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"Love-in" für den Frieden

Proteste gegen die Modernisierung der britischen Atomwaffen

Von Wolfgang Kötter *

Sie treffen sich um 10 Uhr vor dem Nord-Tor zum "Love-in for Peace". Am heutigen Valentinstag, dem Tag der Liebenden, blockieren die "Rentner für den Frieden" den Marinestützpunkt Royal Navy's Faslane in Schottland, wo die Atom-U-Boote stationiert sind. Mit der Losung: "Für Eure Kinder und Kindeskinder: Nein zu Trident!", protestieren sie gegen die geplante Umrüstung der britischen Atomwaffen.

Rund 25 Mrd. Pfund (etwa 37 Mrd. Euro) will die Regierung ausgeben, um die gegenwärtige Nuklearstreitmacht Großbritanniens zu modernisieren. Die vier mit je 16 atomaren Trident-D5-Raketen ausgerüsteten U-Boote - "Vanguard", "Victorious", "Vigilant" und "Vengeance" - sollen im Verlaufe der kommenden zwei Jahrzehnte durch eine neue Generation ersetzt werden. Um die bittere Pille zu versüßen, versprach Premierminister Tony Blair zwar, es würden nur 3 neue U-Boote gebaut und gleichzeitig die Anzahl der Raketen verringert sowie die atomaren Sprengköpfe von jetzt 200 auf unter 160 gesenkt werden. Aber das ist nur "eine hohle Geste", meint die rüstungskritische Organisation Federation of American Scientists, denn die Reduzierungen seien aus Kapazitätsgründen sowieso vorgesehen.

Die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern richtet sich ohnehin grundsätzlicher auf den Sinn neuer Atomwaffen, nachdem mit dem Ost-West-Konflikt die ursprünglichen Gegner abhanden gekommen sind. Die Protestierenden weisen darauf hin, dass die Instandhaltung des britischen Atomwaffenarsenals immense Ressourcen verschlingt, die zum Beispiel der medizinischen Versorgung oder der Bekämpfung von Kinderarmut im Land fehlen. "Es gibt keine juristische oder ethische Begründung, warum Großbritannien seine Atomwaffen behalten und modernisieren sollte", meint die Allgemeinmedizinerin Dr. Diana Warner von Medact, der britischen Sektion der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW). Aber es stellen sich auch noch weitere Fragen: Würden die Aufrüstungsmaßnahmen nicht gegen die rechtlichen Verpflichtungen aus dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag verstoßen? Und welche Auswirkungen hätte dieses schlechte Beispiel auf andere nukleare Möchtegerne.

Die Regierung offeriert ihren Kurs als eine "ultimative Versicherungspolice" in einer unsicheren Welt. Angesichts des Entstehens weiterer Atommächte, der Gefahren von Terroristen und der sie unterstützenden "Schurkenstaaten" brauche das Land eine zuverlässige nukleare Abschreckung. Die neuen Atomraketen ständen nicht nur für massive Vergeltungsschläge zur Verfügung, sondern könnten auch für "hochpräzise" Einsätze genutzt werden. Doch vor derartigen Anwendungsspekulationen warnen ausdrücklich jüngste Forschungsergebnisse der University of Colorado. Allein 50 der vorhandenen 27 000 Kernwaffen könnten bis zu Zweihundert Millionen Menschen töten. Bereits ein begrenzter Atomkrieg würde der Studie zufolge eine weltweite Klimakatastrophe auslösen. Neben Millionen Toten werde es zu einem Temperatursturz kommen, der Ernten zerstören und Hungersnöte auslösen könnte. Als weitere Folge werde die vor UV-Strahlung schützende Ozonschicht in der Stratosphäre um mehr als 20 Prozent schrumpfen. Jeder Atomwaffenangriff, so warnen die Wissenschaftler, bedeute folglich ein unkalkulierbares Risiko, und auch das Land des Angreifers bliebe nicht von den Folgen verschont. In ihrem Bericht "Britain’s New Nuclear Weapons" beschreibt Medact detailliert die lokalen und globalen Auswirkungen einer Mini-Nuke-Detonation mit bis zu einer Kilotonne Sprengkraft. Die Wissenschaftler widerlegen den Mythos, dass solche Waffensysteme zwischen Militär und Zivilisten unterscheiden und “chirurgisch” eingesetzt werden können. Das bedeutet, dass auch Atomwaffen mit verringerter Sprengkraft unterschiedslos töten und daher das humanitäre Völkerrecht verletzen. Das Vorhaben verstößt ebenfalls gegen die im Atomwaffensperrvertrag eingegangene Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung, die der Internationalen Gerichtshof in Den Haag ausdrücklich bekräftigt hat. Die renommierten Völkerrechtsexperten Christine Chinkin und Rabinder Singh sehen in einer etwaigen Ablösung der Trident einen materieller Bruch - also eine schwerwiegende Verletzung - des entsprechenden Artikels VI im Vertrag. Nach Meinung von Hans Blix, dem Vorsitzenden der internationalen Expertenkommission zu Massenvernichtungswaffen, raubt die atomare Modernisierung Großbritannien darüber hinaus jede moralische Integrität, um andere Nationen davon abzuhalten, selbst Nuklearmacht zu werden.

