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Biowaffen-Verbot: Licht am Ende des Tunnels?

Von Wolfgang Kötter *

Im Konferenzsaal XVIII des Genfer Palastes der Nationen treffen sich ab heute (10.12.) die 159 Mitgliedstaaten der Konvention über das Verbot Biologischer Waffen. Zur Konferenzvorbereitung hatten bereits im Sommer Experten ein ganzes Paket von Ideen und Vorschlägen entwickelt. Viele Anregungen fordern eine Stärkung der nationalen Kontrollinstitutionen zu Massenerkrankungen und Seuchen. Andere Initiativen zielen darauf ab, bei der Epidemienüberwachung und Katastrophenhilfe auch international und regional stärker zusammenzuarbeiten.

Nahezu sieben dunkle Jahre liegen hinter der Biowaffen-Konvention. Seit dem Inkrafttreten 1975 galt das Abkommen jahrzehntelang als Musterbeispiel multilateraler präventiver Abrüstung, denn es ächtet eine ganze Art von Massenvernichtungswaffen, noch bevor sie in die Arsenale der Staaten aufgenommen und in kriegerischen Auseinandersetzungen angewendet wurden. Doch dann zogen finstere Wolken auf: Die Militärs, denen der Einsatz von B-Waffen früher zu riskant erschienen war, finden sie inzwischen Dank der Biowissenschaften, insbesondere der Genetik und der synthetischen Biologie, wieder attraktiv. Heute ist es möglich, Krankheitserreger als künstliche Designerwaffen zu entwickeln, während die eigenen Truppen mit Impfstoffen immunisiert werden. Auch die lange als Phantasievorstellung abgetanen "Ethnowaffen", die sich nur gegen bestimmte ethnische Gruppen richten, scheinen inzwischen herstellbar. Die Folgen einer biologischen Kriegsführung und des "genetic engineering" zur Erzeugung von Seuchen oder der Zerstörung genetischer Schutzmechanismen wären verheerend.

Darum entschlossen sich die Vertragstaaten Anfang der Neunzigerjahre, dem bisher zahnlosen Abkommen ein wirksames Kontrollinstrument beizufügen. Mehr als neun Jahre wurde verhandelt, bis im Sommer 2001 endlich ein Ergebnis vorlag. Doch um niemandem Zugang zu den eigenen, teilweise verbotenen Biowaffenprogrammen zu gewähren, lehnten die USA, das Zusatzprotokoll ab. Washingtons Totalverweigerung stürzte das Abkommen in eine existenzielle Krise, denn wenn illegale Aktivitäten unentdeckt und straffrei bleiben, wird das Verbot zur Farce. In den vergangenen Jahren beschränkten sich die multilateralen Aktivitäten auf unverbindliche Themendiskussionen und die Bush-Regierung weigert sich bis heute stur, die Kontrollfrage auch nur zu erörtern. Immerhin gibt es seit der Überprüfungskonferenz im vergangenen Jahr wieder etwas Bewegung. Das vereinbarte Schlussdokument sieht zukünftig eine intensivere wissenschaftliche Kooperation, vertrauensbildende Maßnahmen und einen erweiterten Technologietransfer vor. Auch die thematischen Jahreskonferenzen werden fortgesetzt (siehe Infokasten). Als wichtigstes Ergebnis werten Teilnehmer, dass mit der Schaffung einer Unterstützungseinheit für die Vertragsumsetzung (Implementation Support Unit) ein erster Schritt hin zu einer permanenten Betreuungsinstitution für die Konvention erreicht wurde. Inzwischen haben der Australier Richard Lennane und seine beiden Mitarbeiter ihre Arbeit im Genfer UN-Abrüstungsbüro aufgenommen. Das Mini-Sekretariat wird die Konferenzen und den Informationsaustausch im Rahmen der Konvention unterstützen, für den Beitritt weiterer Staaten werben und mithelfen, die beschlossenen vertrauensbildenden Maßnahmen umzusetzen. Diese verpflichten die Staaten, jährlich über Hochsicherheitslabors, die Bioabwehrforschung und Ausbrüche von Infektionskrankheiten zu berichten. Außerdem sollen Informationen zu wissenschaftlichen Publikationen, der Förderung von Wissenschaftlerkontakten, relevanten nationalen Gesetze und Vorschriften sowie zu Impfstoffproduktionsanlagen ausgetauscht werden. Dadurch soll die Transparenz erhöht und das Vertrauen in die Vertragstreue aller Mitglieder gestärkt werden.

