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"Atomexplosion" am Toten Meer

In Jordanien wird das globale Kontrollsystems für den nuklearen Teststopp erprobt

Von Wolfgang Kötter *

Ein Feldexperiment, bei dem vor Ort das globale Verifikationssystem des nuklearen Teststoppvertrages getestet wird, beginnt heute (3.11.2014) im Süden Jordaniens an den Ufern des Toten Meeres. Dieser abflusslose und rund 900 km² große Salzsee, der rund 420 m unter dem Meeresspiegel liegt, bietet durch seine geographischen und geologischen Gegebenheiten optimale Bedingungen für die Erprobung der technischen Elemente des Kontrollsystems. Eine fiktive Nuklearexplosion bietet den Anlass, bestehende Geräte, Abläufe und die Fachkenntnisse des Personals realitätsnah zu überprüfen. Der Exekutiv-Sekretär der zukünftigen Kontrollorganisation zum umfassenden nuklearen Teststoppvertrag (Comprehensive Test Ban Organization - CTBTO), Lassina Zerbo aus Burkina Faso, betonte bereits im Vorfeld die Bedeutung des Projekts: „Mit Jordaniens Engagement für einen erfolgreichen Test wird unsere Fähigkeit, eine Vor-Ort-Inspektion unter realistischen und anspruchsvollen Bedingungen zu unternehmen, auf eine neue Stufe gehoben und der Fortschritt demonstriert, der seit dem letzten integrierten Feldexperiment erreicht wurde.“ Vierzig internationale Inspektoren reisen dafür mit ihren 150 Tonnen Kontrollgerätschaften aus der Wiener Zentrale an und werden das rund 10 Mio. Dollar teure Experiment gut fünf Wochen lang ausführen.

Das erste Feldexperiment auf dem ehemaligen Testgebiet Semipalatinsk in Kasachstan

Das erste derartige Feldexperiment fand im Jahr 2008 auf dem ehemaligen Testgebiet Semipalatinsk in Kasachstan statt: An einem Sommertag im August registrierten die CTBTO-Seismographen Wellen ominöser Erderschütterungen der Stärke Vier auf der nach oben offenen Richterskala, begleitet von der Freisetzung des radioaktiven Cäsium 137 im fiktiven Staat „Arcania“. Dessen Regierung erklärte sie mit natürlichen Erdbeben, doch Nachbarstaat „Fiducia” vermutete einen heimlichen illegalen Atomwaffenversuch und verlangte von der Kontrollorganisation eine Untersuchung des Vorfalls. 49 internationale Inspektoren reisten nach Zentralasien. Unterstützt von rund 160 Helfern und ausgerüstet mit 50 Tonnen Hightech-Gerätschaften durchkämmten sie ein Gebiet von rund 1.000 km² nach vermeintlichen Spuren einer unterirdischen Nuklearexplosion. Drei Wochen lang verfuhren die Kontrolleure buchstabengetreu nach dem detaillierten „Handbuch“ für Vor-Ort-Inspektionen. Am Ende erwies sich die Unschuld des Verdächtigen, aber trotz widriger Wetterbedingungen, unerwarteter technischer Herausforderungen und teilweiser Kooperationsverweigerung der „einheimischen Behörden“ bewährten sich Akteure, Technik und Prozeduren des internationalen Kontrollverfahrens.

Damit das jetzt stattfindende Feldexperiment ähnlich erfolgreich verlaufen kann, haben bereits vor vier Jahren die Vorbereitungen begonnen. Die Kontrollorganisation hat eine Reihe von Übungen veranstaltet, um spezifische Methoden und Techniken zu trainieren. Mehrere spezielle Workshops zu Vor-Ort-Inspektionen haben an verschieden Orten in der Welt stattgefunden. In Jordanien wurde die Luftwaffe beispielsweise mit der Arbeitsweise der multispektral- und Infrarotsensoren vertraut gemacht und die Kommunikationstechnik geübt. Auch ein „Gastland-Übungskurs“ zur Einarbeitung des örtlichen Personals fand statt.

Internationale Kontrollorganisation einsatzbereit

Die technischen Voraussetzungen für ein effektives Funktionieren des Vertrages sind nahezu perfekt. Die zukünftige Kontrollorganisation in Wien arbeitet mit einem Jahresbudget von rund 75 Mio. Euro bereits auf Hochtouren. Sie umfasst die Konferenz aller Vertragsstaaten, den 51-köpfigen Exekutivrat und ein Technisches Sekretariat. Nach den USA (22,4) und Japan (11,0) ist Deutschland mit 7,3 Prozent drittgrößter Beitragszahler zum Haushalt der Organisation. Das globale Netzwerk von Beobachtungsposten deckt den gesamten Erdball lückenlos ab. Das Internationale Datenzentrum der Organisation, dessen 321 Messstationen die weltweit freigesetzte atomare Strahlung registrieren, arbeitet ebenfalls in Wien. Mit Hilfe von Radionuklid-Stationen, Infraschallgeräten, Unterwassermikrophonen und Erdbebenmessern werden natürliche Erschütterungen wie Erdbeben oder Vulkanausbrüche von künstlich herbeigeführten Explosionen unterschieden. Die Übermittlung der Informationen an das Wiener Datenzentrum erfolgt mittels eines satellitengestützten globalen Kommunikationsnetzwerks.

Doch obwohl die technischen Voraussetzungen zur Kontrolle eines weltweiten Testverbots geschaffen sind, ist das Abkommen immer noch nicht rechtswirksam. Bis heute haben zwar 183 Staaten unterschrieben, 163 sogar ratifiziert. Dennoch ist das Abkommen bisher nicht rechtsverbindlich, weil noch acht der 44 Staaten fehlen, die prinzipiell über das technische Know-how zum Atomwaffenbau verfügen und deren Mitgliedschaft Voraussetzung für das Inkrafttreten ist. Zu ihnen gehören außer den Atommächten China, USA, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea auch Ägypten sowie der Iran. Auf Dauer wird die Existenz einer Kontrollorganisation für einen nicht rechtsverbindlich in Kraft getretenen Vertrag allerdings zum Anachronismus. So manche Regierung könnte sich langfristig die Frage stellen, ob die finanziellen Beiträge weiterhin Sinn machen, wenn wichtige Staaten die Vertragsbestimmungen jederzeit ungestraft unterlaufen können. Auch unter diesem Aspekt ist also das jetzige Feldexperiment als Nachweis der zuverlässigen Kontrollmöglichkeiten des nuklearen Testverbots und damit der Existenzberechtigung des Vertrages von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Bisherige Kernwaffenversuche

LandAnzahlTestgebiete
USA 1.146New Mexico und Südpazifik, später Wüste von Nevada
UdSSR/Russland715Nowaja Semlja, Semipalatinsk
Frankreich 215 Sahara, später Polynesieninseln Moruroa und Fangataufa
China 45 Wüste Lop Nor
Großbritannien44Südpazifik, später Wüste von Nevada
Pakistan6 Chagai-Berge in Baluchistan
Indien5Thar-Wüste von Rajasthan
KDVR3nahe Kilju in der nordöstlichen Provinz Hamkyong
Südafrika (wahrscheinlich unterstützt von Israel) 1 (nicht nachgewiesen) Südatlantik zwischen Bouvetinsel und Prinz-Edward-Inseln
gesamt2.180

Quellen: Arms Control Association, Bulletin of the Atomic Scientists

* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - in: neues deutschland, 3. November 2014.
Mit freundlicher Genehmigung durch den Autor.



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