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Die Wasserstoffbombe

Vor sechzig Jahren fiel in den USA die Entscheidung, die Menschheit mit der technischen Möglichkeit zu ihrer Selbstvernichtung auszustatten

Von Ronald Friedmann *

Die Mitarbeiter von US-Präsident Harry S. Truman hatten gründlich am Text der Erklärung gearbeitet, die ihr Chef am 31. Januar 1950 der Öffentlichkeit übergab. Schließlich sollte der Eindruck erweckt werden, daß die Entwicklung und der Bau einer Waffe, die von ihren Kritikern als »Völkermordwaffe« bezeichnet worden war, einem hehren Zweck diente – der Verteidigung des Friedens: »Es ist Teil meiner Verantwortung als Oberkommandierender der Streitkräfte, dafür Sorge zu tragen, daß unser Land jederzeit in der Lage ist, sich gegen jeden Angreifer zu verteidigen. In Übereinstimmung damit habe ich die Atomenergiekommission angewiesen, die Arbeit an allen Arten von Atomwaffen fortzusetzen, einschließlich der sogenannten Wasserstoff- oder Superbombe. Wie alle anderen Arbeiten auf dem Gebiet der Atomwaffen, wird auch diese Arbeit entsprechend unseren übergeordneten Prinzipien des Friedens und der Sicherheit erfolgen.«

Anfang 1943 war in den USA das Manhattan-Projekt ins Leben gerufen worden, das bis heute größte und umfassendste Wissenschafts- und Technologieprojekt der Geschichte. Niemals zuvor und niemals danach war eine so große Zahl der besten Wissenschaftler aus aller Welt an einem Ort – dem Forschungszentrum Los Alamos in der Wüste von New Mexico – zusammengeholt worden, um ohne Beschränkung der materiellen und finanziellen Ressourcen ein einziges Ziel zu verwirklichen – den Bau einer auf Kernspaltung basierenden Bombe. Nur zweieinhalb Jahre später war das Ziel erreicht: Am 17. Juli 1945 wurde auf dem Testgelände Alamogordo, ebenfalls in der Wüste von New Mexico, die erste Atombombe getestet. Drei Wochen später, am 6. und 8. August 1945, wurden die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki mit diesen Waffen angegriffen. Weit mehr als hunderttausend Menschen starben im nuklearen Feuer.

Auch die Entwicklung und der Bau einer (thermonuklearen) Wasserstoffbombe, also einer auf Kernfusion basierenden Waffe mit einer unvergleichbar höheren Sprengkraft als einer Kernspaltungsbombe, war ursprünglich ein Teil des Manhattan-Projekts gewesen. Doch es hatte sich sehr schnell herausgestellt, daß es nicht möglich sein würde, zwei so komplexe Vorhaben gleichzeitig zu betreiben. J. Robert Oppenheimer, der wissenschaftliche Leiter des Manhattan-Projekts, hatte deshalb entschieden, die Arbeiten an der Wasserstoffbombe auf die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu vertagen. Einzig der aus Ungarn stammende Physiker Edward Teller bestand darauf, mit seiner Gruppe weiter am Konzept einer Fusionsbombe zu arbeiten: Er hatte innerhalb kürzester Zeit eine nur noch als pathologisch zu bezeichnende Besessenheit entwickelt, eine Wasserstoffbombe zu entwickeln und zu bauen.

Doch in den folgenden rund fünf Jahren erfolgte die Arbeit an der US-amerikanischen Wasserstoffbombe ohne echte Höhepunkte und Fortschritte, der Schwerpunkt der Arbeiten lag weiterhin auf dem Gebiet der auf Kernspaltung basierenden »klassischen« Atombombe.

Am 29. August 1949 zündete die Sowjetunion ihre erste Atombombe, etliche Jahre früher, als es die Spezialisten in den USA für möglich gehalten hatten. In der US-Öffentlichkeit löste dieses Ereignis eine Reaktion aus, die in gewisser Weise eine Vorwegnahme des sprichwörtlichen »Sputnik-Schocks« war, der die westliche Welt acht Jahre später, nach dem Start des ersten sowjetischen Erdsatelliten, erschüttern sollte. Unter dem Eindruck des erfolgreichen sowjetischen Atombombentests sah Edward Teller nun seine große Chance, den Druck auf die politischen und militärischen Entscheidungsträger in der US-Regierung zu erhöhen, jetzt endlich ein umfassendes Programm zur Entwicklung und zum Bau der Wasserstoffbombe aufzulegen, dem höchste Priorität eingeräumt werden sollte und für das alle notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden sollten.

Ein Beraterkomitee der Atomenergiekommission unter Leitung von J. Robert Oppenheimer, dem u. a. die Nobelpreisträger Enrico Fermi und Isidor Isaac Rabi sowie weitere hochkarätige Wissenschaftler des Manhattan-Projekts angehörten, kam jedoch Anfang November 1949 zu einer gänzlich anderen Schlußfolgerung: Es wurde festgestellt, daß eine Wasserstoffbombe »keine Begrenzung der Explosivkraft hätte, mit Ausnahme der Beschränkungen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, daß sie transportabel sein muß«. Und weiter: Die Wasserstoffbombe ist »keine Waffe, die ausschließlich gegen militärische und halbmilitärische Einrichtungen eingesetzt werden kann. Ihr Einsatz würde in noch viel größerem Maße als der Einsatz der Atombombe Ausdruck einer Politik der Massenvernichtung der Zivilbevölkerung sein. (...) Aus diesem Grund kann die Superbombe zu einer Waffe des Völkermordes werden.« Die einstimmige Empfehlung des Beraterkomitees lautete daher, auf die Entwicklung und den Bau der Wasserstoffbombe aus grundsätzlichen Erwägungen zu verzichten und die Bemühungen zu einer internationalen Kontrolle und Begrenzung der nuklearen Rüstung zu intensivieren.

