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Die Zukunft der Bundeswehr

Ein Bericht der "Baudissin-Kommission" des Hamburger Instituts für Friedensforschung

Seit dem Herbst vergangenen Jahres arbeitet auch die Baudissin-Kommission an einem Reformkonzept für die Bundeswehr. General Wolf Graf Baudissin war Mitbegründer der Bundeswehr und 1971 Gründungsdirektor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) in Hamburg, das auch die Kommission ins Leben rief. In die aktuelle Diskussion mischt sich die Kommission jetzt mit einem Zwischenbericht (verantwortlich: Professor Dieter Lutz und Oberstleutnant i. G. Jürgen Groß) ein, den die Frankfurter Rundschau am 9. Juni 2000 veröffentlichte. Wir dokumentieren die wesentlichen Aussagen.

Wir tun dies, obwohl es zwischen den Auffassungen der Hamburger Kommission und großen Teilen der Friedensbewegung erhebliche Differenzen geben dürfte. Diese Differenzen beziehen sich vor allem ganz grundsätzlich auf die Frage nach der Berechtigung einer Interventionsmacht Bundeswehr. Die Baudissin-Kommission scheint doch auch von der Notwendigkeit solcher "Krisenreaktionskräfte" überzeugt zu sein und stimmt damit der Weizsäcker-Kommission, den Grünen und letzten Endes auch Scharping zu. Was im vorliegenden Papier unter Punkt 2 "Die Bundeswehr der Zukunft" vorgeschlagen wird, entspricht so gar nicht unserem Geschmack. Die Grünen (nicht alle, sondern die Bundeswehr-Strategen in den oberen Partei- und Fraktionsetagen!) dagegen werden sich über die Unterstützung aus dem Friedensforschungsinstitut freuen können, entsprechen doch die Vorschläge, was den Umfang und die Aufgabenstellung der Armee betrifft, (z.B. 200.000 Mann/Frau, Einsatzkräfte für internationale Krisen, Privatisierung von Teilaufgaben) weitgehend den Vorstellungen von Angelika Beer, Wini Nachtwei und Rezzo Schlauch.

Hilfreich ist der Bericht dennoch, weil er in der Argumentation implizit die Bundeswehr in Frage stellt (die Bundesrepublik ist nicht bedroht!). Am liebsten würden wohl die Wissenschaftler die Bundeswehr in einer europäischen Armee aufgehen lassen. Ob damit im Augenblick viel gewonnen wäre, erscheint uns zweifelhaft. Betreibt die EU (neben der NATO) doch auch eine Militarisierungspolitik, die auf eine angriffsfähige europäische Streitmacht hinausläuft.

Hilfreich sind aber auch die - verfassungspolitischen - Überlegungen zur Überlebtheit der Wehrpflicht und die Gedanken zu einem Bundeskonversionsprogramm (Teil 1). Hier liegen gute Ansatzpunkte zu einer radikaleren Reduzierung der Bundeswehr und der Militärausgaben. Die Friedensbewegung kann also ein gutes Stück Weg mit der Baudissin-Kommission gemeinsam gehen.


Wehrpflicht und Bundeswehr:
Relikte längst vergangener Zeiten

Die Baudissin-Kommission des Hamburger Instituts für Friedensforschung legt einen Zwischenbericht zur Zukunft der Bundeswehr vor

1. Zur Verfassungswidrigkeit der Fortführung der Wehrpflicht

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland enthält eine ganze Anzahl wohl einmaliger Verfassungsnormen von sowohl grundrechtlicher als auch friedenspolitischer Bedeutung. Mit ihnen wollte der Parlamentarische Rat der zu errichtenden Bundesrepublik innenpolitisch, vor allem aber auch außenpolitisch den bewussten Neuanfang sichern: Der Friedenswille des deutschen Volkes sollte in eindeutiger Abkehr von einem System, das selbst vor Angriffskrieg und Massenmord nicht zurückgeschreckt war, zum unabänderlichen Leitgedanken und Wesensmerkmal des Grundgesetzes und der aus ihm erwachsenden Bundesrepublik erhoben werden.

