"Seelische Verwundungen sind aus meiner Sicht genauso ernst zu nehmen wie körperliche Verwundungen"
Der Bundestag debattierte über "posttraumatische Belastungsstörungen" von Bundeswehrsoldaten im Kriegseinsatz
Am 12. Februar 2009 debattierte der Deutsche Bundestag über die Betreuung von Bundeswehrsoldaten bei "posttraumatischen Belastungsstörungen", die infolge von Auslandseinsätzen (z.B. in Afghanistan) verstärkt auftreten. Wir dokumentieren die denkwürdige Debatte im Wortlaut.
Es sprachen:
An anderer Stelle dokumentieren wir die beiden Beschlussempfehlungen:
Hier geht es zu einem Zeitungsbericht über die Plenardebatte: Mehr Sorge um Soldaten-Seelen.
Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 205. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2009
Plenarprotokoll 16/205
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernd
Siebert, Ulrich Adam, Ernst-Reinhard Beck
(Reutlingen), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter
Bartels, Petra Heß, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD,
der Abgeordneten Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten
Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Renate
Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Betreuung bei posttraumatischen Belastungsstörungen
stärken und weiterentwickeln
– Drucksache 16/11882 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss)
zu dem Antrag der Abgeordneten Bernd
Siebert, Ulrich Adam, Ernst-Reinhard Beck
(Reutlingen), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Rainer Arnold,
Dr. Hans-Peter Bartels, Petra Heß, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Betreuung bei posttraumatischen Belastungsstörungen
stärken und weiterentwickeln
– Drucksachen 16/11410, 16/11842-
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Brüning
Jörn Thießen
Elke Hoff
Dr. Hakki Keskin
Winfried Nachtwei
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss)
– zu dem Antrag der Abgeordneten Elke Hoff,
Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Medizinische Versorgung der Bundeswehr
an die Einsatzrealitäten anpassen – Kompetenzzentrum
für posttraumatische Belastungsstörungen
einrichten
– zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer
(Köln), Inge Höger, Monika Knoche, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Adäquate Behandlungs- und Betreuungskapazitäten
für an posttraumatischen Belastungsstörungen
erkrankte Angehörige der
Bundeswehr
– Drucksachen
16/7176,
16/8383, 16/10024 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Siebert
Jörn Thießen
Elke Hoff
Paul Schäfer (Köln)
Winfried Nachtwei
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister
Dr. Franz Josef Jung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidigung:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bundeswehr ist zwischenzeitlich eine Armee
im Einsatz für den Frieden. Sie ist gut ausgebildet,
ordentlich ausgerüstet und gut motiviert. Aber in diesen
Einsätzen sind die Soldatinnen und Soldaten besonderen
Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt.
Deshalb denke ich, dass es richtig ist, dass sich der
Deutsche Bundestag mit dieser Gefahrensituation, was
die psychische Belastung anbetrifft, konkret beschäftigt.
Denn ich finde, dass unsere Soldatinnen und Soldaten
gerade im Hinblick auf diese Herausforderung, die Gefahr
für Leib und Leben, unsere allgemeine Unterstützung
verdient haben.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die seelischen Verwundungen sind aus meiner Sicht
genauso ernst zu nehmen wie körperliche Verwundungen.
Deshalb ist es, wie ich finde, gut gewesen, dass beispielsweise
die ARD mit dem Film Willkommen zu
Hause dieses Thema ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit
gerückt hat.
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Sehr angemessen!)
Ich bin dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen dankbar,
dass dadurch die Problematik, die sich für unsere Soldatinnen
und Soldaten ergibt, verstärkt ins Bewusstsein der
Öffentlichkeit gelangt.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE])
Die Bundeswehr hat die Bedeutung der posttraumatischen
Belastungsstörung – allgemein wird auch vom
Rückkehrertrauma gesprochen – erkannt und handelt im
Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten. Seit Beginn
der Auslandseinsätze hat die Bundeswehr die Behandlungs-
und Betreuungsmaßnahmen ständig ausgebaut.
Unser derzeitiges Konzept lautet: Vorbereitung, Durchführung
und Nachbereitung von Einsätzen. Das Ziel ist
die frühzeitige Diagnostik und schnelle und gezielte
Hilfe – je früher, desto besser. Das gilt besonders mit
Blick auf unsere Soldatinnen und Soldaten, weil teilweise
in der Öffentlichkeit, aber auch von den Betroffenen
selbst eine solche Verwundung – wie ich sie bezeichne
– immer noch als Schwäche empfunden wird.
Deshalb glaube ich, dass wir dagegen angehen und deutlich
machen müssen: Je schneller sich unsere Soldatinnen
und Soldaten in ärztliche Behandlung begeben,
umso größer ist die Chance auf Gesundung. Deshalb ist
das ein richtiger und wichtiger Schritt, um die Behandlung
effektiver zu gestalten.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben unsere Vorsorge in drei Abschnitte gegliedert:
Erstens. Das Thema Psychotraumatologie ist fester
Bestandteil der vorbereitenden Ausbildung.
