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"Die Welt aus den Fugen"

Außenminister Frank-Walter Steinmeier kommt nicht mehr hinterher. Alle Bundeswehreinsätze in Nordafrika und im Nahen Osten vergrößern die Instabilität dieser Regionen – machtpolitischer Nutzen ist aus ihnen bisher nicht zu ziehen

Von Jörg Kronauer *

Frank-Walter Steinmeier hat Entwicklungen wie die im Jahr 2014 noch nicht erlebt. Beim »Führungstreffen Wirtschaft« der Süddeutschen Zeitung, das am 27. November in Berlin abgehalten wurde, erinnerte sich der Außenminister, dass Ende 2013, als die jetzige Regierungskoalition gebildet wurde, Außenpolitik noch »kaum einen interessiert« hatte. Das hat sich innerhalb nur eines Jahres gründlich geändert. »Tatsächlich kann ich mich in meiner gesamten politischen Biographie an keine Zeit erinnern, in der internationale Krisen in so großer Zahl, an so vielen Orten der Welt, von so unterschiedlicher Natur, und das alles gleichzeitig, auf uns eingestürmt sind wie heute«, stellte Steinmeier vor den versammelten Managern, Ökonomen und Politikern fest: »Es scheint, als sei die Welt aus den Fugen geraten.«

Für die deutsche Außenpolitik ist 2014 zweifelsohne ein außerordentlich ereignisreiches Jahr gewesen. Der Machtkampf gegen Russland um die Ukraine hat alles dominiert. Zunächst die Eskalation auf dem Maidan bis hin zum Sturz des Präsidenten Wiktor Janukowitsch – eine Phase, in der Berlin unter anderem über den von ihm aufgebauten Oppositionspolitiker Witali Klitschko präsent war und in der der Außenminister persönlich die neofaschistische Partei »Swoboda« durch Verhandlungen mit ihrem Anführer aufwertete. Dann der Streit um die Krim, in dem Berlin bis heute nicht locker lässt; die Wirtschaftssanktionen gegen Russland; der Versuch, im Bürgerkrieg im Osten der Ukraine etwas für die Statthalter des Westens in Kiew zu reißen; das Kriegsgetrommele der NATO. Dies alles stand die meiste Zeit des Jahres im Vordergrund. Die Bundesregierung bemühte sich stets, in der Ukraine am Drücker zu bleiben, denn Osteuropa ist das traditionelle deutsche Expansionsgebiet.

Die Ostpolitik der großen Koalition im Jahr 2014 wäre sicherlich ein eigenes Kapitel. Es ist aber beileibe nicht das einzige, das die deutsche Außenpolitik in den vergangenen zwölf Monaten dramatisch umgetrieben hat. Langfristig folgenreich dürfte vor allem ein anderes Kapitel sein, in dem die Bundeswehr eine wichtige Rolle spielt. Es hat mit Nordafrika und mit dem Nahen Osten zu tun. Strategen hatten das Vorgehen dort, im Unterschied zum Ukraine-Konflikt, schon für 2014 geplant – wenn auch nicht in seiner konkreten Form.

Einsatz in Nordafrika

Worum es geht, ist exemplarisch in einem Strategiepapier »Neue Macht. Neue Verantwortung« beschrieben worden. Es ist im Oktober 2013 veröffentlicht worden von der regierungsnahen »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) gemeinsam mit dem »German Marshall Fund of the United States« (GMF) und einer Gruppe von rund 50 Personen des außenpolitischen Establishments aus Politik, Ministerien, Thinktanks, Hochschulen und Medien. Man saß zwischen Herbst 2012 und Herbst 2013 daran. Das Strategiepapier skizziert Elemente für eine neue deutsche Weltpolitik, und es enthält in seinem fünften Abschnitt einige Ankündigungen zum Thema »Deutschland und die internationale Sicherheit«. Dort heißt es etwa: »Aus Deutschlands gewachsener Macht und seinem gestiegenen Einfluss folgt (…) auch ein Mehr an Verantwortung.« Heute erwarteten »Verbündete und Partner«, dass die Bundesrepublik »Sicherheit produziert, und nicht nur für sich selbst«. Und weiter: »Dazu gehört auch, dass sich eine pragmatische deutsche Sicherheitspolitik – besonders dann, wenn es um aufwendige und längerfristige militärische Einsätze geht – in erster Linie auf das zunehmend instabil werdende europäische Umfeld von Nordafrika über den Nahen Osten bis Zentralasien konzentrieren muss; nicht zuletzt, um die amerikanischen NATO-Verbündeten im Zuge ihres wachsenden Engagements in Asien zu entlasten.«

