Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bundesregierung verabschiedet Bundeswehrkonzept

Scharpings Konzept ohne Abstriche durchgesetzt

Jetzt ist es also amtlich: Nicht das Konzept der von Scharping seinerzeit eingesetzten Wehrstrukturreform-Kommission unter Leitung von Weizsäcker, schon gar nicht das abgespeckte Konzept der Grünen wird für die künftige Bundeswehr verbindlich werden, sondern das Papier, das im Hause des Verteidigungsministers Scharping entstanden ist und sicherlich den Beifall der Generalität finden wird.

Scharpings Plan sieht eine große Armee vor mit einem Streitkräfteumfang von 277.000 Mann/Frau. Es bleibt bei der allgemeinen Wehrpflicht, nur soll sie ab dem Jahr 2002 um einen Monat auf neun Monate verkürzt werden. Die Armee selbst soll in ihrem größten Teil für Kriseneinsätze (also für Interventionen mit oder ohne UNO-Mandat) zur Verfügung stehen: 150.000 Mann sind hierfür vorgesehen.

Die neue Bundeswehr wird teurer. Und Hans Eichel, der sonst immer so gern als oberster Sparkomissar des Landes hingestellt wird, gibt seinem Ministerkollegen Scharping ein Finanzgarantie von 45,3 Milliarden DM (Haushaltsansatz 2001 Einzelplan 14 "Verteidigung") und schenkt ihm zusätzlich noch aus dem Einzelplan 60 (Sonderausgaben) zwei Milliarden DM für Auslandseinätze. Noch etwas kommt hinzu: Mittel, die z.B. durch die Privatisierung von Teilaufgaben der Bundeswehreingespart werden sollten, wird Scharping für sich und seine Aufrüstungsprogramme behalten können. Noch nicht ganz ausgekungelt ist, wie viel Geld in Scharpings Taschen fließen, wenn es ans Verkaufen von altem Material (z.B. überzählige Panzer oder Liegenschaften) geht. Zu diesem letzten Punkt äußert sich Christoph Schwennicke in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 15.06.2000 wie folgt:


Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat bei seinem Bemühen um eine Bundeswehrreform einen entscheidenden Zwischenerfolg erreicht. Mit Hans Eichel ist er im Gezerre ums Geld so verblieben, dass alles, was er an Einsparungen durch schlankere Verwaltung und mehr Effizienz erwirtschaftet, seines bleibt. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und steht erst dann in einem anderen Licht, wenn man bei der Frage "Was darf Scharping behalten?" den Blick auf den Punkt "Privatisierungserlöse" wirft. Dahinter verbirgt sich nichts anderes, als Geld aus den Verkäufen von Material oder - meist noch lukrativer - von Gebäuden und Grundstücken. An dieser Stelle wollen Scharping und Eichel nicht mit der Sprache rausrücken, ob der Verteidigungsminister dieses Geld ganz oder nur teilweise behalten darf. Der Grund der Maulfaulheit ist klar: Auch andere Minister haben schöne Liegenschaften. Und der grüne Koalitionspartner will alte Panzer lieber verschrotten als ins Ausland verkaufen.

Angenehm war für Scharping dieser Kabinetts-Mittwoch vor allem aber deshalb, weil er sich nicht die Mühe machen musste, die kleine Frage zu klären, wie er seine Bundeswehrreform bei der festgelegten mittelfristigen Finanzplanung bezahlen soll. Das Kabinett hat der Reform auch so zugestimmt. Damit hat es dem Verteidigungsminister einen ungedeckten Scheck ausgestellt, den dieser als Blanko-Scheck interpretieren wird.

