Blitzbesuch im "Blitzkrieg"
Bundeswehr-Offensive bei Kundus / Regierung will angeblich Mandatsverlängerung vorziehen
Von René Heilig *
Verteidigungsminister zu Guttenberg informierte sich gestern über den
Fortgang der Offensive »Almasak« bei Kundus. Almasak ist Dari und heißt
Blitz. Vor den Toren der eigenen Basis attackiert die Bundeswehr seit
Sonntag mutmaßliche Taliban. Begleitet werden die Deutschen von
US-Einheiten. Insgesamt seien 480 ISAF-Angehörige gemeinsam mit
afghanischen Soldaten und Polizisten eingesetzt.
Die Angriffe konzentriert sich auf die Ortschaft Katliam. Sie liegt rund
sechs Kilometer westlich des deutschen Feldlagers Kundus. Man will
Taliban-Kämpfer vertreiben und die Verbindungsstraße in der Provinz
Chahar Darreh für den Nachschub sichern. Die Bundeswehr, die ihr
Ausbildungs- und Schutzbataillon sowie weitere Einheiten ins Feld führt,
setzte 155-Millimeter-Panzerhaubitzen ein. Drei deutsche Soldaten seien
bislang verletzt, zehn Feinde getötet und 15 mutmaßliche Aufständische
verwundet worden.
Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) traf am Donnerstag (4. Nov.) bei den
deutschen Soldaten in Chahar Darreh ein. Er hatte sich nach seiner
China- und Mongolei-Tour zum Blitzbesuch im »Blitzkrieg« entschlossen.
Der Minister wurde mit US-Hubschraubern ins Konfliktgebiet geflogen.
Zuvor hatte er sich im nordafghanischen Meimane vorsichtig optimistisch
über die Lage im Land geäußert. »In Teilen Afghanistans gibt es schon
Trendwenden«, sagte er dpa. Doch die Übergabe der Verantwortung an die
afghanischen Sicherheitskräfte, mit der 2011 begonnen werden soll, sei
an »Kriterien gebunden«. Welche? Zu Guttenberg sprach lediglich von
einem »erträglichen Maß an Stabilität«.
Gemeinsame Operationen der deutschen und der afghanischen Armee sind
bislang eher die Ausnahme. Zunehmend ist eine abwartende Position der
einheimischen Verbandsführer zu verspüren. Von Kabul unterstützt, wollen
höhere Militärs offenbar weder politische Verhandlungen über die Fronten
hinweg erschweren noch sich eine eigene Zukunft verbauen.
Wie sorgenvoll auch die schwarz-gelbe Regierungskoalition in die Zukunft
schaut, zeigt sich am Wunsch der Kanzlerin, bereits im Januar, also
früher als notwendig und geplant, im Bundestag über die Verlängerung des
Afghanistan-Mandats für die Bundeswehr abzustimmen. Das aktuelle Mandat
läuft am 28. Februar 2011 aus. Grund für eine vorgezogene Abstimmung
sind offenbar die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt am 20. März sowie in
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 27. März 2011. Der Sprecher des
Friedensratschlags, Peter Strutynski, erinnerte daran, dass die damalige
rot-grüne Regierung vor den Bundestagswahlen 2009 den selben Trick
angewandt hatte. Die Koalition der Kriegsbefürworter scheue sich,
gegenüber Wählern Rechenschaft über das Scheitern des
Afghanistan-Einsatzes abzulegen, betonte der Linksfraktion-Außenexperte
Wolfgang Gehrcke.
Russland hat unterdessen der NATO mehr Hilfe am Hindukusch zugesagt.
»Wir werden unsere Zusammenarbeit in Afghanistan ausbauen, das ist in
unserem gemeinsamen, vitalen Interesse«, sagte Außenminister Sergej
Lawrow nach Gesprächen mit NATO-Generalsekretär Rasmussen in Moskau.
Angelaufen ist ein Waffen-Lieferprogramm. Il-76-Transporter fliegen
tonnenweise Kalaschnikow-Sturmgewehre und Munition nach Kabul.
Mi-17-Hubschrauber werden geliefert, Piloten trainiert.
Moskau fordert seit langem ein härteres Vorgehen gegen den Drogenanbau
in Afghanistan, weil Russland durch Heroinschmuggel und -verarbeitung
sowie zunehmenden inländischen Konsum betroffen ist. Das bestätigt auch
das UN-Drogenbekämpfungsbüro. US-Behörden haben sich jedoch wiederholt
besorgt geäußert, weil eine Zerstörung der Mohnfelder die afghanischen
Bauern in die Arme der Taliban treiben könnte.
* Aus: Neues Deutschland, 5. November 2010
Mit Guttenberg an der Front
Verteidigungsminister besucht mit Bild Kriegsgebiet Afghanistan
Von Rüdiger Göbel **
Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat am
Donnerstag (4.Nov.) auf dem Rückweg von seiner Asienreise die
NATO-geführten Besatzungstruppen in Afghanistan geführt, allen voran die
Soldaten der Bundeswehr. Im Schlepptau des Ministers ein Troß
Journalisten, die ihn in Szene setzten. »Guttenberg an der Front«,
schlagzeilte Bild.de, um dann dem Minister zu huldigen. Guttenberg sei
dort gelandet »wo es knallt – an der Front – im gefährlichsten Distrikt
des nordafghanischen Einsatzgebietes der Bundeswehr!« »Angst ist für ihn
ein Fremdwort!« Und: »Mit seinem Blitzbesuch bei der Bundeswehr am
Hindukusch will Guttenberg die Truppe motivieren und zeigen: Ich stehe
zu euch und traue mich auch an die gefährlichsten Orte eures Einsatzes!«
Der Freiherr aus Franken traf bei den deutschen Soldaten ein, die seit
Sonntag in schwere Kämpfe mit Aufständischen verwickelt sind. »Die
Motivation ist einmal mehr, dass man die Sicherheitslage nicht nur vom
Schreibtisch beurteilt, sondern sich selbst ein Bild macht«, sagte er
laut Bild.de. Das Springerportal meldet über den Guttenberg-Auftritt im
Kriegsgebiet weiter: »Einem der kampferprobten Soldaten gratulierte er
zu seinem 33. Geburtstag, unterhielt sich anschließend mit
Scharfschützen in einer Frontstellung.«
Zur Lage am Hindukusch äußerte sich Guttenberg dem Bericht zufolge
»vorsichtig optimistisch«: »In Teilen Afghanistans gibt es schon
Trendwenden«, so der verbreitete O-Ton des Ministers. Die
Nachrichtenagentur dapd beklagte dagegen, daß immer mehr Länder ihre
Soldaten aus Afghanistan abziehen. Nach den Niederlanden zieht auch
Schweden seine Truppen ab. Die Bundeswehrsoldaten bereiteten sich
derweil »auf einen gefährlichen Winter am Hindukusch vor«. Die Taliban
hätten in den vergangenen Tagen NATO-Truppen »mit Mörserattacken und
anderen heftigen Angriffen« aus der hart umkämpften Region Chahar Dareh
zu vertreiben versucht. »Die Bundeswehr setzte sogar ihre
Panzerhaubitzen ein und forderte ständig Unterstützung durch
US-Kampfflugzeuge«, so dapd weiter. Im Januar soll der Bundestag das
Mandat für die Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistan-Krieg
vorfristig verlängern. Selbst der – nicht repräsentativen – Umfrage von
Bild zufolge sind 68 Prozent der Leser der Meinung, »es wird Zeit, daß
Guttenberg die deutschen Soldaten nach Hause holt«.
** Aus: junge Welt, 5. November 2010
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