Zweitens. Im Einsatz bemühen wir uns ebenfalls um
die psychische Stabilisierung der Soldatinnen und Soldaten.
Drittens. Für die heimkehrenden Soldaten haben wir
ein psychosoziales Netzwerk aufgebaut: über den Sanitätsdienst,
den psychologischen Dienst, den Sozialdienst,
die Militärseelsorge und die Truppe. Dieses Netzwerk
bietet standortnah allen Soldatinnen und Soldaten
rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr kompetente Hilfe
und Unterstützung an. Wir haben eine anonyme Onlineberatung
unter www.angriff-auf-die-seele.de eingerichtet.
Wir werden ebenfalls eine anonyme Telefonhotline
einrichten. Ich will auch darauf hinweisen, dass die Unterstützung
der Familien besonders wichtig ist. In dem
Zusammenhang spielen die Familienbetreuungszentren
eine wichtige Rolle.
Im Krankheitsfall erfolgt eine effektive Behandlung
in unseren fünf Bundeswehrkrankenhäusern und den
14 fachärztlichen Untersuchungsstellen für Psychiatrie.
Wir kooperieren auch mit zivilen Kliniken; denn – darauf
will ich hinweisen – dies ist kein Problem, das nur
Soldatinnen und Soldaten betrifft. Unter solchen psychischen
Belastungen leiden auch Mitarbeiter der Polizei
und der Feuerwehr sowie Menschen, die aus Bürgerkriegsgebieten
zu uns kommen.
Wir richten einen Arbeitsbereich „Psychische Gesundheit“
beim Institut für Medizinischen Arbeits- und
Umweltschutz der Bundeswehr hier in Berlin ein. Er soll
ab Mitte des Jahres die Forschung auf diesem Gebiet
stärken. Hierbei werden die Fachabteilungen für Psychiatrie
an den Bundeswehrkrankenhäusern, der Psychologische
Dienst der Bundeswehr und die zivilen Einrichtungen
eingebunden. So entsteht ein Forschungs- und
Kompetenzzentrum der Bundeswehr.
Es trifft zu: Die Anzahl der Soldatinnen und Soldaten
mit einer posttraumatischen Belastungsstörung ist angestiegen.
Im Jahre 2005 gab es 121 Fälle, im Jahre 2008
gab es 245 Fälle; diese sind im Wesentlichen auf Einsätze
in Afghanistan zurückzuführen. Der Durchschnitt
liegt in etwa bei 1 Prozent. Damit liegen wir im internationalen
Vergleich recht gut. Den Anstieg, den wir verzeichnen,
nehmen wir sehr ernst. Natürlich liegt die steigende
Zahl der Fälle an der Einsatzintensität, aber auch
– das ist unsere Erkenntnis – an der Zunahme der Bereitschaft
unserer Soldatinnen und Soldaten, sich in ärztliche
Behandlung zu begeben.
Ich kann unterstreichen, dass aus meiner Sicht – dazu
trägt auch diese Debatte bei – die Sensibilität für diese
Erkrankung spürbar zugenommen hat. Deshalb, denke
ich, ist es richtig und gut, unseren Soldatinnen und Soldaten
diese Behandlungsmethoden anzubieten und zur
Verfügung zu stellen, aber auch alles zu tun, damit schon
erste erkannte Symptome sofort behandelt werden, weil
dies zur schnellstmöglichen Heilung beiträgt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD und der FDP)
Unser Ziel ist es, ein Auftreten dieser seelischen Krankheit
möglichst zu verhindern, aber im Krankheitsfall die
bestmögliche Behandlung und Versorgung unserer Soldatinnen
und Soldaten sicherzustellen.
Insofern bin ich dem Deutschen Bundestag sehr dankbar,
dass er sich mit diesem Thema beschäftigt. Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, um unseren Soldatinnen und Soldaten
Hilfe zuteil werden zu lassen. Es ist ebenso wichtig,
diese Problematik in die Öffentlichkeit zu tragen. Denn
das, was unsere Soldatinnen und Soldaten leisten, ist
letztlich im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen
und Bürger. Sie setzen sich Gefahren aus und riskieren
Leib und Leben. Deshalb haben sie unser aller Unterstützung
verdient.
