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Deutschland und die Deutschen in den Augen der Russen

Ergebnisse eines russisch-deutschen Projektes anlässlich des 60. Jahrestages des 8. Mai 1945

Von Dietmar Wittich

Die Untersuchung, deren Ergebnisse im Folgenden vorgestellt werden, ist als Teil einer Zusammenarbeit entstanden, die im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem Soziologischen Zentrum der Russischen Akademie für Staatsdienst durchgeführt wird. Das Soziologische Zentrum hat in der ersten April-Hälfte in Russland eine repräsentative Untersuchung mit 2000 Befragten zum Thema „Deutschland und die Deutschen in den Augen der Russen“. Die Befragung in Deutschland hat als Thema „Russland und die Russen in den Augen der Deutschen“, sie wurde bei EMNID in Auftrag gegeben, befragt wurden 1003 Personen über 14 Jahre, die im gesamten Bundesgebiet zufällig ausgewählt wurden, sie fand in der zweiten Aprilwoche statt.

Die nur in Deutschland gestellte Frage, ob der 8. Mai 1945 aus heutiger Sicht eher als Tag der Befreiung oder als Tag einer Niederlage angesehen wird, hat – das kann man ohne Übertreibung feststellen – überraschende Ergebnisse erbracht.

83 Prozent der Deutschen bewerten heute den 8. Mai als Tag der Befreiung, nur eine klare Minderheit von 14 Prozent sieht darin einen Tag einer Niederlage.

Tabelle 1
Sind Russland und Deutschland in den gegenwärtigen internationalen Beziehungen eher Verbündete oder eher Gegner? (Angaben in Prozent)

RusslandDeutschland
eher Verbündete 24,4 55,0
weder Verbündete
noch Gegner
58,6 39,0
Gegner 5,4 3,4
weiß nicht/ k.A. 11,6 2,7


Sowohl im russischen Volk als auch im deutschen Volk sind es nur kleine Minderheiten, die beide Länder heute noch als Gegner ansehen, in Russland 5 Prozent und in Deutschland 3 Prozent. Ein Viertel der Russen meint, sie seien Verbündete, 59 Prozent meinen, sie seien weder Gegner noch Verbündet, was heißt, sie sind gute Nachbarn oder Partner.

In Deutschland wird das Verhältnis noch positiver gesehen, hier sieht eine leichte Mehrheit von 55 Prozent Russland und Deutschland als Verbündete. Nur eine kleine Minderheit von 3 Prozent betrachtet beide Länder als Gegner. Relativ groß ist jedoch auch jene Gruppe von 40 Prozent, für die die Beziehungen weder den Status von Verbündeten noch von Gegnern hat, die faktisch eine distanzierte Kooperation erkennt. Anders sind die Meinungen zu einer Zusammenarbeit in der internationalen Politik, wenn es darum geht, der Weltmachtpolitik der USA etwas entgegen zu setzen. Drei Viertel der Deutschen und 70 Prozent der Russen fänden eine derartige Kooperation gut.

Tabelle 2
Wie würden Sie es bewerten, wenn Deutschland und Russland eventuell auch zusammen mit weiteren Ländern ihre Zusammenarbeit verstärken, um einer möglichen Beherrschung der Weltpolitik durch die USA zu begegnen? (Angaben in Prozent)

Russland Deutschland
im Grunde positiv 69,0 75,2
im Grunde negativ 7,7 17,9
weiß nicht/ k.A. 23,3 7,0


Die Gefühle, die Russen und Deutschen gegenwärtig füreinander hegen, haben insgesamt eine positive Tendenz.

Tabelle 3
Welche Gefühle hegen Sie insgesamt zum gegenwärtigen Russland? (Angaben in Prozent)

Russland Deutschland
eher positive 43,9 26,1
gemischte (positive und negative) 32,6 63,5
eher negative 4,6 8,9
keine 16,7 1,4
weiß nicht/k.A. 2,2-


Dabei sind die Gefühle der Russen für die Deutschen insgesamt positiver als umgekehrt die der Deutschen für die Russen. In Russland artikulieren positive Gefühle 44 Prozent, in Deutschland 26 Prozent. Ein Drittel der Russen, aber fast zwei Drittel der Deutschen gaben an, bei ihnen mischten sich positive und negative Gefühle. Nur 5Prozent derRussen und 9 Prozent der Deutschen brachten negative Gefühle zum Ausdruck.

Die Meinungsbilder zum Verhältnis von russischer und deutscher Kultur sind sich in beiden Ländern sehr ähnlich, sie sind in beiden Ländern geteilt geteilt.