In den folgenden Wochen und Monaten gingen die Diskussionen auf der Ebene der Atomenergiekommission und des Beraterkomitees weiter, doch US-Präsident Truman hatte die Angelegenheit längst auf die höchste Regierungsebene gezogen: Ein Subkomitee des Nationalen Sicherheitsrates der USA, das auch die Meinung des Ausschusses für Atomenergie des Kongresses und die Meinung der Vereinten Stabschefs, des höchsten militärischen Führungsorgans, einholte, bereitete im Januar 1950 die verhängnisvolle Entscheidung vor, die Truman dann am 31. Januar 1950 verkündete.

Edward Teller verwandte nun seine gesamt Energie darauf, das im kleinsten Kreis beschlossene Vorhaben – insgesamt waren weniger als fünfzig Menschen in die Debatte einbezogen, bei der es de facto um die technische Möglichkeit der Selbstvernichtung der gesamten Menschheit ging – in die Praxis umzusetzen. In den folgenden Monaten und Jahren erwarb er sich so den zweifelhaften Ruf, der »Vater der US-amerikanischen Wasserstoffbombe« gewesen zu sein, auch wenn der entscheidende wissenschaftliche Beitrag nicht von ihm, sondern von dem aus Polen stammenden Physiker Stanislaw Ulam kam.

Am 1. November 1952 erfolgte die Zündung der ersten US-amerikanischen Wasserstoffbombe, wobei der Begriff »Bombe« im Grunde falsch war, denn es handelte sich um eine nichttransportable Versuchsanordnung in der Größe eines Wohnhauses, mit einer Masse von nicht weniger als 62 Tonnen. Immerhin entwickelte diese erste Wasserstoffbombe eine Sprengkraft von 10,4 Megatonnen TNT, etwa fünfhundertmal mehr als die Bomben von Hiroshima und Nagasaki. Am 28. Februar 1954 schließlich konnten die USA die erste Wasserstoffbombe testen, die von einem Flugzeug hätte transportiert werden können und daher die Bezeichnung »Bombe« auch zu Recht trug.

Die Sowjetunion zündete ihre erste Wasserstoffbombe am 22. November 1955. Sechs Jahre später, am 30. Oktober 1961, wurde auf der Insel Nowaja Semlja, nördlich des Polarkreises, die größte Wasserstoffbombe aller Zeiten getestet. Sie hatte eine Sprengkraft von 58 Millionen Tonnen TNT, also etwa 3800 Hiroshima-Bomben.

Dem Irrsinn solcher Tests machte erst das Moskauer Atomteststoppabkommen vom 5. August 1963 ein Ende. Doch was in der Öffentlichkeit heutzutage kaum noch Beachtung findet: Wasserstoffbomben gehören noch immer zum Waffenarsenal der Atommächte. Ihr Einsatz ist jederzeit und überall möglich.

Quellentext: War die Wasserstoffbombe notwendig?

Der Vorschlag (des Beraterkomitees – RF) bestand darin, Verhandlungen mit Rußland mit dem Ziel aufzunehmen, daß beide Länder sich verpflichten, die Wasserstoffbombe nicht zu entwickeln. Wenn es möglich gewesen wäre, ein solches Abkommen zu erreichen und umzusetzen, dann wäre die Welt weit entfernt von der Gefahr, vor der sie heute steht. Weder wir noch vermutlich die Russen wußten, wie eine Wasserstoffbombe gemacht wird. In diesem gesegneten Zustand der Unwissenheit hätten wir bleiben sollen. ... Viele Menschen werden behaupten, daß Rußland eine solches Abkommen akzeptiert und dann gebrochen hätte. Das glaube ich nicht. Thermonukleare Waffen sind so kompliziert und komplex, daß niemand sicher sein kann, daß er die richtige Lösung gefunden hat, bevor er ein solches Gerät getestet hat. Aber es ist allgemein bekannt, daß der Test einer Bombe von solchen Ausmaßen sofort festgestellt werden kann. Das heißt, auch ohne Inspektion vor Ort würde es jede Seite sofort erfahren, wenn die andere Seite das Abkommen gebrochen hat. Es ist schwer zu sagen, ob die Russen unabhängig von uns die Wasserstoffbombe entwickelt hätten. ... Nach dem wir angekündigt hatten, daß wir die Sache betreiben würden, hatten die Russen keine andere Wahl mehr, als dasselbe zu tun. Auf dem Gebiet der Atomwaffen haben wir seit dem Ende des Krieges sowohl quantitativ als auch qualitativ die Vorgaben gemacht. Rußland mußte uns folgen oder zu einer untergeordneten Macht werden. Zusammenfassend muß ich feststellen, daß die Entwicklung der Wasserstoffbombe eine Katastrophe war. ... Wir hätten einhalten und vor jedem neuen und unumkehrbaren Schritt sehr gründlich die Folgen bedenken müssen.

Der deutsch-US-amerikanische Atomphysiker Hans Bethe 1954 in dem damals geheimen Essay »Kommentare zur Geschichte der Wasserstoffbombe«



* Aus: junge Welt, 30. Januar 2010


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