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Ein Sieg des Rechts über die Exekutive

Presseartikel zum AWACS-Urteil des Bundesverfassungsgerichts - Peinliche Schlappe für Schröder-Fischer-Kabinett

Im Folgenden dokumentieren wir ein paar Pressestimmen zum Awacs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Das Urteil haben wir hier dokumentiert: Posthume Ohrfeige für rot-grüne Bundesregierung.)



Gericht entzieht Regierung Kriegsgewalt

Bundesverfassungsrichter: Deutscher Einsatz in AWACS-Flugzeugen war verfassungswidrig *

Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechte des Bundestags bei Auslands- einsätzen der Bundeswehr gestärkt. Der Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Aufklärungsflugzeugen der NATO zu Beginn des Irak-Kriegs 2003 war wegen der fehlenden Zustimmung des Bundestags verfassungswidrig.

Karlsruhe (Agenturen/ND). Weil die NATO-Aufklärungsflüge mit Bundeswehrsoldaten 2003 dem Schutz vor einem befürchteten Angriff Iraks auf die zur NATO gehörende Türkei dienten, bestand aus Sicht des Gerichts eine konkrete Gefahr für eine Verwicklung der Soldaten in den Konflikt. Das Grundgesetz habe jedoch »die Entscheidung über Krieg und Frieden dem Deutschen Bundestag als Repräsentationsorgan des Volkes anvertraut«, heißt es in dem Urteil. Die Karlsruher Richter gaben damit einer fünf Jahre alten Klage der FDP-Bundestagsfraktion statt.

Die Opposition wertete die Entscheidung als Absage an das neue sicherheitspolitische Konzept der Union. »Damit ist allen Überlegungen eine Absage erteilt, aus der Parlamentsarmee eine Regierungsarmee zu machen«, sagte FDP-Chef Guido Westerwelle. Aus Sicht des LINKE-Verteidigungspolitikers Paul Schäfer ist das Unionspapier reif für den Altpapiercontainer. »Das Bundesverfassungsgericht hat in dankenswerter Klarheit deutlich gemacht, dass die Regierung nicht nach Belieben über die Streitkräfte verfügen kann – auch nicht unter dem Mantel zu leistender Bündnissolidarität«, so Schäfer. Die Grünen erklärten, die Union könne ihre Pläne aufgeben, bewaffnete Einsätze künftig schneller und ohne Parlamentsbeteiligung zu beschließen.

In einem Grundsatzurteil von 1994 hatte das Bundesverfassungsgericht erstmals die – grundsätzlich vorherige – Zustimmung der Volksvertreter für »bewaffnete Einsätze« deutscher Soldaten angeordnet; ein entsprechendes Gesetz wurde 2005 erlassen.

Im konkreten Fall waren die vier AWACS-Maschinen zwar unbewaffnet – allerdings sollten sie im Ernstfall Aufklärungsdaten für die Raketenabwehr liefern. Die rot-grüne Bundesregierung hatte die Flüge der unbewaffneten Maschinen als »Bündnisroutine« bezeichnet. Mit dieser Begründung ließ sie das Parlament außen vor.

Dem Urteil zufolge endet mit der Anwendung militärischer Gewalt der weit bemessene Gestaltungsspielraum der Exekutive im auswärtigen Bereich. Der Bundestag ist nach den Worten der Richter ein »wesentliches Korrektiv« zur ansonsten dominierenden Rolle der Bundesregierung. Denn Grundsatzfragen der NATO-Strategie oder auch die Mitwirkung an der Willensbildung über konkrete Bündniseinsätze lägen ganz wesentlich in den Händen der Regierung. Umso wichtiger sei die Verantwortung des Parlaments für bewaffnete Außeneinsätze: »Jeder Einsatz kann von der begrenzten Einzelaktion in eine größere und länger währende militärische Auseinandersetzung münden, bis hinein in einen umfänglichen Krieg.«

* Aus: Neues Deutschland, 8. Mai 2008


Keine Entwarnung

Von Jürgen Elsässer *

Karlsruhe profiliert sich immer stärker als Widerpart der Ultra-Fraktion in der deutschen Politik. Im März machte das Bundesverfassungsgericht Furore, als es das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung stoppte, wenigstens vorläufig. Jetzt haben die Hüter des Grundgesetzes unkontrollierte Kriegseinsätze verurteilt. Es ging um den AWACS-Einsatz während des Irak-Krieges 2003. Die Schröder-Regierung sah das damals als »Routineeinsatz«, die Maschinen seien unbewaffnet und nicht am gleichzeitigen US-Bombardement im Zweistromland beteiligt. Karlsruhe beurteilte das jetzt anders: Ein »bewaffneter Einsatz« liege bereits dann vor, wenn »greifbare tatsächliche Anhaltspunkte« bestünden, dass deutsche Soldaten in militärische Konflikte verwickelt werden könnten.

