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Reform der Bundeswehr

Klaus Naumann stellt Studie vor

Nach einer Meldung des Berliner "Tagesspiegel" vom 5. Juni 2000 hatte die Konrad-Adenauer-Stiftung den ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr und hohen ehemaligen NATO-General Klaus Naumann mit einer Studie über den Zustand der Bundeswehr beauftragt. Befragt worden waren 1.000 Soldaten und Zivilangestellte. Zur Vorstellung der Ergebnisse der Studie heißt es im "Tagesspiegel" u.a.:

"Unfair", sagt Klaus Naumann, wäre es, die Verantwortung für Fehlentwicklungen in der Sicherheitspolitik allein der heutigen Bundesregierung anzulasten.
...
Doch natürlich wird Naumann zuerst gefragt nach seiner Meinung zu den Ergebnissen der von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker geleiteten Kommission und ihren Plänen zur Reform der Bundeswehr. Die Befragten kannten die Ergebnisse dieser Arbeit bei der Befragung nicht. Aber Naumann ist sicher, dass die Soldaten "Respekt zollen für den Mut einer völlig veränderten Bundeswehr". Durchaus richtig sei es, der Bundeswehr verstärkt Einsatzaufgaben für UN, Nato und EU zu geben, sagt der Ex-General. Mehrfach nimmt Naumann in Bezug auf Weizsäckers Arbeit das Wort "Sympathie" in den Mund.

Kritisch äußert sich der frühere Generalinspekteur dann eher über den heutigen Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD). Auch unter Bezug auf die Soldaten-Befragung sagt er, er habe die Sorge, dass die Schere zwischen dem Auftrag der Bundeswehr und den dafür eingesetzten Mitteln noch größer werde. Den Kommissionsvorschlag, einen Auswahl-Wehrdienst einzuführen nennt Naumann eine "denkbare Lösung" - während er "große Zweifel" hegt, ob die von Scharping angekündigte weitere Verkürzung der Wehrdienstdauer sinnvoll ist. Und zugleich befürchtet Naumann, dass die freiwerdenden Mittel bei einer angekündigten Verkleinerung der Streitkräfte um ein Viertel nicht für eine Modernisierung der Bundeswehr eingesetzt werden.

So vertiefe sich die Kluft zwischen sicherheitspolitischen Notwendigkeiten und bereitgestellten Mitteln weiter, heißt es dazu in der Studie der Adenauer-Stiftung - nachdem schon die alte unionsgeführte Bundesregierung diese Balance "nicht ausreichend berücksichtigt" habe. "Immer drängender stellt sich die Frage, wo diese Rutschbahn enden wird."

Fallbeispiele für Schwächen nennen die befragten Soldaten in der Studie noch und noch. "Konkrete Mängel" gebe es etwa beim Krisenmanagement auf dem Balkan: "Altersschwache Hubschrauber mit mehr als 30 Dienstjahren" würden die Sicherheit der Piloten und Passagiere gefährden. Und: Bei Flügen nach Kroatien würden "häufige Pannen der Flugzeuge die Soldaten zu mehrmaligem Umsteigen zwingen". Das Sanitätswesen der Bundeswehr leide unter den Auslandseinsätzen, stehe nach Auskunft von Offizieren "am Rande des Kollaps".

Generell verbreitet die Adenauer-Stiftung die Stimmung, die Bundeswehr fühle sich von der Politik "im Stich gelassen". Und Naumann kritisiert, dass für Sparpläne "die sicherheitspolitische Begründung" fehle: "Das ist die Bringeschuld, die die Regierung hat, wenn sie sich für Kürzungen entscheidet." Denn eines sei klar: "Wenn Deutschland seinen Beitrag nicht leistet, dann lehnen sich die anderen zurück und verstecken sich hinter dem Rücken der Deutschen", fügt der Ex-Generalinspekteur hinzu.

