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Krankheitserreger als Kampfmittel?

Jahreskonferenz berät in Genf über die Stärkung der Bio-Waffen-Konvention

Von Wolfgang Kötter *

Im Genfer Palast der Nationen treffen sich heute (6.12.) die Mitgliedstaaten der Konvention über das Verbot biologischer Waffen zu ihrer Jahrestagung. Es geht um die Gefahren die entstehen könnten, sollten Militärs, Terroristen, oder Kriminelle Infektionskrankheiten als Waffe missbrauchen. Um solchen Bedrohungen wirksam begegnen zu können, werden die Teilnehmer unter Vorsitz von Pedro Oyarce aus Chile darüber beraten, wie bei einer vermuteten Anwendung biologischer oder toxischer Kampfstoffe Hilfsmaßnahmen effektiv zu koordinieren sind. Außerdem sollen die Fähigkeiten zur Krankheitserkennung, Überwachung und Diagnose sowie die Arbeit der nationalen öffentlichen Gesundheitssysteme verbessert werden.

Der Abrüstungsvertrag

Seit 35 Jahren gilt die Biowaffen-Konvention und sie wird zu Recht als erster wirklicher Abrüstungsvertrag bezeichnet. Denn das Übereinkommen untersagt neben der Anwendung ebenso die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von Biowaffen, sowie deren Besitz und verlangt darüber hinaus die Vernichtung vorhandener biologischer Kampfstoffe. Durch die Konvention, der bis heute 163 Staaten beigetreten sind, wurde also erstmals eine ganze Kategorie von Massenvernichtungswaffen einschließlich ihrer Ausrüstungen und Trägermittel vollständig aus den Militärarsenalen der Staaten verbannt. Das Verbot erfasst lebende Organismen oder von diesen gewonnene infektiöse Materialien - Bakterien, Viren und Pilze -, die bei Menschen, Tieren oder Pflanzen zu Krankheit oder Tod führen. Die Konvention verbietet alle natürlich oder künstlich hergestellten mikrobiologischen und anderen biologischen Stoffe sowie Toxine, die nicht für friedliche Zwecke bestimmt sind. Bakteriologische Kampfstoffe können z.B. Cholera, Typhus und Pest sowie viele Tierkrankheiten hervorrufen. Das Abkommen wurde möglich, weil die meisten Militärs biologische Waffen damals für eher exotisch hielten. Sie galten wegen des "Bumerang-Effekts" - dem Risiko der Selbstinfektion und der Unberechenbarkeit ihrer Ausbreitung - als militärisch wenig brauchbar. Außerdem war ihre Anwendung, ebenso wie die der chemischen Waffen, bereits seit dem Genfer Protokoll von 1925 international geächtet.

Neue Gefahren

Doch inzwischen hat sich die Situation verändert. Die enormen Fortschritte der Wissenschaft machen biologische Kampfstoffe auch militärisch attraktiv. Vor allem Erkenntnisse der Molekular- und Zellgenetik, aber auch die Synthetische Biologie haben die bedrohlichen Potentiale von Biowaffen dramatisch erweitert. Vor allem mit letzterer können künstliche biologische Systeme, sogenannte Designerwaffen, erzeugt werden, darunter beispielsweise auch pathogene Viren. Gerade in der heutigen globalisierten und interdependenten Welt ist ein wirksames und zuverlässiges Verbot von Biowaffen unverzichtbar, denn der Ausbruch einer Seuche selbst in einer noch so fernen Gegend könnte zu einer apokalyptischen Lebensbedrohung für die Menschen allerorts werden. Die westlichen Konsum- und Hightech-Gesellschaften sind durch ihre vernetzte Infrastruktur und hochgradige Technisierung außerordentlich anfällig für derartige Waffen. Krankheitserreger können mit Raketen verschossen, aber auch als Aerosole von Flugzeugen, Schiffen oder Fahrzeugen aus auf ausgedehnte Gebiete versprüht werden. Die Verbreitung biologischer Kampfstoffe über Trinkwasseranlagen, Belüftungsaggregate oder durch Vektoren - z.B. Insekten oder infizierte Tiere - führen zu Massenerkrankungen, Epidemien und sogar zum Tod. Angesichts der globalen Destabilisierungen, zahlreicher Regionalkonflikte und Bürgerkriege nimmt deshalb das Risiko eines militärischen oder terroristischen Einsatzes biologischer Kampfstoffe zu. Außerdem sind die Möglichkeiten gestiegen, biologische Waffen, die in ihrer Massenvernichtungskraft an die Kernwaffen heranreichen, unbemerkt und relativ billig herzustellen. Es ist weder ein großes technisches Know-how noch eine kostspielige Technologie und Infrastruktur zur Herstellung erforderlich. Jedes kleinere Pharmalabor kann Bakterien, Viren und Toxine produzieren, die bereits in geringen Mengen Epidemien unter den gegnerischen Truppen und in der Bevölkerung auslösen.

