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Stimmungsbilder von der Front

Welchen Eindruck vermitteln die Kriegsberichte?

Ein Prosit der Gemütlichkeit in Dschibuti Ein Viertel der deutschen Flotte liegt nun vor Afrika und wartet auf die Befehle des US-Kommandos Von Christoph Link (Dschibuti) Die Akklimatisierung dauerte nur einen Tag. Beim Landgang am Wochenende fühlten sich die deutschen Matrosen von der Fregatte "Bayern", die am Pier von Dschibuti angelegt hatte, in Afrika schon wie zu Hause. Oder wie in Mallorca. In Gruppen zogen die in Khaki-Uniform und Schlapphut gekleideten Marineangehörigen durch Dschibutis weiße Innenstadt und besetzten am zentralen Menelik-Platz die Brasserie "Historial": "Ein Prosit der Gemütlichkeit!" und "Prost ihr Säcke, Prost du Sack!" sang man laut am langen Tisch. Aber die hohen Preise - sechs Euro die Flasche - bremsten den Bierkonsum, in der "Bayern"-Mannschaftsmesse gibt's kühles Weißbier vom Fass für 30 Cent. Richtig unangenehm fielen nur wenige Deutsche auf: Eine sechsköpfige Matrosengruppe stoppte am Menelik-Platz brüllend und gestikulierend einen mit Hausfrauen besetzten Minibus, der auf dem Weg zum Markt war. "Wir wollen den Bus! Wir warten fünf Minuten, länger nicht!" herrschte ein schwitzender Bootsmann den Fahrer an. Der glaubte an ein gutes Geschäft, gab Vollgas und verursachte prompt einen Unfall - mit Blechschaden. "Die Deutschen müssen lernen. In Afrika sollte man sich gut benehmen", meinte ein Franzose, der die Szene gesehen hatte. Dschibuti ist eine ruhige Stadt, die Hitze von 40 bis 45 Grad im Sommer - jetzt im Winter sind es "nur" 28 Grad - zügelt die Temperamente. Am Nachmittag sind viele der einheimischen Männer nur bedingt ansprechbar, sie kauen die Blätterdroge Khatt und liegen im Schatten von Bäumen und Häusern. Die 2700 französischen Soldaten, die seit der Unabhängigkeit von 1977 in der Stadt stationiert sind, kennen die Regeln, halten aber an ihrem Lebensstil fest. Auf Mountainbikes und im Muskelshirt sieht man sie die Alleen auf und ab radeln, sie kaufen ein in französischen Supermärkten, und abends gehen Fremdenlegionäre in kurzen Hosen, Kniestrümpfen und weißen Käppis in die Bars - ein Bild wie aus der Kolonialzeit. Noch fühlen sich die Franzosen als die Platzhirsche in Dschibuti, und die Deutschen akzeptieren das. "Mützen ab!" kommandiert ein Fremdenlegionär im "Historial" und brav nimmt eine Gruppe von Deutschen die blauen Baseballkappen mit der Aufschrift "Fregatte Bayern" vom Kopf. Der erste große Auslandseinsatz der deutschen Marine seit dem Zweiten Weltkrieg beginnt wohl organisiert und mit einer guten Moral in der Mannschaft. Fünf Monate lang hat die "Bayern", die zuvor in Toulon lag, den Heimathafen Wilhelmshaven allerdings nicht gesehen, drei Wochen dauerte die Fahrt zum Einsatzort.Vor allem die Heimatferne ist belastend. Seit einem Zwischenstopp in Kreta habe er mit der Freundin nicht mehr telefoniert, meint ein 21-jähriger Hauptgefreiter, doch er sei stolz, bei einem "richtigen Einsatz" dabei zu sein. Leider verbinde seine Familie mit Afrika immer nur "Erdbeben, Wüste und Haie". Ein anderer freut sich über die Auslandszulage, 53 Euro pro Tag. Wenn er heimkomme, sei der Opel-Corsa gesichert: "Den werde ich tieferlegen und tunen." Unter älteren Offizieren herrscht Genugtuung darüber, dass die jahrzehntelange Passivität der deutschen Marine vorbei ist. Einen wurmt immer noch, dass die Regierung Kohl beim Golfkrieg 20 Milliarden Mark Beitrag zahlte, die deutsche Flotte aber im Hafen ließ. Mit dem Geld hätte man "viel machen können", sagt er, "selbst die Dänen hatten damals ein Schiff