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US Chemiewaffen-Programm: Experimente an Menschen geplant

Dokumente zeigen bereits fortgeschrittene Entwicklung. Presseerklärung des Sunshine Project

Vor zwei Tagen hat das Sunshine Project in einer Erklärung schwere Vorwürfe gegenüber den USA erhoben: Sie würden mit ihrem Chemiewaffen-Programm gegen die Chemiewaffen-Konvention verstoßen. Heute wird "nachgelegt": Es lägen Dokumente vor, nach denen auch Experimente mit Menschen geplant sind. Wir dokumentieren die Presseerklärung des Sunshine Project im Wortlaut.

Morgen ist die Auslieferung von "nicht-tödlichen" Granaten hoher Reichweite fällig. Dokumente zeigen bereits fortgeschrittene Entwicklung chemischer Waffen.

Austin und Hamburg, 27. September 2002 - Dem Sunshine Project liegt ein Pentagon-Dokument vor, aus dem hervorgeht, dass im Rahmen des Chemiewaffen-Programms der USA auch Experimente mit Menschen geplant sind oder gar bereits durchgeführt wurden. Das deutet darauf hin, dass das Programm bereits weiter fortgeschritten ist als bislang vermutet. Dies zeigt auch ein anderes Pentagon-Dokument, nach dem mehrere voll funktionsfähige "nicht-tödliche" Mörserprojektile für Testzwecke morgen ausgeliefert werden müssen. In einer ersten Reaktion auf die Veröffentlichung des illegalen Chemiewaffen-Programms am Mittwoch erklärte das Pentagon, dass es sich ein Stück von der Finanzierung von Schlaf auslösenden oder Bewusstseins verändernden Drogen ("Calmatives") zurückgezogen habe. Die bislang öffentlich zugängigen Dokumente zeigen jedoch eher das Gegenteil.

Versuche an Menschen: Das Dokument, das auf geplante oder bereits durchgeführte Experimente an Menschen hindeutet, ist ein Vertrag zwischen dem Joint Non-Lethal Weapons Directorate (JNLWD) und der Marine Corps Research University (an der Pennsylvania State University)vom 29. Januar 2002. Laut Vertrag (M67004-99-D-0037//M9545002RCR2BC6) muss die Universität eine Bewertung der gegen Personen gerichteten Techniken durchführen und Expertenmeinungen einholen "über die geplanten und/oder durchgeführten Tests zu den Effekten auf Menschen (human effects testing)". Ausmaß und Art dieser Experimente, die möglicherweise Tests von Bewusstseins verändernden und Schlaf oder Krämpfe auslösende an Freiwilligen einschließen, werden in dem Vertrag nicht weiter erläutert, ebenso wenig wie die institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für derartige Versuche.

Auslieferung von Mörsergranaten: Das erheblich fortgeschrittene Stadium des Chemiewaffen-Programms zeigt sich auch darin, dass am morgigen 28. September 2002 ein Auftragnehmer des Pentagon mehrere "nicht-tödliche" 81mm Mörsergranaten für Testzwecke liefern muss. Laut einem 700.000 US-Dollar schweren Vertrag (DAAE-30-01-C-1077) vom 28. Juni 2001, muss die Firma M2 Technologies in West Hyannisport, Massachusetts, drei funktionsfähige Exemplare ihres endgültigen Designs einer 81mm Granate bis zum Samstag abliefern. Die Projektile sind darauf ausgelegt, vom 81mm Standardmörser der US-Militärs mit einer Reichweite von 2,5km abgeschossen zu werden und sind für die Ausbringung chemischer Waffen geeignet. Nach dem Vertrag müssen die Granaten mit einer "adäquaten Ladung für einen sichtbaren Effekt" ausgestattet sein. Andere von JNLWD finanzierte Experimente hatten gefärbtes Wasser für die Simulation von chemischen Agenzien verwendet.

Die Reaktion des JNLWD: Bislang hat das Joint Non-Lethal Weapons Directorate die detaillierten Vorwürfe des Sunshine Project in keinem Einzelpunkt angefochten. Gegenüber Journalisten bestritt JNLWD am 25. September, ein illegales Chemiewaffenprogramm durchzuführen. Associated Press zitiert einen Sprecher des JNLWD mit den Worten, dass das Direktorat entschieden habe "sich einen Schritt zurück zu ziehen und sicher zu stellen, dass die Anwendung von ruhig stellenden Drogen nicht gegen die Chemiewaffen-Konvention verstößt." Wenn das wahr ist, muss diese Entscheidung erst in den letzten Tagen gefallen sein, in Reaktion auf die internationale Kritik an dem Chemiewaffen-Programm. Denn die Behauptung des JNLWD-Sprechers wird durch die unzähligen schriftlichen Dokumente nicht gerade gestützt: Derzeit noch laufende Verträge mit Privatfirmen und Universitäten, ein gemeinsames chemisches Forschungsprogramm zwischen JNLWD und der US-Armee sowie andere sehr aktuelle Informationen zeigen, dass das Programm nicht nur sehr aktiv ist, sondern sich auch rasant weiterentwickelt. Noch am 6. August hat der damalige Kommandeur des JNLWD, Colonel G. Fenton, dem Sunshine Project den Zugang zu Dokumenten über die chemischen Projekte des JNLWD verwehrt weil sie Teil einer "geheimen Waffenentwicklung" seien. Noch vor zwei Wochen, am 13. September, hat das Pentagon den Zugang zu einer juristischen Analyse des Chemiewaffen-Programms mit Verweis auf die Geheimhaltung verwehrt.

Am gestrigen 26. September hat das Sunshine Project JNLWD angeschrieben und festgestellt, dass die öffentlich zugänglichen Dokumente die Behauptung eines "Rückzugs" nicht gerade stützen. JNLWD hat darauf bislang nicht reagiert.

Gestern hat das Sunshine Project die Belege für ein Chemiewaffen-Programm der USA allen Vertragsstaaten des Chemiewaffen-Übereinkommens (CWÜ) zugesandt. Die nächste Vertragsstaatenkonferenz der CWÜ beginnt am 7. Oktober in Den Haag.

Kontakte:
Edward Hammond, Sunshine Project US, Austin, Texas, +1 512 494-0545, Mobil: +1 512-785-8546,
email: hammond@sunshine-project.org.

Jan van Aken, Sunshine Project Deutschland, +49 40 431 88 001, Mobil +49163 431 8800,
email: van.aken@sunshine-project.de.


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