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"Die Zukunft des Atomwaffensperrvertrages steht ernsthaft auf der Kippe!"

Pressemitteilung zum IPPNW-Jahrestreffen - Vortrag von John Pastore, Präsident der PSR/USA, über "Atomaren Terrorismus"

Vom 11. bis 13. März 2005 fand in Berlin die Jahrestagung der IPPNW statt. Im Folgenden dokumentieren wir die zum Abschluss der Tagung veröffentlichte Presseerklärung sowie das Referat von Dr. John Pastore (USA).



IPPNW-Presseinfo vom 13.3.2005

Atomwaffensperrvertrag steht auf der Kippe

IPPNW-Jahrestreffen in Berlin

13.3.05 - "Die Zukunft des Atomwaffensperrvertrages steht ernsthaft auf der Kippe!", so resümierte die neue IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen aus Bielefeld die Beiträge von Friedensforschern und Kampagnenvertretern auf dem diesjährigen IPPNW-Jahrestreffen. Aktuell sind der Öffentlichkeit besonders die Beispiele Iran und Nordkorea und hier die Frage haben oder wollen sie Atomwaffen oder nicht vor Augen. Die Konflikte in der internationalen Gemeinschaft beleuchten eindringlich die Grundwidersprüche des Atomwaffensperrvertrages (NPT).

"Viele Gründe können Staaten neben Terroristen dazu verleiten, nach Atomwaffen zu greifen. Dazu gehört die Weigerung der Atomwaffenmächte, den NPT-Auftrag zur Abrüstung ernst zu nehmen und der aktuelle Versuch der USA, das vor fünf Jahren beschlossene 13-Schritte-Programm zu Abrüstungsverhandlungen nicht nur zu streichen sondern seine Atomwaffen auch für den präemptiven Einsatz zu modernisieren. Besonders die vertraglich auf Dauer fortgeschriebene Teilung der Welt in Atomwaffen-Habende und Habenichtse bedeutet vor dem Hintergrund mangelnder Sicherheitsstrukturen in den kritischen Regionen dieser Welt einen ständigen Ansporn zur Nachrüstung und dem Erwerb von Atomwaffen", so Claußen weiter.

Die IPPNW wird im Jahr der 60. Wiederkehr der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki und bei den anstehenden Überprüfungsverhandlungen des NPT in New York mit all seinen Möglichkeiten einer Nichtregierungsorganisation politisch und öffentlich intervenieren. Für die IPPNW liegt die Lösung des Problems der Verbreitung von Atomwaffen nicht in der Fortsetzung diskriminierender Politik oder im einseitigen illegalen Präventiveinsatz, sondern in der Überwindung der Doppelmoral, der Einhaltung von Verträgen und der Respektierung internationalen Rechts.

Die Mitgliederversammlung wählte in den auf zwei Jahre amtierenden Vorstand Dr. Angelika Claußen (Vorsitz), Dr. Winfrid Eisenberg aus Herford (Stellvertreter), Christoph Krämer aus Helmstedt (Beisitzer) und Matthias Jochheim aus Frankfurt/Main (Schatzmeister). Neu in den Vorstand wurden Professor Peter Riedesser, Kinder- und Jugendpsychiater aus Hamburg, Ibrahim Lada'a aus Bad Lippspringe und die Medizinstudierenden Okka Kimmich und Stephan Hohmann aus Berlin gewählt.

Pressekontakt:
Dr. Jens-Peter Steffen, e-mail: ippnw@ippnw.de


Atomarer Terrorismus

Von John Pastore, Präsident der PSR/USA

Mit den Verbesserungen der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten, Russland und China ist im vergangenen Jahrzehnt das Risiko eines beabsichtigten Atomkrieges zwischen den Atomwaffenstaaten etwas zurück gegangen, wenngleich ein Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan nicht undenkbar ist, noch ist es die Möglichkeit, dass Israel seine nukleare "Option" nutzt, wenn es seine Existenz unter ernsthaftem Beschuss sieht.

IPPNW und PSR haben neben anderen nichtstaatlichen Organisationen die Aufmerksamkeit auf das Risiko eines versehentlichen oder unbeabsichtigten Atomkrieges und auf die Rolle gelenkt, die die menschliche Fehlbarkeit und Fehlkalkulation in solch einer Katastrophe spielen würde.