Einen Schwerpunkt auf Nordafrika und den Nahen Osten zu legen, um dort mit der EU zumindest teilweise an die Stelle der USA zu treten, die sich auf den Machtkampf gegen China zu konzentrieren beginnen – das hat Berlin Anfang 2014 tatsächlich fest im Blick gehabt. Zum damaligen Zeitpunkt – es war noch vor der großen Offensive des »Islamischen Staats« im Norden des Irak (siehe jW-Thema vom 16. und 17.12.2014) – sah man den Interventionsschwerpunkt von Bundeswehr und EU allerdings im Norden Afrikas. Beim Potsdamer Jahresempfang der Bundeswehr im Januar erklärte der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Hans-Werner Fritz, »dass uns Afrika, insbesondere sein Norden und seine Mitte, in den nächsten Jahren beschäftigen wird«. In der Süddeutschen Zeitung äußerte deren transatlantisch bestens vernetzter Ressortleiter Stefan Kornelius, verstärkte EU-Interventionen in Afrika hätten das Zeug, »eine Agenda 2020 für die Außenpolitik« zu werden.

Den Ankündigungen folgten schon bald Taten. Am 19. Februar avisierten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident François Hollande, Teile der deutsch-französischen Brigade nach Mali schicken zu wollen, um die Basis für die dortige EU-Intervention auszubauen. Am 10. April erhielt die Bundeswehr dann das Mandat, bis zu 80 Soldaten in die Zentralafrikanische Republik zu entsenden. Um die militärische Einflussnahme politisch-ökonomisch zu unterfüttern, hatte sich Merkel im Dezember 2013 von Malis Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keïta explizit zusichern lassen, seine Regierung werde die versprochenen 100 Millionen Euro Aufbauhilfe aus Berlin in Abstimmung nicht etwa mit der EU, sondern mit deutschen Stellen ausgeben. Keïta hatte zudem bekräftigt, die BRD genieße in Mali jetzt »den diplomatischen Code 001«. Das bedeute, »dass Deutschland auf internationaler Ebene das wichtigste Partnerland« seiner Regierung sei.

Das war der Stand der Dinge, als mit dem Umsturz in Kiew vom 22. Februar und dann vor allem mit der Übernahme der Krim durch Russland im März die Ostpolitik in Berlin alles andere in den Hintergrund drängte. Deutsche Soldaten sind weiterhin in Mali stationiert und – wenn auch nur in geringer Zahl – am Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik beteiligt. Ein Schwerpunkt der deutschen Außen- und Militärpolitik ist allerdings – zunächst wegen der Konzentration auf Osteuropa und dann wegen des neuen Krieges gegen den »Islamischen Staat« – aus den beiden Interventionen nicht geworden. Besonders der Einsatz in Mali hat jedoch bleibende strategische Bedeutung: Es geht darum, Schritt um Schritt die riesigen Wüstengebiete der Sahara unter Kontrolle zu bekommen. Dort haben sich in den vergangenen Jahren diverse antiwestliche Kräfte festgesetzt, deren Einfluss Berlin, Brüssel und Washington unbedingt zurückdrängen wollen – am liebsten mit Hilfe einheimischer Truppen. Deshalb legt die Bundeswehr großen Wert auf Ausbildung und Training malischer Soldaten. Bemerkenswert daran: Das westafrikanische Land gehört als ehemalige französische Kolonie zur Françafrique, dem traditionellen Einflussgebiet Frankreichs auf dem Kontinent. Gelingt es Berlin, im Verlauf des Einsatzes seinen Einfluss in Mali auszubauen, dann könnte dies machtpolitisch als wichtiger Einbruch in die traditionelle französische Hegemonialsphäre verzeichnet werden.

