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Mordechai Vanunu - Ein unbeugsamer Friedenskämpfer

Nach 18 Jahren Haft setzt der israelische Atominformant Vanunu seinen Kampf gegen das geheime Waffenprogramm fort

Am 21. April 2004 wurde Mordechai Vanunu nach 18 Jahren aus israelischer Haft entlassen. Zwei Tage später meldeten die Nachrichtenagenturen:

Bei seiner Freilassung in der Stadt Aschkelon forderte der Nukleartechniker einen Verzicht Israels auf Atomwaffen und internationale Inspektionen im Reaktorzentrum der Wüstenstadt Dimona. Er warf den israelischen Geheimdiensten zudem eine "grausame, barbarische Behandlung" im Gefängnis vor, wo er mindestens elf Jahre in Isolationshaft war. Beim Gang in die Freiheit zeigte Vanunu Siegeszeichen. Er hatte 1986 einer britischen Zeitung das israelische Atomwaffenprogramm preisgegeben und war wegen Hochverrats und Spionage verurteilt worden.
"Ich bin stolz und glücklich, getan zu haben was ich tat", sagte Vanunu. An die Adresse der Sicherheitsbörden erklärte er: "Ihr habt es nicht geschafft, mich zu zerbrechen." Dutzende Anhänger begrüßten ihn in Aschkelon. Die britische Schauspielerin Suzanna York sagte der dpa, Vanunu habe großen Mut bewiesen. "Seine Wahrheit ist, meine ich, dass Menschlichkeit wichtiger ist als Staatlichkeit." Eine Gruppe von rechtsgerichteten Demonstranten verlangte dagegen in Sprechchören "Tod für Vanunu" und "Tod für den Spion".
Internationale Experten gehen davon aus, dass Israel im Besitz von mindestens 100 Atomsprengköpfen ist, aber auch mehr als 300 Bomben habe könnte. Die Regierung des Landes verfolgt eine Politik der "atomaren Zweideutigkeit", bei der sie die Welt im Unklaren über ihr Potenzial lässt. Dieser Haltung hatte Vanunu einen schweren Schlag versetzt, als er seinerzeit der Zeitung "Sunday Times" Material zur Verfügung stellte, das er bei der Arbeit im Reaktorzentrum gesammelt hatte. Der Geheimdienst hatte ihn darauf nach Israel entführt.
Vanunu wurde unter strikten Auflagen aus der Haft entlassen, um weitere Enthüllungen zu verhindern. So darf der Israeli sein Land nicht verlassen und muss sich Kontakte mit Ausländern genehmigen lassen. Dagegen will er klagen. Vanunu sagte bei einer improvisierten Pressekonferenz vor dem Gefängnisgebäude, er habe keine weiteren geheimen Kenntnisse über das israelische Atomwaffenprogramm. Er wolle Israel auch nicht schaden.
Er forderte aber eine Abrüstung nuklearer Sprengköpfe in Israel. "Israel braucht keine Atomwaffen, besonders wo jetzt ganz Nahost atomwaffenfrei ist", sagte er und nahm Bezug auf den Irak, wo bisher keine Massenvernichtungswaffen gefunden wurden. Der israelische Justizminister Josef Lapid kündigte an, die Behörden würden Vanunus Wege genau verfolgen, damit er keine weiteren Staatsgeheimnisse ausplaudern könne. Andere Politiker schwiegen zu dem Fall.

Quelle: dpa 23.04.2004

Ein unbeugsamer Friedenskämpfer

Der Lebensweg des am Mittwoch aus israelischer Haft entlassenen Atomtechnikers Mordechai Vanunu

Von Horst Hoffmann


Wegen »Spionage und Unterstützung des Feindes in Kriegszeiten« verurteilt, wurde am Mittwoch (21. April 2004) der 49jährige israelische Atomtechniker und Friedenskämpfer Mordechai Vanunu nach 18jähriger Haft aus dem Schikma-Gefängnis bei Aschkelon entlassen. Elf Jahre davon saß er streng isoliert in einer nur wenige Quadratmeter großen Einzelzelle. Sein Verbrechen bestand darin, die Wahrheit gesagt zu haben: Israel besitzt Kernwaffen! Eine Tatsache, die jedoch bis heute von offizieller Seite weder bestätigt noch bestritten wird. Vanunu arbeitete fast ein Jahrzehnt im Atomzentrum Dimona, in dem waffenfähiges Plutonium hergestellt wird. Nach seinen Enthüllungen wurde er vom israelischen Geheimdienst Mossad gesucht, gejagt, gekidnappt. Für seine Befreiung setzten sich internationale Organisationen und prominente Personen ein wie Amnesty International und der ehemalige USA-Präsident James Carter. Britische Parlamentarier schlugen ihn 1986 für den Friedensnobelpreis vor, die Right Livelihood Foundation verlieh ihm im Jahr darauf den Alternativen Nobelpreis.

