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Deutschland strebt einen ständigen Sicherheitsratssitz an

Das Auswärtige Amt erläutert die deutsche Position zur Reform der Vereinten Nationen

Im Folgenden dokumentieren wir die offizielle Position des Außenministeriums zur Reform der Vereinten Nationen. Dabei spielt das Bestreben eine große Rolle, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erhalten.
Das Positionspapier haben wir der Website des Auswärtigen Amts (www.auswaertiges-amt.de) entnommen.



Reform des Sicherheitsrats der VN - die deutsche Position

Stand: Dezember 2004

Deutschland tritt seit langem für eine durchgreifende Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ein. Der derzeitige Sicherheitsrat ist in seiner Zusammensetzung überholt und unrepräsentativ und in seinen Arbeitsmethoden nicht ausreichend transparent. Diese Einschätzung wird von nahezu allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen geteilt. Seit 1993 finden in den Vereinten Nationen daher intensive Beratungen zu möglichen Reformmodellen statt. Beratungsort ist eine eigens hierfür eingesetzte Arbeitsgruppe der Generalversammlung (GV) der Vereinten Nationen, die trotz Konsenszwang eine Reihe wichtiger Bezugs-Dokumente und Modelle entwickelt hat. Um diese Blaupausen wird eine Reform des Sicherheitsrats letztlich nicht umhin kommen. Hierzu zählt vor allem der sogenannte Razali-Plan von 1997, der einen um 5 ständige und 4 nichtständige Mitglieder erweiterten Sicherheitsrat mit einer Gesamtgröße von 24 Staaten vorsieht. Hierzu zählt auch eine informelle Umfrage aus demselben Jahr, derzufolge eine weit überwiegende Mehrzahl der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen eine Erweiterung des Sicherheitsrats in beiden Sitzkategorien – ständigen und nichtständigen – fordert.

Bundeskanzler Schröder hat vor der 58. Generalversammlung ausgesagt: "Ich teile die Auffassung des Generalsekretärs, dass die Legitimität des Sicherheitsrats davon abhängt, dass er repräsentativ für alle Völker und Regionen ist. Eine Reform und Erweiterung – gerade auch um Vertreter der Entwicklungsländer – ist notwendig. Für Deutschland wiederhole ich, dass wir im Rahmen einer solchen Reform auch selbst bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen."

Im Februar 2004 hat der Bundeskanzler bekräftigt, dass sich die Bundesregierung für eine Reform und Erweiterung des Sicherheitsrats einsetzt, derzufolge Staaten, die in Afrika, Asien und Lateinamerika eine zentrale Rolle spielen, künftig einen ständigen Sitz erhalten sollen. Das gelte gleichermaßen für Industrieländer, die wesentliche Beiträge zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit leisten: "Vor diesem Hintergrund sieht sich Deutschland als Kandidat für einen ständigen Sitz. Und wir haben dafür wichtige Verbündete. Unsere Freunde in Frankreich unterstützen uns. Wichtige europäische Partner auch. Russland und Japan sind dafür. Ich bin sicher, angesichts unseres Beitrags im Kampf gegen den internationalen Terrorismus werden uns auch unsere Freunde in Amerika unterstützen".

In der Regierungserklärung vom 25.03.2004 hat Bundeskanzler Schröder dies wie folgt ergänzt: "... Kein Land der Welt ist heute in der Lage, die neuen Herausforderungen allein zu bewältigen. Wir brauchen dafür ein starkes multilaterales System. Und wir brauchen starke Vereinte Nationen. Allerdings müssen die Vereinten Nationen reformiert werden, wenn sie die vor ihnen liegenden Aufgaben lösen wollen. ... Es geht dabei auch um die Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Er wird seiner Rolle nur gerecht, wenn er repräsentativer zusammengesetzt ist als heute. Deshalb beteiligt sich Deutschland aktiv an dieser Diskussion und setzt sich für eine Reform und Erweiterung des Sicherheitsrates ein. Wichtige Staaten des Südens sollten zukünftig einen ständigen Sitz erhalten. Das gleiche gilt für die Industrieländer, die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit wesentlich beitragen. Deutschland ist bereit, als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates Verantwortung zu übernehmen."

