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Die Schützengräben verlassen

Bekenntnisse eines russischen Soldaten - Die Hoffnung des Viktor Maximov

Von Armin Jähne *

Nicht die Frage der Schuld am Kriege Nazideutschlands mit der Sowjetunion ist Gegenstand dieses Buches. Sie darf als geklärt gelten, denn kaum ein vernünftiger Mensch wird bezweifeln, dass die deutsche Wehrmacht treubrüchig und als Aggressor im Juni 1941 über den Sowjetstaat herfiel.

Der Krieg, der, neben dem Ziel territorialer Eroberung, von Anfang an rassistisch und ideologisch motiviert war, wurde von deutscher Seite mit ungeheurer Grausamkeit und Menschenverachtung geführt. Auch die sowjetische Seite führte ihrerseits den Krieg unter ideologischem, nicht jedoch rassistischem Vorzeichen. Die Völker der Sowjetunion hatten sich ihrer Haut zu erwehren, und sie taten es unter großen, ja gewaltigen Opfern. Dabei begingen auch ihre Soldaten Kriegsverbrechen, die angesichts der viel größeren deutschen Vergehen auf sowjetischen Boden erklärbar, verzeihbar, aber nicht zu leugnen sind. Dennoch lassen sie sich nicht gegen deutsche Schuld aufrechnen, da die Unterschiede zu gravierend und zu grundsätzlich sind. Nicht vergessen werden sollte dabei, dass kein sowjetischer Soldat je Deutschland betreten hätte, wenn nicht zuvor die Sowjetunion von deutschen Truppen überfallen worden wäre. Dieser Überfall war und bleibt die Ursache für die zwangsläufige Folge: den siegreichen Einmarsch der Roten Armee ins damalige Deutsche Reich, das Nazireich. Der deutsche Soldat hatte den russischen ins Land geholt.

Seit jeher war es so, dass Kriege einerseits den menschlichen Bodensatz nach oben spülten, andererseits Tapferkeit, Mut, Selbstaufopferung, Patriotismus beförderten und hohe moralische Werte freisetzten. Zwischen beiden Polen, dem Verbrechen und dem Heldentum, befand sich der »normale« Soldat, der, ob er wollte oder nicht, brav seine Haut zu Markte trug und als Kanonenfutter millionenfach zu Tode kam. Es war auch so, dass in früheren Kriegen die Gefangenen noch einigermaßen menschlich behandelt wurden, auch die Verwundeten, und die Gefallenen bereits keine Gegner und unversöhnlichen Feinde mehr waren. Im Krieg Nazideutschlands gegen die Sowjetunion änderte sich das alles.

Die sowjetischen Gefangenen galten als bolschewistische »Untermenschen«. Sie wurden auf jede nur mögliche Weise drangsaliert. Man ließ sie verhungern, verbrachte sie in Konzentrationslager und ermordete sie dort in Genickschussanlagen. Hinzu kam, dass sie von ihrer eigenen Regierung und Armeeführung zu Verrätern erklärt und somit schutzlos wurden. Auf sowjetischer Seite galt der deutsche Soldat ausnahmslos und pauschal als Faschist, der grausam, herzlos und unmenschlich handelte. Er war allgemein verhasst und dieser Hass verfolgte ihn über den Tod hinaus. Soldatenfriedhöfe und einzelne Gräber wurden eingeebnet. Auf sowjetischer Erde sollte nichts mehr an ihn erinnern.

Viktor S. Maximov ist nun einer der wenigen sowjetischen Kriegsveteranen, die es, getragen von einer tiefen und vielleicht auch christlich geprägten Humanität, nach 1990 gewagt haben, diesen durch Krieg und Ideologie bedingten Teufelskreis aus Vorurteilen und Hass aufzusprengen und für eine Annäherung der ehemaligen Todfeinde zu sorgen. Der Weg des sich Näherkommens war schwierig und ist es wohl noch immer. Im eigenen Lande traf Maximov mit seinem Vorhaben oft auf Unverständnis. Die russische Regierung übt sich zu Jahrestagen zwar in großen Sprüchen und sonnt sich im Sieg über den Nazismus, die verbliebenen Kriegsinvaliden und Kriegsveteranen aber sind zumeist an den sozialen Rand der Gesellschaft gedrängt. Maximov wird nicht müde, an diese schreiende Ungerechtigkeit zu erinnern und eine kein Tabu scheuende, keine weißen Flecken lassende Aufarbeitung des Großen Vaterländischen Krieges einzufordern.

Der Anlass, seinen Weg zu beschreiten, ergab sich für Maximov aus einer sozialen und humanen Zwangslage. Das Hospital für russische Kriegsveteranen in Swerdlowsk/Jekaterinburg war nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht mehr in der Lage, seinen Aufgaben und Pflichten gegenüber den Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatten, nachzukommen - weder in der Vorsorge, noch bei stationärer Unterbringung und Heilung. Es fehlte an allem: an Betten, Verbandszeug, Medikamenten, medizinischem Gerät und sonstigen Dingen. Das Defizit zu mildern, gelang vorerst mit Hilfe der aus Deutschland abziehenden sowjetischen Truppen, die nicht mehr benötigtes medizin-technisches Material dem Hospital zur Verfügung stellten. Initiator dieser humanitären Transaktion war Maximov, der Präsident der russischen Stiftung »Hilfe für Kriegsinvaliden«. Er fand Mitstreiter unter ehemaligen Soldaten der Wehrmacht und deutschen Bürgern, insbesondere in Sachsen, die sich in der Gesellschaft zur Hilfe für Kriegsveteranen in Russland e.V. zusammenschlossen. Wie diese Kontakte zustande kamen, zu welchen Ergebnissen sie führten, welche konkrete Hilfeleistungen erfolgten und welche Hindernisse überwunden werden mussten, all das beschreibt Maximov ausführlich in seinem Buch. Er verhehlt auch nicht, dass er sich im Laufe dieser nutzbringenden Zusammenarbeit selbst veränderte und sich sein Verhältnis zu den deutschen Soldaten, seinen einstigen Feinden, wandelte.