Dennoch gibt es jetzt viele, die fest daran glauben, dass das wahrscheinlichste Szenario, in dem Atomwaffen oder -material mit der Absicht verwendet werden, Unheil und Verwüstung zu schaffen, durch die Aktionen von Terroristen verursacht werden wird. Terrorismus wird hier definiert als ein massiver Angriff auf eine nicht kämpfende Bevölkerung, um ein politisches Ziel zu erreichen. Für Bürger meines Landes und für viele andere anderswo ist die Verwendung eines kommerziellen Flugzeugs zum Zweck der Tötung von Tausenden von Arbeitern in den Gebäuden des World Trade Center und im Pentagon am 11. September 2001 der Prototyp eines so definierten Terrorismus. Aber es gibt in der Tat vieles andere Beispiele, einige wurden sowohl durch die Vereinigten Staaten und Russland, als auch in diesen Ländern verübt.

Graham Allison, der Gründungsdekan der John F. Kennedy School of Government und ein hervorragender Professor of Government an der Harvard University hat ein wichtiges Buch mit dem Titel Nuclear Terrorism (Atomarer Terrorismus) veröffentlicht (am 9. August 2004 --- also dem Nagasaki-Tag). In dem Buch schätzt Professor Allison die Chancen, dass es in den nächsten 10 Jahren irgendwo in den Vereinigten Staaten zu einer atomaren Terrorismusattacke kommen wird, als wahrscheinlicher ein, als dass keine stattfinden wird, wenn die derzeitige US-Politik weiter verfolgt wird. Wahrscheinlich werden die Vereinigten Staaten auch nicht das einzige Ziel eines solchen Angriffs sein, da einige offensichtliche Verbündete (Großbritannien und Israel) und einige der üblichen Verbündeten (einschließlich Australien und Saudiarabien) die Politik, durch welche solche Gruppierungen wie Al Kaida und Hisbollah, die Terrorismus anwenden und diesen gut beherrschen, aufgebracht worden sind, mehr oder weniger unterstützen oder zumindest nicht energisch dagegen opponieren. Auch Deutschland, in dem sich Militärhospitäler der USA befinden, könnte ein Ziel sein.

Es ist hier nicht das Ziel, die Wurzeln und Ursachen des radikalen Fundamentalismus, die zum Terrorismus führen oder, genau gesagt, zu einem Angriff des atomaren Terrorismus auf die Vereinigten Staaten, Deutschland oder anderswo führen könnten. Stattdessen möchte ich Graham Allisons Versuch, das Risiko zu definieren und was wir tun können, um es zu verringern oder zu beseitigen, wiedergeben. Wie es auch der IPPNW während unserer 25-jährigen Geschichte getan hat, betont Professor Allison die Prävention.

Das Problem

Es gibt drei Wege, auf denen eine raffinierte und kapitalkräftige Terroristengruppe die Mittel beschaffen könnte, um einen Akt atomaren Terrorismus zu begehen: Beschaffung einer bereits hergestellten Atomwaffe, Besorgung von ausreichend waffenfähigem Uran oder Plutonium, um eine Atomwaffe herzustellen, oder Herstellung einer "schmutzigen Bombe". Eine schmutzige Bombe ist eine konventionelle explosive Bombe, die etwas radioaktives Material enthält; die Explosion ist keine nukleare Kettenreaktion, sondern die Strahlung wird als Verseuchungsstoff freigesetzt.

Da die hauptsächlichen Atomwaffenstaaten bei der Reduzierung ihrer Arsenale schwerfällig sind, gibt es trotz glaubwürdiger Gründe, an solchen Zahlen festzuhalten, noch immer Zehntausende von Atomwaffen in der Welt. Es ist wahrscheinlich unvermeidbar (und ist mehr als einmal Handlung eines Hollywood-Films gewesen), dass eine oder mehr gestohlen werden, aber soweit wir wissen, ist es noch nicht geschehen. Trotz Versicherungen von Russland haben viele Beobachter über die scheinbar laxen Sicherheitskontrollen an verschiedenen Lagerorten der ehemaligen Sowjetunion geklagt, um die am häufigsten zitierte Schwäche in der Sicherheitskette anzugeben. Die Unsicherheiten bezüglich der Größen der Arsenale in solchen Ländern wie Pakistan, Indien und Israel, um nur einige zu nennen, verstärken die Sorge um das letztendliche Verschwinden von einer oder mehr vollständig fertigen Atombomben in nichtstaatliche Hände. Hinzu kommt die Tatsache, dass sogar in den Vereinigten Staaten nach dem 9.11. nur ein sehr kleiner Teil der Seecontainer oder Luftfrachtbehälter, die in unser Land kommen, genau genug untersucht werden, um zu verhindern, dass eine Atomwaffe in die Vereinigten Staaten kommt. Und am größten Teil unserer Grenze, sowohl auf dem Land als auch auf dem Meer, gibt es keine Patrouillen.

