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Merkels Bombengeheimnis

Bundesregierung ist in Modernisierung der US-Atomwaffen in Büchel eingebunden *

Schlimm genug, dass die auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel lagernden US-Atomwaffen modernisiert statt vernichtet werden sollen. Jetzt stellte sich auch noch heraus, dass die Bundesregierung in das umstrittene Modernisierungsprogramm offenbar viel stärker eingebunden ist als bisher zugegeben. Noch vor Kurzem hatte sie erklärt, die Entscheidung sei allein Sache der US-Regierung. Darüber habe es keine Verhandlungen mit den USA gegeben. Nach Recherchen des WDR-Magazins »Monitor« war Deutschland aber offenbar eng an den Planungen beteiligt. Es habe im Jahr 2010 konkrete Absprachen zwischen den USA und den NATO-Partnern gegeben, etwa über die zentralen militärischen Merkmale der Bombe. Das gilt für alle Länder, in denen US-Atombomben stationiert sind – neben Deutschland sind das Belgien, die Niederlande, Italien und die Türkei. Die Bundesregierung bestätigte nun Gespräche in den zuständigen Gremien, spricht jedoch nur von einer »Unterrichtung«. Über die Inhalte könne »aus Gründen des Geheimschutzes« keine Antwort gegeben werden.

Seit vielen Jahren gibt es den Ruf nach Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, die im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe in der Eifel lagern. In der letzten Legislatur sprachen sich die schwarz-gelbe Bundesregierung sowie fraktionsübergreifend der Bundestag ebenfalls dafür aus. Konterkariert wird dieses Ziel jedoch durch die begonnene Modernisierung.

Die Grünen-Sicherheitsexpertin Agnieszka Brugger, die erst kürzlich mit ihrer Anfrage abgespeist worden war, kritisierte es gegenüber »nd« als »skandalös«, dass Schwarz-Rot Parlament wie Öffentlichkeit über die Stationierung und Modernisierung der in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen »in die Irre geführt« habe. Die Bundesregierung müsse unverzüglich alle Fakten auf den Tisch legen und eine klare Haltung einnehmen. Friedensorganisationen fordern insbesondere die SPD auf, Stellung zu beziehen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 21. Juni 2014


Abzug oder Modernisierung?

Friedensorganisationen fordern von SPD eindeutige Stellungnahme zu US-Atomwaffen

Von Ines Wallrodt **


Offiziell will die Bundesregierung eine atomwaffenfreie Welt. Da sie zugleich die Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland hinnimmt, mehren sich Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit.

Die Bundesregierung hat den Schwarzen Peter zurück: Lange Zeit hatte sie sich hinter den USA versteckt und so getan, als wisse sie nichts über das milliardenschwere Modernisierungsprogramm der in der Eifel stationierten US-Atomwaffen. Diese Entscheidung sei allein Sache der US-Regierung, erklärte sie erst kürzlich im Bundestag. Tatsächlich war Deutschland jedoch offenbar eng in die Planungen eingebunden, haben Recherchen des WDR-Magazins »Monitor« ergeben. Das Magazin bezieht sich dabei auf einen Bericht des US-amerikanischen Rechnungshofes, aus dem hervorgehe, dass es konkrete Absprachen zwischen den USA und den NATO-Partnern gab. Darin heiße es: »Das US-Verteidigungsministerium und die NATO-Verbündeten einigten sich 2010 auf die zentralen militärischen Merkmale der Bombe.« Dabei wurde laut US-Rechnungshof auch über Details wie die »Sprengkraft« und die »Treffsicherheit« der neuen Waffen gesprochen. Der ehemalige niederländische Verteidigungsminister Bram Stemerdink kritisierte denn auch die Bundesregierung: »Wenn man sagt, wir wissen nichts, dann ist das Unsinn.«

2010 regierten Union und FDP. Als erste Bundesregierung hatten sie in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, sich für einen Abzug der letzten Atomwaffen auf deutschem Boden einzusetzen. Dies war breit begrüßt worden. In der NATO beschlossen wurde jedoch das Gegenteil. Statt die Massenvernichtungswaffen zu verschrotten, soll ihr Leben verlängert werden.