Die Bundesregierung darf also nicht, wie das der Lissabonner EU-Vertrag und die neue Sicherheitsstrategie der Union vorsehen, ohne Parlamentszustimmung Truppen in Krisengebiete schicken. Doch die CDU/CSU hat gestern verkündet, trotz des Urteils an ihrem Vorhaben festzuhalten. Wer eine europäische Armee wolle, dürfe nicht auf dem Einspruchsrecht nationaler Parlamente beharren.

Es läuft auf einen Machtkampf hinaus: Die CDU-Extremisten werden versuchen, die deutsche Verfassung und ihre Karlsruher Hüter mit Hilfe der EU-Kommision und des EU-Verfassungsgerichts auszuhebeln.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Mai 2008


Rechtsbeugung in Oliv

Entscheidung zu AWACS-Flügen

Von Ulla Jelpke **


Beim Umbau der Bundeswehr zur Angriffsarmee löst ein Verfassungsbruch den anderen ab. »Das Grundgesetz hat die Entscheidung über Krieg und Frieden dem Deutschen Bundestag als Repräsentationsorgan des Volkes anvertraut.« Daß das Bundesverfassungsgericht in seiner gestrigen Entscheidung diese Selbstverständlichkeit betonte, demonstriert die frappierende Art, in der die Bundesregierungen – egal in welcher Zusammensetzung – das Grundgesetz mißachten.

Mit der Ansage, sich dem Irak-Krieg zu verweigern, hatten SPD und Grüne die Wahlen im Jahr 2002 mit Mühe gewonnen. Tatsächlich hat Deutschland den Krieg nach Kräften unterstützt: Die Bundeswehr stand Posten vor US-Kasernen, die Angreifer durften Waffen und Soldaten ungestört durch den deutschen Luftraum schleusen. Zur deutschen Schützenhilfe gehörte auch die Beteiligung an den AWACS-Flugzeugbesatzungen, die nicht nur den türkischen, sondern auch den irakischen Luftraum überwachen und damit mögliche Ziele für die »Koalition der Willigen« ausmachen konnten. Es war nicht ausgeschlossen, daß der Irak sich mit Gegenschlägen auf den Nato-Staat Türkei zur Wehr setzt. Daß Bundeswehrsoldaten angegriffen werden bzw. selbst zur Waffe greifen, hatten SPD und Grüne mit Unterstützung von CDU/CSU in Kauf genommen. Um die Öffentlichkeit in dem falschen Glauben zu wiegen, die BRD halte sich aus dem Krieg heraus, wurde der Bundestag übergangen.

Daß die deutschen Unterstützungsleistungen für den Irak-Krieg grundgesetzwidrig waren, hat schon im Jahr 2005 das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Es gab dem Major Florian Pfaff Recht, der zu den wenigen Bundeswehroffizieren gehörte, die sich damals verweigerten und dafür disziplinarisch gemaßregelt wurden. 2006 folgte das Verfassungsurteil gegen das Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuß »verdächtiger« Zivilflugzeuge bei Terroralarm erlauben sollte.

Während Karlsruhe gestern die Parlamentsrechte stärkte, forderten die Unionsparteien zeitgleich, sie praktisch abzuschaffen. Die Sturmeinheiten der EU, die sogenannten Battle Groups, gelte es so schnell wie möglich ins Ausland zu schaffen, für die parlamentarische Beratung sei da keine Zeit. Wohlgemerkt: Wir reden nicht von der Abwehr eines Angriffs auf Deutschland, sondern von Angriffskriegen aus Deutschland heraus. Auf UN-Mandate soll verzichtet werden, es genüge, so heißt es im CDU/CSU-Sicherheitspapier, »in Verfolgung der Ziele« der UNO zu handeln. Das ist Rechtsbeugung im Dienste des Militarismus, und das haben die obersten Richter nun deutlich erschwert.

Ein Grund zur Entwarnung ist das nicht: Auch der klagenden FDP ging es weniger darum, die Militarisierung der Politik grundsätzlich zu bremsen, sondern eher darum, dabei als Fraktion mitbestimmen zu können.

** Aus: junge Welt, 8. Mai 2008


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