Verbot biologischer Waffen stärken!
40 Jahre BW-Konvention
Von Hubert Thielicke *
Dr. Hubert Thielicke, geb. 1949, Politologe und
PR-Berater, Lehrbeauftragter an der Universität
Halle-Wittenberg, ehemals tätig auf der Genfer Abrüstungskonferenz.
thielicke@pr-medienberatung.de
Am 10. April 1972 wurde in den Hauptstädten der drei
Depositäre Großbritannien, UdSSR und USA die Konvention
über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und
Lagerung bakteriologischer (biologischer) und Toxinwaffen
und über ihre Vernichtung (BW-Konvention) zur Unterzeichnung
aufgelegt. Sie stellt nicht nur die erste weltweite Abrüstungsmaßnahme
dar, sondern verbietet auch eine komplette
Kategorie von Massenvernichtungswaffen und verhindert
präventiv den militärischen Missbrauch wissenschaftlichtechnischer
Erkenntnisse auf dem Gebiet der Biowissenschaften. Die Konvention trat am 26. März 1975 in Kraft. Heute gehören ihr 165 Teilnehmerstaaten an.
Unter biologischen Waffen (B-Waffen, BW) versteht man vor
allem Krankheitserreger, deren Einsatz bei Menschen, Tieren
oder Pflanzen Schädigungen oder den Tod hervorrufen kann,
während es bei Toxinen um von Lebewesen erzeugte Gifte geht.
Dabei handelt es sich wohl um die ersten Massenvernichtungsmittel,
derer sich Menschen bedienten. So sollen die mongolischen
Belagerer 1346 Pestleichen über die Stadtmauern von Kaffa
auf der Krim katapultiert haben, worauf die Seuche auf genuesischen
Schiffen nach Westeuropa eingeschleppt wurde. In den
Indianerkriegen des 18. und 19. Jahrhunderts nutzten Engländer
und US-Amerikaner mit Pockenviren infizierte Textilien, was zur
Vernichtung ganzer Stämme führte. Die Entwicklung der Wissenschaften
ließ die Gefahr der militärischen Anwendung der Erreger
von Milzbrand, Pest, Pocken und anderer Krankheiten größer
werden. Die Haager Landkriegsordnung von 1899 bzw. 1907
untersagte schließlich den „Gebrauch von Waffen, Geschossen
oder Stoffen, die geeignet sind, unnötig Leiden zu verursachen“.
Das Genfer Protokoll von 1925 geht darüber hinaus und verbietet
neben der Anwendung von Giftgasen im Kriege ausdrücklich
auch die von bakteriologischen Mitteln. Die Hauptschwäche des
Abkommens besteht allerdings darin, dass es sich im Grunde nur
um ein Erstanwendungsverbot handelt. Es wurde im Zweiten
Weltkrieg auf dem europäischen Kriegsschauplatz eingehalten,
während Japan, welches das Protokoll nur unterzeichnet, nicht
aber ratifiziert hatte, biologische Waffen in China einsetzte.
Einigung auf Verbot
Ende der 1960er Jahre trat das vollständige Verbot der biologischen
und chemischen Waffen (C-Waffen, CW) in den Fokus der
internationalen Debatten. Dazu trugen nicht zuletzt Expertenberichte
der UNO und der WHO über die gefährlichen Folgen
ihrer Anwendung bei. In der UN-Generalversammlung und der
Genfer Konferenz des Abrüstungsausschusses (CCD) konnte man
sich jedoch zunächst nur auf ein Verbot der B-Waffen einigen.
Darauf hatten vor allem die USA und Großbritannien gedrungen.
Sie begründeten dies mit der Komplexität des CW-Verbots. Ein
BW-Verbot würde weniger intrusive Kontrollmaßnahmen erfordern
und wäre damit schneller erreichbar. Dahinter steht, dass
B-Waffen im Grunde unterschiedslos wirken, also für militärische
Zwecke schwer beherrschbar sind. Demgegenüber betrachteten
einige Staaten C-Waffen als durchaus interessantes Kampfmittel.
Die USA begannen zu dieser Zeit beispielsweise mit der
Entwicklung einer völlig neuen Art der Binärwaffen und setzten
im Vietnamkrieg chemische Mittel (Herbizide) zur Entlaubung
ein. Andererseits hatte die Nixon-Administration bereits 1969
den Verzicht auf B-Waffen erklärt und ihn im folgenden Jahr
auf Toxinwaffen ausgedehnt. Zudem wurde in den Verhandlungen
deutlich, dass die Sowjetunion und ihre Verbündeten
damals nicht zu weitreichenden internationalen Kontrollen für
ein CW-Verbot bereit waren. Angesichts dessen erzielte die CCD
1971 rasch Einigung über eine BW-Konvention, welche die
UN-Generalversammlung im Herbst verabschiedete.
