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Krankheitserreger als Kampfmittel

Bedrohung durch Biowaffen wächst durch riskante Forschungen

Von Wolfgang Kötter *

Am Europäischen Sitz der Vereinten Nationen in Genf tagt ab Montag, 9. Dezember, die Jahreskonferenz zur Konvention über das Verbot biologischer Waffen. Unter Vorsitz von Judit Körömi aus Ungarn wollen die Vertreter der 165 Mitgliedstaaten über die Stärkung der Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Biowissenschaften beraten. Außerdem werden sie die wissenschaftlich-technischen Entwicklungen in Bezug auf die B-Waffen-Konvention überprüfen und Möglichkeiten zur Stärkung der nationalen Vertragserfüllung erörtern. Zugleich geht es um Bemühungen, die Teilnahme an vertrauensbildenden Maßnahmen zu erhöhen.

Neue Erkenntnisse der Wissenschaft machen biologische Kampfstoffe für die Militärs, aber auch als Terrorwaffe verlockend.

Vor allem Forschungsergebnisse der Molekular- und Zellgenetik, aber auch die Synthetische Biologie haben die bedrohlichen Potenziale von Biowaffen dramatisch erweitert. Gerade in der heutigen globalisierten und interdependenten Welt ist ein wirksames Verbot von Biowaffen unverzichtbar, denn der Ausbruch einer Seuche selbst an einem abgelegenen Ort kann sich rasend schnell über den gesamten Erdball ausbreiten. Krankheiten wie Aids, SARS, Vogel- und Schweinegrippe haben das in erschreckender Weise deutlich gemacht.

Bereits seit längerer Zeit ist bekannt, dass nur wenige Mutationen notwendig sind, um das Vogelgrippevirus H5N1 in einen Erreger zu verwandeln, der auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Schon im April dieses Jahres hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Übertragung von Mensch zu Mensch als wahrscheinlich bezeichnet. Konkret wurden dabei drei chinesischen Familien erwähnt, in denen sich das Virus direkt ausgebreitet hat.

Laut WHO infizierten sich 133 Menschen in China und Taiwan mit dem neuen Krankheitserreger H7N9. Bei vielen löste der Erreger eine Lungenentzündung aus, 43 von ihnen sind gestorben. Danach ebbte die Krankheitswelle im Sommer zunächst ab. Ob sie aber jetzt in der kalten Jahreszeit zurückkehrt, ist ungewiss. Doch der Mikrobiologe Yuen Kwok-yung von der Universität Hongkong warnt: »Es gibt ein großes Risiko, dass das H7N9 Virus im Winter wiederkommt.«

Die Fachwelt ist sich jedenfalls über die Gefahr einig, dass das Virus weiter mutieren und sich so immer besser an den menschlichen Körper anpassen wird. »Unsere Befunde unterstreichen, dass das neue Virus eine Pandemie auslösen könnte«, warnt das Forscherteam um den Wissenschaftler Bao Chang-jun vom Centre for Disease Control and Prevention in der südchinesischen Stadt Nanjing.

Unter den Wissenschaftlern ist vor diesem Hintergrund eine Kontroverse ausgebrochen, wie auf die Entwicklung zu reagieren sei. Eine Gruppe um den niederländischen Grippeforscher Ron Fouchier und den Virologen Yoshihiro Kawaoka von der Universität Wisconsin-Madison in den USA stellt seit einiger Zeit Versuche mit genetisch veränderten Varianten des Erregers, sogenannte Gain of function-Experimente, an. Dabei werden für Menschen gefährliche Mutanten des H7N9-Erregers im Labor erschaffen.

»Wir wissen schon aus früheren Experimenten, welche genetischen Besonderheiten Grippeviren hochinfektiös oder pathogen machen«, erklärt Fouchier. Diese Eigenschaften bauen die Forscher mit gentechnischen Mitteln in das Erbgut der H7N9-Erreger ein. Im vergangenen Jahr war es Fouchier bereits gelungen, Vogelgrippeviren des Typs H5N1 genetisch so zu manipulieren, dass es für den Menschen ansteckend wird.

In der Öffentlichkeit gab es dagegen massive Proteste und die Fachmagazine »Science« und »Nature« zögerten sogar, die Forschungsergebnisse zu publizieren, weil sie befürchteten, dass sie in die Hände von Terroristen fallen und als biologische Waffen missbraucht werden könnten. Daraufhin gab es ein einjähriges Moratorium für derartige Genexperimente, das aber inzwischen ausgelaufen ist.

