Kriegseinsatz der Bundeswehr? Reaktionen der Öffentlichkeit
Für und Wider im Spiegel der Presse
Viele Zeitungen am 7. November kommentierten die Ankündigung Bundeskanzler Schröders, für den Krieg in Afghanistan Bundeswehreinheiten zur Verfügung zu stellen, zurückhaltend bis skeptisch-ablehnend. Häufig wurde auf die außenpolitische Bedeutung des Schritts hingewiesen: Was militärisch höchst zweifelhaft bleibe, könne aus außenpolitischer Perspektive (Rolle Deutschlands im Bündnis und in der Welt) durchaus Sinn machen. Auch ein Blick ins Ausland darf gewagt werden. In Italien und Frankreich (von Großbritannien stand das ja von Anfang an fest) wird offenbar ähnlich gedacht wie in Berlin: Man möchte dabei sein, um sich politisch unentbehrlich zu machen und damit eine günstigere Ausgangsposition im Ringen um mehr Einfluss in der NATO, in der EU und auf der weltpolitischen Bühne zu erhalten. 
Wir beginnen unseren kurzen Überblick mit drei Beiträgen, die sich mit Großbritannien, Frankreich und Italien befassen.
   
Bedingungslos im Einsatz 
Der Londoner Korrespondent Gerd Zitzelsberger berichtet in der Süddeutschen Zeitung über die Haltung Großbritanniens u.a.: 
Die Vergangenheit als weltweite Hegemonialmacht
                   schimmert noch immer durch: In Großbritannien dient das Militär
                   keineswegs nur der Verteidigung der eigenen Landesgrenzen
                   und der staatlichen Souveränität sowie dem Beistand der
                   Verbündeten. Vielmehr verstehen sich die Briten - an der Seite
                   der USA - immer noch als eine Art Weltpolizist ...
           
    ...
                  "Die Verteidigungspolitik ist konzipiert, die britische
                   Außen- und Sicherheitspolitik zu unterstützen", kann man im
                   "Offiziellen Jahrbuch" der Regierung nachlesen. Und deren Ziele,
                   so heißt es dort weiter, bestehen unter anderem darin,
                   Großbritanniens "Prestige und Einfluss in der Welt zu
                   maximieren, sowie Freiheit und demokratische Institutionen zu
                   schützen". 
                   Und die Briten wären nicht Briten, wenn sie nicht auch gleich die
                   Wirtschaft im Hinterkopf hätten. So soll die britische
                   Verteidigungspolitik auch den freien Welthandel schützen. Diese
                   Ziele haben alle Regierungswechsel überdauert und gehören
                   zum unumstrittenen Grundkonsens. Vor diesem Hintergrund
                   verwundert es nicht, dass der Einsatz von Truppen in
                   Afghanistan auf der Insel weit weniger umstritten ist als in
                   Deutschland. ... 
                   Die konservative Opposition kritisiert Premierminister Tony Blair
                   im Parlament keineswegs deswegen, weil er sich an den
                   Raketenangriffen auf vermutete Taliban-Stellungen beteiligt hat,
                   sondern weil er sich ihrer Ansicht nach zu wenig engagiert. "Die
                   meisten von uns hätten gehofft, dass die Regierung eine
                   deutliche Verstärkung des Tempos der Operationen ankündigt
                   und die mögliche Verlegung von Bodentruppen", sagte der
                   frühere konservative Verteidigungs-Staatssekretär Nicholas
                   Soames im Parlament. ...
                   
                      Die Entsendung von Bodentruppen nach Afghanistan, die von der
                   Regierung in London als möglich und von politischen Beobachtern
                   als wahrscheinlich dargestellt wird, verursacht auch aus anderen
                   Gründen wenig Aufregung auf der Insel: Zum einen wird
                   vermutet, dass ohnehin bereits Elitesoldaten des "Special Air
                   Service" (SAS) die Nordallianz bei ihrem Kampf gegen die Taliban
                   unterstützt haben - auch wenn ein Sprecher des
                   Verteidigungsministeriums sagt: "Über die SAS reden wir
                   nie." Zum anderen haben die Briten, anders als die Deutschen,
                   eine reine Berufsarmee. Und sie sind es seit langem gewohnt,
                   dass das Militär in allen Teilen der Welt stationiert ist und auch
                   außerhalb von UN-Missionen in Kämpfe verwickelt wird. ...
       ...        