Haben Sie recht schönen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Elke Hoff (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann nicht verhehlen, dass ich mich sehr
darüber freue, dass es uns im Deutschen Bundestag gelungen
ist, einen fraktionsübergreifenden Antrag zu diesem
wichtigen Thema auf den Weg zu bringen und heute
zu verabschieden. Ich glaube, damit senden wir ein starkes
Signal an die Bundeswehr, dass wir am Schicksal,
das unsere Soldatinnen und Soldaten zu tragen haben,
Anteil nehmen. An dieser Stelle sollten wir auch ein
Dankeschön an die Soldaten richten, die den Mut hatten,
an die Öffentlichkeit zu gehen und sich dazu zu bekennen,
dass es hier ein Problem gibt, mit dem sie sich
selbst, mit dem sich aber auch ihre Familien auseinandersetzen
müssen, und das im Grunde auch ein Ergebnis
dessen ist, was wir hier beschließen.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE])
Ich halte es für eine moralische Verpflichtung, dass
wir uns an dieser Stelle auch mit der Kehrseite der Medaille
befassen. Wir müssen unseren Soldaten das Gefühl
geben, dass wir sie ernst nehmen. Wir wissen, dass
sie in ihren Einsätzen die extremsten Erlebnisse machen,
die ein Mensch machen kann: dass ein Kamerad stirbt,
dass Kameraden verwundet werden, dass man selbst zu
Schaden kommt und dass daher auch die eigene Familie
unter Druck steht. Damit müssen wir uns im Deutschen
Bundestag gemeinsam befassen.
Herr Minister, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie heute
sehr deutliche Worte gefunden und die Bereitschaft Ihres
Hauses dokumentiert haben, sich dieses Themas anzunehmen.
Sie können davon ausgehen, dass das Parlament
diese Schritte begleiten wird. Die Einmütigkeit, die
im Deutschen Bundestag in dieser Angelegenheit
herrscht, finde ich beispielhaft. Wenn Sie sich intensiver
mit diesem Thema beschäftigen, sollten Sie auch die
Probleme berücksichtigen, die viele verbündete Nationen
mit Rückkehrern, die unter Traumata leiden, haben,
und aus den teilweise gravierenden Fehlern, die in diesem
Zusammenhang gemacht werden können und gemacht
wurden, lernen.
Ich bin der Meinung, wir sollten uns besser schon
jetzt mit diesen Themen befassen, präventiv tätig sein
und die Erfahrungen, die bereits gemacht wurden, sammeln,
als uns irgendwann den Vorwurf machen lassen zu
müssen, wir hätten zu spät gehandelt und das, was unsere
Soldatinnen und Soldaten für uns leisten, nicht gewürdigt.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde es auch richtig, dass Sie, Herr Minister, besonders
auf die Betroffenheiten der Familien hingewiesen
haben. In den Zuschriften von Familienangehörigen,
die mich erreichen – viele meiner Kollegen sicherlich
auch –, lese ich sinngemäß immer wieder: Unsere Söhne
und Töchter gehen mit sehr viel Engagement und Motivation
in den Einsatz. Wir allerdings sind zu Hause. Wir
werden tagtäglich mit den Bildern in der Presse konfrontiert,
sind bedrückt und belastet. Wie es uns geht und
welche Ängste wir haben, das können nur die wenigsten
verstehen.
Insofern ist es wichtig, einen umfassenden Ansatz zu
verfolgen. Familienbetreuungszentren können dabei eine
herausgehobene Rolle spielen, das ist gut und richtig.
Wenn die Entscheidungen anstehen, Kompetenzzentren
aufzubauen und geeignete Angebote zu entwickeln, sollten
wir die dafür erforderlichen finanziellen Mittel zur
Verfügung stellen.
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Und zusätzliches Personal!)
Jetzt erwarten die Soldaten von uns, dass unseren
Worten und Beschlüssen auch Taten folgen. Herr Minister,
Sie können sich der breiten Unterstützung des Deutschen
Bundestages sicher sein. Alle Maßnahmen, die Sie
auf diesem Gebiet ergreifen, werden von uns unterstützt,
auch im Hinblick auf die Bereitstellung der finanziellen
Mittel.
An dieser Stelle möchte ich mich sehr herzlich bei
den Kolleginnen und Kollegen des Fachausschusses dafür
bedanken, dass es uns gelungen ist, bei diesem
Thema Einigkeit zu erzielen, sodass wir heute gemeinsam
ein starkes Signal an unsere Soldatinnen und Soldaten
senden können. Ich hoffe sehr, dass das Angebot der
anonymen Hotline in Anspruch genommen wird. Sowohl
die Kameraden, die sich bisher in der Öffentlichkeit
geäußert haben, als auch die Entschlossenheit des
Deutschen Bundestages sollen die Soldatinnen und Soldaten
motivieren, über Probleme, die sie haben, zu reden.
Sie sollen wissen, dass sie professionell aufgefangen
und aufgenommen werden. Mein herzlicher Dank
gilt allen, die daran mitgewirkt haben. Herr Minister,
viel Glück, alles Gute und „Toi, toi, toi!“ für die Umsetzung!
Danke schön.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
bei Abgeordneten der LINKEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Jörn
Thießen.
Jörn Thießen (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich mich zum ersten Mal mit dem Thema „Posttraumatische Belastungsstörungen“ beschäftigt habe, habe
ich mich an ein Erlebnis erinnert, das ich als Kind hatte.