Mehr noch, Viktor Maximov beleuchtet auch das Schicksal vieler sowjetischer Soldaten in den Jahren nach dem Kriege. Zu Herzen geht seine Schilderung der Lage sowjetischer Kriegsgefangner in Deutschland und nach ihrer Repatriierung in die Sowjetunion. Geradezu ergreifend ist sein Bericht über die sowjetischen Soldaten, die bis heute als vermisst gelten, über ihre Diskriminierung und die Situation ihrer Familien, über die schleppende Behandlung dieses ungelösten Problems durch die sowjetischen und heutigen russischen Regierungen.

Ein weiteres, sehr menschliches Anliegen Maximovs ist es, die Soldaten beider Seiten aus den historischen Schützengräben herauszuholen und den Weg der Versöhnung zu gehen. Erste Schritte waren bereits in der DDR gemacht worden, wenngleich nicht in der heute geforderten Intensität. Schöne Beispiele des dabei Erreichbaren sind der deutsche Soldatenfriedhof bei Jekaterinburg (1996, nicht vom Bund für deutsche Kriegsgräberfürsorge initiiert), die Kranzniederlegung ehemaliger Wehrmachtssoldaten am »Ewigen Feuer« in Tscheljabinsk, die Konferenzen sowjetischer und deutscher Kriegsveteranen in Jekaterinburg 2005 und St. Petersburg 2007 und der Aufruf zur Aussöhnung der einst verfeindeten Soldaten vom 22. Juni 2011 in Zeithain im Sinne der Völkerverständigung, der Solidarität und Menschenwürde.

Es ist ein außergewöhnliches und deshalb besonders lesenswertes Buch, das Viktor Maximov verfasst hat und von Freunden der Gesellschaft zur Hilfe für Kriegsveteranen in Russland e.V. übersetzt worden ist.

Viktor Maximov: Bekenntnisse eines alten russischen Soldaten. Hg. von der Gesellschaft zur Hilfe für Kriegveteranen in Russland e.V., Dresden 2011. 208 S., br., 8,50 € (plus Porto über den Verein, Am Anger 31, 01237 Dresden).

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. Mai 2012


Putin dankt den Architekten des Sieges

Militärparade in Moskau zum 67. Jahrestag des Triumphes über den Hitlerfaschismus

Von Irina Wolkowa, Moskau **


Russland beging am Mittwoch den 67. Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg. In allen Regionen und Städten wurde gefeiert. In Moskau paradierte das Militär.

Die Welt habe tatenlos zugesehen, wie sich der Faschismus entwickelte, und das habe zum Zweiten Weltkrieg geführt. Das dürfe die Menschheit, um eine Wiederholung der Tragödie auszuschließen, nie vergessen. Dazu sei es erforderlich, sich streng an völkerrechtliche Normen zu halten, die Souveränität eines jedes Staates zu achten und die Entscheidungen zu respektieren, die die Völker für ihren Entwicklungsweg treffen.

Die kurze Ansprache während der Militärparade zum Tag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg auf dem Roten Platz in Moskau war der erste öffentliche Auftritt Wladimir Putins nach dessen Vereidigung für eine dritte Amtszeit als Präsident am Montag. Auch der am Dienstag mit satter Mehrheit von der Duma als Ministerpräsident bestätigte Dmitri Medwedjew stand in der ersten Reihe der Ehrengäste.

Die meisten Plätze auf den Tribünen waren jedoch an die letzten noch lebenden Kriegsteilnehmer und deren Angehörige vergeben worden. Putin gedachte ihrer mit besonders warmen Worten: Sie hätten in den vier Kriegsjahren an der Front und im Hinterland schier Unmögliches vollbracht und seien die eigentlichen Architekten des Sieges über den Hitlerfaschismus im Mai 1945.

Zwar hatte das postkommunistische Russland in den ersten Jahren nach dem Systemwechsel auf Militärparaden verzichtet, die zu Sowjetzeiten sowohl am Jahrestag der Oktoberrevolution als auch des Sieges stattfanden. Wiederbelebt wurde die Tradition erst bei den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Kriegsendes in Europa 1995. Doch es geht inzwischen sehr viel bescheidener zu. Vor allem auf den Einsatz schwerer Technik wird, um die Umwelt und das historische Kopfsteinpflaster auf dem Roten Platz zu schonen, weitgehend verzichtet.

Auch diesmal folgten den rund 14 000 Soldaten aller Waffengattungen, die an den Ehrengästen zu Marschklängen aus dem Großen Vaterländischen Krieg vorbei defilierten, nur rund 100 Einheiten Kriegstechnik. Neben Panzern des Typs T-90 - die Serie wurde schon im Krieg aufgelegt und wird seither ständig weiterentwickelt - vor allem Kurzstreckenraketen »Iskander« und die Interkontinentalrakete Topol-M, die angeblich in der Lage ist, jede gegnerische Abwehr zu überwinden. Ihren Weg vom Chodynka-Feld ins Stadtzentrum und zurück verfolgten Tausende Moskauer und Gäste der Hauptstadt.

Am Nachmittag fanden überall Volksfeste statt, der Tag klang mit einem grandiosen Feuerwerk aus.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. Mai 2012


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