Libyen zerfällt weiter

Was es machtpolitisch bedeuten kann, die Kontrolle über ein Land vollends zu verlieren, das hat in den vergangenen zwölf Monaten die Entwicklung in Libyen gezeigt. Berlin und die EU haben dort starke Interessen. Sie würden zum einen gerne verhindern, dass die als ökonomisch nicht nützlich geltenden und deshalb unerwünschten Migranten von der libyschen Küste nach Europa aufbrechen. Zum anderen besitzt der Saharastaat die neuntgrößten Erdölreserven weltweit und versorgt Europa seit Jahrzehnten mit dem Rohstoff. Die Bundesrepublik zählt traditionell zu denjenigen Ländern, die einen signifikanten Teil ihrer Öleinfuhren aus Libyen beziehen. Die Kasseler BASF-Tochtergesellschaft Wintershall gehört zudem zu den größten Ölunternehmen in dem nordafrikanischen Land und förderte vor Beginn des NATO-Überfalls im März 2011 bis zu 100.000 Barrel Öl pro Tag. Dass Libyen in den letzten beiden Jahren immer weiter zerfallen ist und nun im Krieg zwischen diversen Milizen und Terrorgruppen versinkt, läuft den deutschen Interessen zuwider: EUBAM Libya, eine EU-Polizeitruppe mit deutscher Beteiligung, die örtliche Kräfte für eine Grenzabschottung nach deutsch-europäischen Vorstellungen präparieren wollte, musste ihr Personal im Juli wegen der Eskalation der Kämpfe aus Libyen abziehen. Wintershall hatte die Ölförderung in der Wüste schon Mitte 2013 einstellen müssen und konnte sie im September 2014 nur unter höchst prekären Umständen wieder aufnehmen. Der Zerfall des Landes ist im Lauf des letzten Jahres zweifellos ein Problem für die Berliner Außenpolitik geworden – wenngleich der Westen ihn mit dem Krieg von 2011 natürlich selbst verursacht hat. Mehrere NATO-Staaten haben 2014 Trainingsmaßnahmen für libysche Truppen durchgeführt, um schrittweise die Kontrolle über das Land wiederherzustellen – bislang ohne jeden Erfolg.

Dauerhaft im Irak

Einen langfristig folgenreichen Schub für die deutschen Pläne, die militärpolitischen Aktivitäten in Nordafrika und Nahost auszuweiten, hat dieses Jahr der Krieg gegen den »Islamischen Staat« (IS) gebracht. Als die USA und bald auch weitere Länder im Sommer mit Luftschlägen gegen den IS begannen, wurden auch in Teilen des deutschen Politestablishments Forderungen laut, sich an der neuen Intervention zu beteiligen. Der erste Schritt in diese Richtung, den Berlin im September unternahm, bestand in Waffenlieferungen an irakisch-kurdische Milizen. Das war insofern neu, als erstmals hochoffiziell Kriegsgerät an im Kampf stehende Truppen von Nicht-EU- bzw. Nicht-NATO-Staaten geliefert wurde. Begleitend wurden irakisch-kurdische Soldaten an der Infanterieschule in Hammelburg augebildet. Deutsche Armeeangehörige begannen mit der Einrichtung eines »militärischen Verbindungselements« in Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion im Irak. Von Anfang an war klar, dass dieses Engagement längerfristig ausgerichtet ist: Nicht umsonst betonten westliche Politiker immer wieder, der Krieg gegen den IS sei keine Sache von Wochen oder Monaten, sondern ein Projekt für viele Jahre. Und während Außenminister Steinmeier im Juli nach Jordanien, im August in den Irak und im Oktober nach Saudi-Arabien reiste, um jeweils über den Krieg gegen den IS zu verhandeln, der sich rasch über den Irak hinaus zu einem umfassenden Nahostkrieg inklusive westlicher Luftschläge in Syrien entwickelte, sickerten erste Berichte über Planungen für eine Einmischung der Bundeswehr in der Region durch. Dies sollte freilich kein Kampf-, sondern – jedenfalls zunächst – ein sogenannter Ausbildungseinsatz werden.