                   Elf Flugzeuge beteiligen sich direkt und indirekt (als
                   Tank-Flugzeuge für US-Jets) an den Operationen. Die Flotte im
                   Krisengebiet besteht aus einem Kreuzer als Kommando-Schiff,
                   einem Flugzeugträger, der als Hubschrauber- Stützpunkt
                   fungieren soll, einem Zerstörer, einer Fregatte, sieben
                   Hilfsschiffen und einer unbekannten Zahl von U-Booten, eines
                   davon mit Tomahawk-Raketen bestückt. Insgesamt 4 200
                   Soldaten seien entsandt worden, hieß es im
                   Verteidigungsministerium. Wenn von Bodentruppen die Rede ist,
                   wird es nicht um Divisionen gehen: 200 Soldaten sind jetzt auf
                   der HMS Fearless eingeschifft worden.  (SZ, 07.11.2001)        
                  
 Bedingt beistandsbereit 
Gerd Kröncke berichtet - ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung - aus Paris u.a.:
... Die proamerikanische Stimmung lässt im ganzen Land nach. Noch
                   Mitte Oktober befürworteten zwei Drittel der Franzosen die
                   militärischen Schläge gegen die Taliban, inzwischen sind es nur
                   noch die Hälfte. 
                   Dennoch wird niemand an der französischen Solidarität zweifeln,
                   und wo immer der Staatschef sich äußert, unterscheiden sich
                   seine Worte nur in Nuancen von denen seiner europäischen
                   Kollegen. Aber die Nuancen zählen. Voriges Wochenende in
                   Downing Street ließ Jacques Chirac wissen, dass "die
                   unabdingbaren militärischen Aktionen nicht die einzigen
                   Lösungen sind". Das muss man nicht als Distanzierung ansehen,
                   aber die Formel von der "uneingeschränkten Solidarität" wird
                   weniger häufig benutzt, die einfache, selbstverständliche
                   Solidarität muss ausreichen. ...
                   Die militärische französische Unterstützung für die Vereinigten
                   Staaten im Krieg gegen die afghanischen Taliban bleibt noch
                   immer eher indirekt. Bislang haben die Franzosen anders als
                   Großbritannien keine aktive Hilfe geleistet, sie beschränken sich
                   auf logistischen Beistand. Die Franzosen hätten wohl gern ihren
                   einzigen Flugzeugträger, die Charles de Gaulle, ins Krisengebiet
                   geschickt, aber der lag wieder einmal im Trockendock von Toulon,
                   und hat bislang ohnehin nur Pannen erlebt. So beschränkt sich
                   ihre Hilfe bislang auf die Entsendung des Versorgungstankers
                   Var und der Fregatte Courbet, die unter anderem mit acht
                   Exocet-Raketen ausgerüstet ist. Damit soll die Logistik der
                   Verbündeten gestärkt werden. 
                   Die französische Führung erwägt allenfalls, ihre Sondereinheiten
                   einzusetzen. ...
                   Die französischen Sondereinheiten verfügen über etwa 2500
                   hochtrainierte Soldaten, deren Effizienz denen der britischen
                   SAS-Einheiten oder der US-Marines entspricht. Sie umgeben sich
                   konsequent mit der traditionellen "grande muette", dem großen
                   Schweigen. Wenig erfährt man auch über die französischen
                   Agenten, die schon vor dem 11.September in Afghanistan
                   operierten, und deren Einsatz noch mit dem später ermordeten
                   Führer der afghanischen Nordallianz Achmed Schah Massud
                   verabredet worden war. ... (SZ, 07.11.2001)
            
            
       Unbedingt einsatzwillig 
Christiane Kohl rundet das Länderpanorama mit einem Bericht über Italien ab. Auch hieraus Auszüge:
... Seit Wochen hatte
                   Italiens Verteidigungsminister den Amerikanern Kriegsschiffe,
                   Flugzeuge und Bodentruppen angeboten. Die Nachricht, dass die
                   USA das Angebot annehmen wollen, stieß daher auf Genugtuung
                   in Rom: Ministerpräsident Silvio Berlusconi betrachtet die
                   Entscheidung als internationale Aufwertung seiner in
                   außenpolitischen Fragen bislang nicht allzu geschickten
                   Regierung. Während die Regierung rückhaltlos für die
                   Militärentsendung ist, gibt es unter den Oppositionsparteien
                   höchst unterschiedliche Auffassungen. Am heutigen Mittwoch soll
                   das Parlament über den Einsatz entscheiden. 