Bedeutet dies alles nun das berühmte Licht am Ende des Tunnels? So zumindest fragen mit aller Vorsicht die Wissenschaftler der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung HSFK in einer aktuellen Situationsanalyse. Der Konferenzpräsident Masood Khan aus Pakistan jedenfalls zeigt sich optimistisch. Dennoch sind Zweifel berechtigt, denn durch die verlorenen Jahre tauchen gegenwärtig neue Bedrohungen am Horizont auf. Auch kriminelle und terroristische Gruppen haben inzwischen Interesse an Krankheitserregern als Waffe gefunden. Das Risiko des Bioterrorismus gehört nach Expertenmeinung zu den am meisten unterschätzten Gefahren, und ein wirksamer Schutz vor biologischen Kampfstoffen ist dringender denn je. Zudem schwächt die erlaubte „Defensivforschung“ - etwa die Herstellung von Impfstoffen und Immunisierungsmitteln - das Verbot ebenfalls, weil diese in der Realität nur schwer von offensiven Aktivitäten zu unterscheiden sind. Mit dem Argument, man müsse sich gegen mögliche Angriffe mit Biowaffen durch Terroristen oder „Schurkenstaaten“ schützen, begründen denn auch Regierungen ihre militärische Bioforschung, die durch technische Unfälle, Havarien oder unzureichende Sicherheitsvorkehrungen selbst wiederum zu einem erheblichen Gefahrenherd wird. Hinzu kommen Bestrebungen, biologische Materialien als sogenannte nicht-tödliche Waffen zu verwenden. Derartige Agenzien - wie Pilze gegen Drogenpflanzen und Material zerstörende Organismen - werden zurzeit intensiv entwickelt. Dazu gehören z.B. Mikroben, die radarabweisende und Tarnlackierungen auf Fahrzeugen, Panzern und den Schutzanstrich von Flugzeugen angreifen und dadurch deren Entdeckung und Abschuss erleichtern.

Die heutige globalisierte Welt ist durch ihre umfassenden Kommunikations-, Transport- und Reiseverbindungen äußerst pandemieanfällig. Massenerkrankungen, Seuchen und Epidemien können sich rasend schnell bis in jeden Winkel der Erde ausbreiten. "Fluglinien transportieren derzeit mehr als zwei Milliarden Passagiere jährlich und verstärken damit die Möglichkeit für die schnelle internationale Ausbreitung von infektiösen Erregern gewaltig", betont die Chefin der Weltgesundheitsorganisation WHO Margaret Chan. Auch Europa muss sich nach Auffassung der EU-Kommission gegen das Risiko bioterroristischer Anschläge wappnen. Die Brüsseler Behörde regt deshalb eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden, Forschung und Industrie an, um etwaigen Angriffen mit Krankheitserregern wirksamer zu begegnen und auch der Verbreitung von Epidemien auf natürlichem Wege vorzubeugen. Seit dem Sommer arbeitet das computergestütztes Informationssystem „MediSys“ (Medical Intelligence System), das nahezu zeitgleich Daten über den Ausbruch von Erkrankungen, Bioterroranschläge und Industrieunfälle liefert und per E-mail sogar automatisch an zuständige Entscheidungsträger verschickt.

Themen der jährlichen Fachkonferenzen:

2008:
  • Nationale, regionale und internationale Maßnahmen zur Erhöhung der biologischen Sicherheit, einschließlich der von Laboren, Pathogenen und Toxinen.
  • Entwicklung von Problembewusstsein, Aufklärung, Bildung und Erziehung über die Gefahren der Biowissenschaften und -technologien. Ausarbeitung von Verhaltenskodizes für Biowissenschaftler zur Verhinderung verbotener biowissenschaftlicher Forschung.
2009:
  • Ausweitung der internationalen Kooperation zum Austausch von biowissenschaftlichen Erkenntnissen und Technologien für friedliche Zwecke.
  • Schaffung von Kapazitäten bei der Früherkennung, Diagnose und Eindämmung von Infektionskrankheiten.
2010:
  • Koordinierung von Hilfsmaßnahmen relevanter Organisationen bei vermuteter Anwendung biologischer oder toxischer Waffen.
  • Verbesserung der Fähigkeiten zur Krankheitserkennung, Überwachung und Diagnose sowie der nationalen öffentlichen Gesundheitssysteme.


* Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien unter dem Titel "Endlich Licht am Ende des Biowaffen-Tunnels?" in: Neues Deutschland, 10. Dezember 2007


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