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Machtkonzentration oder Entmachtung des Militärs?

Zwei Beiträge zum Dresdner Erlass der Bundeswehr: Otfried Nassauer (BITS) und Michael Haid (IMI)


Zum 1. April 2012 trat der sog. Dresdner Erlass in Kraft, den wenige Tage zuvor Verteidigungsminister de Maizière in Dresden verkündet hatte. Der Name des Erlasses ist so sperrig wie der ganze Vorgang: "Grundsätze für die Spitzengliederung, Unterstellungsverhältnisse und Führungsorganisation im Bundesministerium für Verteidigung und der Bundeswehr". Dennoch handelt es sich um einen zentralen Baustein zur "Neuausrichtung" der Bundeswehr, die ein Herzensanliegen des gegenwärtigen Ministers ist. In den beiden folgenden Beiträgen wird der politische Kern des Dresdener Erlasses diskutiert, wobei insbesondere die alte und neue Stellung des Generalinspekteurs eine Rolle spielt.

Den Erlass selbst können Sie hier herunterladen: Dresdner Erlass


BEITRAG 1:

Entmachtung der Militärs? Der Dresdner Erlass der Bundeswehr

Ein Beitrag von Otfried Nassauer aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *

Andreas Flocken (Moderation):
Vor rund drei Monaten hat Verteidigungsminister de Maizière den sogenannten Dresdner Erlass bekanntgeben. Geregelt werden darin u.a. die Befugnisse der Spitzenmilitärs und ihr Verhältnis zur zivilen Führung im Ministerium. Offiziell ist der Generalinspekteur, also der ranghöchste Soldat der Bundeswehr, nun „Teil der Leitung des Bundesverteidigungsministeriums“, wie es in dem Erlass heißt. Für Kritiker ist der Generalinspekteur in der Praxis aber geschwächt, ja sogar entmachtet worden. Und das werde negative Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit der Truppe haben, so die Befürchtung. Zum Streit um den Dresdner Erlass, Otfried Nassauer:


Manuskript Otfried Nassauer

Seit Gründung der Bundeswehr haben drei Minister versucht, die Machtverhältnisse im Verteidigungsministerium neu zu regeln. Mit dem Blankeneser Erlass legte Helmut Schmidt 1970 die Grundlagen. Über Jahrzehnte wandelten seine Nachfolger den bewährten Erlass nur ab. Grundlegend verändert wurde er nicht. Das geschah erst 2005 durch Peter Struck mit dem Berliner Erlass. Struck kam zu der Erkenntnis, dass die Regelungen des Kalten Krieges nicht mehr ausreichend waren. Denn die Bundeswehr hat sich nach dem Fall der Mauer zu einer Armee im Einsatz entwickelt, die regelmäßig in kleinen und größeren Konflikten eingesetzt wird. Nun hat sich erstmals ein CDU-Minister an dieser Aufgabe versucht. Thomas de Maizière stellte im März auf den Tag genau 42 Jahre nach Schmidts Blankeneser Erlass seinen Dresdner Erlass vor.

Zentrales Thema aller drei Erlasse ist das Verhältnis von Militär und Politik im Verteidigungsministerium - die Frage, wie der „Primat der Politik“ gegenüber dem Militär in einer Demokratie sichergestellt werden kann. Welche Stellung kommt dem Generalinspekteur gegenüber dem Minister und der zivilen Leitung des Ministeriums zu? Wie wird der Primat der Politik in der Leitung des Ministeriums gelebt?

De Maizière begann bei der Vorstellung seines Dresdner Erlasses mit einem Zitat von Helmut Schmidt aus dem Jahr 1970:

O-Ton de Maizière
„Die bisherige Organisation des Ministeriums hat sich als nicht klar und eindeutig herausgestellt. Vor allem die Verantwortung des Generalinspekteurs für die Gesamtaufgaben der Streitkräfte und die Verantwortung der Inspekteure für die Einsatzbereitschaft ihrer Teilstreitkräfte treten zu wenig hervor.“