(Die Entscheidung fiel mit 95 % der Abgeordnetenstimmen zugunsten der Regierung aus, Anm. Pst)
                   Als erste Einheit könnte die Marine zum Zuge kommen. So wird in
                   Italien spekuliert, dass der Flugzeugträger Garibaldi bald in die
                   Nähe des Kampfgebiets verlegt werden könnte. Das Schiff ist mit
                   Hubschraubern sowie 16 Flugzeugen vom Typ "Harrier"
                   ausgestattet, die auf der Schiffsbrücke starten und landen
                   können. Außerdem verfügt es über Seegeschütze und
                   Flugabwehrkanonen; zur Besatzung gehören 825 Mann.
                   Überdies hat Italien acht Aufklärungsflugzeuge vom Typ Tornado
                   angeboten. Hinzu kommen Bodentruppen, die jedoch erst nach
                   Abschluss der Kampfhandlungen zum Einsatz kommen sollen. So
                   etwa ein 400Mann starkes leichtes Panzer-Regiment, eine
                   Sondereinheit zum Kampf gegen ABC-Waffen, Spezialisten zum
                   Entschärfen von Minen sowie eine Fallschirmjäger-Truppe der
                   Carabinieri. 
                   Sprecher des italienischen Militärs zeigten sich äußerst stolz
                   darüber, dass sie bei der Mission "Dauerhafter Frieden"
                   mitmachen dürfen. Allerdings wiesen sie auch darauf hin, dass
                   ihre Männer "gezählt" seien, da in die laufenden
                   Friedenseinsätze auf dem Balkan und in Afrika bereits 8500 Mann
                   eingebunden seien. Im Weißbuch des Verteidigungsressorts
                   wurde bereits vor Personalproblemen gewarnt, wenn die Militärs
                   in mehr als zwei Krisenregionen eingesetzt würden. (SZ, 07.11.2001)
Kommentare
Wir beginnen mit dem Leitartikel aus der Süddeutschen Zeitung:
 
                   Abenteuer Afghanistan 
                   VON CHRISTOPH SCHWENNICKE 
                   Das Tempo ist so atemberaubend, dass das Zeitgefühl nicht
                   mehr Schritt halten kann. Es scheint plötzlich Jahrzehnte her zu
                   sein, dass man in jeder Experten-Runde auf der Stelle für
                   verrückt erklärt worden wäre, hätte man gesagt, deutsche
                   Truppen würden jemals tief nach Asien hinein, den Hindukusch
                   hinauf geschickt. "Niemals!", "Ausgeschlossen!", "Wahnsinn!"
                   hätte sich jede Runde reflexhaft empört und dabei jede
                   Contenance verloren. Vor einem Jahr noch wäre das so
                   verlaufen. 
                   Jetzt steht die Bundeswehr vor einem Einsatz in und um
                   Afghanistan, und es gibt weder in geographischer noch in
                   geopolitischer Sicht Hinweise dafür, dass sich das Land am
                   Hindukusch in der kurzen Zeit seither zu einer gemütlicheren
                   Weltgegend entwickelt hätte. Vom Krisenszenario her betrachtet
                   ist die Beteiligung an den US-Militärschlägen gegen das
                   Taliban-Regime fast schon der größte anzunehmende Einsatz.
                   Kaum ein Winkel der Welt ist politisch wie geographisch so
                   zerklüftet wie eben jener, in dem sich mutmaßlich Osama bin
                   Laden verschanzt hat. 
                   "Muss das sein?", fragt sich da das militärisch zur Zurückhaltung
                   sozialisierte Nachkriegs-Deutschland. Antwort eins: nein.
                   Militärisch betrachtet gibt es für die USA nicht den geringsten
                   Grund, auch nur ein Sturmgewehr aus deutschen
                   Waffenkammern anzufordern. Das bleibt nach dem gestrigen Tag
                   so richtig wie vorher. Die Anforderung ist ausschließlich
                   politischer Natur. Antwort zwei: Nach Entwicklung der Dinge - ja,
                   leider, es muss sein. Es ist erkennbar der Bündnistest, eine
                   Probe der Belastbarkeit einer kurzsichtigerweise als
                   "uneingeschränkt" titulierten Solidarität. Schon als US-Präsident
                   Bush Deutschland erstmals öffentlich zusammen mit Kanada,
                   Australien und Frankreich als kommende Militärpartner nannte,
                   musste dies jedem klar sein. Militärisch gesehen, nahm sich die
                   Nennung der deutschen Streitkräfte schon damals exotisch aus.