Dabei sei vorgesehen, hieß es Anfang Oktober, dass die Bundeswehr sich auf Dauer nicht auf Trainingsprogramme für irakisch-kurdische Kämpfer in Deutschland beschränke, sondern dass sie ein komplettes militärisches Ausbildungszentrum in Erbil errichte. Insgesamt sollten im Nahen Osten acht bis zwölf derartige Zentren entstehen; an einem weiteren von ihnen werde sich die Bundesrepublik vermutlich ebenfalls beteiligen. Das werde allerdings wohl eines sein, an dem Truppen der irakischen Zentralregierung ausgebildet würden. Jenseits dieser noch recht allgemein gehaltenen Ankündigungen blieb das meiste vorerst im dunkeln. Allerdings hieß es, die Bundeswehr solle zusätzlich in den Aufbau eines neuen militärischen Hauptquartiers in dem Gebiet eingebunden werden. Noch werde der Krieg vom United States Central Command (CENTCOM) in Tampa im US-Bundesstaat Florida aus gesteuert; dort seien bereits zwei deutsche Verbindungsoffiziere stationiert. Da die Ausbildungsmaßnahmen der Bundeswehr im Nahen Osten intensiviert würden, werde sie sich auch stärker als bisher in die Strukturen des neu entstehenden US-Hauptquartiers integrieren. Zu dessen Aufbau seien US-Truppen bereits in die Region aufgebrochen. Im Dezember wurde nun schließlich gemeldet, das neue Kommandozentrum, als dessen Standort Kuwait genannt wird, sei jetzt in Betrieb. Unter der Leitung von US-Generalleutnant James L. Terry arbeiteten dort beinahe 200 Personen – nur etwas mehr als die Hälfte seien US-Amerikaner.

Im Dezember teilte die Bundesregierung offiziell mit, es werde über die bereits jetzt in Erbil stationierten deutschen Soldaten hinaus zu einem umfassenderen Bundeswehr-Einsatz im Irak kommen. Bis zu 100 Militärs sollten in die kurdische Autonomieregion im Norden des Landes entsandt werden; nur zu Ausbildungszwecken zwar, aber dennoch bewaffnet. Deshalb werde man den Einsatz auch vom Bundestag mandatieren lassen. Berichte bestätigen, dass deutsche Militärs in das neue Hauptquartier in Kuwait und in eine weitere Kommandozentrale in Bagdad entsandt werden. Zudem soll die Bundeswehr die irakische Regierung »beraten« und die Aktivitäten unterschiedlicher Einheiten von den Truppen der Zentralregierung bis zu den Peschmerga »koordinieren«. Damit wird die Bundesrepublik sich maßgeblich am Aufbau der neuen Struktur westlicher Militärzentren im Nahen Osten beteiligen, die den Krieg gegen den IS tragen soll – und das vermutlich auf lange Sicht. Schon im September hieß es in US-Militärkreisen, man verlege kein Hauptquartier in eine Region, aus der man in Kürze wieder verschwinden wolle. Zumindest die US-Streitkräfte würden »für die absehbare Zukunft« im Nahen Osten bleiben, schrieb etwa Rick Brennan, ein ehemaliger Armeeoffizier, der heute als Experte für die »Rand Corporation« tätig ist, Ende September im Militärblatt Stars and Stripes. Heeresstabschef Ray Odierno teilte ebenfalls Ende September mit, angesichts der »Komplexität der Umgebung, in der wir jetzt operieren müssen«, werde es sich um eine längere Militärpräsenz handeln, um einen Zeitraum von wohl »10 bis 15 bis 20 Jahren«.

Der womöglich 20jährige Krieg, mit dem US-Militärs rechnen, wird in einem Gebiet geführt, in dem – nimmt man das Strategiepapier »Neue Macht. Neue Verantwortung« ernst – deutsche bzw. europäische Soldaten ihre US-amerikanischen Kollegen in zunehmendem Maße »entlasten« sollen. Die ersten Schritte sind 2014 getan worden. Auch wenn der Bundestag zunächst nur bis zu 100 Soldaten in den Irak entsenden wird: Weitere Kapazitäten sind inzwischen wieder frei. Der Abzug aus Afghanistan ist im Laufe des Jahres so weit gediehen, dass Anfang Dezember 2014 nur noch rund 2.850 Soldaten der Bundeswehr im Ausland stationiert waren, deutlich weniger als die über 7.000, die vor wenigen Jahren noch verzeichnet wurden. Für den Umzug von Kundus nach Erbil gibt es also noch großes Potential. Es könnte rascher zum Einsatz kommen, als es die Strategen in Berlin denken: Auch die Okkupation Afghanistans begann vergleichsweise ruhig; mit der Gewalteskalation nahm jedoch bald auch die Zahl der deutschen Besatzungstruppen zu.