Unter den Labour-Abgeordneten gibt es erheblichen Widerstand, denn traditionell trat die Partei bis zur Regierungsübernahme 1997 für nukleare Abrüstung ein. Über vierzig Parlamentarier haben bereits einen Redeantrag für die im März geplante Unterhausdebatte zu Trident eingereicht, und selbst drei Minister - Außenministerin Margaret Beckett, Nordirlandminister Peter Hain und Entwicklungsminister Hillary Benn - stehen der geplanten Nachrüstung eher skeptisch gegenüber. Auch die Gewerkschaften und viele Nichtregierungsorganisationen setzen sich für ein Ausscheiden Großbritanniens aus dem Klub der Atommächte ein. Die Kritiker argwöhnen, Blair treibe das Projekt so hastig voran, um sein "nukleares Erbe" in Sack und Tüten zu kriegen, damit er es demnächst beim Auszug aus 10 Downing Street seinem designierten Nachfolger Gordon Brown vermachen kann. Dieser hat sich trotz der Proteste bereits öffentlich dazu bekannt.

Wahrscheinlich wird die Mehrheit der Parlamentarier letztlich zugunsten der Regierungspläne votieren. Für die Labour-Abgeordneten hat ihr Chef Jack Straw bereits Fraktionszwang ausgerufen und die oppositionellen Konservativen wie auch die Liberaldemokraten bemängeln zwar die Eile, signalisieren aber grundsätzliche Zustimmung. Nachhaltiger Widerstand gegen die geplante atomare Aufrüstung regt sich aber außerhalb des Parlaments. Bereits im vergangen September marschierten Zehntausende vor der Jahreskonferenz der Labour Party in Manchester und forderten die Verschrottung der Trident. Immer häufiger finden Aktionen statt, so außer in Faslane auch in Südengland vor der nuklearen Waffenschmiede Aldermaston, die die geplanten Sprengköpfe entwickeln soll.

Großbritanniens Kernwaffenarsenal 2007

TrägermittelAnzahlBeginn der
Stationierung
Reichweite (km) Explosionskraft
je Sprengkopf
(kt TNT)
Zahl der
Sprengköpfe
Trident-
Raketen auf
Atom-U-Booten
64 1993 - 1999 6.500 - 12.000 100 200

Quelle: SIPRI

Faslane 365!

"Faslane 356!" ist eine friedliche und gewaltfreie Dauerblockade der Trident-Atomwaffen-Basis Royal Navy's Faslane in Schottland, 45 km nordwestlich von Glasgow. Sie wurde am 1. Oktober 2006 gestartet und dauert bis Ende September diesen Jahres. Friedensgruppen aus England, Schottland, Wales und dem kontinentalen Europa blockieren den U-Boot-Stützpunkt abwechselnd für jeweils 48 Stunden, um öffentlich Druck für konkrete Schritte hin zur nuklearen Abrüstung auszuüben. Bisher beteiligten sich über 50 verschiedene Gruppen mit jeweils mindestens 100 Personen an Aktionen, die an rund 80 Tagen den Betrieb der Basis störten. Mehr als 500 mal wurden Aktivisten vorübergehend verhaftet und sieben von ihnen bisher angeklagt. Am 28. März will sich erstmals auch eine Gruppe aus Deutschland beteiligen und für zwei Tage den Atomwaffenstützpunkt blockieren. http://www.faslane365.org/de



* Der Text erschien gekürzt am 14. Februar 2007 im "Neuen Deutschland"


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