So die Einleitung des Blankeneser Erlasses durch Helmut Schmidt. De Maizière zitierte dann auch noch zustimmend einen Kommentar des SPIEGEL, der damals festgestellt hatte:

O-Ton de Maizière
„Der Minister will Generale, die für ihren Laden verantwortlich sind und die er deshalb auch für Missstände zur Verantwortung ziehen kann.“

Das Zitat macht deutlich, worum es damals Helmut Schmidt ging und was heute auch De Maizière wichtig ist. Wie damals der Sozialdemokrat sieht sich heute auch der CDU-Politiker als ein „starker Minister“, der den Primat der Politik gegenüber der militärischen Führung gewahrt wissen will. Helmut Schmidt wusste Ulrich de Maizière an seiner Seite, den Vater des heutigen Verteidigungsministers. Schmidt achtete ihn als starken Generalinspekteur. Viele konservative Generale dagegen betrachteten Ulrich de Maizière damals als schwachen Generalinspekteur. Er war ihnen zu intellektuell, zu wenig konservativ und nicht traditionsbewusst genug. Schmidt dagegen fand in Ulrich de Maizière einen Partner, um mit ihm die Idee einer vom Primat der Politik kontrollierten Armee in der Demokratie umzusetzen. Die Streitkräfte selbst sollten ein Garant der demokratischen Staatsform werden.

Thomas de Maizière sieht sich mit dem Dresdner Erlass in dieser Tradition. Wie Helmut Schmidt und Peter Struck setzt er den Hebel bei der Stellung des Generalinspekteurs innerhalb des Verteidigungsministeriums an. Das Ministerium soll eine Führungsstruktur erhalten, in der die Einsätze der Bundeswehr aus einer Hand geführt werden können. Der Primat der Politik soll dabei in vollem Umfang gewährleistet bleiben.

Während des Kalten Krieges war der Generalinspekteur im Kreis der Inspekteure der Bundeswehr „Primus inter pares“. Er hatte keine Befehlsgewalt über die Truppe, keine Disziplinargewalt. Nun wird der Generalinspekteur aufgewertet und zugleich durch die Politik verstärkt in die Verantwortung genommen. De Maizière will, dass der Generalinspekteur künftig oberster Soldat, oberster militärischer Befehlshaber und alleiniger Dienstvorgesetzter aller Soldaten ist. Er soll die Einsätze der Bundeswehr aus einer Hand führen und verantworten. Die Inspekteure der Teilstreitkräfte werden aus dem Ministerium ausgegliedert und sind dem Generalinspekteur künftig unterstellt. Sie sollen die Truppen stellen, die dieser im Einsatz führt. Der Generalinspekteur soll praktisch ein Generalstabschef sein. De Maizière erläutert das Ziel:

O-Ton De Maizière
„Die neue Struktur stattet den Generalinspekteur mit allen Mitteln und Befugnissen aus, mit denen er als ranghöchster Soldat tatsächlich und erfolgreich führen kann, um die ihm bisher schon gestellten Aufgaben zu erfüllen.“

Der Generalinspekteur wird aber auch in die Verantwortung genommen. Er ist dem Minister verantwortlich, wann immer etwas bei einem Bundeswehreinsatz schief geht. Beispielsweise wenn die Disziplin in der Truppe zu wünschen übrig lässt oder wenn es bei der Streitkräfteplanung oder der Ausrüstung im Einsatz hapert. Der Generalinspekteur wird also nicht nur mächtiger, er wird auch verletzlicher. Er kann vom Minister zur Verantwortung gezogen und schnell geschasst werden. Bei den Skandalen und Skandälchen kann er als Schutzschild des Ministers fungieren oder zu dessen Damenopfer gemacht werden.

Kritik – vor allem aus konservativen Kreisen – wurde daher an drei Punkten laut: Der Generalinspekteur werde entmachtet, weil er zentrale Zuständigkeiten für die Bundeswehrplanung verliere. Er könne nicht mehr dafür sorgen, dass die Streitkräfte auch alle Fähigkeiten haben, die diese für erfolgreiche Einsätze brauchen. Er werde entmachtet, weil er einem beamteten Staatssekretär unterstellt werde und nur über diesen Zutritt zum Minister habe. Schließlich werde er dadurch geschwächt, dass er im Ministerium nun nur noch drei Abteilungen führe und in vielen Fragen auf die Zuarbeit von Bereichen des Ministeriums angewiesen sei, die ihm nicht unterstellt sind.