Militärische Streitkräfte hatte der Parlamentarische Rat dagegen nicht vorgesehen. Entsprechend enthielt das Grundgesetz von 1949 keinen Wehrverfassungsteil. Allerdings schloss der Parlamentarische Rat eine Wiederbewaffnung des zukünftigen deutschen Staates als politische Option auch nicht ausdrücklich aus. Es war daher zulässig, aber eben auch unabdingbare Voraussetzung für die Einführung der Bundeswehr, militärische Streitkräfte durch Grundgesetznovellen verfassungsrechtlich zu legalisieren.

Am 12. November 1955 wurde die Bundeswehr mit 101 Freiwilligen gegründet. Am 1. April 1957 rückten die ersten 9773 Rekruten ein. Vorausgegangen war am 26. März 1954 eine erste Verfassungsnovellierung. Ihr folgten die Novellen vom 19. März 1956 sowie vom 24. Juni 1968. Im einzelnen wurden insbesondere zwei Veränderungen in das Grundgesetz aufgenommen: In Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG - einer Regelung der Zuständigkeit (Exekutivkompetenz) - wurde verdeutlicht, dass der Bund (und nicht die Länder) "Streitkräfte zur Verteidigung" aufstellt. Mit Art. 12a Abs. 1 GG - einer Norm mit Ermächtigungscharakter - wurde geklärt, dass Männer vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden "können".

Bei den angeführten Normen handelt es sich jeweils um rechtslogisch und gesetzessystematische zutreffende Verankerungen in Form von "Kann-Bestimmungen". Sie konnten und wollten weder Leitgedanken des Grundgesetzes, wie sein herausragendes Friedensgebot, noch verfassungsrechtliche Wesensmerkmale, wie die starke Stellung der Grundrechte, verändern. Dies wird insbesondere bei Art. 12a Abs. 1 GG deutlich ("Männer können . . . verpflichtet werden"). Die Norm erklärt die Wehrpflicht, d. h. eine öffentliche Dienstpflicht gemäß dem Grundgesetz der Bundesrepublik, für zulässig. Einen Imperativ setzt sie jedoch nicht. Die Wehrpflicht des Grundgesetzes besitzt keinesfalls den Charakter einer "Grundpflicht"; sie ist vielmehr "lediglich" eine Rechtspflicht, die erst durch die politischen Entscheidungsträger mit Leben gefüllt wird, gegebenenfalls aber auch unausgefüllt bleiben kann. Mehr noch: Als Ausnahmeregelung von den im Grundgesetz verankerten individuellen Freiheitsrechten (insbes. der Berufs- und Arbeitsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG) muss sie sogar ungenutzt bleiben, wenn von einer wehrpolitisch begründbaren Rechtfertigung der Wehrpflicht nicht mehr die Rede sein kann: "Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist also kein allgemeingültiges ewiges Prinzip, sondern sie ist auch abhängig von der konkreten Sicherheitslage. Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet werden können. . . . Es ist vor allem die Landes- und Bündnisverteidigung und nicht die Beteiligung an internationalen Missionen, die Umfang und Struktur der Bundeswehr und die Beibehaltung der Wehrpflicht rechtfertigen."

Gerade die veränderte sicherheitspolitische Lage nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes macht aber nach nahezu einhelliger Auffassung in Wissenschaft und Politik erkennbar,
  • dass die Staaten der Nato und unter ihnen an erster Stelle die Bundesrepublik Deutschland noch nie so wenig bedroht waren wie in der Gegenwart (und wohl auch in der überschaubaren Zukunft),
  • dass ferner die Nato militär- und machtpolitisch noch nie so unangefochten stark war wie heute,
  • dass schließlich die Tendenz der Mitgliedstaaten von Nato, WEU und EU dahin geht, ihren Streitkräften immer weniger eine Funktion der Landesverteidigung als eine der Krisenintervention zuzusprechen.
...
Wie die Lagebeurteilung zeigt, wie aber auch die entsprechenden Umstrukturierungsmaßnahmen bei den Streitkräften der meisten Nachbarn Deutschlands belegen, ist die Beibehaltung der Wehrpflicht keinesfalls mehr sicherheitspolitisch erforderlich. Mit anderen Worten: Auch wenn sich die Wehrpflicht seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes 1989/90 noch wegen des angeführten Ermessensspielraums für Jahre in einer Grauzone des "Noch-Verfassungsgemäßen" bewegen konnte, so wurde doch in dem Maße, in dem sich die sicherheitspolitische Lagebeurteilung über ein Jahrzehnt hinweg Tag für Tag bestätigte, die Verfassungswidrigkeit der Fortführung der Wehrpflicht immer deutlicher erkennbar. Bundestag und Regierung sind deshalb gut beraten, die Fortführung der Wehrpflicht in Deutschland möglichst rasch auszusetzen und die vom Bundesminister der Verteidigung für das Jahr 2000 angekündigten Vorschläge zur Neustrukturierung der Bundeswehr als Chance zur Diskussion eines Reformmodells der Bundeswehr auf der Basis einer Freiwilligenstreitkraft zu diskutieren.