Ein noch einfacheres Szenario für den engagierten Terroristen wäre es, eine ausreichende Menge stark angereicherten Urans (HEU) oder aufbereiteten Plutoniums für die Herstellung einer Waffe zu stehlen oder zu kaufen, z. B. mit einer Sprengkraft von 10 Kilotonnen. Dies liegt im Bereich der Atomwaffen von Hiroshima und Nagasaki. Die Technologie und Fähigkeit, HEU oder waffenfähiges Plutonium herzustellen, sind für die nichtstaatlichen Organisationen schwierig, aber wenn diese Materialien erst einmal beschafft worden sind (gekauft oder gestohlen), ist die Herstellung der Bombe relativ einfach. Tatsächlich sind detaillierte Anweisungen dafür in der Fachliteratur verfügbar. Ein Absolvent der Princeton University hat seine Doktorarbeit darüber geschrieben, und die Regierung der USA hat seine Doktorarbeit zu einem geheimen und Verschlussdokument erklärt!

Der berühmt-berüchtigte und jetzt in Ungnade gefallene Dr. Khan, Vater der pakistanischen Atombombe, hat bekannt, Entwürfe, Zentrifugen und seine Beratungsleistungen in anderen Ländern zu seinem persönlichen Profit verkauft zu haben. Und das Nunn-Lugar-Programm, durch welches die Vereinigten Staaten die Sicherung von waffenfähigem Material in Russland fördern, leidet unter unzulänglicher finanzieller Unterstützung durch die USA, wobei das Enddatum für die Fertigstellung mit mehr als 10 Jahren in weiter Ferne liegt.

Was eine “schmutzige Bombe" angeht, so ist dies das wahrscheinlichste, jedoch das am wenigsten schädigende Szenario, es erfordert viel weniger spaltbares Material, fügt zwar nicht so viel physischen Schaden zu, schafft dafür aber trotzdem weitverbreitete Panik. Eine strategisch platzierte konventionelle Bombe mit einer eingebauten Strahlenkomponente könnte eine Großstadt der Welt zum Stillstand bringen und sogar deren Evakuierung für längere Zeit erzwingen. Viele Experten sind überrascht, dass die Terroristen eine solche Waffe bisher noch nicht haben hochgehen lassen. Es ist nicht so schwierig, dies zu tun.