Düstere Zukunft

Mali und Irak bzw. Afghanistan, wo die Bundeswehr wohl auch noch eine Weile stationiert bleiben wird: Das sind die Endpunkte des geographischen Bogens, den die SWP in »Neue Macht. Neue Verantwortung« konstruiert. In den mittleren Regionen dieses Bogens haben sich die Dinge im vergangenen Jahr aus der Perspektive der deutschen Außenpolitik ungünstig entwickelt. Das betrifft nicht nur den Libanon, vor dessen Küste die deutsche Kriegsmarine nach wie vor im Rahmen des UNIFIL-Einsatzes offiziell Waffenschmuggel verhindern soll. Der Libanon ist im vergangenen Jahr immer stärker in den Syrien-Krieg hineingezogen worden, wodurch sich das Eskalationsrisiko für die dort stationierten deutschen Soldaten vergrößert hat. Die Türkei dringt weiterhin auf eine Flugverbotszone in Syrien; sollte sie sich durchsetzen, würde es für die deutschen Patriot-Einheiten im türkischen Kahramanmaraş unweit der türkisch-syrischen Grenze ernst.

Auch am Horn von Afrika sind die Spannungen nicht geringer geworden. Der Einsatz der Marine vor der somalischen Küste, der die Seewege aus dem Mittelmeer nach Asien sichern soll, hat 2014 zwar keine besonderen Schlagzeilen verursacht. Aber dafür haben sich die Rahmenbedingungen durch den voranschreitenden Zerfall des Jemen verschlechtert, dessen Küste dem Horn von Afrika unmittelbar gegenüberliegt. Und auch in Somalia selbst, wo die Bundeswehr sich, wenn auch nur in geringer Personalstärke, seit 2014 wieder im EU-Rahmen an der Ausbildung von Soldaten beteiligt, ist die Lage höchst prekär. Berlin setzt dort ebenfalls darauf, dass regionale Truppen die unumgänglichen Besatzungstätigkeiten erledigen, etwa die Streitkräfte Kenias. Dieser südwestlich gelegene Nachbarstaat Somalias aber ist in den vergangenen Monaten immer stärker ins Visier von Al-Schabab geraten, deren Milizen in den letzten Wochen gleich mehrere Massaker im Nordosten Kenias verübt haben. Damit wird ein wichtiger Verbündeter der deutschen Militärpolitik am Horn von Afrika immer stärker unter Druck gesetzt.

Vollends aus dem Ruder gelaufen ist die Lage aus Berliner Perspektive im Südsudan. Dessen Abspaltung vom arabisch dominierten Norden des Landes ist ein wichtiges Ziel der deutsch-US-amerikanischen Nordafrikapolitik gewesen, die auf die Schwächung nicht kooperationswilliger arabischer Regierungen zielte; sie ist am 9. Juli 2011 vollzogen worden. Inzwischen ist der Südsudan 2014 in ausufernden blutigen Kämpfen zwischen verschiedenen Bürgerkriegsfraktionen versunken. Genau davor hatten Kritiker der Sezession gewarnt. Das ist nun wirklich kein Erfolg für die deutsche Spaltungspolitik im allgemeinen und schon gar keiner für die Bundeswehr, die sich an UNMISS beteiligt, der UN-Intervention im Südsudan. Im Rahmen von UNMISS sollen deutsche Militärs eigentlich zur Stabilisierung des Friedens in dem Land beitragen. Natürlich ist das nur feldgraue Theorie.

Für das riesige Gebiet im Norden Afrikas und im Nahen Osten, in dem die Bundeswehr schon jetzt zahlreiche Soldaten stationiert hat, ist die gefährliche Entwicklung ein deutliches Zeichen für eine düstere Zukunft. Für die deutsche Weltpolitik hingegen verheißt sie wohl, dass – zusätzlich zu den eskalierenden Spannungen mit Russland – womöglich eine Ausweitung der aktuellen Militäreinsätze oder neue Interventionen bevorstehen. »Es scheint, als sei die Welt aus den Fugen geraten«, sagt Frank-Walter Steinmeier. Sie ist es, und Deutschland leistet auch weiterhin kräftig seinen Beitrag dazu.

* Aus: junge Welt, 19. Dezember 2014


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