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Außenpolitik des Friedens

Kriege werden immer politisch gemacht - und sind deshalb auch politisch zu verhindern

Von Erhard Crome *

Das Ende des Kalten Krieges brachte keine Ära des Friedens, wie 1989/1990 vielfach erhofft, sondern ein neues Zeitalter der Intervention und imperialer Kriege. Die USA und ihre Verbündeten haben Krieg wieder zu einem »normalen« Mittel der Politik gemacht. Die weltweiten Rüstungsausgaben lagen im Jahre 2010 bei über 1.600 Milliarden US-Dollar; im Falle der USA ist das mehr als eine Verdopplung innerhalb eines Jahrzehnts. Die weltweiten Rüstungsausgaben liegen um ein Drittel höher als am Ende der Blockkonfrontation. Über 60 Prozent dieser Ausgaben entfallen auf die NATO. Die »Neue Weltordnung«, die Präsident Bush sen. mit dem Golfkrieg Anfang der 1990er Jahre postulierte, zielte auf die Verfügung über Rohstoffe, vor allem über Erdöl und Erdgas, und auf die Kontrolle strategischer Räume. Mit den Kriegen gegen Jugoslawien, Afghanistan, Irak und Libyen wurde diese Linie fortgesetzt. Nach dem Scheitern in Irak und Afghanistan hat US-Präsident Barack Obama auf eine Effektivierung der Kriegsführungsfähigkeit der USA gesetzt. Qualitative Aufrüstung wird fortgesetzt, unbemannte Drohnen kommen zum Einsatz, und die strategische Ausrichtung gegen China wird konzentriert.

Die Fragen Krieg oder Frieden haben nach dem Ende des Kalten Krieges erneut an Bedeutung gewonnen. Die tektonischen Verschiebungen der weltwirtschaftlichen Schwerkraftverhältnisse aus der nordatlantischen »Welt des Weißen Mannes« nach Asien haben sie global neu aufgeworfen. Mit dieser Verschiebung ist nicht nur das Scheitern des US-amerikanischen Unilateralismus und eine Relativierung des weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Gewichts der USA, sondern auch der Europäischen Union und insgesamt Europas verbunden. Zugleich stehen Frieden und Sicherheit auch in Europa weiter auf der politischen Tagesordnung.

Der Zustand des Weltfriedens, wie wir ihn gegenwärtig zu verzeichnen haben, ist kein Zustand eines weltweiten Friedens, sondern einer unterschiedlichen Verteilung von friedlichen und kriegerischen oder bewaffneten Konfliktzuständen in der Welt. Hier stellen sich die Fragen nach Konfliktursachen, Konfliktprävention und ziviler Konfliktbearbeitung ebenfalls neu. Diese Konflikte sind zumeist nicht zwischenstaatlich, sondern entstammen Bürgerkriegssituationen, die Armut, Hunger, Staatszerfall, Kampf um Rohstoffe für die Industriestaaten sowie Klimawandel und andere globale Probleme zum Ausgangspunkt haben. Das Wechselverhältnis von Frieden und Sicherheit einerseits sowie Frieden und Entwicklung andererseits ist neu in den Blick zu nehmen. Diese Probleme sind letztlich nicht militärisch lösbar.

Unter linker Perspektive verbindet sich das mit der Frage nach einer »Friedensfähigkeit des Kapitalismus« sowie der analytischen Reichweite von »Imperialismus«-Konzepten. Es gibt auch künftig keinen zwangsläufigen Zusammenhang von Kapitalismus, Krise und Krieg. Kriege werden immer gemacht, politisch gemacht, und sind deshalb auch politisch zu verhindern, und zwar durch breite Bündnisse des Friedens, zu denen auch viele Menschen gehören, die die »Systemfrage« nicht stellen.