Tabelle 4
Wie nahe sind sich aus Ihrer Sicht die Kulturen des russischen und des deutschen Volkes? (Angaben in Prozent)
Russland Deutschland
sehr nahe 4,3 6,3
gibt viel Gemeinsames 32,8 31,8
gibt wenig Gemeinsames 39,5 32,1
sehr weit auseinander 13,9 24,9
weiß nicht/k.A. 9,5 4,9


Nur eine kleine Minderheiten von 4 Prozent in Russland und 6 Prozent in Deutschland meinen, dass sich beide Kulturen sehr nahe stehen. Eine Mehrheit von 72 Prozent in Russland und knapp zwei Dritteln in Deutschland sieht kulturelle Gemeinsamkeiten, ob diese Gemeinsamkeiten größer oder kleiner sind, dazu sind die Meinungen in Deutschland ziemlich genau ziemlich genau geteilt (32 zu 32). Von den Russen meinen sogar 40 Prozent, das es wenige Gemeinsamkeiten gibt. Ein Viertel der Deutschen, aber nur 14 Prozent der Russen reflektieren eine klare kulturelle Distanz zwischen Deutschen und Russen. Das Meinungsbild der Ostdeutschen weicht von diesem Befund ab, sie sehen viel häufiger kulturelle Gemeinsamkeiten und signifikant seltener, dass die Kulturen von Russen und Deutschen recht weit auseinander liegen.

Deutliche Mehrheiten in beiden Ländern erwarten, dass sich die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland in den nächsten Jahrzehnten positiv entwickeln werden.

Tabelle 5
Wie werden sich nach Ihrer Meinung die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland in den nächsten Jahrzehnten entwickeln? (Angaben in Prozent)

Russland Deutschland
verbessern 41,3 35,2
widersprüchlich
(teils verbessern, teils verschlechtern)[1]
42,0 49,9
6,6
verschlechtern 2,0 4,0
weiß nicht/k.A. 14,7 4,3

[1] Bei der Befragung in Deutschland lauteten die Vorgaben: starke Annäherung, eher Annäherung, eher Distanz, stärkere Distanz.

Die Ergebnisse stimmen weitgehend überein. Insgesamt 83 Prozent der Russen und 86 Prozent der Deutschen rechnen mit einer Annäherung zwischen beiden Ländern, in Deutschland davon 36 Prozent mit einer stärkeren Annäherung und 50 Prozent mit einer überwiegenden Annäherung. Es sind hier nur 11 Prozent die eine zunehmende Distanz zwischen beiden Ländern vorher sehen, davon 7 Prozent eine stärkere und 4 Prozent eine überwiegende Distanz. In Russland sehen 41 Prozent eine Annäherung, weitere 42 Prozent meinen, positive und negative Momente werden sich mischen, und 2 Prozent sehen eine größere Distanz voraus, allerdings haben 15 Prozent diese Frage nicht beantwortet. In ihren Meinungen nehmen, so könnte man abschließend zu diesem Komplex sagen, das russische und das deutsche Volk die positive Entwicklung der Beziehungen zwischen ihren beiden Ländern bereits vorweg.

Fazit aus den bisherigen Analysen:

60 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges in Europa, 60 Jahre nachdem die sowjetische Armee Berlin erobert hatte und die Spitzen der deutschen Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation unterzeichnen mussten, zeugen die Ergebnisse dieser Untersuchung davon, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten bemerkenswerte Veränderungen in den Meinungen der Russen zu Deutschland und den Deutschen und in den Meinungen der Deutschen zu Russland und den Russen durchgesetzt haben. Das Bild, das heute die öffentliche Meinung in beiden Ländern dominiert, entspricht dem von Gesellschaften, mit denen das jeweils eigene Land in Partnerschaft und guter Nachbarschaft friedlich koexistiert. Das Verhältnis des russischen Volkes und des deutschen Volkes war über viele Jahrhunderte hinweg, positiv, gut nachbarlich und wechselseitig befruchtet. Im vergangenen 20 Jahrhundert standen sie sich in zwei furchtbaren, von Deutschland begonnen Kriegen als Feinde gegenüber. In den letzten Jahrzehnten haben sich das belegen die Ergebnisse unserer Untersuchungen wieder grundlegende Veränderungen vollzogen.

Als Kern- und Angelpunkt dieser grundlegenden Veränderung im Meinungsbild in Deutschland dürfte sich bei weiterführender Untersuchung eine Umbewertung der eigenen Geschichte erweisen. Weil das nationalsozialistische Deutschland und der von ihm vom Zaun gebrochene Krieg heute von der großen Mehrheit der Deutschen als verbrecherisch bewertet wird, ist der Sieg über dieses Deutschland, an dem die Sowjetunion und damit die Russen einen sehr großen Anteil hatten, für die große Mehrheit der Deutschen heute eine Befreiung des eigenen und der anderen Völker und keine Niederlage. Die Bilder, die sich Russen und Deutsche gegenwärtig vom jeweils anderen Volk und dessen Gesellschaft machen, sind insgesamt positiv, aber sie sind nicht ohne Differenzierungen, nicht unkritisch, durchaus mit Distanzen und sicher auch nicht ohne Vorurteile. Interessant ist auch, dass es in den Bildern von Russland und den Russen zwischen den Ostdeutschen, die eigene Erfahrungen mit Russen als Besatzer gesammelt haben, und den Westdeutschen kaum Unterschiede gibt.

Diese Ergebnisse lassen für die positive Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschen und Russen und zwischen Russland und Deutschland hoffen.


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