Solidaritätsaktionen begleiten auch seine Freilassung, da ihm neues Unrecht droht. Vor wenigen Wochen beantragte Vanunu bei den Gefängnisbehörden einen Reisepaß, wollte er doch zunächst in die USA, um dort Geschichte zu lehren. Zu den staatlichen Repressionen und Restriktionen, die vorerst für ein Jahr gelten sollen, gehören Ausreiseverbot und Aufenthaltsbegrenzung. Er darf weder mit Journalisten sprechen noch eine ausländische Botschaft betreten. Wer Angst vor diesem aufrechten Mann hat und warum, macht seine Geschichte deutlich.

»Jetzt fühlen sie, daß ich in ihrer Macht bin und daß sie mich hier, in diesem ›demokratischen‹ Land quälen können.« Das schrieb Vanunu zu Beginn seiner mehr als 500tägigen Untersuchungshaft im Hochsicherheitstrakt des Aschkelon-Gefängnisses in einem Kassiber an die Londoner Zeitung Sunday Times. Das Gerichtsgebäude in Jerusalem glich damals einer Festung. Den Hintereingang überspannte bis zur Anfahrtsstelle des Spezialbusses eine Zeltplane. Durch einen völlig menschenleeren Korridor wurde der Angeklagte vor das Gericht geführt. Er mußte Handschellen und einen Motorradhelm tragen, der ihn unkenntlich machen sollte.

Doch zuvor, an einem trüben Dezembertag des Jahres 1986, war es dem Atomingenieur gelungen, seine Bewacher zu überlisten. Bevor sie ihm den Mund verschließen konnten, rief er bei der Ankunft den zahlreich versammelten Journalisten das Wort »Rom« zu, und hielt ihnen die Innenfläche seiner linken Hand entgegen. Den Sicherheitsbeamten gelang es nicht, den Arm Vanunus sofort herunterzureißen, ohne daß die Reporter zahlreich Fotos von dem Zwischenfall schossen. Auf einigen war deutlich zu lesen, was der Häftling mit einem Kugelschreiber auf seinen Handteller geschrieben hatte. Diese Botschaft enthüllte das Rätsel, wie Mordechai Vanunu von seinem letzten Wohnsitz London nach Tel Aviv gekommen war: »Ich wurde entführt in Rom, Italien, am 30. September 1986, Flug der British Airways BA 504.«

Für Vanunu waren die Folgen erniedrigend. Er wurde von diesem Zeitpunkt an mit einem über den Kopf gestülpten Sack dem Gericht vorgeführt und während seines Ganges vom Bus zum Verhandlungssaal heulten Sirenen, um jeden seiner Notrufe zu übertönen. Doch den Journalisten war es ein Leichtes, seine Angaben zu überprüfen und ihre Richtigkeit festzustellen. Die englische Luftverkehrsgesellschaft bestätigte, daß Mr. Mordechai Vanunu auf der Passagierliste des Fluges BA 504 am 30. September 1986 von London nach Rom stand. Mehr noch, dieser Gast hatte auch den Rückflug vom Tiber zur Themse gebucht, allerdings mit offenem Termin.

»Cindy«

Weitere Recherchen führten schließlich zur Rekonstruktion eines terroristischen Dramas, das sich zwischen Ende September und Anfang Oktober 1986 abspielte und jeden Polit-Thriller ŕ la James Bond und John le Carré in den Schatten stellt.

»Motta«, wie Freunde den gutaussehenden und kräftigen 32jährigen Mordechai nannten, machte bei einem Spaziergang in der Londoner City eine für ihn zunächst erfreuliche Straßenbekanntschaft. »Cindy« hieß die bildhübsche blonde Amerikanerin, die nach eigener Darstellung auf Europatour Merry Old England Tribut zollte. Es war Liebe – oder genauer gesagt Triebe – auf den ersten Blick, die den leidenschaftlichen jungen Mann entflammten. Er war drei Wochen zuvor von Australien in die Metropole des Commonwealth gekommen, um hier seine Enthüllungen über die top secret gehaltene israelische Kernwaffenproduktion zu veröffentlichen. Wie die Sunday Times später ermittelte, war er dem englischen Geheimdienst von dessen australischer Schwesterorganisation avisiert worden.

