Teststoppvertrag noch immer nicht in Kraft
Barack Obama will umfassendes Versuchsverbot endlich ratifizieren
Von Wolfgang Kötter *
In deutlicher Abkehr von seinem Vorgänger George W. Bush will sich USA-Präsident Barack Obama für eine Ratifizierung des noch immer nicht in Kraft getretenen Atomteststopp-Vertrages (CTBT) einsetzen und dafür den Senat in Washington gewinnen. Das Atomwaffenzeitalter begann heute vor 64 Jahren, als die USA am 16. Juli 1945 im Bundesstaat New Mexico ihren ersten nuklearen Sprengsatz »Trinity« zündeten. Bis heute wurden weltweit 2178 Atomtests durchgeführt.
Für die Bewohner der betroffenen Testgebiete bedeuteten die Atomversuche oftmals den Strahlentod oder bis heute andauernde Schmerzen und Gesundheitsschäden. Viele Menschen erkrankten an Schilddrüsenkrebs und Leukämie. Sie leiden an genetischen Schäden, Erbkrankheiten und Schwächungen der Immunsysteme. Die Testgebiete sind für Jahrzehnte radioaktiv verseucht. So kann die Pazifikinsel Bikini, Stätte zahlreicher US-amerikanischer Nukleartests, nach wissenschaftlichen Prognosen möglicherweise erst 2040 wieder bewohnt werden. Die französische Regierung leugnete jahrzehntelang jegliche gesundheitliche Schädigung durch die Nukleartests. Erst in diesem Jahr legte sie einen Gesetzentwurf für die Entschädigung der Strahlenopfer vor, und auch dies nur für französische Militärangehörige und Zivilpersonen. Ausgeschlossen bleiben die Einheimischen, die während der Tests in der Sahara und in Polynesien lebten.
Auch auf anderen Testgebieten kam es zu verheerenden Folgen. Beispielsweise ist die Krebsrate unter der Bevölkerung im Gebiet um das kasachische Semipalatinsk, dem Hauptversuchsgelände der Sowjetunion, 300 bis 400 Mal größer als anderswo.
Meldungen über gefährliche Folgen atmosphärischer Atomwaffenversuche alarmierten bereits in den 50er Jahren nicht nur die Bevölkerung in den betroffenen Ländern. Wissenschaftler äußerten ihre Besorgnis über die genetischen Langzeitfolgen und die klimatischen Auswirkungen erhöhter Radioaktivität. Der weltweiten Bewegung gegen Atomwaffen konnten sich auf Dauer auch die Regierungen nicht entziehen. Am 5. August 1963 unterzeichneten USA-Außenminister Dean Rusk, sein britischer Kollege Lord Home und Gastgeber Andrej Gromyko in Moskau den Teilteststoppvertrag, der Kernwaffenversuche über der Erde, im Weltraum und unter Wasser verbietet.
Mehr als drei weitere Jahrzehnte sollte es jedoch dauern, bis 1996 ein umfassender Teststoppvertrag auf dem Tisch lag. Bis heute haben ihn 181 Staaten unterschrieben, 148 sogar ratifiziert. Dennoch ist das Abkommen bisher nicht rechtswirksam, weil noch neun der 44 Staaten fehlen, die prinzipiell über das Know-how zum Bau von Kernwaffen verfügen und deren Plazet Voraussetzung für das Inkrafttreten ist. Trotzdem arbeitet in Wien die künftige Kontrollorganisation »Comprehensive Test Ban Organization« (CTBTO) bereits auf Hochtouren. Unter Leitung von Tibor Tóth aus Ungarn errichten rund 250 Mitarbeiter ein Netzwerk von insgesamt 337 Beobachtungsposten, das den gesamten Erdball abdeckt. Rund zwei Drittel der Beobachtungsstationen arbeiten bereits.