geschickt". Kommentare der deutschen Presse, dass der Marineeinsatz "nutzlos" sei und es keinen Feind gebe, prallen in der Offiziersmesse ab wie Spritzwasser am Bug. Die Marine könne jetzt im Ernstfall zeigen, wie sie im geschlossenen Verband auftrete, sagt Flottenadmiral Gottfried Hoch. Drei Zerstörer, zwei Begleitschiffe, ein Versorger, ein Tankschiff, ein Transporter, fünf Schnellboote und vier Hubschrauber sollen im Arabischen Meer zusammenarbeiten - "alternativer Wirkverbund" heißt das im Marinedeutsch. Ein Viertel der deutschen Kriegsflotte ist jetzt in Dschibuti stationiert. Aber gegen wen geht es? Noch drei Wochen nach dem Auslaufen räumt Admiral Hoch ein, dass er "den Auftrag nicht kenne". Am Sonntag flog er von Dschibuti aus zum US-Marinestützpunkt Manamah in Bahrain, um die "Rules of Engagement", die Einsatzregeln, "auszuhandeln", wie er sagt. Zunächst wird Hoch die Militärführung in Potsdam informieren, dann muss das Verteidigungsministerium in Berlin sein Plazet geben. Vermutlich am morgigen Dienstag wird man Genaueres wissen. Solange bleibt der vage Auftrag, dass im Rahmen der US-Operation "Enduring Freedom" der Terrorismus bekämpft und Seeverbindungen freigehalten werden sollen. Mit Sudan und Somalia stehen zwei Länder der Region unter Verdacht, dass sie Osama bin Laden und seiner Al-Qaeda-Gruppe Unterschlupf bieten könnten. Hoch schloss einen Einsatz gegen Somalia jedoch aus. Entgegen Falschmeldungen habe man weder Infanteristen noch Kampfschwimmer an Bord. Eine denkbare Aufgabe ist die Kontrolle von verdächtigen Handelsschiffen. Bewaffnete "Boarding-Teams", die mit Hubschraubern oder Booten auf Handelsschiffe "zugehen" und sie kontrollieren, sind in Dschibuti dabei. Freundlich und gelassen sind die Deutschen am Horn von Afrika von der Bevölkerung aufgenommen worden - man verspricht sich gute Geschäfte durch die 100 Mann, die in Hotels untergebracht sind, und die 900 Mann auf den Schiffen. Später sollen bis zu 1800 Mann stationiert werden. Mit "Moin, moin" begrüßt mancher Souvenirhändler in der Stadt die Männer von der Nord- und Ostsee. Gastfreundschaft sei Dschibutis Lebenselixier, sagt Mohammed Robleh, der Direktor der Regierungszeitung Nation, und die Deutschen seien "sehr willkommen". Seit 23 Jahren, seit der Unabhängigkeit, lebe man davon, dass Schiffe diese Stadt anlaufen. Der Freihafen Dschibuti, der mit dem Slogan "An der Kreuzung dreier Kontinente" wirbt, erhofft sich Publizität durch die Deutschen: Dschibuti sei politisch stabil und es sei ideal als Lagerplatz, Umschlagplatz und für Industrieansiedlungen, sagt sein Marketingdirektor. Dschibutis kleine Marine hat zwei Boote bereitgestellt, die vor dem Hafen liegen und verdächtige Schiffe kontrollieren, und auf der Insel Maskali existiert ein Beobachtungsposten als Schutz für die Deutschen. Natürlich ist die Terrorattacke auf das US-Schiff "Cole" in Aden mit 17 Toten gut in Erinnerung. Auch auf der "Bayern" wird das Meer ständig auf Propellergeräusche abgehorcht, doch "gegen Selbstmord-attacken" könne man wenig ausrichten, heißt es in der Operationszentrale. Allein am Zentralmarkt von Dschibuti hört man kritische Stimmen von somalischen Flüchtlingen. Sollte es doch gegen Somalia gehe, wäre man damit nicht einverstanden: "Das sind doch unsere Brüder." Doch die Mehrheit der Dschibutis gehört zu den Völkern der Issa und Afar. Selbst wenn Somalia angegriffen würde, wäre ihm das "völlig egal", sagt Said Hussein, ein Afar und Soldat, der im Hafen Wache schiebt. [ document info ] Copyright © Frankfurter Rundschau 2002 Dokument erstellt am 27.01.2002 um 21:05:10 Uhr Erscheinungsdatum 28.01.2002