2. Die Bundeswehr der Zukunft

Wie ein solches Reformmodell aussehen könnte, hat in den vergangenen Monaten eine aus Wissenschaftlern, Offizieren und Politikern zusammengesetzte Expertenkommission "Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) diskutiert. Zu den Überlegungen und ersten Ergebnissen der Kommission gehören u.a.:
  • Die Wehrpflicht und mit ihr die Bundeswehr in der gegenwärtigen Form sind Relikte längst vergangener Zeiten. Die künftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen, Bedrohungen, Gefahren, Risiken richten sich nicht mehr gegen das Land selbst, sondern betreffen Deutschland als Mitglied eines Militärbündnisses (konkret: als Mitglied in der Nato und der WEU), künftig vielleicht sogar als Mitglied in einem regionalen System Kollektiver Sicherheit in und für Europa. In dem Maße aber, in dem die kollektive Sicherheitsleistung eines Militärbündnisses oder eines Systems Kollektiver Sicherheit an die Stelle der nationalen Sicherheitsvorsorge tritt, wird Abrüstung möglich. Darüber hinaus dürften in vielen Konfliktfällen weniger als 100 000 Soldaten ausreichen, um auch einem erweiterten Aufgabenspektrum gerecht zu werden bzw. um die Normen der Völkergemeinschaft durchzusetzen (vgl. z.B. Sfor in Bosnien oder Kfor in Kosovo). Aber selbst mit Blick auf die traditionelle Aufgabe der Bündnisverteidigung, die einen (derzeit wohl kaum möglichen) groß angelegten Angriff gegen Deutschland mit einschließt, wird sich ein (im traditionellen Sinne) starkes Militärbündnis bzw. eine starke Europäische Sicherheitsgemeinschaft mit multinationalen Streitkräften im Umfang von ca. 1 bis 2 Millionen Soldaten begnügen können. Die derzeitigen Streitkräftezahlen in und für Europa gehen nicht nur erheblich über dieses Limit hinaus. Vielmehr ist auch kein Staat erkennbar (auch nicht Russland), der - aus welchen Gründen auch immer - einen Krieg gegen Deutschland und seine Verbündeten mit Aussicht auf Erfolg führen könnte. Für Deutschland (und in ähnlicher Weise für alle anderen europäischen Staaten auch) ist damit - endlich - die Chance zur Abrüstung sogar auf Kontingente jenseits des hier vorgeschlagenen Modells bei einer erheblichen Reduzierung der Wehretats gegeben.
  • Geht man davon aus, dass Europa künftig eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik betreiben wird, so muss das Konzept der parallelen Aufstellung nationaler Armeen grundsätzlich überdacht werden. Das organisatorische und militärische Strukturgerüst eines eurokollektiven Sicherheitssystems, das modern, leistungsstark und gleichwohl schlank sein muss, verlangt neben der zumindest teilweisen Supranationalität der Streitkräfte und der Bildung gemischt-nationaler Kontingente eine verstärkte Arbeitsteilung unter den Mitgliedstaaten der Nato, der Europäischen Union und gegebenenfalls auch der OSZE. Die arbeitsteilige Spezialisierung und stärkere Konzentration der Länder auf jeweils bestimmte Teilstreitkräfte legt Kapazitäten und Ressourcen frei, die im Verbund der Staaten für die qualifizierte und synergetische Ausbildung und Ausstattung der Soldaten einer modernen Armee insgesamt genutzt werden können.
  • Der Kern der künftigen deutschen Einsatzkräfte sollte aus 12 gleichermaßen voll präsenten, hoch mobilen, modernst ausgerüsteten, infanteriestarken Brigaden bestehen. Unter Zugrundelegung einer jeweils 4-monatigen Stationierung im Einsatzgebiet und einer dazwischen liegenden 20-monatigen Nachbereitungs-, Konsolidierungs- und Vorbereitungsphase sind diese Kräfte - mit entsprechender Unterstützung - grundsätzlich in der Lage, zwei zeitlich parallele Einsätze, wie sie derzeit und auf absehbare Zeit als wahrscheinlich angenommen werden können, von unbestimmter Zeitdauer durchzuführen. Darüber hinaus wäre es bei diesem 2-jährigen Einsatzrhythmus ggf. denkbar, mit den in der 12-monatigen Konsolidierungsphase befindlichen Brigaden (insgesamt jeweils 6) erforderlichenfalls weitere kleinere und zeitlich eng begrenzte Einsätze zusätzlich durchzuführen.
