plädierte dafür, schwierigere auf später zu vertagen.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2009


Neuer START-Vertrag soll Kernsprengköpfe und deren Trägermittel begrenzen **

In einer neuen Variante des Vertrages über die Reduzierung der Offensivwaffen soll das Verbot für die Stationierung von Raketenkomplexen außerhalb der Hoheitsgebiete der Staaten erhalten bleiben, äußerte am Donnerstag Generaloberst Nikolai Solowzow, Befehlshaber der russischen strategischen Raketentruppen.

Ihm zufolge soll der Vertrag auch die Anzahl der strategischen Kernwaffenträger begrenzen.

„Die Aufnahme einer Begrenzung der Anzahl der strategischen Kernwaffenträger und nicht nur der Kernsprengköpfe in den neuen Vertrag und die Erhaltung des Verbots für die Stationierung von Offensivwaffen außerhalb der Hoheitsgebiete würden den Interessen unseres Landes entsprechen“, sagte Solowzow zu Journalisten.

Der Befehlshaber hält es für zweckmäßig, bei der Vorbereitung des neuen Vertrages die positiven Erfahrungen des START-1-Vertrages auszuwerten.

„Es ist wichtig, die terminologische Basis exakt zu fixieren und in vereinfachter Form die im START-1-Vertrag erprobten Mechanismen für die Inspektionskontrolle und den Informationsaustausch zu nutzen“, betonte der Generaloberst.

Er hob hervor, dass das Erlöschen des START-1-Vertrages ohne Erzielung neuer Vereinbarungen zweifellos das Regime der internationalen Kontrolle über strategische Kernwaffen unterminiere.

Der START-1-Vertrag war 1991 unterzeichnet worden. Er verpflichtet Washington und Moskau, die Anzahl der Kernsprengköpfe auf 6000 und deren Träger auf 1600 von jeder Seite zu reduzieren.

Der START-1-Vertrag läuft am 5. Dezember 2009 aus.

Es sind gegenseitige Inspektionen dort vorgesehen, wo Waffen gelagert und vernichtet werden.

Im Jahr 2002 wurde in Moskau ein Zusatzvertrag über die Reduzierung der strategischen Offensivpotentiale geschlossen, der die Anzahl der operativ entfalteten Kernsprengköpfe für jede Seite auf 1700-2200 begrenzt. Diese Eckdaten sollen bis Dezember 2012 erreicht werden. Dabei behalten die Seiten weiterhin das Recht, die Zusammensetzung und die Struktur der strategischen Offensivwaffen nach eigenem Ermessen zu bestimmen.

Russland und die USA besitzen 90 Prozent der Kernwaffenvorräte in der Welt.

In Moskau wird darauf verwiesen, dass es nach dem Ablauf des START-1-Vertrages im Dezember 2009 keine Mechanismen für die Kontrolle über das gesamte System der strategischen Kräfte geben werde.

Der START-1-Vertrag begrenzt nicht nur alle Kernsprengköpfe, sowohl die entfalteten als auch die gelagerten, sondern auch praktisch all ihre Trägermittel.

Die Präsidenten von Russland und den USA, Dmitri Medwedew und Barack Obama, beauftragten entsprechende Behörden, bis zum Juli, wo ein Treffen der beiden Präsidenten stattfinden soll, die Parameter eines neuen START-Vertrages vorzubereiten.

Zuvor hatte die US-Administration vorgeschlagen, die Anzahl der Kernsprengköpfe auf jeder Seite auf 1000 zu reduzieren.

Einige russische Experten äußerten die Meinung, dass ein solches Niveau unter Berücksichtigung der Ausarbeitung eines Raketenabwehrsystems in den USA die Sicherheit des Staates nicht gewährleisten würde.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 7. Mai 2009; http://de.rian.ru


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