Harald Kujat, früher selbst Generalinspekteur, hat diese Kritik gegenüber NDR Info kürzlich auf ihren sachlichen Kern reduziert. Kujat machte u.a. darauf aufmerksam, dass es durchaus berechtigt sei, wenn der Generalinspekteur in vielen Alltagsfragen nur über einen beamteten Staatssekretär an den Minister herantreten könne. Es gebe aber auch Bereiche, in denen dies nicht der Fall sein dürfe. Denn der Verteidigungsminister sei auch Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, wenn die Bundeswehr im Einsatz sei. Werden diese nun vom Generalinspekteur aus einer Hand geführt und verantwortet, dann müsse er in allen dafür relevanten Fragen auch einen direkten Zugang zum Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt haben. Der Umweg über einen Staatssekretär, sei dann kein Erfordernis des Primats der Politik, sondern ein fachlich falsches Unterstellungsverhältnis. Harald Kujat:

O-Ton Kujat
„Der Minister ist ja Ressortchef und für diesen Zweck hat er auch die beamteten Staatssekretäre. Aber in seiner Funktion als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt muss er ein enges, direktes Verhältnis zu seinem Generalinspekteur haben.“

In dem Dresdner Erlass sei nicht geregelt, in welchen Fällen der Generalinspekteur ein direktes Vortragsrecht beim Minister habe. - Eine berechtigte Kritik. Der Dresdner Erlass ist in diesem Punkt nicht klar und eindeutig. Ein Versäumnis, das der Verteidigungsminister nachbessern sollte.

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 30. Juni 2012; www.ndrinfo.de

Hier geht es zum Dresdner Erlass:

Grundsätze für die Spitzengliederung, Unterstellungsverhältnisse und Führungsorganisation im Bundesministerium für Verteidigung und der Bundeswehr
Erlass des Bundesministers für Verteidigung mit Wirkung vom 1. April 2012




BEITRAG 2:

Machtkonzentration durch die Umstrukturierung des Verteidigungsministeriums

Von Michael Haid **

Gegenwärtig befindet sich die Reform der Bundeswehr in der sogenannten Feinausplanung. In dieser Phase wurde jüngst die Kompetenzverteilung der politischen und militärischen Führungsstruktur des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) und der Bundeswehr völlig neu geregelt. Thomas de Maizière (CDU) unterzeichnete am 21. März 2012 im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden die „Grundsätze für die Spitzengliederung, Unterstellungsverhältnisse und Führungsorganisation im Bundesministerium der Verteidigung und der Bundeswehr“.[1] Der Dresdner Erlass trat am 1. April 2012 in Kraft. Er ist der dritte Erlass dieser Art in der Geschichte der Bundeswehr nach dem Blankeneser Erlass von 1970 und dem Berliner Erlass von 2005. In seiner die Unterzeichnung begleitenden Rede bezeichnete der Bundesverteidigungsminister den Erlass als den „zentralen Baustein der Neuausrichtung“[2] der Bundeswehr. Grund genug also, diese Neuregelung im Folgenden genauer unter die Lupe zu nehmen.