Die Lösung

Um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass bereits hergestellte Atomwaffen und/oder spaltbares Material von radikalen Gruppierungen, die darauf aus sind, terroristische Akte zu verüben, gestohlen und angewendet werden, sind mehrere Schritte zwingend erforderlich:
  • Als Auftakt für eine viel energischere, zahlenmäßige Verringerung als sie trotz der Beendigung des kalten Krieges erreicht wurde, sollten die etablierten Atomwaffenstaaten auf den Besitz von Atomwaffen und die Absicht, ihre eigenen Atomwaffen anzuwenden, verzichten.
  • Es muss eine internationale Festlegung zur Sicherung der Lager der vorhandenen Atomwaffen geben, insbesondere in Russland. Wie Graham Allison betont, büßen die Vereinigten Staaten kein Gold aus Fort Knox und Russland keine wertvollen Kunstwerke aus seinem Arsenal ein. Wir haben die Technologie zur Sicherung dieser Waffen, Willen jedoch noch nicht.
  • Diejenigen, die Atomwaffen an Nicht-Atomwaffenstaaten oder Nicht-Regierungsparteien verkaufen oder weitergeben, müssen als nationale und internationale Verbrecher behandelt werden (Dr. Khan aus Pakistan fiel bei seiner Regierung in Ungnade, wurde jedoch nicht wesentlich bestraft).
  • Alle Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrages sind einzuhalten, wozu nicht nur das Einfrieren der Mitgliedschaft im Atomwaffenklub gehört, sondern auch der Verpflichtung, ernsthaft auf die Abschaffung aller Atomwaffen hinzuarbeiten.
  • Es darf kein neues spaltbares Material mehr hergestellt werden. Es gibt keine friedliche Nutzung für hochangereichertes Uran oder aufbereitetes Plutonium und damit keine brauchbare Entschuldigung für deren Besitz.
  • Keine neuen, im Entstehen begriffene, Atomwaffen (z.B. die von Bush und Rumsfeld bevorzugten robusten erddurchdringenden Waffen, RNEP, oder "Bunkerknacker")
  • Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA muss bei ihrer Bemühung unterstützt und ermutigt werden, dafür zu sorgen, dass es nicht gestattet ist, in Kernkraftwerken Uran anzureichern oder Plutonium aufzubereiten, das bei der Herstellung von Atomwaffen verwendet werden könnte. Die Atomwaffen-Staaten, insbesondere die Vereinigten Staaten und Russland, sollten ihre Inspektionsfunktion begrüßen und nicht unterhöhlen.
  • Zollhäfen bzw. Zollflughäfen sollten schärfer gesichert sein, da es derzeit relative leicht wäre, eine Atomwaffe oder spaltbares Material versteckt in einem Seecontainer oder einem Flugzeugfrachtraum einzuschmuggeln, von denen weder der eine noch der andere gegenwärtig mehr als gelegentlichen Durchsuchungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Das wird beispielsweise zwischen den Vereinigten Staaten, Russland und Deutschland ein hohes Maß an internationaler Zusammenarbeit und den Austausch von Geheimdienstinformationen erfordern.
  • Auf die gleiche Weise muss sich die internationale Gemeinschaft zusammenschließen, um stark abschreckend wirkende Maßnahmen, insbesondere wirtschaftlicher Art, für ein Verbot des Exports von Atomwaffentechnologie sowie von Material für deren Herstellung vorzusehen. Das kann schwierig sein, wie das Beispiel Pakistan gezeigt hat, aber der internationale Handel mit dieser Technologie muss unterbunden werden.
  • Staaten, welche Atomwaffenfähigkeit erlangen wollen oder die dazu in der Lage sind (Iran) und denjenigen, die wahrscheinlich bereits teilweise eine solche haben aber mehr wollen (Nordkorea), sollten nicht nur Anreize zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit angeboten werden (Iran von Frankreich, Deutschland und Russland --- Nordkorea von den Vereinigten Staaten, Südkorea und China) sondern auch Sicherheiten gegen einen seitens der Vereinigten Staaten erzwungenen “Regimewechsel”.
Der IPPNW muss letztendlich seine äußerst wichtige Arbeit fortsetzen bei der Bekämpfung der Auffassung, dass Atomwaffen eine Rolle in Außenpolitik oder Militärstrategie spielen. Wir müssen unsere Bemühungen verdoppeln, um den Dialog mit den härtesten Fällen zu verbessern, und Nordkorea ist ein typisches Beispiel. Aber am allermeisten müssen wir die Führer der Welt der Auffassung berauben, dass das, was die Medizin für diese Situation anbieten kann, ein Heilmittel ist, sobald der grobe Fehler begangen wurde. Es handelt sich um Prävention.

In Bezug auf Nordkorea hat der IPPNW eine enorme potenzielle Rolle zu spielen, da wir zu den sehr wenigen Organisationen gehören, denen es gestattet worden ist, mit unseren Pendants in diesem geschlossenen Land zu kommunizieren. Ich nehme insbesondere die Bemühungen dieses tatkräftigen und erfahrenen deutschen Partners in Anspruch, da die Nordkoreaner zur Zeit keine Amerikaner, nicht einmal amerikanische Ärzte, die sie persönlich mögen, einladen dorthin zurückzukommen. Die ärztlichen Nachrichtenverbindungen müssen aufrechterhalten bleiben und ich komme deshalb nach Deutschland, weil ich Sie bitten möchte, genau dabei eine wesentliche Rolle zu spielen.

* Dr. John O. Pastore, Vorsitzender, Physicians for Social Responsibility ("Ärzte für soziale Verantwortung")/USA

Quelle: Homepage der IPPNW, www.ippnw.de



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