Seit 1990 wurde in Deutschland die Bundeswehr in eine »Armee im Einsatz« umgewandelt, die weltweit einsatzfähig sein soll. Diese Entscheidung hatte viele Opfer, darunter Tote und Verwundete in Afghanistan, aber auch unter den deutschen Soldatinnen und Soldaten zur Folge, für die letztlich diejenigen verantwortlich sind, die sie dort hingeschickt haben. Deutschland als »geoökonomische Macht mit globalen Interessen« soll nach dem Willen der Regierenden diese auch militärisch geltend machen können. Dies ist ein Irrweg. Eine Transformation des außenpolitischen Denkens und Handelns ist dringend erforderlich. Der Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan wurde regelmäßig von einer übergroßen Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages beschlossen und von einer übergroßen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Die Menschen in Deutschland sind trotz aller gegenläufigen Propagandabemühungen in den vergangenen zwanzig Jahren mehrheitlich nicht mehr kriegsverwendungsfähig. Eine alternative Außenpolitik, die in einem wahren Sinne des Wortes Friedenspolitik ist, kann auf breite Unterstützung der Bevölkerung rechnen. Gegenwärtig ergeben sich zehn Positionen, von denen aus Veränderungen ihren Ausgang nehmen können:

1. Nach dem Kalten Krieg hätte spätestens mit dem Ende des Warschauer Vertrages auch das Ende der NATO historisch auf der Tagesordnung gestanden. Die Regierungen der USA und der anderen Mitgliedsstaaten des Paktes bestanden jedoch auf seiner Fortexistenz. Die NATO soll nicht nur militärisch-politisches Bündnis zur Verteidigung seiner Mitglieder sein - wobei nicht klar ist, gegen wen sich das richten soll -, sondern Weltpolizei-Aufgaben wahrnehmen. Diese werden aus einer diffusen, nicht wirklich begründeten Bedrohungsanalyse abgeleitet. Zugleich wirkt die fatale Logik des Bündnisses: Die Aufrüstung der NATO hat Aufrüstung in anderen Teilen der Welt zur Folge. Es müssen andere, auf das Völkerrecht und die UNO bauende Instrumente gefunden werden, um Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit zu gewährleisten. Um einen Ausweg zu finden, ist nicht eine Umgestaltung der NATO, sondern deren Abschaffung erforderlich.

2. Eine Schwierigkeit dabei ist, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil von 1994 zur NATO diese zu einem »Bündnis Kollektiver Sicherheit« umdefiniert hat. Dies widerspricht der verbreiteten internationalen Rechtsauffassung, die einen grundlegenden Unterschied zwischen einem »Verteidigungs-« bzw. Militärbündnis und einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit geltend macht. Ein völkerrechtlich verbindliches System gegenseitiger kollektiver Sicherheit gewährleistet, dass die Alternative zur NATO keine anarchische Welt konkurrierender Nationalstaaten ist, sondern Ausdruck gemeinsamer Sicherheit, der Idee friedlicher Koexistenz unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts.

3. Ein solches System muss durch ein immer weitergehendes Regime der Rüstungsbegrenzung und Abrüstung untersetzt werden, das durchaus auch regional - für Europa - weiterentwickelt werden muss. Das schließt die Fortsetzung und Erweiterung der Vertragskonstruktionen zur Beseitigung von atomaren und konventionellen Waffen in Europa, wie sie in der Schlussphase des Kalten Krieges entwickelt worden waren, ebenso ein, wie die Schließung aller Militärstützpunkte der USA und anderer NATO-Staaten auf deutschem Boden.

4. Die Nicht-Gewinnbarkeit eines mit Atomwaffen geführten Krieges gilt auch im 21. Jahrhundert, auch wenn von Seiten der USA immer wieder versucht wird, eine nuklear-strategische Erstschlagskapazität zu erlangen, die die Zweitschlagsfähigkeit Russlands bzw. Chinas auszuschalten in der Lage sein soll. Das führt, wie im 20. Jahrhundert, nicht zu einer strategischen Überlegenheit, sondern letztlich zu neuem Wettrüsten. Ein deutscher Beitrag wäre die Forderung nach Schaffung atomwaffenfreier Zonen auch in Europa, die den Abzug der verbliebenen Atomwaffen der USA einschließt - was zwischenzeitlich auch die FDP forderte, in der Bundesregierung allerdings aufgab.

5. Der erreichte Grad der Globalisierung ist unhintergehbar. Trotz sich fortzeugender Finanz- und Wirtschaftskrise wird die zu erwartende Zunahme von Krisenmomenten und Auseinandersetzungen im Weltsystem nicht zu dessen Zusammenbruch führen, sondern seinen Charakter verändern. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass es gelingt, einen atomaren Weltkrieg und einen Zusammenbruch des weltweiten Ökosystems zu verhindern. Das ist nicht eine Frage theoretischen Wissens, sondern der Fähigkeit zur Organisation länderübergreifender politischer Verfahren. Dafür bietet die UNO idealiter eine gute Grundlage, auch wenn sie realiter derzeit dazu wenig in der Lage scheint. UNO, UNO-Sicherheitsrat und Völkerrecht sind alternativlos; die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen muss wesentliches Instrument der Friedenssicherung sein.