Legitimation für die Gegenwart durch Abgrenzung von der Geschichte

Zunächst eine Anmerkung zur Bedeutung des Ortes, an dem die Vorstellung des Erlasses stattfand. Die Wahl des Ortes für die Unterzeichnung sei auf das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden gefallen, um den Unterschied der Funktion der Bundeswehr heute und die des deutschen Militärs vor 1945 zu verdeutlichen. Der Minister betonte einleitend in seiner besagten Rede: „Die Geschichte warf ihre Schatten. Aus diesem Grund habe ich Sie für den heutigen Anlass hier in das Militärhistorische Museum in Dresden gebeten. Dieses Museum ist ein guter Ort, um drastisch den Unterschied vor Augen zu führen, ob Führung im Militär aus undemokratischem Machtstreben oder aus demokratisch gebundenem Verantwortungsbewusstsein heraus ausgeübt wird. In der deutschen Geschichte findet sich dazu mancher Abgrund. Nie wieder sollte eine wie auch immer geartete militärische Führung aus Deutschland zum Nachteil anderer wirken.“[3] Und weiter: „Deshalb sind heute, 42 Jahre nach dem Blankeneser Erlass, die Sorgen von früher gegenstandslos geworden. Wir brauchen nicht mehr gegen Gespensterargumente antreten. Wir müssen nicht mehr Organisationsentscheidungen aus Sorge vor Missbräuchen treffen, sondern danach, was wir heute und für die Zukunft brauchen und richtig finden.“[4] Offenbar versucht Thomas de Maizière sich mit dieser Argumentation demonstrativ von der Vergangenheit abzugrenzen, damit einen Lerneffekt aus der deutschen Geschichte zu suggerieren und auf diese Weise letztendlich die gegenwärtigen Einsätze der Bundeswehr sowie die Entscheidung, mit diesem Erlass die Kompetenzverteilung in der Führungsebene von BMVg und Bundeswehr neu zu ordnen, zu legitimieren.[5]

Zwar ist die heutige Bundeswehr in vielerlei Hinsicht nicht mit der Rolle des deutschen Militärs in der Vergangenheit vergleichbar. Gegenstandslos sind die Sorgen von früher auch heute jedoch keinesfalls und dürfen es auch nie werden. Von grundlegender Bedeutung muss es nach wie vor sein, dass die Öffentlichkeit über Vorgänge in der Bundeswehr frühzeitig unterrichtet wird, wie eine Kommentatorin der Stuttgarter Zeitung kritisiert: „Dennoch hat de Maizière einen schweren Fehler gemacht. Denn in Abgrenzung zur Wehrmacht der Nazizeit wurden Fragen der Machtbegrenzung und Kompetenzverteilung in den Streitkräften seit Gründung der Bundeswehr stets als hochpolitische und öffentliche Angelegenheiten behandelt. Das ist eine gute Tradition, die de Mazière jetzt (…) geschliffen hat.“[6] Denn der Bundesverteidigungsminister habe den Erlass wie eine geheime Kommandosache behandelt. Bis kurz vor der Vorstellung in Dresden hätten selbst Offiziere und Verteidigungspolitiker nichts vom Inhalt der Neuregelungen gewusst.

Des Weiteren müsste eine effektive parlamentarische Kontrolle eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, wenn der Bundesverteidigungsminister dem Anspruch einer Parlamentsarmee gerecht werden wollte. Aber auch hier ist Vorsicht geboten, wie dieselbe Kommentatorin zurecht aufzeigt. Denn aus folgendem Grund sei außer dem verteidigungspolitischem Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ernst-Reinhard Beck (CDU), kein anderer Bundestagsabgeordneter in Dresden anwesend gewesen: „Viele Verteidigungspolitiker sind auch verärgert, dass sie heftig kämpfen mussten, um den Zugang des Ausschusses zu den Inspekteuren der Truppe aufrechtzuerhalten. Zunächst sei geplant gewesen, dass die Chefs der Teilstreitkräfte künftig nur noch auf Antrag im Ausschuss erscheinen dürfen und dass sie sich jeden Auftritt im öffentlichen Raum unter Nennung des jeweiligen Themas genehmigen lassen müssen. Drei Fragerunden im Ausschuss habe es gebraucht, bis de Maizières Statthalter, Staatssekretär Stéfane Beemelmans, diese Idee wieder fallengelassen habe.“[7]