Wege in die Zukunft

Bereits im Sommer haben Experten aus 89 Staaten und 16 Nichtregierungsorganisationen bzw. Forschungsinstituten zahlreiche Ideen und Anregungen zur inhaltlichen Konferenzvorbereitung entwickelt. Zu den Vorschlägen gehören beispielsweise Trainingsseminare und Übungen für den Fall möglicher Biowaffenangriffe, verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen des Gesundheitswesens und der Strafverfolgung sowie Hilfen für die Mitgliedstaaten bei der Vertragserfüllung. Generell fordern Wissenschaftler ein umfassendes Konzept für Biosicherheit. Dafür müssten die verschiedenen existierenden Abkommen zur biologischen Sicherheit von pflanzlichen, tierischen oder menschlichen Krankheitserregern oder gentechnisch veränderten Organismen zusammengeführt werden. Zu solchen Abkommen gehören beispielsweise das Cartagena Biosafety Protocol (CBP), die International Plant Protection Convention (IPPC) und das Office International de Epizooties (OIE). Diese Abkommen bieten nach Meinung der Wissenschaftler einen funktionierenden multilateralen Rahmen, der einen neuen Ausgangspunkt für künftige Verhandlungen zur biologischen Rüstungskontrolle und Abrüstung bilden könnte.

Die jetzige Jahrestagung ist die letzte einer Serie von Zusammenkünften, auf denen die internationale Konvention zum Verbot von Biowaffen gestärkt werden sollte. Sie waren ein Kompromiss, um angesichts der totalen Verweigerungshaltung der USA unter der Bush-Regierung zumindest den internationalen Dialog zu Biowaffen aufrecht zu erhalten. Doch so nützlich derartige Konferenzen auch sind. Sie können das grundlegende Defizit des Abkommens nicht ausgleichen. Es besteht im Fehlen eines wirksamen Verifikations- und Sanktionssystems. Dabei war ein entsprechendes Zusatzprotokoll, das die Wirksamkeit des Verbots erheblich gestärkt hätte, bereits vor Jahren so gut wie unterschriftsreif. Aber die USA ließen es in letzter Minute scheitern, weil sie die eigene geheime Biowaffenentwicklung vor internationalen Inspektionen abschirmen wollten. Im kommenden Jahr kann auf der Überprüfungskonferenz ein neuer Anlauf unternommen werden, um das Biowaffenverbot stärker und effektiver zu machen. Die USA haben jedenfalls angekündigt, dem Problem der Biowaffen offener gegenüber zu treten. „Präsident Obama erkennt völlig an, dass ein großflächiger Angriff mit biologischen Waffen auf eine der Großstädte der Welt genauso viele Tote fordern und ökonomischen wie auch psychologischen Schaden anrichten kann wie ein nuklearer Angriff”, versichert die für Abrüstung zuständige Staatssekretärin Ellen Tauscher. Zwar werde man die Verhandlungen über ein Verifikationsprotokoll nicht wieder aufnehmen, aber die Einhaltung der Vertragsverpflichtungen durch „erhöhte Transparenz“ und „Erfüllungsdiplomatie“ anstreben. Dabei sollten ein breiter Informationsaustausch und vertrauensbildende Maßnahmen eine wichtige Rolle spielen.