Damals hatte ich einen Onkel Hans. Auf dem Fernseher
in seinem Wohnzimmer stand das Foto eines jungen
Mannes mit Trauerflor. Ich habe Onkel Hans gefragt:
„Wer ist das?“ Er hat einsilbig geantwortet, das sei sein
Sohn gewesen; er wolle darüber nicht sprechen. Als
meine Mutter und ich das Haus verlassen hatten, hat sie
mich gebeten, Onkel Hans nicht noch einmal darauf anzusprechen.
Er selbst sei im Krieg gewesen, sein Sohn
sei im Krieg gefallen, und er könne über keines dieser
Erlebnisse sprechen; ich möge ihn nicht mehr fragen.
Wir wissen, dass die Grauen, die Menschen aushalten
mussten, eine lange Geschichte haben. Die Menschen,
die darüber krank geworden sind, sind immer anders benannt
worden. Das waren „Kriegszitterer“, die hatten
„Granatenfieber“, die sind mit einer „Schützengrabenneurose“
aus dem Krieg wiedergekommen. Diese Menschen
sind zeitlebens verstummt, haben zeitlebens unter
diesem Schicksal gelitten. Aus „Kriegsneurose“ wurde
„Kriegsmüdigkeit“, dann „operative Erschöpfung“.
Heute sprechen wir von einer „posttraumatischen Belastungsstörung“.
Das ist ein Weg der Erkenntnis, aber auch
ein Weg der Aufmerksamkeit.
Ich finde es gut, dass wir hier im Deutschen Bundestag
in seltener Einigkeit das wichtige Signal eines gemeinsamen
Antrages aussenden. Das sendet ein Signal
an die Betroffenen, an die bisher Schweigenden, an die,
die sich noch nicht gezeigt haben, es sendet aber auch
ein Signal an ihre Familien, an die Soldatinnen und Soldaten
im Einsatz, an die Öffentlichkeit – dass es uns um
diese Menschen geht – und nicht zuletzt an die Verantwortlichen
in der Bundeswehr selbst. Dem gesamten
Deutschen Bundestag liegt viel an einer intensiven Auseinandersetzung
mit diesem Thema.
Herr Minister, wir begrüßen, dass sich das Bundesministerium
der Verteidigung sichtbar bewegt hat. Was
man in den letzten Tagen auf der Internetseite der Bundeswehr
erfreulicherweise hat lesen können, wäre noch
vor wenigen Monaten nicht recht denkbar gewesen. Dafür
bedanke ich mich, und ich wünsche Ihnen auf dem
weiteren Wege viel Glück!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)
Wir danken auch denjenigen, die sich dieser Problematik
intensiv angenommen haben, zum Beispiel
Oberstarzt Dr. Biesold aus Hamburg, der viel geforscht
hat und viele Anregungen gegeben hat.
Wir danken aber auch dem Bundeswehrverband, der
die Betroffenen aus der Anonymität herausgeholt hat,
uns Abgeordneten die Chance gegeben hat, mit ihnen zu
reden, sie kennenzulernen. Das hat uns allen, über die
Fraktionsgrenzen hinweg, viele Erkenntnisse ermöglicht.
Ich bedanke mich bei denjenigen in den Fraktionen,
die diesen Antrag mit vorbereitet haben, namentlich bei
meiner Kollegin Monika Brüning, aber auch bei allen
anderen, deren Forderungen wir in diesen Antrag haben
aufnehmen können.
Wir wissen, dass auch der Wehrbeauftragte eine wichtige
Rolle gespielt hat, nämlich indem er immer wieder
auf dieses Thema hingewiesen hat. Ich ermutige Sie,
Herr Wehrbeauftragter, auch in Zukunft ihre Aufmerksamkeit
genau darauf zu richten und zu verfolgen, welche
Fortschritte wir gemeinsam machen.
Wir bekommen E-Mails, und wir bekommen Briefe;
Frau Kollegin Hoff, da geht es mir wie Ihnen und anderen.
Schauen Sie sich auch den Chat an, den das Bundesministerium
für Verteidigung im Internet veröffentlicht
hat! Was die Betroffenen schildern, das sind Schicksale,
da sind Menschen in großer Not.
Es ist für Soldatinnen und Soldaten angesichts des
Selbstbildes eines „starken Menschen“, das sie haben,
nicht leicht, sich im Vertrauen an Familienangehörige,
an Seelsorger, an Vorgesetzte zu wenden. Doch das ist
wichtig. Die Dunkelziffer, von der wir ausgehen müssen,
ist nämlich hoch. Deswegen ist die Studie, die wir anregen,
richtig, und sie wird uns wichtige Erkenntnisse geben.