6. Aus der Wirtschafts- und Finanzkrise ist Deutschland im Unterschied zu den meisten EU-Staaten gestärkt hervorgegangen. Neue Tendenzen einer deutschen Hegemonialpolitik prägten sich aus, die aber nichts daran ändern können, dass Deutschland nicht groß genug ist, Hegemon Europas zu sein - womit sich die »deutsche Frage« wieder stellt. Deutschland war Hauptnutznießer der Euro-Einführung, es wäre auch Hauptleidtragender seines Zusammenbruchs; eine Stabilisierung der EU geht aber nicht über Hegemonie, sondern über Kooperation. Gleichzeitig sollte Deutschland alles tun, die militärischen Komponenten des Lissabon-Vertrages zurückzubauen und die EU zu einer tatsächlichen Zivilmacht zu machen.

7. Deutschland ist drittgrößter Rüstungsexporteur weltweit. Die Umsätze stiegen 2012 weiter. Das offizielle Reden, deutsche Außenpolitik sei »werteorientiert«, erweist sich angesichts der anstehenden massenhaften Lieferung deutscher Kampfpanzer an Saudi-Arabien als Trug. Das Land ist für seine Menschenrechtsverletzungen und völlige Missachtung von Frauenrechten bekannt, was aber den Geschäften keinen Abbruch tun soll. Notwendig ist die Einstellung deutscher Rüstungsexporte, zunächst in Krisengebiete und an autoritäre Regime. Darüber hinaus müssen die entsprechenden staatlichen Genehmigungsverfahren politisch transparent und parlamentarisch kontrollierbar gemacht und aus dem Geheimzirkel »Bundessicherheitsrat« herausgeholt werden.

8. Angesichts des Fiaskos des westlichen Afghanistankrieges ist der sofortige und vollständige Abzug der Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen dringend erforderlich. Künftige entsprechende Einsätze sollten verhindert werden. Die Transformation der Bundeswehr zu einer »Armee im Einsatz« sollte ersetzt werden durch eine Transformation, die der Idee strategischer Suffizienz (vernünftiger Hinlänglichkeit) der Verteidigung folgt und durch strukturelle Angriffsunfähigkeit gekennzeichnet ist; zuerst sollten die global einsetzbaren Einheiten abgebaut, aufgelöst und abgerüstet werden, um die Bundeswehr auf ihre grundgesetzliche Funktion der Territorial-Verteidigung zurückzuführen.

9. Bereits im Zusammenhang mit der Reduzierung der Bundeswehr und dem Abzug ausländischer Truppen, vor allem auch der Einheiten anderer NATO-Staaten vom Gebiet der früheren BRD, konnten wertvolle Erfahrungen der Standortkonversion gesammelt werden. Die Verwandlung früherer Militärstandorte in Orte des Wohnens und des zivilen Lebens ist in vielen Fällen gut gelungen, wenn Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Kommunen klug zusammengewirkt haben. Keine Kommune muss dauerhaft wirtschaftliche Nachteile befürchten, wenn Militärstandorte geschlossen werden. Dazu wird gerade eine Studie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erarbeitet.

10. Die Verhinderung des Bombodroms in der Kyritz-Ruppiner Heide durch ein breites Bündnis der Bürgerinnen und Bürger, der Friedensbewegung, von Kirchenvertretern, Gewerkschaften, der örtlichen Unternehmer und unterschiedlicher politischer Kräfte hat gezeigt, dass auch gegen den Willen der Bundesverteidigungsminister - unterschiedlicher Parteizugehörigkeit - die Schließung eines solchen Standortes möglich ist. Das dient nicht nur der Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in der Region, sondern auch der weiteren Verfriedlichung deutscher Politik. Dazu liegt eine Studie vor, die im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung von Babelconsult Potsdam erarbeitet wurde.

* Dr. habil. Erhard Crome ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Aus: neues deutschland, Samstag, 19. Januar 2013


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