Kompetenzkonzentration in der neuen Stellung des Generalinspekteurs

Bislang war aus historischen Gründen die Kompetenzverteilung in der Bundeswehr dezentral organisiert. Keine der Spitzenfunktionen bekam besonders viel Macht zugeordnet, um eine Machtkonzentration in den Händen einer oder weniger Personen zu verhindern. Außerdem war die politische Leitung des BMVg nach dem Grundsatz des Primats der Politik immer mit zivilem Personal (bestehend aus dem Minister, seinen zwei parlamentarischen Staatssekretären und zwei beamteten Staatssekretären) nie mit Militärs besetzt. Auch galt eine grundsätzliche Trennung im Geschäftsbereich des BMVg zwischen dem zivilen und dem militärischen Organisationsbereich. Ausdruck hiervon ist, dass – verfassungsrechtlich in Artikel 87b Abs. 1 GG verankert – die Bundeswehrverwaltung als bundeseigene Verwaltung mit eigenem, von den Streitkräften unabhängigem Verwaltungsunterbau geführt wird. Der Bundeswehrverwaltung sind die Aufgaben des Personalwesens und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs, insbesondere der Rüstungsgüterbeschaffung der Bundeswehr zugewiesen. Mit Bedacht wurde bei Gründung der Bundeswehr die Verantwortlichkeit für die Beschaffung der Rüstungsgüter nicht in die Hände der militärischen Führungsebene gelegt, sondern einer gesonderten (zivilen) Verwaltung anvertraut (siehe unten). Diese Grundsätze gehören seit dem Dresdner Erlass der Vergangenheit an, beziehungsweise existieren in dieser Form nicht mehr.

Die wesentlichsten Punkte des Erlasses sind, dass erstens die Stellung des Generalinspekteurs der Bundeswehr wesentlich gestärkt wird. Diese Neuerung betonte Thomas de Maizière in seiner Rede ganz besonders: „Der Generalinspekteur wird mit alledem Befugnisse haben, wie kein Generalinspekteur vor ihm. Auch international ist unser ‚CHOD‘ [Chief of Defense, Anm. MH] stark im Vergleich zu vielen NATO-Partnern. Ich halte das für richtig und auftragsangemessen.“[8]

Der jetzige Generalinspekteur Volker Wieker wird demnach zukünftig höchster militärischer Repräsentant der Bundeswehr und militärischer Berater der Bundesregierung sein. In dieser Funktion ist er für die „Gesamtkonzeption der militärischen Verteidigung einschließlich der Planung und der Weiterentwicklung sowie für die Führung der Streitkräfte verantwortlich.“[9]

Im Einzelnen: Der Generalinspekteur wird zukünftig eine Doppelfunktion einerseits als truppendienstlicher Vorgesetzter aller Soldaten innehaben und andererseits Teil der – bislang rein zivilen – Leitung des BMVg sein, in dieser Funktion aber zumindest noch den Staatssekretären unterstellt bleiben.[10] Zur Wahrnehmung dieser Doppelaufgabe werden für ihn drei Abteilungen mit den Bezeichnungen „Planung“, „Führung Streitkräfte“ und „Strategie und Einsatz“ neu gegründet und ihm unmittelbar zugeordnet.

Daneben obliegt dem Generalinspekteur auch künftig die Steuerung der Auslandseinsätze durch die Abteilung „Strategie und Einsatz“ sowie durch das Einsatzführungskommando in Potsdam. Letzteres wird dadurch gestärkt, dass der bisherige Dualismus zwischen einem Einsatzführungsstab im Ministerium und einem Einsatzführungskommando außerhalb des Ministeriums abgeschafft wird.

Zusätzlich ist der Generalinspekteur Vorsitzender eines neu gegründeten Militärischen Führungsrats (MFR). Dieser Rat dient der Vorbereitung von Entscheidungen; ihm wird aber keine formellen Entscheidungskompetenzen zukommen.