Der Einsatz der Streitkräfte ist in keiner Weise ein
Spiel, übrigens weder im Inland noch im Ausland. Keine
noch so gute Übung kann vorbereiten auf Gewaltsituationen,
wie Menschen sie erleben und bei denen sie
Schaden nehmen müssen. PTBS ist an sich, im Beginn,
eine gesunde Reaktion auf einen Schock, auf ein Erlebnis,
das jemand noch nie gehabt hat. Doch dieser Schock
kann sich in einer Krankheit manifestieren, die so
schnell wie möglich bekämpft werden muss. Manchmal
tritt PTBS erst Jahre nach dem entsprechenden Erlebnis
auf.
Sogenannten harten Männern und Frauen fällt es
nicht leicht, zuzugeben, wenn sie Probleme haben. Deswegen
ist es richtig, dass Auslandseinsätze sorgfältig
vorbereitet werden. Wir brauchen genügend Psychologen
und Seelsorger. Aber auch auf die Nachbereitung
müssen wir großen Wert legen. Die Familienbetreuungseinrichtungen
müssen für dieses wichtige Thema sensibilisiert
werden. Das gilt auch für die Vorgesetzten auf
allen Ebenen. Die Soldaten, die am Ende dauerhaft darunter
leiden, müssen sich sicher sein, dass ihre Versorgung
auf dem richtigen Niveau erfolgt.
In der Bundeswehr gibt es heute nach der Aktenlage,
die ich kenne, 42 Dienstposten für Psychiater. Davon
sind nur 21 besetzt. 5 von diesen 21 sind speziell in
Traumatherapie ausgebildet. Es gibt 14 Dienstposten für
Psychologen, wovon 12 besetzt sind. Von diesen ist die
Hälfte speziell ausgebildet. Herr Minister – ich spreche
gleichzeitig auch diejenigen an, die dafür eine Mitverantwortung
tragen –, hier liegt noch ein Weg vor uns.
Wir wollen ein ernsthaftes und echtes Kompetenzund
Forschungszentrum für die Behandlung von PTBS
in der Bundeswehr. Ich habe nichts dagegen, dass wir
dies zunächst beim Institut für den Medizinischen Arbeits-
und Umweltschutz der Bundeswehr ansiedeln,
aber es darf dort nicht zum inhaltlichen Nebengelass
werden, sondern es muss dort im Zentrum der Arbeit
und der Aufmerksamkeit stehen. Ich hoffe sehr, dass das
unser gemeinsames Ziel ist.
(Beifall im ganzen Hause)
Herr Minister, wir werden diese Entwicklung, für die
viele hier im Hause – ich denke, ich kann für alle oder
zumindest für fast alle sprechen – dankbar sind und für
die wir eine Menge gearbeitet haben, und die Umsetzung
der Forderungen sehr genau betrachten. Wir erwarten
von der Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode
einen konkreten Zeit- und Handlungsplan, aus
dem hervorgeht, wie und wann sie diese Forderungen in
unserem Antrag umzusetzen gedenkt.
Wir wissen, dass es Schwierigkeiten damit geben
kann. Wir wissen auch, dass es Bedenken gibt, wir sind
uns aber gewiss, Herr Minister, dass Sie für einen Fortschritt
offen sind, und wir werden Sie bei dieser Gelegenheit
freundlich, hilfreich und sehr aufmerksam begleiten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer für die Fraktion
Die Linke.
<
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass der Bundestag
in Sachen posttraumatisches Belastungssyndrom einen
Handlungsbedarf erkennt. Wir werden sehr darauf
achten müssen, dass das, was heute hier beschlossen
wird, auch tatsächlich umgesetzt wird.
Es ist leider immer wieder dieselbe Geschichte: Die
Betroffenen müssen sich zu Wort melden, sie müssen
sich zusammentun – wie im Verein Skarabäus in der
Bundeswehr –, sie müssen Interessensverbände gewinnen,
Journalisten überzeugen, die Öffentlichkeit sensibilisieren,
und aus dem Parlament heraus müssen Initiativen
entwickelt werden. Erst dann wacht die Regierung
auf. Selbst dann noch haben wir es leider – auch in anderen
Fällen – erlebt, dass der Regierungsapparat versucht,
zu mauern. Ein abschreckendes Beispiel sind nach wie
vor die durch Radarstrahlen Geschädigten aus der Bundeswehr
und der NVA, die immer noch Klage über eine
hartherzige Bürokratie führen. Wir hoffen, dass das in
diesem Falle anders läuft.
Mit den Erkrankungen, um die es hier geht – das ist
auch schon gesagt worden –, wird in verschiedener Hinsicht
an Tabus gerührt:
Am Selbstverständnis der Soldaten. Den harten Jungs
darf es doch nicht passieren, dass sie aus dem seelischen
Gleichgewicht geraten. Das hat leider dazu geführt, dass
man gesagt hat, die psychischen Probleme seien Privatsache,
dass das Phänomen verdrängt und nicht rechtzeitig
erkannt wurde, dass die Dunkelziffer hoch ist und
dass Betroffene isoliert sind oder sich selber isolieren.