»Motta« jedenfalls verfiel dem Sexappeal, den die graziöse und kapriziöse »Cindy« ausstrahlte. Darum wunderte er sich nicht, als sie ihm vorschlug, mit ihr nach Rom zu fliegen, wo sie im Appartment ihrer verreisten Schwester alle seine Wünsche erfüllen wollte. Hand in Hand flogen sie von Heathrow zum Leonardo-da-Vinci-Airport. Auf kürzestem Wege brachte ein Taxi das Paar in das ersehnte Nest, ein Haus am Rande der ewigen Stadt. Doch die angeblich sturmfreie Bude war bereits eingenommen und besetzt – von einem Sonderkommando des Mossad. Zwei der Agenten überwältigten Vanunu mit Äther und »Cindy« verpaßte ihm eine Injektion mit Betäubungsmittel.

Das ohnmächtige Opfer wurde in Ketten gelegt, in eine Transportkiste verpackt und auf einen unter israelischer Flagge fahrenden Apfelsinendampfer verladen. Ehe er wieder richtig zu sich kam, befand er sich bereits in Tel Aviv. Nach seinem bösen Erwachen erfuhr er, daß es sich bei »Cindy« um eine Geheimagentin des Mossad handelte. Später recherchierten Journalisten, daß ihr Klarname Cheryl Bentov lautet. Sie stammt aus der nordisraelischen Stadt Naunya und ist mit einem Major der Abwehr verheiratet. Heute lebt sie unter dem Namen Cheryl Goodman in den USA.

War Thatcher informiert?

Für die internationale Öffentlichkeit war Mordechai Vanunu spurlos verschwunden – bis Tel Aviv seine »Verhaftung« und den Beginn des Gerichtsverfahrens bekanntgab. Der Skandal, den dieser staatsterroristische Akt Israels auslöste, erfaßte auch andere Länder. Am 24. Dezember 1986 mußte Italiens Ministerpräsident Craxi eine Erklärung abgeben, daß sich die Behörden mit dem Fall befassen. Der mit der Untersuchung beauftragte Richter Demenico Sica ermittelte, daß gröbste Verletzungen des italienischen und des internationalen Rechtes vorlagen. Die Vorbereitung und Ausführung der gewaltsamen Entführung erfolgte auf dem Territorium Italiens. Bis heute blieb die Rolle des britischen Geheimdienstes in dieser Affäre im dunkeln. Die Londoner Financial Times vom 9. November 1986 schockierte die Öffentlichkeit Großbritanniens mit der Behauptung, der israelische Ministerpräsident Peres habe die Premierministerin Thatcher über »die bevorstehende Heimholung Vanunus telefonisch informiert«. Aus Downing Street kam umgehend ein Dementi.

Wer war dieser Mann, dessen Handlungen Regierungen und Geheimdiensten zu Verschwörung und Entführung Anlaß gaben? Mordechai Vanunu erblickte 1954 im marokkanischen Marrakesch als Kind einer strengreligiösen jüdischen Familie das Licht der Welt. Gemeinsam mit seinen sieben Geschwistern floh er 1963 vor antisemitischen Pogromen nach Israel, wo die Vanunus Unterkunft im Einwandererviertel südlich von Beer-Sheva fanden. Mordechai besuchte die jiddische Grundschule und ging später auf die Yeshiva, ein Seminar für angehende Gelehrte. Von 1971 bis 1973 leistete er seinen dreijährigen Militärdienst und wurde ehrenvoll als Feldwebel und Zugführer einer Pioniereinheit entlassen. Später mußte er als Reservist an der Aggression gegen den Libanon teilnehmen. Bereits während seiner Armeezeit setzte er die Kippa, die traditionelle Kopfbedeckung der strenggläubigen Juden ab.

Verlust der Illusionen

1974 nahm Vanunu ein Studium der Physik an der Universität von Tel Aviv auf. Aus wirtschaftlichen Gründen mußte er dieses jedoch abbrechen und erhielt zwei Jahre später im Kernforschungszentrum Dimona eine Spezialausbildung zum Atomingenieur. Auf diese Weise sozial abgesichert, begann er im Oktober 1979 an der Ben-Gurion-Universität in Beer-Sheva als Externer Philosophie und Geographie zu studieren und machte dort 1985 seinen Abschluß.