Als zweite Neuordnung wird die Position der Inspekteure der militärischen Organisationsbereiche (der Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine) sowie der Streitkräftebasis und des Zentralen Sanitätsdienstes abgeschwächt und – anders als bisher – dem Generalinspekteur unterstellt. Die bisherige Doppelrolle der Inspekteure als Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium und Führer der jeweiligen Teilstreitkraft wird aufgegeben. Künftig nehmen sie nur noch letztere Funktion außerhalb des Ministeriums wahr.[11]

Als dritte Neuregelung sollen die Abteilungen im BMVg, aber auch nachgeordnete Behörden und Dienststellen, verstärkt gemischt mit militärischem und zivilem Personal besetzt werden.[12] Welche Vorbehalte zivile Dienststellen gegenüber dieser Vermischung haben – abgesehen davon, dass die gegenseitige, traditionelle Abneigung zwischen militärischen und zivilen Abteilungen des BMVg als offenes Geheimnis gilt – verdeutlicht ein Beitrag des Informationsdienstes Griephan. Dieser der Bundeswehr nahe stehende Dienst kommentiert ablehnend einen Artikel der Rheinzeitung vom 12. März 2012, der die Zuführung militärischen Personals in das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB), das künftig in das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) aufgehen wird, kritisiert. Für das Verständnis, welche Bedeutung dieser militärisch-zivilen Vermischung behördenintern zukommt (nach der Rheinzeitung komme das Reformprojekt einer Kulturrevolution gleich), sind die bei Griephan wiedergegebenen Äußerungen des Bundesvorsitzenden des Verbands der Beamten in der Bundeswehr sehr aufschlussreich. Der Verbandsfunktionär bemängelt vor allem aus verfassungsrechtlichen Gründen die disziplinarrechtliche Unterstellung von Beamten gegenüber Soldaten: „Denn die personelle Mischkalkulation weckt vor allem Befürchtungen: ‘Wir haben ein Problem damit, Spitzenpositionen für beide Bereiche freizugeben’, warnt der Bundesvorsitzende des Verbands der Beamten in der Bundeswehr, Wolfram Kamm… Es sei verfassungsrechtlich bedenklich, hohe Posten, die bislang Zivilisten inne hatten, nun auch mit Uniformträgern zu besetzen. ‘Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Soldat einem Beamten disziplinarrechtlich vorgesetzt ist.’“[13]

Die einleitend angesprochenen Grundsätze wurden mit der Gründung der Bundeswehr 1956 eingeführt. Sie galten als Absicherung vor einer zu starken Stellung der militärischen Führung im Staat. Mit dem Dresdner Erlass wurde nun ein bedenklicher Schritt in die falsche Richtung unternommen.

Anmerkungen:
  1. Thomas de Maizière: Grundsätze für die Spitzengliederung, Unterstellungsverhältnisse und Führungsorganisation im Bundesministerium der Verteidigung und der Bundeswehr, Dresden, 21. März 2012.
  2. Thomas de Maizière: Rede anlässlich der Vorstellung der Nachfolgeregelung zum Blankeneser und Berliner Erlass am 21. März 2012 im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden.
  3. Thomas de Maizière: Rede, aaO.
  4. Thomas de Maizière: Rede, aaO.
  5. Zur legitimierenden Funktion des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr vgl. Thomas Mickan: Wenn der Kontext das Problem ist: Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden, in: Thomas Mickan/ Lucius Teidelbaum: Das Militärhistorische Museum in Dresden – zwei Blickwinkel, IMI-Standpunkt Nr. 3/2012.
  6. Bärbel Krauß: Schwerer Fehler, in: www.stuttgarter-zeitung.de, 22. März 2012.
  7. Bärbel Krauß: De Maizière sorgt für Ärger, in: www.badische-zeitung.de, 22. März 2012.
  8. Thomas de Maizière: Rede, aaO.
  9. Thomas de Maizière: Grundsätze, aaO, II Nr. 1.
  10. Thomas de Maizière: Ergänzende Festlegungen zu den Grundsätzen für die Spitzengliederung, Unterstellungsverhältnisse und Führungsorganisation im Bundesministerium der Verteidigung und der Bundeswehr, Dresden, 21. März 2012.
  11. Vgl. insgesamt zu den Neuregelungen Thomas de Maizière: Grundsätze, aaO; ders.: Ergänzende Festlegungen zu den Grundsätzen, aaO.
  12. Vgl. ausführlicher Thomas de Maizière: Grundsätze, aaO, II Nr. 6.
  13. Griephan Briefe, Nr. 13, 26. März 2012, S. 4.
** IMI-Standpunkt 2012/020 (update, 2.4.2012); www.imi-online.de


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