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Missfallen über maßlosen Gauck

Gutachten: In der Außenpolitik ist der Bundespräsident "nicht gänzlich frei"

Von Fabian Lambeck *

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in einem Gutachten zu dem Schluss, dass Joachim Gauck keine "Nebenaußenpolitik" betreiben dürfe.

Joachim Gauck ist nicht nur Amtsträger. Der Bundespräsident mit kirchlicher Vergangenheit ist auch auf einem Kreuzzug, einem Kreuzzug für die Freiheit. In seinem Buch »Freiheit. Ein Plädoyer« ruft er dazu auf, eben diese Freiheit auf der ganzen Welt zu verteidigen. Da ist es kein Wunder, dass er sich außenpolitisch zu Wort meldet. Ob er nun fordert, die Bundeswehr häufiger im Ausland einzusetzen oder ihm anlässlich der Gedenkfeier zum deutschen Überfall auf Polen nichts besseres einfällt, als Russland zur aggressiven Kriegsmacht zu erklären: Stets meint Gauck, auch in außenpolitischen Belangen seine Duftmarke setzen zu müssen. Der ehemalige Pfarrer und Aktenhüter fühlt sich zu Höherem berufen als dem Auskleiden eines überwiegend repräsentativen Amtes.

Doch offenbar steht er dabei nicht immer auf dem Boden des Grundgesetzes. Zumindest legt das ein Gutachten vom 9. Oktober nahe, das der CSU-Querkopf Peter Gauweiler beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags in Auftrag geben hatte. In dem Papier »Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten im Bereich Außenpolitik« geht die Autorin der Frage nach, »ob der Bundespräsident bei Äußerungen mit außen- oder sicherheitspolitischem Inhalt Einvernehmen mit der Bundesregierung herstellen muss«.

Offenbar hat der Präsident als Staatsoberhaupt hier nur einen begrenzten Spielraum: Während seine Reden oder anderen Handlungen mit innenpolitischem Bezug »nicht der Bundesregierung zur Gegenzeichnung vorgelegt« werden müssen, sieht es bei Staatsbesuchen im Ausland ganz anders aus. »Im auswärtigen Bereich ist eine engere Abstimmung namentlich mit dem Auswärtigen Amt üblich«, heißt es im Gutachten. Dies betreffe auch außenpolitische Äußerungen. Demnach würden die Reisepläne des Bundespräsidenten ins Ausland mit der Bundesregierung abgesprochen. Reden allerdings würden »nicht im Wortlaut mit dem Bundeskanzleramt oder dem Auswärtigen Amt abgestimmt«. Diese Redefreiheit nutzte Gauck offenbar, um eigene Akzente zu setzen. Dabei heißt es im Gutachten, Gauck sei verpflicht, jede Form von »Nebenaußenpolitik« zu unterlassen. Der Bundespräsident sei außerdem »in seinen Äußerungen nicht gänzlich frei«. Er dürfe keinen »ständigen außenpolitischen Gegenkurs fahren«, unterschiedliche Schwerpunkte seien aber »im Einzelfall zulässig«.

Einige Verfassungsrechtler gehen sogar noch weiter. So verweist die Gutachterin auf Juristen, die den Handlungsspielraum beschränkt sehen, wenn »unmittelbar relevante Teile der operativen Regierungspolitik« betroffen sind. Somit wären eigenständige Vorstöße in der Ukraine-Krise tabu.

Das Bundesverfassungsgericht hatte noch im Juli befunden, dass es »ausschließlich Sache des Bundespräsidenten selbst ist, darüber zu befinden, wie er seine Amtsführung gestaltet«. Doch bezogen die Richter dies auf das Verhältnis Gaucks zu den Parteien in Deutschland. In diesem Fall ging es um eine Klage der NPD, die in einer Äußerung Gaucks die Verletzung der parteipolitischen Neutralität sah. Ob der Bundespräsident auch in außenpolitischen Fragen selbst entscheiden darf, wie er seine Amtsführung gestaltet, war nicht Gegenstand des Verfahrens.

Das Grundgesetz bleibt hier vage. Im Artikel 59 heißt es lediglich: »Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich.« Dazu zählen »Verträge mit auswärtigen Staaten« sowie das Beglaubigen und Begrüßen von Gesandten.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer. leitet daraus ab, dass der Präsident verfassungsrechtlich zur Abgabe politischer Erklärungen in auswärtigen Angelegenheiten berechtigt sei. Zugleich attackierte der Christdemokrat den Wissenschaftlichen Dienst. Gegenüber »Deutschlandfunk« sagte er: Es sei »geradezu absurd, wenn Juristen dieses Dienstes dem Präsidenten vorschreiben wollten, wozu er sich äußern kann und wozu nicht.«

* Aus: neues deutschland, Samstag, 15. November 2014


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