Für eine Welt ohne Atomwaffen / A World Free of Nuclear Weapons
Vier ehemalige hochrangige US-Politiker für die Abschaffung der Atomwaffen / Four former US officials call for the abolition of nuclear weapons
Am 4. Januar 2007 veröffentlichten vier prominente US-Politiker aus der Ära des Kalten Kriegs im konservativen "Wall Street Journal" einen Appell, der die Welt doch sehr aufhorchen ließ: Die vier "elder Statesmen" plädieren für eine Welt ohne Atomwaffen ("A World Free of Nuclear Weapons") und schlagen den USA vor, in diesem Bestreben eine Vorreiterrolle zu spielen. Das Quartett der einsichtig gewordenen früheren Politiker setzt sich aus keinen geringeren zusammen wie:-
George Shultz, US-Außenminister von 1982 bis 1989,
-
William Perry, US-Verteidigungsminister von 1994 bis 1997,
-
Henry Kissinger, US-Außenminister von 1973 bis 1977, und
Sam Nunn, Vorsitzender des US-Senatsausschusses zur parlamentarischen Kontrolle des US-Verteidigungsministeriums ("Committee on Armed Services") von 1987 bis 1995.
Im Folgenden dokumentieren wir hierzu-
die Kernaussagen im Artikel der vier ehemaligen US-Politiker in einer deutschen Zusammenfassung,
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ein paar Auszüge aus dem Artikel von Shultz, Perry, Kissinger und Nunn (im Kasten) und
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einen kommentierenden Artikel der Friedensforschers David Krieger.
Die USA müssen sich an die Spitze der Bewegung für eine Welt ohne Atomwaffen setzen
Shultz, Perry, Kissinger und Nunn führen Revolutionäres im Schilde - Zusammenfassung der Kerngedanken der prominenten Ex-Politiker
Mit dem Ende des Kalten Krieges wurde die seiner Zeit sinnvolle Doktrin der gegenseitigen atomaren Abschreckung obsolet. Zwar bleibt Abschreckung eine wichtige Überlegung für einzelne Staaten, die sich von anderen Staaten bedroht fühlen, aber das Vertrauen in Atomwaffen verliert immer mehr an Überzeugungskraft und wird zunehmend riskanter. Der Kernwaffentest Nordkoreas im letzten Jahr habe vor Augen geführt, dass die Welt am Abgrund eines neuen und gefährlichen Atomzeitalters stehe. Insbesondere stehen nicht-staatliche terroristische Gruppen mit Nuklearwaffen ohnehin außerhalb der Reichweite einer Strategie, die auf Abschreckung beruht.
Aber auch unabhängig von der terroristischen Bedrohung werden die USA in ein neues Nuklearzeitalter eintreten, das prekärer, psychologisch desorientierend und kostspieliger sein wird als während des Kalten Kriegs. Es sei so gut wie ausgeschlossen, dass wir die sowjetisch-amerikanische "mutually assured destruction" (die wechselseitige Vernichtungsdrohung) heute erfolgreich wiederholen könnten angesichts einer wachsenden Zahl potenzieller gegnerischer Atommächte in der Welt und der gestiegenen Gefahr, dass Atomwaffen auch wirklich eingesetzt werden. Außerdem verfügen die neuen Atommächte nicht über die in langen Jahren während des Ost-Westkonflikts aufgebauten Schutz- und Überprüfungsmechanismen, die Unfälle, Lagefehlbeurteilungen und nicht autorisierte Raketenstarts nahezu ausgeschlossen hatten. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob die wachsende Zahl neuer Nuklearstaaten in den nächsten 50 Jahren genauso erfolgreich sein würden wie die beiden Supermächte in den 50 Jahren des Kalten Kriegs.
Der Nichtverbreitungsvertrag (oder auch: Atomwaffensperrvertrag, engl.: Non-Proliferation Treaty-NPT), der 1970 in Kraft trat, strebte im Grunde genommen das Ende aller Nuklearwaffen an. Er legte fest, dass alle Staaten, die über keine Atomwaffen verfügen, deren Besitz auch nicht anstreben, und er verlangte von den Atomwaffen besitzenden Staaten, dass sie sich mit der zeit dieser Waffen entledigten. Obwohl alle US-Präsidenten seit Richard Nixon diese Verpflichtung aus dem NPT bekräftigt haben, wuchsen bei den Nichtkernwaffenstaaten die Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Nuklearmächte, ihre Atomwaffenpotentiale wirklich abzubauen. Insofern sei es sehr wichtig, alle Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft zur Einhaltung des NPT zu unterstützen. Auch die Verhandlungen mit Nordkorea und mit Iran müssen energisch weiter verfolgt werden.
Gorbatschow und Reagan haben mit ihren Vereinbarungen von Reykjavik 1987 erst einen kleinen Beitrag zur Abschaffung einer ganz bestimmten Gattung von Atomwaffen geleistet (es ging damals um dien Abbau der erst kurz zuvor dislozierten Mittelstreckenraketen auf beiden Seiten). Im Auge hatten sie aber nach Meinung der vier Autoren die Abschaffung aller Atomwaffen. Diese Vision schockierte damals die Anhänger der Abschreckungsdoktrin, gab aber der Hoffnung der Menschen in aller Welt großen Auftrieb.