                   Es wäre naiv, es für einen Zufall zu halten, dass Amerika auf die
                   hiesigen Angebote gerade jetzt in erheblichem Umfang
                   zurückkommt und den Zögling Deutschland zu schwierigster Zeit
                   testet. Der Krieg in Afghanistan tritt auf der Stelle, da tut die
                   faktische Einforderung der Solidarität Not. Der Krieg ohne
                   kurzfristig erkennbares Ziel bleibt wiederum nicht ohne Effekt auf
                   die innen- und koalitionspolitische Situation. Schröder versucht
                   erkennbar, anschwellenden Widerstand durch diesen
                   Befreiungsschlag zu unterdrücken. 
                   Sanitäter in Kambodscha, Infanterie in Somalia, Friedenshüter in
                   Bosnien, Tornados im Kosovo: Der allmähliche und nun
                   endgültige Eintritt Deutschlands in den Krieg ausgerechnet in
                   einer Region, in der sich zuletzt selbst eine kriegserfahrene
                   Nation nichts als Niederlagen geholt hat: Es bleibt ein
                   beklemmender Gedanke, dass die lange Jahre auf sympathische
                   Weise unkriegerische Bundeswehr zum ersten Mal ohne spezielle
                   Deutschland-Klausel in eine Hölle wie Afghanistan geschickt
                   werden kann. Es bleibt ein noch beklemmenderer Gedanke, dass
                   der Zynismus der Geschichte es will, dass mit Rot- Grün
                   ausgerechnet diejenigen diesen Kriegseinsatz zu verantworten
                   haben, die lange - teils sympathisch, teils weltfremd - stolz auf
                   ihre Bezuglosigkeit zur Welt des Militärischen waren. 
        ... So sehr man sich dagegen sträubt, so
                   drängt sich doch das Gefühl auf, dass Gerhard Schröder, in
                   Nuancen auch Joschka Fischer, diese neue Rolle im
                   internationalen Gefüge als reines Machtinstrument begreifen. In
                   manchmal fahrlässig anmutender, manchmal fast kindlich
                   wirkender Manier scheinen da Heranwachsende darum zu eifern,
                   in den Club der Großen aufgenommen zu werden, einen Club,
                   der entscheidend militärisch definiert ist: "Ich will hier rein!" Ein
                   militärischer Habenichts und Emporkömmling wie Deutschland
                   sollte sich aber gerade auf diesem Feld vor jeder
                   Selbstüberschätzung hüten. Hybris und Anmaßung werden
                   nirgends brutaler, unbarmherziger und blutiger bestraft als auf
                   dem Kriegsschauplatz. 
                   Die letzte Entscheidung über den Einsatz der Truppen will
                   Gerhard Schröder der nationalen Entscheidung vorbehalten.
                   Faktisch liegen die zugesagten Kontingente in den Händen der
                   Strategen im Pentagon, sobald die Pauschalzusage des
                   Bundestages vorliegt. Teilhabe am Haben und Sagen, wie es
                   Schröder in anderem Zusammenhang so gerne beschwört, wird
                   es kaum geben. ... Mitmachen, ohne mitzureden, darin liegt die eigentliche
                   Gefahr der gestrigen Entscheidung. ... (SZ, 07.11.2001)
Das Neue Deutschland nimmt eine entschiedenere Anti-Kriegshaltung ein:
Schuld beginnt
Von Jürgen Reents 
 
 
Nie wieder solle man sich daran gewöhnen, dass Träger deutscher Uniformen in andere Länder
marschieren und eine deutsche Marineflagge im Kriegseinsatz über den Weltmeeren weht. Schnee von
gestern, angetaut in den frühen 90er Jahren unter der Kohl-Regierung, weggeschmolzen unter rot-grüner
Intensivbestrahlung zur vorgeblichen Beseitigung von Menschenrechtsverletzungen und Terrorismus.
Gestern Kosovo, heute Afghanistan, morgen... 
Schröder hat die geplante »Bereitstellung« von 3900 Soldaten, davon 1800 auf Kriegsschiffen, als
»historische Entscheidung« apostrophiert. Sie ist es in der Tat, auch was die parlamentarische
Demokratie betrifft. Der Bundestag erhält die Rolle eines uninformierten Nickorgans und des Kanzlers
Juristen sind angewiesen, dafür die Minimalvorschriften in Karlsruhe zu erfragen. Freibrief,
Ermächtigung? Natürlich alles nur zur Sicherheit der Soldaten - weitere Nachfrage nicht gestattet. 
