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Nicht einverstanden

Sechs verbrannte Militärkleinbusse und die Traditionspflege der Bundeswehr. Vor 30 Jahren wurde gegen ein Rekrutengelöbnis im Bremer Weserstadion protestiert

Von Markus Mohr *

Vor 30 Jahren verglühten in den frühen Abendstunden des 6. Mai auf dem Bremer Osterdeich sechs leere Bundeswehrkleinbusse. Sie fielen einer für alle Beteiligten überraschenden Randale zum Opfer, an der sich »7000 Jugendliche« beteiligten, wie die Bild-Zeitung anschließend zu berichten wußte. Diese Randale resultierte aus den Protesten gegen das zentrale Rekrutengelöbnis der Bundeswehr im Bremer Weserstadion. Mit Fackeln, Blasmusik und großem Zapfenstreich beging man in der Stadt das 25jährige Jubiläum des Beitritts der BRD zur ­NATO. Als prominente Festredner sollten Verteidigungsminister Hans Apel, der Bremer Bürgermeister Hans Koschnik sowie der ehemalige Nazi und amtierende Bundespräsident Karl Carstens 1200 Soldaten der 32 Panzergrenadierbrigade Schwanewede auf kommende schwere Zeiten einschwören.

Die Assoziationsketten des Bremer Spektakels zum Faschismus waren offenkundig. Doch das bombastische militaristische Zeremoniell mißlang gründlich: Die für vier lange Abendstunden des 6. Mai anhaltende Randale sorgte dafür, das alle Zufahrtstraßen zum Weserstadion blockiert waren. Im Verlaufe der Auseinandersetzungen wurden zwei Tore des Stadions aufgebrochen, die Festredner mußten mit einem Helikopter eingeflogen werden und landeten auf dem Rasen, die Rauchschwaden der brennenden Bundeswehrbusse und die anderer Fahrzeuge zogen über die Vereidigung.

Die Ansprachen waren kaum zu verstehen.

Für Antimilitaristen aller Couleur war die Nacht des 6. Mai 1980 am Bremer Weserstadion ein bis dato noch nie erlebter glücklicher Festtag. Die wirksam aus dem Takt gebrachte Rekrutenvereidigung war für Zehntausende Kriegsgegner das geradezu inspirierende Vorbild, im Verlauf des Jahres ähnliche Ereignisse in München, Bonn oder in Hannover auf schwungvolle Art und Weise anzugehen. Selbst der Vorsitzende der Jungsozialisten, Willy Pieczyk, ließ sich auf einer zum Rekrutengelöbnis in Bonn Mitte November 1980 durchgeführten Gegenveranstaltung zu den Worten hinreißen: »Es muß damit Schluß sein, daß der sozialdemokratische Verteidigungsminister Stück für Stück den Ansprüchen reaktionärer Militärs nachgibt. Der Kampf gegen den Militarismus ist eine Erfahrung und Verpflichtung der Arbeiterbewegung. Wir stehen in dieser Tradition. (...) Demokratie und Frieden können auf Trommelwirbel gerne verzichten.«

Tatsächlich sorgten solche Proteste, die maßgeblich von 1976 bis zum Ende der sozialliberalen Koalition 1982 stattfanden, dafür, daß der seit 1965 gültige Traditionserlaß der Bundeswehr über den Haufen geworfen werden mußte. Jenes Dokument zeichnete sich nicht nur durch eine schwülstige Sprache aus (»Vater, Mutter und Stunde der Geburt, Vaterland, Muttersprache und eigene Stellung in der Geschichte sind jedem Menschen vorgegeben«), sondern ließ auch jedwede Distanzierung zur Wehrmacht und zum deutschen Faschismus vermissen. Auf den Versuch einer Funktionsbestimmung der Bundeswehr, im Rahmen des Grundgesetzes irgendwie den Frieden »sichern« zu sollen, hatte man vorsichtshalber ganz verzichtet.