Die Führung sieht durch dieses Phänomen die Moral
der Truppe allzu schnell gefährdet. Auch deshalb gibt es
den Hang, lieber den Mantel des Schweigens darüber
auszubreiten.
Schließlich fürchtet die staatliche Bürokratie nichts
mehr als Präzedenzfälle und Ansprüche auf Entschädigungszahlungen,
die von denjenigen geltend gemacht
werden könnten, deren Wehrdienstfähigkeit nicht mehr
gegeben ist. Daher mussten sich die Betroffenen über einen
längeren Zeitraum leider nicht nur um ihre medizinische
Behandlung kümmern, sondern auch um ihre Anerkennung
als Kranke ringen. Ich finde, das ist gänzlich
inakzeptabel. Ich hoffe, dass das jetzt wirklich Geschichte
ist.
(Beifall der Abg. Jörn Thießen [SPD], Winfried
Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN] und Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Es geht darum, die Sensibilität in diesem Bereich umfassend
zu stärken und den Tabus entgegenzuarbeiten.
Die Betroffenen müssen schnell und jederzeit Ansprechstellen
finden. Der Vorschlag der Einrichtung einer
anonymen Hotline wird hoffentlich aufgegriffen. Vor allem
die Forschung muss vorangebracht werden, um damit
die Möglichkeiten der Heilung zu verbessern. Das
Kompetenz- und Forschungszentrum der Bundeswehr ist
erwähnt worden. Wir brauchen einen großherzigen und
verständnisvollen Umgang mit den erkrankten Menschen.
Es geht also um nicht mehr und nicht weniger als
um ein umfassendes Betreuungs- und Rehabilitationskonzept.
Meine Kolleginnen Pau und Lötzsch haben diese Problematik
schon in der vergangenen Legislaturperiode
aufgegriffen. Meine Kollegin Katrin Kunert hat dies zu
Beginn dieser Legislaturperiode getan. Im März 2008
haben die Linken einen Antrag eingebracht, in dem wesentliche
Forderungen des Bundeswehr-Verbandes aufgegriffen
worden sind. Die Regierungsfraktionen haben
Ende vergangenen Jahres nachgezogen.
Ich sage das nicht, um historische Meriten für die Linken
einzuheimsen. Das ist zu billig. FDP und Grüne waren
präsent. Der Wehrbeauftragte hat sich dauernd engagiert.
Dies gilt genauso für den Bundeswehr-Verband
und Abgeordnete der Koalitionsfraktionen.
An dieser Stelle möchte ich aber deutlich sagen, warum
ich das erwähne. Mir geht es darum, der Verleumdung
entgegenzutreten, die der Vorsitzende einer konkurrierenden
Partei kürzlich in die Welt gesetzt hat,
indem er gesagt hat, die Linke würde die Soldaten der
Bundeswehr als aggressive Krieger beschimpfen.
Wir haben politische Gründe für die Ablehnung der
Out-of-Area-Einsätze. Wir wollen generell vermeiden,
dass junge Menschen in eine Situation kommen, aufgrund
derer sie an posttraumatischen Belastungsstörungen
erkranken. Das ist richtig.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Das hat aber mit einer Beschimpfung von Soldatinnen
und Soldaten, die im Auftrag dieses Hauses ihren Dienst
tun, nichts zu tun. Im Gegenteil, wir haben den Anspruch,
dass wir uns um diejenigen kümmern müssen,
die Opfer von Krieg und Gewalt werden können.
Wir fordern daher, dass das Parlament, das diese jungen
Leute in Einsätze entsendet, dafür Sorge trägt, dass
ihnen eine angemessene medizinische Betreuung und
Versorgung zuteil wird. Wir unterstützen deshalb den
vorliegenden Antrag.
Wir haben auch im Ausschuss deutlich gemacht, dass
es möglich gewesen wäre, einen gemeinsamen Antrag
einzubringen. Die Union konnte aber leider nicht über
die Schatten des Kalten Krieges springen. Wir hoffen,
dass man in der nächsten Legislaturperiode diese ideologische
Engführung und diesen Kleingeist überwindet.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Winfried
Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Es würde dem Parlamentarismus gut tun und das Vertrauen
der Bürgerinnen und Bürger in das Parlament
stärken, wenn sie erkennen, dass es nicht nur um Parteitaktik,
sondern auch um Sachfragen geht. Danke.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Winfried Nachtwei das Wort.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Vorbereitung von Bundeswehrsoldaten auf Auslandseinsätze
ist nach meiner Erfahrung sehr fundiert und
hilfreich. Was es an Konzepten, an Begleitung und an
Strukturen gibt, das ist auch im Verhältnis zu manchen
anderen Armeen recht gut.