Während seiner Universitätsjahre nahmen Vanunus politische Aktivitäten zu. Er setzte sich für die Gleichberechtigung der Palästinenser und ihre Einbeziehung in Verhandlungen über die Errichtung eines unabhängigen und souveränen palästinensischen Staates ein. Er vertrat die Religionsfreiheit und eine strikte Trennung von Kirche und Staat. In diesen Auseinandersetzungen verlor er seine letzten Illusionen und verurteilte aus eigener Erfahrung die militärische Haltung Israels. Jede dieser Entscheidungen bot Grund genug, daß sich der Geheimdienst für ihn interessierte und ihn überwachte. Im November 1985 gehörte er zu 180 Mitarbeitern von Dimona, die entlassen wurden.

Auf der Suche nach neuen Arbeits- und Lebensmöglichkeiten reiste Vanunu im Januar 1986 über Fernost nach Australien. In Sydney schloß er Freundschaft mit dem anglikanischen Pfarrer Reverend John McKnight. Im Ergebnis langer Gespräche trat Mordechai zum Christentum über und verzichtete auf seine israelische Staatsbürgerschaft. Hier reifte auch nach dem Kontakt mit dem kolumbianischen Journalisten Oscar Guerrero der Entschluß, seine persönlichen und politischen Erfahrungen und Erkenntnisse über die Arbeit im Atomzentrum Dimona zu veröffentlichen. Zu diesem Zweck flog er im Sommer nach London, wo er in der Sunday Times einen Partner für sein Vorhaben fand.

Sensationelle Enthüllungen

Am Sonntag, den 5. Oktober 1986, erschienen seine Enthüllungen – zu einem Zeitpunkt, da er bereits vermißt wurde. Sie stellten eine Sensation ersten Ranges dar, wiesen sie doch in Wort und Bild eindeutig nach, daß Israel entgegen aller offiziellen Beteuerungen seit Jahren Kernwaffen verschiedener Kaliber herstellt, mit dem Rassistenregime in Pretoria kollaboriert und den sechsten Platz unter den Atomwaffenmächten einnimmt.

Die Chefredaktion der Sunday Times hatte einen Sonderstab aus ihren besten Mitarbeitern gebildet, der das von Vanunu zur Verfügung gestellte Material einschließlich achtzig heimlich geschossener Fotos, zu einer einzigartigen Story verarbeitete. Die Aufnahmen zeigen sowohl den Gesamtkomplex des Kernwaffenzentrums als auch Einzelheiten. Mit der goldglänzenden Reaktorkuppel und dem schornsteinähnlichen Luftfilteranlage erinnert es an ein Minarett. Kein Wunder, wenn die Anwohner des hermetisch abgeriegelten Geländes von der »Atom-Moschee« sprechen. Nach den Angaben Vanunus wurde eine Skizze der eigentlichen Atombombenfabrik angefertigt. Der Schnitt macht deutlich, daß sich nur zwei Stockwerke oberhalb des Geländes befinden: die Reaktorkuppel, die Luftfilteranlage, die Büroräume, die Kantine sowie die Bäder und Duschen. Sechs Etagen aber gehen tief in die Erde hinein: die Kontrollräume, die Produktionshallen, die Labors sowie die Abteilungen zur Herstellung von Teilen der Kernwaffen.

Die renommierte Sunday Times stellte sich hinter ihren Autor. Sie ließ alle seine Angaben und Fotos von Experten prüfen, zu denen solche Koryphäen gehörten wie der amerikanische Kernphysiker Professor Theodore Taylor, der an der Entwicklung der amerikanischen Wasserstoffbombe entscheidenden Anteil hatte und der britische Atomwissenschaftler Professor Frank Barnaby, langjähriger Direktor des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts SIPRI, das jährlich den Stand der Kernwaffenentwicklung analysiert.

33 Tage Hungerstreik

Mordechai Vanunu, dessen Prozeß am 30. August 1987 begann, wurden die normalen Rechte eines Untersuchungsgefangenen verweigert. In völliger Einsamkeit mußte er rund um die Uhr starke Lichtbestrahlung und Fernsehbeobachtung erleiden. Jeglicher religiöser oder psychologischer Beistand war untersagt. Besuche von Familienangehörigen durfte er nur einmal in zwei Wochen für eine knappe halbe Stunde empfangen. Zweimal trat der Häftling in den Hungerstreik, um einmal nach 33 Tagen geringfügige Erleichterungen zu erzwingen.

Die offizielle israelische Presse stellte Vanunu als »Ungeheuer«, als »Subjekt der psychologischen Kriegsführung« dar, dessen »Hoch- und Landesverrat« auf seine »vollständige psychische Zerrüttung« zurückzuführen sei. Habgier und Sensationslust, kommunistische Verbindungen und antijüdische Gesinnung hätten ihn krankhaft motiviert.