Wie es um die wirkliche Traditionspflege der von SS- und Wehrmachtsoffizieren und -Generälen aufgebauten Bundeswehr bestellt war, erhellte im November 1976 der Verlauf eines Traditionstreffens des Aufklärungsgeschwaders 51 Immelmann im Fliegerhorst Bremgarten bei Freiburg. Zu diesem war auch auf persönliche Initiative des späteren Verteidigungsministers Man­fred Wörner kein geringerer als der im deutschen Faschismus hoch dekorierte Fliegeroberst Hans Ulrich Rudel eingeladen worden. Er war Offizier des Wehrmachts-Schlachtgeschwaders 2 Immelmann gewesen und nach Kriegsende der bedeutendste Nazi der BRD. Rudel war nicht nur Pate der Nazifluchthilfe »Kameradenwerk«, später der »Stillen Hilfe«, und damit Protegé des Schlächters von Lyon Klaus Barbie sowie des KZ-Arztes Josef Mengele, sondern durchlief auch alle wesentlichen neofaschistischen Organisationen der BRD in den 50er und 60er Jahren. In den 70er Jahren unterhielt der auch für den Siemens-Konzern tätige Rudel exzellente persönliche Kontakte zu den faschistischen Diktatoren Alfredo Stroessner in Paraguay und Augusto Pinochet in Chile. Im Fliegerhorst Bremgarten wurde Rudel offiziell zur Autogrammstunde begrüßt, so wie er auch zwei Jahre später bei der Fußball-WM 1978 in Argentinien als tadelloser Besucher der bundesdeutschen Nationalmannschaft willkommen geheißen wurde.

In seinen 1990 publizierten Memoiren »Der Abstieg« schildert der SPD-Politiker Hans Apel seitenweise, was es ihn für eine Mühe kostete, Ende des Jahres 1980 die höchste politische Spitze des Verteidigungsministeriums sowie die Bundeswehrgeneralität davon abzuhalten, dem Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP, den in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher Karl Dönitz durch das Tragen der Bundeswehruniform bei dessen Beerdigung den letzten Ehrengruß zu erweisen: »Der Generalinspekteur empfahl Uniform zuzulassen; Staatssekretär Hiehle schloß sich diesem Votum an. Ich war damit nicht einverstanden.« Was ihm in der Bundeswehr »beträchtliche Vorbehalte« eintrug.

Apel beschreibt diese Auseinandersetzung im Zusammenhang mit der von ihm »Ende 1980 angekündigten großen Debatte über die Tradition der Bundeswehr«, eine Initiative, die sich als »schwierig und zeitraubend« bis in die letzten Tage der sozialliberalen Koalition im September 1982 hinziehen sollte. Einen Tag bevor der Verteidigungsminister die neuen Traditionsrichtlinien der Bundeswehr öffentlich in Kraft setzte, wurde dieser noch einmal vom Generalinspekteur der Bundeswehr Jürgen Brandt angerufen. Dieser teilte ihm mit, daß »er und seine Kollegen im militärischen Führungsrat nicht mehr mitspielen möchten bei der Verabschiedung der neuen Traditionsrichtlinie. Begründung: Sie würden von der Truppe nicht angenommen werden.« Es kam anders, wie wir heute wissen: Die damals neuen Traditionsrichtlinien der Bundeswehr, die bis heute Gültigkeit besitzen, enthalten erstmals eine offizielle Distanzierung der Bundeswehr von der Tradition der Wehrmacht. Daß sie überhaupt eingeführt werden mußten, verdankt sich eben auch den Folgewirkungen des von Zehntausenden gegen die Rekrutengelöbnisse des Jahres 1980 geübten antimilitaristischen Widerspruches. Hier liegt der historische Ort jener sechs abgefackelten Bundeswehrkleinbusse, die dem Protest gegen das Rekrutengelöbnis in Bremen zum Opfer fielen.

* Aus: junge Welt, 6. Mai 2010


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