  • Zu den Einsatzkräften gehören neben den angeführten 12 Brigaden - die in der Grundgliederung entweder in nationale Divisionen zusammengefasst oder aber multinationalen Großverbänden fest zugeordnet und direkt unterstellt werden können - zusätzlich eine Luftwaffen- und eine Marinekomponente, für besondere Einsätze das "Kommando Spezialkräfte" sowie mehrere national frei verfügbare Stäbe auf verschiedenen Führungsebenen (Nationale Befehlshaber im Einsatzgebiet). Die Einsatzkräfte umfassen, im Falle der festen Zuordnung des Großteils der Brigaden zu multinationalen Korps, insgesamt ca. 120 000 Soldaten.
  • Die bisherige Gliederung der Streitkräfte in die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine wird aufgehoben. "Streitkräftegemeinsame Operationen in multinationalen Formationen sind ein entscheidendes Merkmal militärischer Einsätze geworden. Streitkräftegemeinsame Operationen müssen auch im nationalen Bereich streitkräftegemeinsam geführt werden" . Sämtliche Einsatzkräfte werden daher einem gemeinsamen Führungskommando unterstellt. Daneben treten ein zentrales Kommando für die Ausbildung in den Streitkräften sowie ein zentrales Kommando für Führungs-, Kampf- und Einsatzunterstützung. Diese drei Kommandobehörden sowie das Personalamt werden direkt dem Generalinspekteur der Bundeswehr unterstellt. In dessen Stab fungieren (neben weiteren militärischen Abteilungen) die Inspekteure von Luftwaffe und Marine als Abteilungsleiter.
  • Die Möglichkeiten einer Privatisierung von Dienstleistungen für die Streitkräfte sollen in einem weit größeren Maße als bisher genutzt werden. Als zentrale Aufsichtsbehörde wird ein "Betriebsaufsichtsamt" eingerichtet, das - ebenso wie die in ihrem Personalumfang erheblich reduzierten Ämter für die verbleibenden, nicht sinnvoll zu privatisierenden Aufgaben im Bereich der Rüstungsbeschaffung und der Verwaltung - dem (beamteten) Staatssekretär im BMVg zugeordnet ist. Die jüngsten Kooperationsvereinbarungen des Bundesministers der Verteidigung mit der Wirtschaft sind ein hoffnungsvolles Zeichen, können aber nur einen ersten Schritt darstellen. Nur für diejenigen Aufgaben, für die keine geeigneten Angebote privater Dienstleister zur Verfügung stehen, sollten militärische Kapazitäten bereitgestellt werden; dabei wäre gemeinsamen europäischen Lösungen der Vorrang gegenüber dem Aufbau paralleler nationaler Strukturen einzuräumen. In der gesamten Bundeswehr muss der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit anstelle des traditionellen Sparsamkeitsprinzips treten.
  • Der künftige Personalumfang der Streitkräfte beträgt unter diesen strukturellen Vorgaben ca. 200 000 Soldatinnen und Soldaten. Die Zahl der zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr würde sich auf ca. 90 000 reduzieren. Dies impliziert die Aufgabe einer Vielzahl militärischer Liegenschaften und Standorte. In diesem Zusammenhang müssen zwar betriebswirtschaftliche Kriterien die maßgebliche Rolle spielen. Jedoch sollte bei der Neudislozierung den jeweiligen regionalen ökonomischen Strukturen in angemessener Weise Rechnung getragen werden. In jedem Fall muss die Konversion von Bundeswehrliegenschaften mit einem schlüssigen Bundeskonversionsprogramm einhergehen.
  • Der Großteil der deutschen Einsatzkräfte sollte den (bereits aufgestellten) multinationalen Korps zugeordnet werden. Als Organisationsprinzip dieser Korps wäre das der Integration (Parität der nationalen Anteile, Rotation bei der Besetzung der Führungspositionen) zu bevorzugen.
  • Der zu erwartende Haushaltsmittelbedarf Einzelplan 14 beläuft sich für das vorgeschlagene Strukturmodell bei einer angenommenen Investitionsquote von 25 Prozent auf ca. 39 Milliarden DM, bei einer Investitionsquote von 30 Prozent auf ca. 41,5 Milliarden DM (alle Preisangaben berechnet auf das Jahr 2003).