Bis zu 20 atomare US-Sprengköpfe lagern im Fliegerhorst Büchel. In ganz Europa sollen es 180 sein. Nach Angaben der Grünen werden die bisher frei fallenden B-61-Sprengköpfe nun durch lasergesteuerte B-61-12-Lenkflugkörper ersetzt. Friedensorganisationen sehen darin ein Zeichen, dass die Atomwaffen nicht nur zur Abschreckung gedacht sind, sondern für den Einsatz. »Unter dem Deckmantel einer Modernisierung sollen zum ersten Mal atomare Präzisionsbomben in Europa stationiert werden«, kritisierte Xanthe Hall, Abrüstungsreferentin der IPPNW und Sprecherin der Kampagne »atomwaffenfrei.jetzt«, gegenüber »nd«. Die Hemmschwelle für einen Nuklearschlag sinkt, so die Befürchtung. Die Aufrüstung der Massenvernichtungswaffen soll bis 2020/21 abgeschlossen sein. Besondere Brisanz erhält das Projekt durch den aktuellen Konflikt mit Russland.

Ein Bündnis von Atomwaffengegnern erhöht nun den Druck auf die inzwischen mitregierende SPD. In der Opposition hatten die Sozialdemokraten die Bundesregierung im November 2012 aufgerufen, sich »verstärkt und intensiv« für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und Europa einzusetzen, sowie »deutlich klarzustellen, dass die Bundesregierung gegen die Stationierung modernisierter B61 in Deutschland und Europa ist«. Nun werden sie selbst zu dieser dezidierten Stellungnahme aufgefordert. In ihrem Brief an den SPD-Fraktionsvorstand erwarten die Friedensorganisationen zudem, dass der Bundestag künftig über die Stationierung von Atomwaffen abstimmt. »In unseren Augen darf diese Entscheidung nicht nur von der US-Regierung gefällt werden.«

Der Vorstand hat bislang noch nicht geantwortet. Die SPD-Friedenspolitikerin Ute Finckh-Krämer weist jedoch Vermutungen zurück, ihre Partei könnte ihre Position in der Frage verändert haben. Die Fraktion setze sich weiterhin für den Abzug der taktischen Atomwaffen aus Deutschland und Europa ein, betonte die Bundestagsabgeordnete gegenüber »nd«. Konkrete Initiativen im Bundestag in diese Richtung sind gegenwärtig allerdings nicht erkennbar.

Unter dem Motto »Atomwaffen abschaffen – Modernisierung verhindern!« bereiten Friedensorganisationen für August ein mehrtägiges Protestcamp am Fliegerhorst Büchel vor. Auch Blockaden sind angekündigt.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 21. Juni 2014


Die neue Wurstigkeit

Velten Schäfer über die nukleare Geheimnistuerei der Bundesregierung ***

Wer bespitzelt wen im Land? Wer wird von hier aus mit Drohnen getötet? Welche Waffen lagern in der Republik? Wenn es wirklich wichtig wird, verfällt Berlin in Einsilbigkeit. Ob NSA, Fernsteuerbomber oder nun Atomwaffen: Erst hat man nichts gewusst, dann macht man auf einflusslos. Und wenn das nicht mehr zieht, wird man richtig wurstig: s geht hier um »Sicherheit«, hat irgendwer noch Fragen?

Die Irreführung der Öffentlichkeit sei nun mal »kein Straftatbestand«, erklärte einst ein niedersächsischer Innenminister, nachdem der Verfassungsschutz einen Anschlag auf ein Gefängnis inszeniert hatte. Man fühlt sich an diesen Stil erinnert, wenn nun herauskommt, dass Schwarz-Gelb schon 2010 mit den Amerikanern über die Modernisierung des Nukleararsenals von Büchel sprach und zugleich verkündete, man wolle dessen Abzug. Oder wenn klar wird, dass Schwarz-Rot hernach auf Machtlosigkeit plädierte, obwohl die Gastgeber der Bomben in deren Fortentwicklung einbezogen waren.

Viel ist jüngst von »Verantwortung« die Rede, meist man »Einsätze« in der Ferne. Wirkliche Verantwortung aber begönne mit der Kontrolle des eigenen Territoriums. Oder zumindest damit, dem demokratischen Souverän ehrlich mitzuteilen, was in demselben vor sich geht.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 21. Juni 2014 (Kommentar)


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