Der Inhalt der Studie geht aus einer Presse-Information der Konrad-Adenauer-Stiftung hervor, die am 2. Juni herausgegeben wurde. Wir dokumentieren sie im Wortlaut:

Presse-Info
2. Juni 2000

Weitere drastische Reduzierungen der Bundeswehrstärke sind sicherheitspolitisch nicht zu begründen
General Naumann präsentiert Ergebnisse des Dialogs mit den Streitkräften

"Die Zukunft der Bundeswehr ist derzeit die zentrale verteidigungspolitische Frage in Deutschland. Immer neue Konzepte und Modelle werden dabei in die Diskussion geworfen. Nur wenige reden jedoch direkt mit den Streitkräften. Deshalb hat die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zwischen Februar und Mai in einer bundesweiten Veranstaltungsreihe über 1000 aktive Soldaten, Reservisten und Zivilangestellte der Bundeswehr befragt. Der zuvor mit hochrangigen militärischen Fachleuten diskutierte und heute gemeinsam mit General a.D. Klaus Naumann präsentierte Abschlussbericht ist ein authentisches Stimmungsbild aus der Bundeswehr.

Darin heißt es u.a.: Die populäre Formulierung, Deutschland sei "von Freunden umzingelt" und könne deshalb seine militärische Stärke immer weiter verringern, ist gleich in dreifacher Hinsicht falsch. Seit Mitte der 90er Jahre hat es keine grundlegenden positiven Veränderungen der sicherheitspolitischen Gesamtlage Deutschlands mehr gegeben, die ein weiteres, stetiges Absenken der militärischen Stärke rechtfertigen. Übersehen wird zudem, dass sich Bedrohungen deutscher Interessen auch an den Grenzen der Nachbarn und Bündnispartner, auf See oder aus dem Luftraum ergeben könnten. Der Sparkurs der neuen Bundesregierung hat, so wird weiter ausgeführt, die Kluft zwischen sicherheitspolitischen Notwendigkeiten und bereitgestellten Mitteln weiter vertieft. Immer drängender stellt sich die Frage, "wo diese Rutschbahn enden wird."

Generell fühlt sich die Bundeswehr von der Politik verunsichert und im Stich gelassen: Entscheidungen fielen eher nach Maßstäben der Öffentlichwirksamkeit und nicht nach verteidigungspolitischen Erfordernissen.

Besonders deutlich auch die Kritik an Ausrüstungsmängeln und am Zustand der Kasernen: Schilderungen von Soldaten, sie verbrächten die meiste Zeit damit, Ersatzteile aus- und einzubauen, "um durch diese Art von "Kannibalisierung" zumindest einen Teil des Fuhrparks funktionsfähig zu halten", sind kein Einzelfall; Kasernen seien zum großen Teil "in erbärmlichem Zustand", bei Wehrpflichtigen sei das Gefühl stark verbreitet, wie "weggesperrt zu sein".

Aus den Ergebnissen des Dialogs mit der Bundeswehr lassen sich zehn Forderungen an die Politik ableiten:
  1. Die Bundeswehr hat einen Anspruch auf ein dauerhaftes Bekenntnis von Gesellschaft und Regierung zur Form und Auftrag der Streitkräfte.
  2. Die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen haben sich entscheidend verändert. Der Auftrag der Bundeswehr muss daher neu definiert und politisch entschieden werden.
  3. Weitere drastische Reduzierungen der Stärke der Bundeswehr sind sicherheitspolitisch nicht zu begründen. Das gegebene Risikospektrum lässt dies nicht zu. Auch stehen die von der Bundesregierung eingegangenen Verpflichtungen dem ebenso entgegen, wie auch die angesichts des deutschen Gewichts berechtigten Erwartungen der Partner in der NATO und in Europa.
  4. Die Bundeswehr muss die Mittel erhalten, die zur Erfüllung ihres Auftrags erforderlich sind.
  5. Die Bundeswehr muss wieder bündnisfähig und zusätzlich europafähig werden.
  6. Die Rolle des Militärs in der Gesellschaft und in den internationalen Beziehungen muss klar definiert und von der Politik aktiv vertreten werden.
  7. Die Wehrpflicht muss erhalten bleiben.
  8. Die Reservistenkonzeption muss geändert werden.
  9. Rationalisierung und Outsourcing müssen ergebnis- und erfolgsorientiert sein.
  10. Die Einsatzbedingungen - gerade im Bereich des Krisenmanagements - müssen zumutbar und gerecht sein."

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