3.Zu den sozialpolitischen und regionalen Folgen einer Umstrukturierung der Bundeswehr - Plädoyer für ein Bundeskonversionsprogramm

Die Umstrukturierung der Bundeswehr und die Aussetzung der Wehrpflicht bringen eine Reihe von sozialpolitischen Problemen mit sich (Standortschließungen, regionale Verwerfungen, Arbeitsplatzverluste etc.), vor denen die Augen nicht verschlossen werden dürfen. Andererseits bergen sie auch große ökonomische und gesellschaftliche Chancen, die es frühzeitig zu erkennen und konzeptionell zu nutzen gilt. Voraussetzung ist eine systematische Konversionspolitik auf Bundesebene, verstanden als ein bewusster und gewollter Prozess der zivilen Umgestaltung.

...

Das in der Bundesrepublik Deutschland auf Bundesebene gezeigte Engagement für Konversion reichte .. schon bislang nicht aus, um das Konversionsvolumen zu bewältigen, das durch Ost-West-Entspannung, Wiedervereinigung und Abrüstung in den vergangenen Jahren entstanden war. Insbesondere fehlen die Finanzmittel für Munitionsberäumung und Altlastenbeseitigung, um in absehbarer Zeit die Wunden zweier Weltkriege und des Kalten Krieges zu heilen. Nach dem Wegfall des von der EU bis 1999 aufgelegten KONVER-Programms ist die Frage eines Bundeskonversionsprogramm sogar noch drängender geworden.

Der Bund sollte deshalb die bevorstehende Umstrukturierung der Bundeswehr nutzen, um die zu erwartende Rückbaukomponente der Streitkräfte mit einem Konversionsprogramm sinnvoll zu koppeln. Zu den vorbereitenden Maßnahmen und ersten Schritten könnten gehören: die Bilanzierung der anstehenden Konversionsaufgaben durch Wissenschaft und Politik, ferner die Schaffung klarer Zuständigkeiten bei der Bundesregierung, z.B. durch die Berufung eines Bundeskonversionsbeauftragten bzw. die Bildung einer Konversionsabteilung im Kanzleramt oder im Wirtschaftsministerium, und nicht zuletzt die Einrichtung eines Impulsgebers für Konversion auf Bundesebene in der Art des "Office für Economic Adjustment".

4.Zu den sozialpolitischen Folgen einer Umstrukturierung der Bundeswehr - Plädoyer für einen Freiwilligendienst

Zu den Folgen einer Umstrukturierung der Bundeswehr und der Aussetzung der Wehrpflicht gehört ferner die Aufhebung des Zivildienstes mit zweifelsohne erheblichen Wirkungen auf das Gesundheitswesen und andere sozialpolitische Bereiche der Bundesrepublik. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung lässt sich allerdings - volkswirtschaftlich gerechnet - die Arbeitsleistung der Zivildienstleistenden durch tariflich bezahlte Arbeitsleistungen ersetzen, ohne dass das Sozialwesen der Bundesrepublik zusammenbricht oder auch nur teurer wird. Entscheidende Voraussetzung ist allerdings, dass die Finanzmittel, die bislang für die Erbringung der Sozialleistungen via Zivildienst durch den Staat ausgegeben werden, auch weiterhin bereitgestellt werden.