Noch im vorigen Jahr – so erinnere ich mich – hörte
ich von der Bundeswehrspitze die Beschreibung, der
Anteil der eingesetzten Soldaten mit posttraumatischen
Belastungsstörungen liege unter 1 Prozent, er steige
nicht, und man habe die Lage im Griff.
Einige von uns Verteidigungspolitikerinnen und -politikern
haben inzwischen Begegnungen mit Betroffenen
gehabt. Dabei hat man fürchterliche Schicksale mitbekommen.
Ich erinnere mich an das Beispiel eines Stabsunteroffizieres,
der im Jahr 2003 im Rahmen des ABC-Bataillons
in Kuwait eingesetzt worden ist. Dieser Einsatz
ist inzwischen so ziemlich in Vergessenheit geraten.
Zu Beginn des Irakkrieges gab es ständig irakischen Raketenbeschuss.
Dieser Stabsunteroffizier schied kurz danach
aus der Bundeswehr aus.
Mehr als ein Jahr später zeigten sich dann diese Störungen.
Es begann ein Kampf, ein Kampf nicht nur um
die Gesundung – das ist schon schwer genug –, sondern
auch ein Kampf mit dem Dienstherrn um die Anerkennung
als Wehrdienstbeschädigung. Heute vor genau einem
Jahr hat dieser Mann einen Bescheid von der Wehrbereichsverwaltung
West bekommen. Darin heißt es:
Allgemeine Belastungen, unter Beschuss zu stehen
(häufig Alarm), kann für einen Soldaten im Auslandseinsatz
nicht als außergewöhnlich belastend
angesehen werden.
Ich glaube, das ist der Gipfel der Ignoranz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
SPD, der FDP und der LINKEN)
Posttraumatische Belastungsstörungen können – das
ist die Erfahrung – jeden erwischen. Dies ist unberechenbar.
Verschiedenste Stressfaktoren können dazu führen.
Solche psychischen Verwundungen sind ausdrücklich
kein Ausdruck menschlicher oder gar soldatischer
Schwäche, sondern das ist eher fast sogar eine menschlich
normale Reaktion auf Situationen, die verrückt machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
SPD, der FDP und der LINKEN)
Wir müssen feststellen, dass die Dunkelziffer wahrscheinlich
um einiges größer ist als die offizielle Zahl.
Wir müssen auch klarstellen, dass im Hinblick auf die
Dimension psychische Erkrankungen heutzutage der
häufigste gesundheitliche Folgeschaden von Einsätzen
sind.
Mit diesem Antrag, den wir glücklicherweise interfraktionell
gemeinsam hinbekommen haben, formulieren
wir die zentralen Notwendigkeiten. Ich will sie nicht
im Einzelnen wiederholen. Es geht um ein niedrigschwelliges
Beratungsangebot und die Einrichtung einer
zentralen Ansprechstelle und eines Kompetenz- und Forschungszentrums,
und zwar eines echten. Herr Minister,
passen Sie auf, was in dem Konzept zur psychischen Gesundheit
vom Juni letzten Jahres vorgesehen ist! Das ist
allenfalls eine Arbeitsgruppe in diesem Institut, ausdrücklich
ohne Mehrausstattung usw. Wir wollen im
Bundestag insgesamt ein echtes Kompetenz- und Forschungszentrum.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie
bei Abgeordneten der LINKEN)
Des Weiteren sind in diesem Bereich die persönliche
Begleitung der Betroffenen und – das wurde bisher zu
wenig angesprochen – eine völlig andere Berücksichtigung der Veteranen von sehr großer Bedeutung. Ich kenne Leute, die 1999 etwa im Kosovo oder in Bosnien
Fürchterliches erlebt haben. Diese Gruppe meldet sich
jetzt auch etwas stärker zu Wort.
Ich komme zum Schluss. Dieses Thema ist nicht nur
eine Herausforderung für die Bundeswehr und die Bundesverwaltung.
Inzwischen gibt es eine enorme Kluft
zwischen der Einsatzerfahrung und dem zivilen Alltagsleben
hierzulande. Sprachlosigkeit auf der einen Seite
und Gleichgültigkeit auf der anderen Seite wirken regelrecht
als Stress- und Verwundungsverstärker.
Der Afghanistaneinsatz wird heute von großen Teilen
der Bevölkerung sehr kritisch gesehen. Unabhängig davon
verdienen die vom Bundestag nach Afghanistan entsandten
Frauen und Männer Interesse, Anteilnahme und
persönliche Unterstützung. Ich meine, auch das ist eine
Form von bürgerschaftlichem Engagement. Danke schön.
(Beifall im ganzen Hause)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier.
Gert Winkelmeier (fraktionslos):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren.
Der vorliegende Antrag zur Verbesserung der Situation
der von posttraumatischen Belastungsstörungen betroffenen
aktiven und ausgeschiedenen Soldaten ist im Verteidigungsausschuss
einstimmig angenommen worden.