Die Sicherheit der Menschen, die seit vier Wochen den Raketen und Streubomben der USA ausgesetzt
sind, ist Kanzlers Rede nicht wert. Über 1500 zivile Opfer haben die Taleban inzwischen summiert.
Vielleicht sind es einige weniger, vielleicht sind es mehr - im Krieg wird auf allen Seiten gelogen und die
Herrscher Afghanistans sind nicht als rühmliche Ausnahme dabei bekannt. Dennoch ist unzweifelhaft,
dass das bisherige Bombardement bereits sehr vielen Menschen das Leben gekostet hat, die am
Grauen des 11. September nicht die geringste Mitschuld hatten. Zweifelhaft ist aber, ob auch nur ein
Täter getroffen wurde. Fortan werden alle Opfer auch direkt den Regierenden »unseres« Staates
anzulasten sein. Sie steigen von Mitschuldigen zu Schuldigen auf. 
Der Kampf gegen den Terrorismus sei ein Kampf um unsere Art zu leben, sagte Schröder. So wie
dieser Kampf geführt wird, eine erschreckende Art: voll von Arroganz und Machtgehabe, leer von echter
Solidarität und Mitleiden. Dass nicht nur dieser Krieg, sondern auch sein »Lebensgrund« woanders auf
tiefe Ablehnung stößt, ist hohe Zivilisation, die hier zu Lande erst (wieder) erlernt werden muss. (Neues Deutschland, 07.11.2001)
Der Hannoveraner Neuen Presse haben wir folgenden Kommentar entnommen: 
                                                  
 Kommentar
Von MICHAEL GRÜTER 
 Deutschland soll in den Krieg ziehen. Oder um mit den Worten des Kanzlers zu
 sprechen, Deutschland soll Truppen zum Kampf gegen den Terror bereitstellen, die
 bald zum Einsatz kommen werden, wo und wie auch immer.
 Das kann niemanden überraschen. Überraschend ist, mit wie wenig Gespür für die
 wachsenden Zweifel in der Bevölkerung diese Entscheidung von Schröder vertreten
 wird.
 Ziehen wir in den Krieg, weil der Bundestag nun B sagen muss, nachdem er bereits A
 gesagt hat? Weil wir fast 50 Jahre lang die Bündnissolidarität genossen haben und
 nun zeigen müssen, dass wir bündnisfähig sind? Weil der UN-Sicherheitsrat den
 Amerikanern das Recht auf Selbstverteidigung zu gebilligt hat? 
 All diese vom Kanzler angeführten Argumente sind gewichtig und ernst zu nehmen.
 Für sich genommen sind sie jedoch allesamt zu leicht, um eine so schwerwiegende
 Entscheidung zu rechtfertigen. Es geht um das Leben und den Tod von Soldaten, um
 einen Krieg, von dem niemand sagen kann, wie lange er dauern wird und wie viele
 Opfer er fordern wird. 
 Der Kanzler hat - leider nur nebenbei - daran erinnert, dass die Terroristen den
 zivilisierten Gesellschaften und damit auch uns das Recht bestreiten, zu leben und zu
 arbeiten, wie sie es für richtig halten. Das ist von anderem Kaliber. Es geht um
 unsere Freiheit. Einen besseren Grund zu kämpfen gibt es nicht. 
 Es ist eins zu erklären, warum der Kampf gegen den Terror notwendig ist. Es ist ein
 zweites zu erläutern, warum und wie er erfolgreich geführt werden kann. Da blieb der
 Kanzler blass. Nach fünfwöchigem Bombenkrieg sagt Schröder, er habe die Strategie der USA nicht
 zu kritisieren. Das klingt nicht überzeugt und schon gar nicht überzeugend. Da muss der Kanzler
 nachlegen, wenn er kann. (Neue Presse, 07.11.2001)
Der Reigen der kritischen Kommentare wird beschlossen mit dem Leitartikel aus der Frankfurter Rundschau. Ausschnitte:
Kanzlers Ermächtigung 
Von Knut Pries 
                   Von Überraschung kann natürlich keine Rede sein. Ein ums andere Mal hat
                   Gerhard Schröder in den vergangenen Wochen die Situation beschworen, die nun
                   eingetreten ist: dass die Bundesrepublik nicht umhin kommen werde, auch
                   militärisch auszubuchstabieren, was ihre "uneingeschränkte Solidarität" mit den
                   Vereinigten Staaten heißen soll. Was da passiert, einschließlich der fünf
                   deutschen Beistandskomponenten, trifft niemanden unvorbereitet. ...