Biologische Waffen

Art Sorte/Wirkung
Bakterien - lebende, sich durch Zellteilung schnell vermehrende Mikroorganismen Erreger des Milzbrands (Anthrax), von Pest, Cholera, Diphtherie oder Salmonellen
Viren - keine echten Lebewesen, bestehen meist nur aus Nukleinsäuren und Eiweißhülle Erreger unter anderem von Ebola, Lassa- Marburg- und Gelbfieber sowie von Pocken
Rickettsien - zwischen Viren und Bakterien stehende Krankheitserreger Erreger des Fleckfiebers
Pilze - beruhen auf Reproduktion der verwendeten Organismen Zu den Schimmelpilzen gehört zum Beispiel das Leberkrebs verursachende Aflatoxin
Toxine - Giftsubstanzen tierischer und pflanzlicher Herkunft Als tödliche Gifte wirken unter anderem Tetanus, Rizin, Botulin


Verifikationsprotokoll

Zur Stärkung der Konvention wurde in mehr als sechsjährigen Verhandlungen ein Verifikationsprotokoll ausgehandelt. Es basierte auf vier Säulen:
  1. Erfassung biotechnischer Anlagen ("declarations"),
  2. Inspektionen durch internationale Beobachter nach dem Zufallsprinzip ("visits"),
  3. Klärungsprozesse zur Beseitigung von Unklarheiten ("clarification procedures")
  4. Ermittlungsverfahren im Verdachtsfall ("challenge investigations").
Es sollte auf der 5. Überprüfungskonferenz der B-Waffenkonvention im November/Dezember 2001 in Genf beschlossen werden. Doch die USA provozierten mit ihrer Ablehnung einen Eklat und die Konferenz wurde ergebnislos abgebrochen.


Jahrestagungen

Wegen der US-Ablehnung von Verhandlungen zur Kontrollproblematik fanden in den vergangenen Jahren lediglich Expertenberatungen zu folgenden Themen statt:
  • 2003: Staatliche Umsetzung der Vertragsbestimmungen, nationale Strafgesetzgebung sowie physische Sicherheit von Krankheitserregern und Toxinen.
  • 2004: Internationale Hilfe und Zusammenarbeit bei einem Angriff mit biologischen Kampfstoffen und dem Ausbruch von Massenepidemien.
  • 2005: Verhaltenskodex für Biowissenschaftler zur Verhinderung des Missbrauchs biowissenschaftlicher Forschung.
  • 2007: Verbesserung der nationalen Vertragserfüllung, einschließlich der Stärkung der nationalen Gesetzgebung und Institutionen. Regionale und subregionale Kooperation bei der Vertragserfüllung.
  • 2008: Maßnahmen zur Erhöhung der biologischen Sicherheit, einschließlich der von Laboren, Pathogenen und Toxinen. Entwicklung von Problembewusstsein, Aufklärung, Bildung und Erziehung über die Gefahren der Biowissenschaften und -technologien. Ausarbeitung von Verhaltenskodizes für Biowissenschaftler zur Verhinderung verbotener biowissenschaftlicher Forschung.
  • 2009: Ausweitung der internationalen Kooperation zum Austausch von biowissenschaftlichen Erkenntnissen und Technologien für friedliche Zwecke. Schaffung von Kapazitäten bei der Früherkennung, Diagnose und Eindämmung von Infektionskrankheiten.


Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien im "Neuen Deutschland" vom 6. Dezember 2010


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