Die Sache liegt nämlich so: Das Konzept von Scharping ist das einzige, das davon ausgeht, man könne auch bei einer 280.000-Mann-Armee und einer erheblicher Modernisierung mit dem gegebenen Finanzmitteln klarkommen. Im Konzept der Weizsäcker-Kommission wird sogar für eine 240.000-Mann-Armee in den Anfangsjahren des Umbaus mehr Geld gefordert. In allen seriösen Studien liegen die jährlichen Kosten einer technisch akzeptablen Armee von 280.000 Soldaten jenseits der 50 Milliarden Mark im Jahr - ein Aufwand, der auf absehbare Zeit nicht mehr zu bezahlen ist.

Es bleibt also Scharpings Geheimnis, wie er sich die von ihm skizzierte Armee leisten kann - auch ein Kabinettsbeschluss setzt Realitäten nicht außer Kraft. Und die eine Milliarde Mark, die die Steigerung der Effizienz nach seinen Worten in ein paar Jahren abwerfen soll, ist bislang nichts als Projektion. Von dieser Summe hat er noch keinen Pfennig in der Tasche. Daher ist die Prognose nicht schwer: Der harte Streit über die Kosten der Wehrreform ŕ la Scharping kommt erst noch. Wenn es auf die Bundestagswahl 2002 zugeht, wird Scharping die Standorte als etwas bedrohter ansehen als derzeit, und er wird erneut Geld fordern. Weiterhin wird er mit dem Kabinettsbeschluss gegenüber seinen Kollegen so verfahren wie bisher mit dem neuen Nato-Konzept und den europäischen Verpflichtungen, die der Bundeswehr künftig mehr abverlangen. Das zugrunde liegende Vertragswerk zieht Scharping bei jeder Gelegenheit hervor: Wer das unterzeichnet habe (also auch Gerhard Schröder und Joschka Fischer), müsse wissen, was es für die Streitkräfte bedeute. Schröder und das ganze Kabinett haben sich keinen Gefallen damit getan, Scharping mit einer so verschwiemelten Kabinettsvorlage durchkommen zu lassen. Er wiederum sollte nicht zu sehr auf deren Belastbarbeit vertrauen."

Doch wie so oft in der Diskussion um die neue Bundeswehr: Die Kommentare kritisieren mehr oder weniger interessante Einzelaspekte - wie den der Finanzierung -, ohne auf die entscheidende Frage zu kommen: Warum um Gottes Willen braucht unser Land eine Bundeswehr, wo wir doch nur noch - und Scharping hat das wieder einmal nachdrücklich betont - von Freunden umgeben sind? Die Frage wird nicht gestellt, weil man sie ja dann beantworten müsste, und manchem ist die einzig mögliche Antwort hierauf vielleicht noch unangenehm: Die Bundeswehr soll angriffsfähig werden, sie soll gleichzeitig mindestens in zwei "Krisengebieten" intervenieren können. Dafür braucht man die 150.000 Mann, und diesbezüglich sind sich alle einig - von Weizsäcker über Fischer und Scharping bis Schröder, Schäuble, Merkel und Stoiber (die zuletzt genannten wollen nur noch ein paar mehr Soldaten und mehr Geld). Die Grünen, deren Lieblingsprojekt die Abschaffung der Wehrpflicht ist (oder war?), schlucken wieder eine Kröte und werden das der Friedensbewegung gegenüber mit einem bedauernden Zähneknirschen als "Kompromiss" verkaufen nach dem Motto: "Mehr war nicht drin!" Wir kennen das auch aus anderen Zusammenhängen: Ob in Nordrhein-Westfalen, ob beim Atomkonsens: Mehr ist eben nicht drin! Fragt sich nur, warum es sich noch lohnen sollte, in einer solchen Regierung zu bleiben, wenn eh nichts durchzusetzen ist. - Doch diese Fragen stellen sich die grünen Abgeordneten und Minister wohl schon lange nicht mehr.

Zu weiteren Artikeln, Dokumenten und Berichten zum Thema Bundeswehr auf der
Bundeswehr-Seite

Zur Seite "Appell Kriege verhindern - Einsatzkräfte auflösen"

Zur Aktuell-Seite

Zurück zur Homepage