                   Worin lag für die Amerikaner die Notwendigkeit, sich gerade jetzt die prinzipielle
                   Bereitschaft der Deutschen zur Bereitstellung und -haltung bestimmter Kapazitäten
                   konkretisieren zu lassen? Das ist nicht so einfach zu begründen. Einleuchtender
                   ist hingegen das Motiv der Regierung Schröder: Angesichts des abbröckelnden
                   Verständnisses für die Strategie der USA, der wachsenden Zweifel am deutschen
                   Einverständnis im Zeichen der gelobten Solidarität konnte sie kaum länger
                   zuwarten.
                   Was der Kanzler in dieser Lage zum deutschen Beitrag vorgetragen hat, ist so
                   stark in der Begründung, wie es schwach ist in der Zweckbestimmung. Erneut und
                   ausführlich hat Schröder die materielle und formelle Legitimität einer Abwehr und
                   Verfolgung des internationalen Terrrorismus auch mit Waffengewalt erläutert: Die
                   Attentate vom 11. September geben das Recht auf Gegenwehr, die UN haben es
                   bestätigt, für die Nato konstituiert die Attacke den Bündnisfall, der Bundestag hat
                   all dem ausdrücklich zugestimmt. Heißt: Es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit,
                   bei dem mitzutun, was rechtens und geboten ist. Beim Warum hat Schröder also
                   keine argumentativen Schwierigkeiten.
                   Beim Wozu umso mehr. Allen Fragen nach der Tauglichkeit der konkreten Mittel,
                   die zum Einsatz kommen, weicht Schröder systematisch aus. Weder zur
                   US-amerikanischen Strategie möchte er sich einlassen noch zu den genauen
                   Umständen der beabsichtigten deutschen Unterstützerrolle. Wann, wo und mit
                   welcher Absicht die Bundeswehr in Marsch gesetzt werden soll, bleibt offen.
                   Daraus ist nicht etwa zu schließen, Schröder teile die Zweifel am Vorgehen der
                   Amerikaner nicht. Im Gegenteil - er findet es seinerseits schwierig zu begründen,
                   ohne dass ihm als dem Anwalt der uneingeschränkten Solidarität die Möglichkeit
                   offen stünde, Kritik erkennen zu lassen.
                   In der Not, zum Warum viel, zum Wozu aber kaum etwas sagen zu könne, möchte
                   Schröder zu einem Verfahrenstrick Zuflucht nehmen, der die gut begründeten
                   Kautelen des deutschen Verfassungsrechts überdehnen würde. Das Recht des
                   Parlaments, über den Auslandseinsatz von Bundeswehrsoldaten zu befinden, soll
                   gespalten werden. Wirklich entscheiden im Sinne eine Abstimmung mit Ja oder
                   Nein könnten die Abgeordneten nur mehr über die Bereitstellung von Kapazitäten,
                   ohne dass deren präzise Verwendung definiert wäre. Was den Einsatz selbst
                   anbelangt, wäre die Entscheidung hingegen dem Regierungschef vorbehalten. ...
                   Schröder selbst nennt dieses Verfahren beim richtigen Namen: Es ist eine
                   "Ermächtigung". Nun darf man dem Kanzler und gelernten Juristen abnehmen,
                   dass er hat prüfen lassen, ob die Sache verfassungskonform ist. Dies sei der Fall,
                   versichert er. Mal abgesehen davon, dass darüber gestritten werden kann - die
                   Frage, wie Geist und Buchstaben des Grundgesetzes im konkreten Fall umgesetzt
                   werden, ist keine rein juristische. Ein Bundestag, der sich auf eine derartig
                   weitgehende Pauschalermächtigung einließe, würde sich seiner Kontrollfunktion
                   ausgerechnet in einer Lage begeben, wo diese angesichts der Unsicherheit und
                   Zweifel in der Bevölkerung einen besonderen demokratischen Wert hat. Noch steht
                   der Beschluss des Plenums aus. Der Vorstoß des Kanzlers ist der Versuch zu
                   testen, wie weit er gehen kann. Es ist Sache der Parlamentarier klarzustellen: so
                   weit nicht. (FR, 07.11.2001)
Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gebührt das Schlusswort unserer Presseschau. Karl Feldmeyer blickt weit über den Tellerrand der Alltagspolitik und begründet zugleich die vermuteten Einsatzgebiete der Bundeswehr. Auch hieraus Auszüge:
Die Bundeswehr am Wendepunkt 
Wohin sollen die deutschen Soldaten?