Die USA müssen sich an die Spitze der Bewegung für eine Welt ohne Atomwaffen setzen. Dieses Ziel muss zu einer gemeinsamen Aufgabe aller Atommächte werden. So könnte dann auch erreicht werden, dass die Gefahr atomar gerüsteter Staaten wie Nordkorea und Iran vermieden werden kann. Vorgeschlagen wird eine Reihe von konkreten Schritten:
-
Änderung der Einstellung der stationierten Atomwaffen, um die Vorwarnzeiten zu erhöhen und dadurch das Risko eines Unfalls oder eines ungewollten Gebrauchs einer Atomwaffe zu verringern,
-
drastische Verringerung des Umgangs der Atomwaffen in allen Staaten, die darüber verfügen,
-
Abschaffung der Kurzstreckenraketen,
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Beginn eines Zweiparteienprozesses mit dem Senat, um die Ratifizierung des Vertrags zu einem umfassenden Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, CTBT),
-
Einhaltung höchstmöglicher Sicherheitsstandards für alle Waffenarsenale, für waffentaugliches Plutonium und hochangereichertes Uran in der ganzen Welt,
-
Kontrolle über den Prozess der Urananreicherung, verbunden mit der Garantie, dass Uran für Kernkraftwerke zu einem vernünftigen Preis bezogen werden kann durch die Nuclear Supplier Group (NSG) (das ist eine Vereinigung von aktuell 45 Staaten, die zur Nicht-Weiterverbreitung von Kernwaffen beitragen wollen, indem sie gemeinsame Richtlinien zur Exportbeschränkung umsetzen) und durch die IAEO (Internationale Atomenergie-Organisation, Wien),
-
Stopp der Produktion von spaltbarem Material für militärische Zwecke,
-
Beendigung der Verwendung von hochangereichertem Uran zu wirtschaftlichen Zwecke und Entfernung waffentauglichen Urans aus den Forschungseinrichtungen in der ganzen Welt,
-
Verdoppelung unserer Anstrengungen zur Lösung regionaler Konflikte, die zu einem Ansteigen der Nuklearmächte beitragen würden.
Zusammenfassung: P. Strutynski
Auszug aus dem Artikel im Wall Street Journal:
(...)
What should be done? Can the promise of the NPT and the
possibilities envisioned at Reykjavik be brought to
fruition? We believe that a major effort should be
launched by the United States to produce a positive
answer through concrete stages.
First and foremost is intensive work with leaders of
the countries in possession of nuclear weapons to turn
the goal of a world without nuclear weapons into a
joint enterprise. Such a joint enterprise, by involving
changes in the disposition of the states possessing
nuclear weapons, would lend additional weight to
efforts already under way to avoid the emergence of a
nuclear-armed North Korea and Iran.
The program on which agreements should be sought would
constitute a series of agreed and urgent steps that
would lay the groundwork for a world free of the
nuclear threat. Steps would include:
-
Changing the Cold War posture of deployed nuclear
weapons to increase warning time and thereby reduce the
danger of an accidental or unauthorized use of a
nuclear weapon.
- Continuing to reduce substantially the size of
nuclear forces in all states that possess them.
- Eliminating short-range nuclear weapons designed to
be forward-deployed.
- Initiating a bipartisan process with the Senate,
including understandings to increase confidence and
provide for periodic review, to achieve ratification of
the Comprehensive Test Ban Treaty, taking advantage of
recent technical advances, and working to secure
ratification by other key states.
- Providing the highest possible standards of security
for all stocks of weapons, weapons-usable plutonium,
and highly enriched uranium everywhere in the world.
- Getting control of the uranium enrichment process,
combined with the guarantee that uranium for nuclear
power reactors could be obtained at a reasonable price,
first from the Nuclear Suppliers Group and then from
the International Atomic Energy Agency (IAEA) or other
controlled international reserves. It will also be
necessary to deal with proliferation issues presented
by spent fuel from reactors producing electricity.
- Halting the production of fissile material for
weapons globally; phasing out the use of highly
enriched uranium in civil commerce and removing
weapons-usable uranium from research facilities around
the world and rendering the materials safe.
- Redoubling our efforts to resolve regional
confrontations and conflicts that give rise to new
nuclear powers.
Achieving the goal of a world free of nuclear weapons
will also require effective measures to impede or
counter any nuclear-related conduct that is potentially
threatening to the security of any state or peoples.
Reassertion of the vision of a world free of nuclear
weapons and practical measures toward achieving that
goal would be, and would be perceived as, a bold
initiative consistent with America's moral heritage.
The effort could have a profoundly positive impact on
the security of future generations. Without the bold
vision, the actions will not be perceived as fair or
urgent. Without the actions, the vision will not be
perceived as realistic or possible.