Kontrollexperiment in Kasachstan
Ein bisher einmaliges Feldexperiment fand im vergangenen Jahr auf dem ehemaligen Testgelände Semipalatinsk in Kasachstan statt: An einem Sommertag im August registrierten die CTBTO-Seismographen Wellen ominöser Erderschütterungen der Stärke 4 auf der nach oben offenen Richterskala, begleitet von der Freisetzung des radioaktiven Cäsium 137 im fiktiven Staat »Arcania«. Dessen Regierung erklärte sie mit natürlichen Erdbeben, doch Nachbarstaat »Fiducia« vermutete einen heimlichen Atomwaffenversuch und verlangte von der Kontrollorganisation eine Untersuchung. Gemeinsam mit 48 Kollegen reiste Oberinspektor Wang Jun Anfang September nach Zentralasien. Unterstützt von rund 160 Helfern und ausgerüstet mit 50 Tonnen Hightech-Gerätschaften, durchkämmten sie ein Gebiet von rund 1000 Quadratkilometern nach vermeintlichen Spuren einer unterirdischen Nuklearexplosion. Drei Wochen lang verfuhren die internationalen Kontrolleure buchstabengetreu nach dem speziell ausgehandelten Handbuch für Inspektionen. Am Ende erwies sich die Unschuld des Verdächtigen, aber trotz widriger Wetterbedingungen, unerwarteter technischer Herausforderungen und teilweiser Kooperationsverweigerung der »einheimischen Behörden« bewährten sich Akteure, Technik und Prozeduren des internationalen Kontrollverfahrens.
Lundborg glaubt an Dominoeffekt
Es könnte sein, dass sich das lange Warten und die bisherigen Bemühungen doch noch auszahlen. Anfang April verkündete USA-Präsident Obama: »Um ein globales Verbot für Atomtests durchzusetzen, wird meine Regierung sofort und offensiv die Ratifizierung des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen seitens der Vereinigten Staaten verfolgen.« Die nach den Wahlen gewachsene demokratische Mehrheit im Senat sollte es erleichtern, diesmal die erforderlichen Unterstützer zu gewinnen. Vor zehn Jahren fehlten 19 Stimmen.
Vizepräsident Joseph Biden leitet die Lobbyarbeit für den Teststopp im Kongress. Da aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit von 67 Stimmen erforderlich ist, muss nicht nur das Weiße Haus daran arbeiten, die Senatoren zu überzeugen. Auch internationale Initiativen und gehöriger Druck aus der Bevölkerung werden vonnöten sein. Die Anstrengungen würden sich lohnen. »Wenn die USA ratifizieren, wird China folgen«, glaubt der Vorsitzende der CTBTO-Vorbereitungskommission, der Schwede Hans Lundborg, »und nach China eine ganze Anzahl weiterer Staaten.«
Die Frage bleibt, ob dieser Dominoeffekt tatsächlich eintreten wird.
Die Verweigerer
Bisher haben 181 Staaten den Teststoppvertrag unterzeichnet, 148 haben ihn ratifiziert. Rechtswirksam wird er aber erst, wenn alle 44 Staaten mit prinzipieller Nuklearkapazität ihr Plazet gegeben haben. Neun fehlen noch. Das sind die Kernwaffenstaaten China, USA, Israel, Indien, KDVR und Pakistan, außerdem Ägypten, Indonesien und Iran.
Bisherige Kernwaffenversuche
Staat | Anzahl | Testgebiete |
USA | 1.146 | New Mexico, Südpazifik, später Wüste von Nevada |
UdSSR/Russland | 715 | Nowaja Semlja, Semipalatinsk |
Frankreich | 215 | Sahara, später Polynesien (Moruroa und Fangataufa) |
China | 45 | Wüste Lop Nor |
Großbritannien | 44 | Südpazifik, später Wüste von Nevada |
Pakistan | 6 | Chagai-Berge in Balutschistan |
Indien | 5 | Thar-Wüste von Rajasthan |
KDVR | 2 | Hwaderi, nahe Kilju in der nordöstlichen Provinz Hamkyong |
Gesamt | 2.177 | - |
Quellen: Arms Control Association, Bulletin of the Atomic Scientists
* Aus: Neues Deutschland, 16. Juli 2009
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