Von Karl Feldmeyer
v
Das Jahr 2001 könnte sich für die
                           Bundeswehr als Wendepunkt erweisen. Während ihre
                           finanzielle Ausstattung nach wie vor notleidend ist und ihre
                           Umstrukturierung und die damit verbundene deutliche
                           Verkleinerung auf einen Strukturumfang von nur noch 255.000
                           Mann voll anläuft, zeichnet sich eine neue Wirklichkeit ab. Das
                           stellt die Bundeswehr vor ungeahnte Herausforderungen, die
                           noch vor wenigen Monaten als völlig undenkbar bewertet
                           worden wären. Dazu gehört vor allem die von Bundeskanzler
                           Schröder erklärte "Entgrenzung ihres Einsatzraumes". Die
                           Bundeswehr, die ausschließlich zur Landesverteidigung
                           aufgebaut worden war, erhielt in den neunziger Jahren als
                           zusätzliche Aufgaben die Beteiligung an der Verteidigung von
                           Bündnispartnern außerhalb Deutschlands und außerdem die
                           Intervention außerhalb des Bündnisgebiets: so zum
                           Friedenserhalt - wie in Bosnien - oder zur
                           Friedenswiederherstellung - wie im Kosovo. In diesem Jahr
                           kam als drittes Einsatzgebiet Mazedonien hinzu. Wenige
                           Wochen darauf brachte der Terroranschlag vom 11.
                           September der Bundeswehr eine neue Dimension der
                           Herausforderung: die Unterstützung Amerikas auch außerhalb
                           Europas und des Nato-Vertragsgebietes, falls nötig, an jedem
                           Ort der Erde.
                           Diese vom Bundeskanzler vorgenommene, neue
                           Aufgabenbestimmung wird nun Realität. Schröder hat am
                           Dienstag zwar nicht über alle Einzelheiten eines möglichen
                           Einsatzes deutscher Streitkräfte im Kampf gegen den
                           Terrorismus berichtet, aber doch so weit, daß es möglich ist,
                           sich ein Gesamtbild zu machen. ...
                           Für Evakuierungseinsätze wird Deutschland nach Mitteilung
                           des Kanzlers etwa 250 Soldaten bereitstellen. Dabei darf
                           angenommen werden, daß die Bundeswehr den als fliegendes
                           Lazarett ausgerüsteten Airbus sowie die dazugehörige
                           Infrastruktur zur Verfügung stellt. Bei der
                           Lufttransportkapazität, von der Schröder nur mitteilte, daß
                           etwa 500 Soldaten dazugehörten, kann es sich nur um die
                           betagten "Transall"-Transportmaschinen handeln, die seit
                           Jahrzehnten im Einsatz sind. Schröder deutete an, daß diese
                           Maschinen für den Lufttransport sowie "air dropping"-Einsätze
                           bereitgehalten würden. Dabei handelt es sich in der Regel um
                           den Abwurf von Verpflegungsrationen oder anderen für das
                           Überleben wichtigen Gütern. Gedacht ist an die Bereitstellung
                           von drei bis fünf Maschinen mit einer Transportkapazität von
                           100 bis 150 Tonnen. Schon bei dem Einsatz der Maschinen
                           über Bosnien mußte die Besatzung vor der Gefahr des
                           Beschusses durch eine improvisierte Zusatzausrüstung
                           geschützt werden. Diese bestand im wesentlichen aus Matten,
                           die aus schußsicherem Material gefertigt worden waren.
                           Bereits damals waren diese Maschinen überaltert und deshalb
                           dem Einsatz nicht voll angemessen. Mit dem Einsatz der
                           "Transall" demonstriert die Bundeswehr, wie dringend
                           erforderlich es ist, das Material zu erneuern. Mit einer
                           Lebenszeit von mehr als 30 Jahren ist die "Transall" keine
                           Ausnahme. Sie bewegt sich vielmehr im Durchschnitt nahezu
                           aller wichtigen Waffenssyteme der Bundeswehr.