Doch standhaft erklärte der Beschimpfte: »Ich war kein Agent irgendeiner Organisation. Ich wollte, daß der kleine Mann auf der Straße die Wahrheit erfährt. Ich tat es nicht für Geld, und ich erhielt kein Geld. Ich habe das meine getan, nun müssen andere auf meinem Weg folgen.«

Reverend McKnight, der Vanunu wohl persönlich am besten kennt, erklärte: »Zu dem Entschluß, die Wahrheit auszusagen, kam Mordechai durch die Bekanntschaft mit der Tätigkeit einer Gruppe von Friedenskämpfern. Die Politik Israels machte ihm Sorgen.«

Spontan entstanden Komitees zur Verteidigung und Befreiung Vanunus: in London eines, um vor allem ausgebürgerte Israelis zu mobilisieren, in Jerusalem ein weiteres, das Israelis und Palästinenser im Kampf gegen die Kernwaffen Tel Avivs vereint, in Washington eine Lobby besorgter Amerikaner, die für eine kernwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten eintreten.

Verhinderte Nobelpreisnomination

Am 6. Juli 1987 wandten sich 36 Mitglieder des britischen Parlaments in einem Brief an das norwegische Nobelkomitee und nominierten Mr. Mordechai Vanunu aus Israel für den Friedensnobelpreis. Diesen ungewöhnlichen Vorschlag zugunsten eines Untersuchungsgefangenen begründeten die Ladies und Gentlemen von Unter- und Oberhaus folgendermaßen: »Die Drohung, Kernwaffen in verschiedenen Spannungsgebieten rund um die Welt zu verteilen, ist eine der größten Gefahren, denen die internationale Gemeinschaft gegenübersteht. Es zeugt von außerordentlicher Zivilcourage für einen einzelnen Bürger, wenn er in einer so empfindlichen Angelegenheit seiner eigenen Regierung entgegentritt. Mr. Vanunu hat dafür mit einer sehr harten Strafe bezahlen müssen.« Der Vorschlag der sehr ehrenwerten Damen und Herren aus dem Vereinigten Königreich wurde aus formalen Gründen vom Nobelkomitee in Oslo abgewiesen: Es sei zu spät eingegangen.

Eine politisch unabhängige Einrichtung trug dem Wunsch nach Ehrung Mordechai Vanunus Rechnung: die von dem schwedischen Publizisten Jakob von Uexküll gegründete Stiftung, die seit 1980 jährlich den Preis für richtige Lebensführung – The Right Livelihood Award – verleiht, der unter der inoffiziellen Bezeichnung Alternativer Nobelpreis weltbekannt ist. Gemeinsam mit Vanunu wurden ausgezeichnet: der norwegische Friedensforscher Johan Galtung, die amerikanische Bürgerrechtlerin Francis Moore-Lappé, der deutsche Kernphysiker Hans-Peter Dürr und die indische Chipko-Bewegung zur Wiederaufforstung des Subkontinents.

Von Robert Maxwell verraten

Erst viele Jahre später wurde bekannt, daß der oben erwähnte Oscar Guerrero die von Vanunu erhaltenen Informationen gleichzeitig dem Sunday Mirror anbot, dessen Herausgeber Robert Maxwell für den Mossad arbeitete. Der Verleger, der später unter ungeklärten Umständen ertrank, ließ Vanunu in seiner Zeitung auf der Titelseite als Lügner darstellen. Die Chefredaktion der Sunday Times wiederum beging den unverzeihlichen Fehler, ihre Erkenntnisse der israelischen Botschaft in London zur Stellungnahme vorzulegen. Ein von Premierminister Schimon Peres gebildeter Krisenstab erwog damals die Ermordung Vanunus. Die Experten gingen jedoch davon ab, weil sie der Meinung waren, daß das Wissen des Todeskandidaten längst dem britischen und amerikanischen Geheimdienst bekannt war.

Israel, das dem Atomwaffensperrvertrag nicht beitrat, kann von der Internationalen Energiebehörde nicht kontrolliert werden. Doch Experten des Jaffee Zentrums für strategische Studien in Tel Aviv geben an, daß Israel jährlich 40 Kilogramm Plutonium herstellen kann. Schätzungen gehen gegenwärtig von 400 bis 500 Nuklearwaffen aus, die mit Kampfflugzeugen und Unterseebooten, Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern Ziele erreichen können.

Aus: junge Welt, 23. April 2004


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