Ob es sinnvoll ist, künstliche Viren im Labor zu erschaffen, ist selbst unter Forschern umstritten. »Diese Experimente haben mit der Realität wenig zu tun. Wer weiß, ob die Viren, die Ron Fouchier und seine Mitarbeiter im Labor erschaffen, jemals in der Natur entstehen würden«, kritisiert beispielsweise der Leipziger Virologe Bernhard Ruf.

Auch der Chef-Epidemiologe des chinesischen Zentrums für Seuchenbekämpfung, Zeng Guang, warnt: »Künstliche Veränderungen des Virus sind sehr gefährlich.« Kritiker fürchten generell, dass die Risiken derartiger Experimente zu groß seien und im Labor Biowaffen geschaffen würden, die außer Kontrolle geraten oder gestohlen und gegen Menschen eingesetzt werden könnten.

Die heute beginnende Überprüfungskonferenz zu Biowaffen steht also vor schwierigen Herausforderungen. Die Mitgliedstaaten der Konvention dürfen einerseits derart brisante Forschungen zur Genmanipulation von Krankheitserregern, wenn überhaupt, nur in zuverlässig geschützten Hochsicherheitslabors erlauben. Zu groß ist die Gefahr, dass hochgefährliche Viren zweckentfremdet missbraucht werden oder auch versehentlich aus dem Labor in die Umwelt gelangen.

Andererseits gilt es, unter den Wissenschaftlern Transparenz und Kooperation zu fördern, damit gemeinsam daran gearbeitet werden kann, wirksame Impfstoffe und Medikamente gegen die Krankheitserreger zu entwickeln. Bereits im Sommer haben Wissenschaftler und Experten auf einem Vorbereitungstreffen dazu interessante Ideen diskutiert und Vorschläge entwickelt, über die nun zu entscheiden ist.

* Aus: neues deutschland, Montag, 9. Dezember 2013


Lexikon

Folgende vertrauensbildende Maßnahmen sieht die Biowaffen-Konvention vor:
  • Austausch von Angaben über biowissenschaftliche Forschungsaktivitäten, Pharmahersteller sowie Einrichtungen und Labors mit sehr hohen Sicherheitsstandards
  • Informationsaustausch über auftretende infektiöse Krankheiten und Vergiftungserscheinungen, die hinsichtlich Entwicklung, Ort und zeitlichem Auftreten vom Normalen abweichen.
  • Erklärung von relevanten Gesetzen, rechtlichen Rege-lungen und Maßnahmen
  • Förderung von Forschungs- publikationen und Wissenschaftlerkontakten

Weltweite Gefahren durch Grippeviren

Flexible Grippeviren
Grippeviren kommen in der Natur in unterschiedlichsten Varianten vor und sind auf verschiedene Wirte spezialisiert. Unter Menschen umgehende Influenza-Viren lösen jedes Jahr eine Grippewelle aus, die um den Erdball geht.
Allein in Deutschland erkranken jährlich Hunderttausende bis über eine Million Menschen an einer echten Grippe. Welcher Virus-Subtyp die Grippewelle dominiert, ist von Jahr zu Jahr verschieden.

Schweinegrippenvirus A/H1N1
In der Saison 2009/2010 war es zum Beispiel das Virus A/H1N1, das unter dem irreführenden Namen Schweinegrippe bekannt wurde, weil es einst in Schweinen mutierte und sich zu einer von Mensch zu Mensch ansteckenden Form entwickelte. Mit H und N werden die Eiweiße der Virushülle Hämagglutinin und Neuraminidase abgekürzt, von denen es jeweils verschiedene Strukturen gibt.

Bisheriges Vogelgrippevirus A/H5N1
Der Erreger A/H5N1 ist nach wie vor hauptsächlich ein Problem für Geflügelbauern und er löst keine echten Epidemien unter Menschen aus.
Die Krankheit ist aber seit 2003 immer wieder vereinzelt unter Menschen aufgetreten, vor allem in Ägypten, Indonesien und Vietnam – und zwar fast immer in Regionen, in denen Menschen in engem Kontakt mit infiziertem Geflügel leben, Tiere schlachten und das Fleisch selbst verarbeiten.
Nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation WHO waren bis Oktober 2013 641 Menschen vom A/H5N1-Virus befallen, 380 hat es das Leben gekostet.

Neues Virus A/H7N9
Erkenntnisse über das noch recht unerforschte Virus A/H7N9 schließen die Wissenschaftler weitgehend aus dem, was sie über die bekanntere Vogelgrippe vom Typ A/H5N1 wissen. Es besteht der Verdacht, dass das Virus auch von Mensch zu Mensch übertragen wird.
In China befiel der einst als harmlos eingestufte Erreger seit vergangenem Winter mehr als 133 Menschen. Für 43 von ihnen endete die Infektion mit dem Tod.

Quelle: Weltgesundheitsorganisation WHO




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