Eine weitere tragfähige Alternative bildet die Schaffung eines Anreizsystems für die freiwillige Übernahme von öffentlichen Aufgaben. ...

Es sollte möglich sein, ein solches Dienstjahr bei sämtlichen Formen und Trägern von Diensten, an denen ein öffentliches Interesse besteht, von der Bundeswehr bis zum Zivilen Friedensdienst, von der Feuerwehr bis zum Entwicklungsdienst, von der Altenpflege bis zum Umweltschutz, von der Polizei bis zum Katastrophenschutz wie auch bei internationalen Organisationen abzuleisten. ...

Da diejenigen, die an einem solchen einjährigen Dienst teilnehmen, während dieser Zeit vorwiegend in dem jeweiligen Tätigkeitsbereich ausgebildet werden, sollte bei der Werbung für diese Dienste wie auch bei der Besoldung der Gesichtspunkt der Ausbildung ausschlaggebend sein. Darüber hinaus sollte durch seine Ableistung ein Bonus für künftige Lebensabschnitte erworben werden:
  • Die Attraktivität dieses Dienstjahres sollte darin liegen, dass es quasi als Berufsfindungsjahr für eine breite Palette von Berufen ausgestattet wird, die im weitesten, aber nicht unbedingt im arbeitsrechtlichen Sinne als öffentliche Dienstleistungen anzusehen sind.
  • Alle, die einen solchen Dienst ableisten, erhalten während dieses Jahres eine Vergütung, die der Eingangsstufe der Ausbildungsvergütung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Gegebenenfalls erhalten diejenigen, die schon einen beruflichen Abschluss vorweisen können, aber vielleicht als Arbeitslose dieses Jahr zur beruflichen Umorientierung benutzen wollen, einen Zuschlag, der dafür sorgt, dass sie nicht schlechter gestellt sind, als wenn sie in ihrem erlernten Beruf tätig wären.
  • Am Ende des Jahres kann in dem Tätigkeitsbereich eine dem Ausbildungsstand entsprechende (Teil-) Abschlussqualifikation erworben werden.
  • Alle, die einen solchen Dienst abgeleistet haben, erhalten einen Bonus bei der Zulassung zu weiterqualifizierenden Ausbildungswegen wie auch bei der Berechnung der Altersrente.
  • Wer beabsichtigt, später hauptberuflich eine der Tätigkeiten aus dem Spektrum der einjährigen freiwilligen sozialen Dienste auszuüben, erhält dieses Dienstjahr dann - gegebenenfalls auch als Ausbildungsjahr - angerechnet.
Wer nicht bereit ist, ein Jahr lang auf irgendeine Weise einen Dienst für die Gesellschaft zu leisten, käme auch nicht in den Genuss der späteren Vergünstigungen. ...

Es sind keine Nachteile für die Selbstrekrutierung der beteiligten Institutionen zu befürchten, im Gegenteil: Wenn die Befürworter der Wehrpflicht heute darauf hinweisen, dass ein nicht unerheblicher Teil vor allem der Zeitsoldaten aus dem Kreis der Wehrdienstleistenden hervorgegangen ist, so kann bei dem hier vorgeschlagenen Modell das Bundesverteidigungsministerium damit rechnen, dass alle diejenigen, die sich für ein Jahr verpflichten, wirklich an der Bundeswehr interessiert sind.

In ihrem Kreis könnte deshalb mit mindestens demselben Erfolg auch um Längerdienende geworben werden. Im Bereich der Heil- und Pflegeberufe ist ähnliches zu erwarten, da auch jetzt schon mancher Zivildienstleistende sich während seiner Dienstzeit dafür entscheidet, hieraus einen Beruf zu machen. (. . .)
Mit Kürzungen aus: Frankfurter Rundschau, 09.06.2000

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