Außenminister Fischer hat vor der 59. Generalversammlung eine programmatische Reformrede gehalten und dabei ausgeführt: "Wenn wir wirklich wollen, dass die Entscheidungen des Rates als legitim akzeptiert und effektiv umgesetzt werden, dann müssen wir ihn reformieren. Dann muss er eine Staatenorganisation von heute 191 Mitgliedern umfassender repräsentieren. Dies ist nicht vorstellbar ohne eine Erweiterung seiner Sitzzahl – um ständige wie um nichtständige Mitglieder. Die Gründe für eine solche Erweiterung sind einleuchtend: Ein Rat mit mehr Mitgliedern würde international über mehr Akzeptanz als Grundlage für mehr Autorität verfügen. Die ausgewogenere und umfassendere Vertretung aller Kontinente auch bei den ständigen Mitgliedern würde zu größerer Identifikation aller Staaten mit dem Sicherheitsrat führen. Und eine Erweiterung würde die Motivation der neuen Sicherheitsratsmitglieder zum nachhaltigeren Einsatz für die Verwirklichung der Ziele der VN klar erhöhen. Die Erweiterung muss Umbrüche wie die Dekolonisierung, das Ende des Kalten Krieges und die Globalisierung adäquat widerspiegeln. Im Ergebnis muss die Zusammensetzung des Rates den gegenwärtigen geopolitischen Realitäten entsprechen. Dafür müssen alle großen Regionen des Südens im Sicherheitsrat als ständige Mitglieder vertreten sein. Gleichzeitig sollten die Mitglieder berücksichtigt werden, die einen besonders bedeutenden und nachhaltigen Beitrag zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie zur Verwirklichung der Ziele der Organisation leisten können und wollen. Beide Erweiterungsansätze würden die Effizienz, die Handlungsfähigkeit und Durchsetzungsfähigkeit des Rates vergrößern. ... seit 40 Jahren ist die Zusammensetzung des Sicherheitsrats unverändert geblieben. Ich glaube, es ist höchste Zeit, ihn an die neue Weltlage anzupassen. Dabei sind halbe oder Zwischenlösungen nicht nötig und nicht hilfreich. Wie Brasilien, Indien und Japan ist auch Deutschland bereit, die Verantwortung zu übernehmen, die mit einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat verbunden ist. Besonders wichtig ist allerdings, dass der afrikanische Kontinent unter den neuen ständigen Mitgliedern vertreten ist. Bei einer Sicherheitsreform muss aber noch ein Zweites berücksichtigt werden: Insgesamt sollten sich mehr Mitgliedsstaaten, die sich für die VN engagieren, stärker in die Arbeit des SR einbringen können. Dafür ist die Schaffung auch zusätzlicher nichtständiger Sitze erforderlich. So bleibt auch ein ausgeglichenes zahlenmäßiges Verhältnis zwischen ständigen und nichtständigen Mitgliedern erhalten."

Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung bereits in dem am 22.06.2001 verabschiedeten interfraktionellen Antrag "Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend" (BT-Drs. 14/5243) in der Verfolgung ihrer Reformbemühungen bestärkt. Deutschland wird sich auch als ständiges Sicherheitsrats-Mitglied nachdrücklich für europäische Interessen einsetzen und die europäische Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen weiter fördern. Zwar ist eine Mitgliedschaft der Europäischen Union in den Vereinten Nationen und ihren Hauptorganen zum heutigen Zeitpunkt rechtlich und politisch unmöglich. Sie bleibt indes langfristige Perspektive der Bundesregierung.

Die Bundesregierung sieht sich in ihrem Bemühen um einen modernen, repräsentativen und effizienten Sicherheitsrat der Vereinten Nationen der Zukunft durch die Position des Generalsekretärs der Vereinten Nationen bestätigt. Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat die institutionelle Reform der Vereinten Nationen und Fragen der kollektiven Reaktion auf neue Bedrohungslagen auf die Tagesordnung der von ihm im November 2003 eingesetzten fünfzehnköpfigen Hochrangigen Reform-Gruppe (High-Level Panel on threats, challenges and change) unter Leitung des früheren thailändischen Premierministers Anand Panyarachun gesetzt. Hierzu zählt auch die Reform des Sicherheitsrats, zu der Kofi Annan vor der 58. Generalversammlung ausgeführt hat: "... Was nun die Zusammensetzung des Rates betrifft, so steht diese Frage seit über einem Jahrzehnt auf der Tagesordnung dieser Versammlung. Praktisch alle Mitgliedstaaten stimmen darin überein, dass der Rat erweitert werden sollte, über die Einzelheiten aber besteht keine Einigkeit. Ich möchte ... darauf hinweisen, dass in den Augen der Menschen Ihrer Länder die Schwierigkeit, eine Einigung zu erzielen, keine Entschuldigung dafür ist, sich nicht zu einigen. Wenn Sie größeren Respekt vor den Beschlüssen des Rates wünschen, besonders in den Entwicklungsländern, dann müssen Sie die Frage seiner Zusammensetzung dringlicher behandeln."

Das Reform-Panel hat am 02.12.2004 seinen Bericht "Eine sichere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung" vorgelegt, der 101 Empfehlungen, darunter auch zwei konkrete Optionen zur Erweiterung des Sicherheitsrats auf 24 Mitglieder enthält. Der VN-Generalsekretär hat mit klaren Worten die Umsetzung der Empfehlungen angemahnt: "Wir sollten rasch handeln und Empfehlungen umsetzen wann immer wir dies können". Er hat angekündigt, in einem kommenden Bericht (März 2005) nochmals auf die Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe einzugehen. Die Reformdebatte ist damit in eine neue Phase getreten, deren Bedeutung Kofi Annan mit der Gründung der Vereinten Nationen im Jahre 1945 verglichen hat. Die Reform des Sicherheitsrates bedarf einer Charta-Änderung, die von zwei Dritteln der 191 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen beschlossen werden muss. Um in Kraft zu treten, muss dieser Beschluss von den innerstaatlich zuständigen Verfassungsorganen von ebenfalls zwei Dritteln aller Mitgliedstaaten - darunter alle ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder - ratifiziert werden (Art. 108 VN-Ch).

Ergebnisse einer umfassenden deutsch-französischen Demarchenaktion im August/September 2004 deuten auf eine breite Unterstützung für neue ständige Sitze, darunter besonders auch ein Sitz für Deutschland hin. Alternativmodelle (sog. "semi-permanente" Sitze) scheinen keinen Anklang zu finden. Die Aussagen während der Auftaktwochen der 59. Generalversammlung bestätigen diese Trends. Erfreulich ist, dass sich zunehmend auch in Afrika klare Kandidaten für einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat herauszuschälen beginnen.

Quelle: www.auswaertiges-amt.de


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