We endorse setting the goal of a world free of nuclear
weapons and working energetically on the actions
required to achieve that goal, beginning with the
measures outlined above. (...)
Auszug aus: "A World Free of Nuclear Weapons"
By George P. Shultz, William J. Perry, Henry A.
Kissinger and Sam Nunn; in: Wall Street Journal, January 4, 2007
Cold Warriors Shift Ground on Nuclear Weapons
By David Krieger *
An amazing and important commentary appeared in the
January 4, 2007 issue of the Wall Street Journal, co-
authored by four high-level architects of the Cold War:
George Shultz, William Perry, Henry Kissinger and Sam
Nunn. The article, entitled "A World Free of Nuclear
Weapons," was amazing not so much for what it proposed,
but for who was making the proposal. The four prominent
former US officials reviewed current nuclear dangers
and called for US leadership to achieve the abolition
of nuclear weapons. Their argument was as follows:
-
Reliance on nuclear weapons for deterrence is
becoming increasingly hazardous and decreasingly
effective.
-
Terrorist groups are outside the bounds of
deterrence strategy.
- We are entering a new nuclear era that will be
more precarious, disorienting and costly than was
Cold War deterrence.
- New nuclear weapons states lack the safeguarding
and control
- experiences learned by the US and USSR during the
Cold War.
- The nuclear Non-Proliferation Treaty envisioned
the elimination of all nuclear weapons.
- Non-nuclear weapons states have grown
increasingly skeptical of the sincerity of the
nuclear weapons states to fulfill their Non-
Proliferation Treaty obligations to eliminate their
nuclear arsenals.
- There exists an historic opportunity to eliminate
nuclear weapons in the world.
- To realize this opportunity, bold vision and
action are needed.
- The US must take the lead and must convince the
leaders of the other nuclear weapons states to turn
the goal of nuclear weapons abolition into a joint
effort.
- A number of steps need to be taken to lay the
groundwork for a world free of nuclear threat,
including de-alerting nuclear arsenals; reducing the
size of nuclear arsenals; eliminating tactical
nuclear weapons; achieving Senate ratification of the
Comprehensive Test Ban Treaty and encouraging other
key states to also do so; securing nuclear weapons
and weapons-usable materials everywhere in the world;
and halting production of fissile materials for
weapons, ceasing to use enriched uranium in civil
commerce and removing weapons-usable uranium from
research reactors.
For many of us committed to the global effort to
abolish nuclear weapons, there is nothing new in their
arguments. They are arguments that many civil society
groups have been making since the end of the Cold War.
Other former officials, such as Robert McNamara and
General George Lee Butler, former head of the US
Strategic Command, have also made such arguments. What
is new is that these former Cold Warriors have joined
together in a bipartisan spirit to publicly make these
arguments to the American people. This means that the
perspectives of the Nuclear Age Peace Foundation, the
Global Security Institute, the Nuclear Policy Research
Institute and other dedicated civil society groups are
finally being embraced by key former officials who once
presided over Cold War nuclear strategy.
The bipartisan advice of Shultz, Perry, Kissinger and
Nunn to abolish nuclear weapons will require a full
reversal of the current Bush administration nuclear
policies. The Bush administration has thumbed its nose
at the other parties to the nuclear Non-Proliferation
Treaty, behaving as though the US had no obligations to
fulfill its commitments for nuclear disarmament under
the treaty. The administration has largely opposed the
13 Practical Steps for Nuclear Disarmament agreed to by
consensus at the 2000 Non-Proliferation Treaty Review
Conference.
If the administration wants to demonstrate leadership
toward nuclear weapons abolition, it could immediately
submit the Comprehensive Test Ban Treaty to the Senate
for ratification; call for negotiations at the
Conference on Disarmament of a Fissile Material Cut-off
Treaty; reach an agreement with Russia to begin
implementing deeper cuts in the nuclear arsenals of the
two countries, which Russia supports; and call for a
summit of leaders of all nuclear weapons states to
negotiate a new treaty for the elimination of nuclear
weapons.
If the United States becomes serious about leading the
way to a world free of nuclear weapons, as called for
by the former US officials, it can assume a high moral
and legal ground, while improving its own security and
global security. Each day that goes by without US
leadership for achieving a nuclear weapons-free world
undermines the prospects for the future of humanity.
There is no issue on which US leadership is more
needed, and there is no issue on which the US has more
to gain by asserting such leadership.
The 19th century philosopher Arthur Schopenhauer said,
"All truth passes through three stages. First, it is
ridiculed. Second, it is violently opposed. Third, it
is accepted as being self-evident." The truth that if
we are to have a human future the US must lead the way
in abolishing nuclear weapons has been frequently
ridiculed and violently opposed. The commentary by
Shultz, Perry, Kissinger and Nunn suggests that this
truth may now be entering the stage of being self-
evident.
* David Krieger is president of the Nuclear Age Peace
Foundation. He has lectured and written widely on the
need to abolish nuclear weapons.
Siehe auch: "TOWARD A NUCLEAR-FREE WORLD" (Artikel der vier elder Statesmen vom Januar 2008)
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