Die Konvention verbietet die Entwicklung, Herstellung,
Lagerung und den sonstigen Erwerb von mikrobiologischen
Stoffen oder Toxinen gleich welchen Ursprungs oder welcher
Herstellungsart, die nach Art und Menge nicht für prophylaktische,
schützende oder andere friedliche Zwecke bestimmt sind.
Ebenfalls verboten werden die entsprechenden Waffen, Ausrüstungen
und Trägermittel. Dem Verbot liegen keine eigentlichen
Definitionen zugrunde, sondern das sogenannte Zweckkriterium.
Erlaubt werden bestimmte Aktivitäten für friedliche
Zwecke. Nicht verboten ist auch die Forschung, da hier zwischen
solcher für friedliche oder militärische Zwecke nur schwer zu
unterscheiden ist. Die Teilnehmer verpflichten sich weiterhin zur
Vernichtung ihrer Vorräte an B-Waffen und zu deren Nichtverbreitung.
Das Abkommen enthält keine Kontrollbestimmungen, sondern sieht nationale Maßnahmen zur Durchsetzung des Verbots, Konsultation und Kooperation zwischen den Teilnehmern bei der Lösung von Problemen und die Anrufung des UN-Sicherheitsrates beim Verdacht auf Vertragsverletzungen vor. Bekräftigt wird das Ziel eines wirksamen CW-Verbots. Eine entsprechende Konvention zum Verbot von chemischen Waffen wurde nach langen und komplizierten Verhandlungen schließlich
1993 abgeschlossen. Ihr gehören heute 188 Staaten an.
Angesichts einer Reihe von Schwachstellen der BW-Konvention,
insbesondere fehlender Bestimmungen über die Deklarierung
der Arten und Mengen an Agenzien und Toxinen, eine
internationale Kontrolle und ein Vertragsorgan, erwies sich der
Artikel XII über eine Konferenz zur Überprüfung der Wirkungsweise
der Konvention als von besonderer Bedeutung. Seit 1980
fanden sieben solcher Konferenzen statt. Auf ihnen wurden,
unterstützt in den letzten Jahren von Treffen der BW-Konvention-
Teilnehmerstaaten bzw. ihrer Experten, Maßnahmen zur
Stärkung der Konvention getroffen:
-
Interpretation, Präzisierung und Weiterentwicklung wesentlicher
Bestimmungen des Abkommens. Seine umfassende
und präventive Natur wurde durch Erklärungen bekräftigt,
wonach der Verbotsumfang alle biologischen Agenzien
und Toxine betrifft, die schädlich für Pflanzen, Tiere und
Menschen sind, und alle relevanten gegenwärtigen und
künftigen wissenschaftlich-technischen Entwicklungen, wie
Mikrobiologie, Gentechnik und Biotechnologie, abdeckt.
Einbezogen werden internationale, nationale und nichtstaatliche
Akteure. Damit ist auch der Bioterrorismus erfasst. Im
Rahmen der Verfahren zur Zusammenarbeit wird ein Konsultativtreffen
zur Klärung von Problemen bei der BW-Konvention-
Umsetzung vorgesehen.
- Vereinbarung vertrauensbildender Maßnahmen wie Informationsaustausch über Forschungszentren und Laboratorien, biologische Schutzprogramme, den Ausbruch von ansteckenden
Krankheiten, die nationale Gesetzgebung und weitere relevante
biologische Aktivitäten. An diesen Maßnahmen nimmt aber
bisher meist nur ein Drittel der Vertragsstaaten teil.
-
Institutionelle Stärkung der Konvention. Die 6. Überprüfungskonferenz (2006) regte die Festlegung nationaler
Kontaktstellen an, welche die innerstaatliche Umsetzung
des Abkommens koordinieren und die Kommunikation mit
anderen Staaten und internationalen Organisationen gewährleisten
sollen. Im Falle Deutschlands erfüllt das Auswärtige
Amt diese Aufgabe. Auf Beschluss der Konferenz wurde
zugleich eine aus drei Mitarbeitern bestehende Unterstützungseinheit
für die BW-Konvention (Implementation Support Unit)
im Rahmen der Genfer Abteilung des UN-Büros für Abrüstungsfragen
eingerichtet. Sie soll vor allem die Tagungen der
Vertragsstaaten, den Informationsaustausch und die Umsetzung
der vertrauensbildenden Maßnahmen und der Konferenzbeschlüsse
unterstützen.