Das begrüße ich ausdrücklich.
Gleichwohl komme ich nicht umhin, einige kritische
Anmerkungen grundsätzlicher Art zu machen. Denn dieses
Thema beschäftigt den Bundestag, den Wehrbeauftragten
und den Ausschuss bereits seit Jahren. Ich erinnere
an die Kleinen Anfragen der Linksfraktion und der
FDP aus den Jahren 2006 und 2007. Gleichwohl war bisher
nicht erkennbar, dass dem Verteidigungsministerium
die Gesundheit seiner Soldaten ebenso am Herzen liegt
wie die Ausrüstung der Bundeswehr mit immer moderneren
Waffensystemen. Ich hoffe, dass sich dies nunmehr
ändern wird und dass das Ministerium die Maßnahmen
ergreift, die der ansteigenden Zahl von
Betroffenen gerecht wird.
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sind nach bisheriger
Lesart der Bundesregierung bis heute reine Samariterdienste.
Ich würde sie hingegen als das konventionelle
Gegenstück zur nuklearen Teilhabe bezeichnen,
als Mittel zur Machtteilhabe. Dafür gibt es auch einen
Kronzeugen: den früheren Bundeskanzler Schröder mit
seinem inzwischen geflügelten Wort der „Enttabuisierung
des Militärischen“ als normalem Mittel der deutschen
Politik. Diesen Ausspruch zitiere ich allein deswegen
immer wieder gerne, weil er nicht die Position der
Linken ist.
Nun könnte ich es mir leicht machen und sagen, ohne
kriegerische Einsätze gäbe es keine nennenswerten posttraumatischen
Belastungsstörungen und auch keine Debatte
über das Thema in diesem Hause. Dies ginge allerdings
am Kern vorbei, und zwar aus zwei Gründen.
Erstens besteht eine Verpflichtung des Parlaments insgesamt,
die erkannten negativen Auswirkungen seiner Entscheidungen
zu begrenzen, besonders wenn Menschen
davon betroffen sind. Dies gilt unabhängig vom Abstimmungsverhalten.
Insofern haben wir alle eine gemeinsame
Fürsorgepflicht für Soldaten in der Parlamentsarmee.
Zweitens muss an dieser Stelle auch gesagt werden,
warum die Bundesregierung das Thema immer wieder
heruntergespielt hat, warum sie auch der Frage nach der
Dunkelziffer nicht offensiv nachgegangen ist. Sie wird
bekanntlich von Fachleuten als weit höher geschätzt als
die Zahl der als erkrankt Erfassten; denn diese individuelle
Verdrängung hängt ja unmittelbar mit den Bedingungen
und Gruppenzwängen zusammen, denen junge
Soldaten in einer militärisch, überwiegend von Männern
geprägten Gemeinschaft ausgesetzt sind, nämlich: Keine
Schwächen zeigen! Sonst gilt man als Weichei und wird
verachtet. Unter kriegerischen Bedingungen wie in Afghanistan
gilt dies ganz besonders. Aber die Bundesregierung
hat den dortigen Einsatz aus durchsichtigen
Gründen jahrelang nicht als das bezeichnet, was er ist,
nämlich als einen Krieg. Ergo konnte sie das Problem
der Traumatisierten auch nicht angemessen behandeln,
ohne die eigene Argumentation infrage zu stellen, und
dies zulasten der Betroffenen. Studien aus anderen Armeen,
in den USA und in Skandinavien, zeigen deutlich:
Mit Zahl, Dauer und Intensität der Kriegseinsätze steigt
der Prozentsatz der Traumatisierten in den zweistelligen
Bereich an. Auch dies ist für uns ein Grund, Nein zu
weiteren Kriegseinsätzen zu sagen. Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen auf
Drucksache 16/11882 mit dem Titel
„Betreuung bei posttraumatischen Belastungsstörungen
stärken und weiterentwickeln“. Wer stimmt für diesen
Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen?
– Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des
Verteidigungsausschusses auf den Drucksachen 16/11842
und 16/10024 zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 16/11410 und dem Antrag
der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/7176. Es
ist interfraktionell vereinbart, beide Anträge wegen des
soeben unter Tagesordnungspunkt 8 a angenommenen
gemeinsamen Antrags der Fraktionen von CDU/CSU,
SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Verfahrensweise? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Anträge sind
einstimmig für erledigt erklärt. Damit entfällt insoweit
die Behandlung der Beschlussempfehlungen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über Nr. 2 der
Beschlussempfehlung
des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 16/10024. Der Ausschuss empfiehlt die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache
16/8383 mit dem Titel „Adäquate Behandlungsund
Betreuungskapazitäten für an posttraumatischen Belastungsstörungen
erkrankte Angehörige der Bundeswehr“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktionen,
der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Quelle: Stenografischer Bericht des Deutschen Bundestags, Plenarprotokoll 16/205, S. 22163-22170
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