                           Schließlich erwähnte Schröder auch den Einsatz von "etwa 100
                           Mann der Spezialkräfte". Was darunter zu verstehen ist, ließ er
                           offen. Wichtig war ihm aber der Hinweis, daß es sich dabei
                           nicht um das "KSK" - das "Kommando Spezial-Kräfte" -
                           handele, das ein Teil der neu geschaffenen "Division Spezielle
                           Operationen" (DSO) ist. Man geht wohl nicht fehl in der
                           Annahme, daß es sich bei den von Schröder erwähnten
                           "Spezialkräften" um einen Mix handelt, dem Soldaten des KSK
                           ebenso angehören wie andere Spezialisten der Bundeswehr. Als
                           solche gelten Kampfschwimmer und Minentaucher ebenso wie
                           Fernspäher und Angehörige der Aufklärungstruppe.
                           Bisher gilt aber für alle möglichen Einsatzkräfte: Bislang ist
                           nicht erkennbar, wo sie eingesetzt werden sollen, denn dorthin,
                           wo Truppen derzeit im Einsatz sind, nämlich nach Afghanistan,
                           sollen sie, wie Schröder mehrfach bekräftigte, nicht geschickt
                           werden. Eine Einschränkung dieser Aussage machte Schröder
                           allerdings in bezug auf die etwa 100 Mann der "Spezialkräfte".
                           Die sich damit aufdrängende Frage, wo die Streitkräfte denn
                           dann eingesetzt werden sollen, ist derzeit nicht befriedigend zu
                           beantworten - und zwar nicht nur für die Öffentlichkeit,
                           sondern ebenso für die Bundeswehr und die Bundesregierung. ...
                       
                           Anders ist die Situation für die Seestreitkräfte, die Deutschland
                           zur Verfügung stellt. Schröder teilte mit, daß ihr Einsatz mit
                           Sicherheit mit dem "Horn von Afrika" zu tun haben werde. Das
                           Horn von Afrika ist der deutschen Marine bereits von ihrem
                           Somalia-Einsatz Mitte der neunziger Jahre her bekannt. Damals
                           ging es darum, das deutsche UN-Kontingent zu bergen. Es war
                           von seinen Verbündeten sitzengelassen worden, als sich die
                           Amerikaner von ihrem Einsatz eilig verabschiedeten. Die
                           Angabe Schröders, daß an den Einsatz von etwa 1.800 Mann
                           der Marine gedacht sei und daß dieser Einsatz der Kontrolle der
                           Seewege und der Küsten gelte, läßt Rückschlüsse auf den
                           Umfang und den Zweck des Einsatzes zu. So besteht er
                           offensichtlich darin, die Seewege rund um das Horn von Afrika
                           zu kontrollieren, in dessen Nachbarschaft neben Somalia auch
                           der Jemen liegt. Das sind Gegenden, in denen Anschläge auf
                           amerikanische Kriegsschiffe und amerikanische Einrichtungen
                           verübt worden sind. Insbesondere die Kontrolle Somalias
                           dürfte ein Auftrag sein, der es in sich hat. Denn Somalia und
                           Afghanistan haben eines gemeinsam: Sie sind Länder ohne
                           funktionierende staatliche Strukturen, in denen Clans und
                           Banden nach dem Recht des Stärkeren leben. Das sind
                           Strukturen, die für einen Mann wie Bin Ladin und seine
                           Organisation interessant sein dürften, bieten sie doch die
                           Möglichkeit, ohne staatliche Kontrolle das zu tun, was
                           andernorts verboten ist und nur Probleme bereitet - zum
                           Beispiel die Unterstützung terroristischer Vereinigungen und die
                           Vorbereitung von Anschlägen.
                           Wenn die deutsche Marine den Auftrag erhält, am Horn von
                           Afrika den Seeraum zu überwachen, dann darf man mutmaßen,
                           daß dies etwas mit dem Krieg in Afghanistan und gegen Bin
                           Ladin zu tun hat. Personelle Stärke und Aufgabenstellung des
                           deutschen Verbandes lassen den Schluß zu, daß die Marine hier
                           ihre Fregatten einsetzen wird, die mit Radar und
                           Hubschraubern die richtige Ausrüstung haben, um den
                           Luftraum und die See zu überwachen. Zwei oder drei Fregatten
                           sowie Versorgungsschiffe dürften somit in absehbarer Zeit
                           Richtung Rotes Meer in See stechen. (FAZ, 07.11.2001)
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