Widerstand bei internationalen Kontrollen
Bestrebungen, in einem Zusatzprotokoll weitergehende
Maßnahmen zur Stärkung der Konvention festzuschreiben,
darunter auch internationale Kontrollen, scheiterten vor allem
am Widerstand der USA, die diesen mit kommerziellen und
Sicherheitsinteressen begründeten. Dass solche Maßnahmen
ihre Berechtigung haben, zeigte der Ausbruch einer Milzbrandepidemie
1979 in Swerdlowsk (heute Jekaterinburg), woraufhin
die Sowjetunion verdächtigt wurde, ein geheimes BW-Programm
zu unterhalten. Russland gab schließlich 1992 zu, dass es sich um
einen Bruch der BW-Konvention gehandelt habe, und erklärte, es
werde geheime militärische biologische Forschungszentren öffnen
und auf friedliche Zwecke umorientieren. Eine Art Kontrollmechanismus
außerhalb der BW-Konvention wurde mit Resolution
42/37 der UN-Generalversammlung vom 30.11.1987 geschaffen.
Danach kann der UN-Generalsekretär die mögliche Anwendung
von B- und C-Waffen untersuchen lassen. Die Staaten stellen ihm
dafür Experten und Laboratorien zur Verfügung.
Die im Dezember 2011 abgehaltene 7. Überprüfungskonferenz
bekräftigte die anhaltende Bedeutung des Abkommens und
beschloss ein Aktionsprogramm für die kommenden Jahre, in
dessen Mittelpunkt stehen: die Stärkung der nationalen Maßnahmen
zur Umsetzung der Konvention und der Zusammenarbeit
bei der friedlichen Nutzung von Ausrüstungen, Materialien und
wissenschaftlich-technischen Informationen auf biologischem
Gebiet sowie die Verfolgung der Entwicklung von Wissenschaft
und Technik hinsichtlich der BW-Konvention. Die 8. Überprüfungskonferenz
soll spätestens 2016 stattfinden.
Damit ergibt sich als Fazit: Trotz ihres im Vergleich zu anderen
Abrüstungsabkommen, wie z. B. der CW-Konvention, relativ allgemeinen
Charakters und der bekannten Schwachstellen hat sich die
BWKonvention als Mittel dagegen bewährt, dass die Erkenntnisse
der Biowissenschaften für militärische Zwecke genutzt werden.
Weitere Schritte zu ihrer Stärkung sind erforderlich.
Erstens muss der
Prozess ihrer effektiven Umsetzung und Weiterentwicklung fortgesetzt werden. Noch mehr Staaten sollten
sich an den vertrauensbildenden Maßnahmen beteiligen
und die nötigen nationalen Schritte zur Verhinderung des
Missbrauchs wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse auf
dem Gebiet der Biowissenschaften treffen. Hier kommt auch
den Wissenschaftlern selbst und nichtstaatlichen Organisationen
eine große Verantwortung zu.
Zweitens gilt es, endlich die
Universalität des Abkommens zu
erreichen. Nach wie vor haben es zwölf Staaten nur unterzeichnet
und 19 selbst das noch nicht getan. Dabei handelt es
sich vor allem um Staaten in Afrika, im Pazifik und im Nahen
Osten. Ein besonderes Problem stellt letztere Region dar, wo
Ägypten und Syrien zu den Unterzeichnerstaaten gehören und
Israel noch völlig außerhalb steht. Dieses Problem wird wohl
nur im Komplex mit den nuklearen und chemischen Waffen
zu lösen sein, d.h. im Rahmen einer von Massenvernichtungswaffen
freien Zone im Nahen Osten. Eine erste Konferenz zu
dieser Thematik ist in diesem Jahr in Finnland geplant.
Drittens geht es um die Nichtverbreitung von B-Waffen an nichtstaatliche Akteure, also den
Bioterrorismus. Nach Meinung
wissenschaftlicher Experten werden Terroristen B-Waffen jedoch
nur schwer erlangen und nutzen können. Davon zeugt der Fall
der japanischen Aum-Sekte, die 1995 in der Tokioter U-Bahn
den chemischen Kampfstoff Sarin einsetzte. Untersuchungen
ergaben, dass sie vergeblich versucht hatte, auch Milzbranderreger
und Botulinumtoxin anzuwenden. Andererseits versetzten
im Herbst 2001 die so genannten Milzbrandbriefe die USA
in Angst und Schrecken. Letztlich wird nicht nur im Rahmen
der Konvention der Nichtverbreitung von B-Waffen große
Aufmerksamkeit gewidmet. Mit Resolution 1540 (2004)
verpflichtete der UN-Sicherheitsrat vor acht Jahren die Staaten,
effektive Maßnahmen gegen die Erlangung von Massenvernichtungswaffen
durch nichtstaatliche Akteure zu ergreifen.
* Dieser Beitrag erschien in: Welt Trends - Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 84, Mai/Juni 2012, S. 81-85. - Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Welt Trends im Internet: http://welttrends.de
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