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Westerwelle: Nicht alles gut in Afghanistan

Regierung schiebt Verantwortung nach Kabul

Von René Heilig *

Noch sei nicht alles gut in Afghanistan, verkündete der Vizekanzler und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) am Freitag in einer Regierungserklärung. Das war nicht die einzige Plattheit, die Regierungsparteien im Bundestag zum Besten gaben.

Der Einsatz am Hindukusch sei »gewiss nicht populär, aber unverändert notwendig in unserem eigenen Interesse«, sagte Westerwelle. Doch wenn erst einmal ein Zustand erreicht ist, »der gut genug ist«, könne der Rückzug beginnen. Westerwelle stellte als Termin noch »diese Legislaturperiode« in Aussicht und betonte, es werde am deutschen Engagement trotz des strikten Sparhaushaltes nicht gekürzt. Bereits im nächsten Jahr wolle die NATO drei oder vier Provinzen in afghanische Verantwortung übergeben. Eine davon werde im von der Bundeswehr verwalteten Norden liegen.

Den Tagungsort Kabul für die anstehende Afghanistan-Konferenz am 20. Juli wertete Westerwelle als »Ausdruck unseres festen Willens«, die vollständige Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände zu legen. Er lobte die Friedens-Dschirga, die im Juni in Afghanistan zu Ende gegangen ist. 1600 Vertreter aller Ethnien hatten sich in einer Erklärung für ein Regierungsprogramm ausgesprochen, um die Verhandlungen mit Aufständischen voranzutreiben.

Verhandlungen, so der Linksabgeordnete Jan van Aken, seien der einzige Schlüssel zum Frieden, denn »selbst die größten Träumer« in der Bundesregierung »glauben ja wohl nicht ernsthaft, dass die Aufständischen in Afghanistan einfach kapitulieren«. Die Friedens-Dschirga hatte von den westlichen Staaten als Vertrauenbeweis gefordert, alle Gefangenen frei zu lassen, die ohne Anklage festgehalten werden, die Namen von Aufständischen von der internationalen Terror-Liste zu streichen und eine Sicherheitsgarantie für all die abzugeben, die sich an Friedensverhandlungen beteiligen. Da Westerwelle mit keinem Wort auf diese berechtigten Anliegen eingegangen ist, bot van Aken dem Außenminister einen Teil seiner Redezeit an, um zu den afghanischen Forderungen Stellung zu beziehen. Westerwelle verzichtete lächelnd.

SPD, Linkspartei und Grüne wollen auch den Kundus-Untersuchungsausschuss beleben und Kanzlerin Merkel sowie den Ex-Kanzleramtschef und heutigen Innenminister de Maizière hören. Verteidigungsminister zu Guttenberg soll via Bundesgerichtshof zur Gegenüberstellung mit Untergebenen gezwungen werden.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Juli 2010


Kriegskasse bleibt gefüllt

Von Rüdiger Göbel **

Elterngeld, BAföG, Gesundheitswesen, Rente – überall will die schwarz-gelbe Bundesregierung sparen, aber fürs Kriegführen ist genug Geld da. Mit Blick auf den in dieser Woche verabschiedeten Haushalt versicherte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in einer Regierungserklärung am Freitag im Bundestag: »An unserem Engagement in Afghanistan wird nicht gespart. Deutschland hält seine Zusagen.« Der Einsatz sei »gewiß nicht populär, aber unverändert notwendig in unserem eigenen Interesse«. Rund 4500 deutsche Soldaten bleiben auf unbestimmte Zeit treu an der Seite Washingtons im Kriegsgebiet. Nur vage formulierte Westerwelle, man wolle noch vor dem Ende der Legislaturperiode 2013 eine »Abzugsperspektive« erarbeiten – »wenn die Voraussetzungen stimmen«.

Für 2010 hat der Bundestag der Regierung die Rekordsumme von etwa 1,1 Millarden Euro für die deutsche Beteiligung am NATO-Krieg in Afghanistan bewilligt. Die direkten Kosten für die Bundeswehr werden in diesem Jahr damit voraussichtlich so viele Gelder verschlingen wie die gesamte zivile Wiederaufbauhilfe Deutschlands für Afghanistan von 2001 bis 2010. Die kompletten Kriegskosten von 2002 bis 2009 beziffert die Bundesregierung auf rund 3,6 Milliarden Euro. Das geht aus ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke hervor.

Die für die Besatzer immer desolater werdende Lage beschönigte Westerwelle mit den Worten: »Es ist nicht alles gut in Afghanistan.« Im Deutschlandfunk-Interview erklärte der FDP-Vorsitzende, die Situation sei »regional sehr unterschiedlich«. Wer glaube, »daß wir am Hindukusch europäische Verhältnisse schaffen können, der irrt«. Es müsse aber ein Zustand erreicht werden, der »gut genug« sei. Die NATO werde im nächsten Jahr drei bis vier Distrikte in die Hoheit afghanischer Sicherheitskräfte übergeben. Einer davon werde im Norden des Landes liegen, wo die Bundeswehr das Kommando führt.

Als weiteren »Erfolg« von neun Jahren Krieg und Besatzung führt Westerwelle an, daß die für den 20. Juli angesetzte internationale Afghanistan-Konferenz in Kabul stattfindet. Die Ortswahl sei ein Beweis dafür, daß im Prozeß der Übergabe der Verantwortung an die Afghanen eine »neue Etappe« erreicht worden sei.

Die US-Armee stimmt derweil ihre Verbündeten auf weitere Kriegstote ein. Der stellvertretende US-Oberkommandeur für Afghanistan, General David Rodriguez, erklärte in dieser Woche, daß man in Zukunft mit ähnlich hohen Verlustraten rechnen müsse wie im Juni. Im vergangenen Monat waren am Hindukusch 103 NATO-Soldaten getötet worden, darunter 61 US-Amerikaner. Die Rekordzahl könnte in den kommenden Monaten zur »neuen Normalität« werden, so der General.

Die Oberaufsicht über die Einsätze im Irak und in Afghanistan soll fortan James Mattis führen. US-Verteidigungsminister Robert Gates hat den Marineinfanteriegeneral als neuen Chef des US-Zentralkommandos (Centcom) berufen. Mattis soll den bisherigen Centcom-Chef David Petraeus ersetzen, der nun den Afghanistan-Krieg kommandiert. Die Nominierung muß noch vom US-Senat bestätigt werden. Mattis war zu Invasionsbeginn sowohl in Afghanistan als auch im Irak. Seine von Freunden geschätzte »große Neigung, freiweg zu reden« hat den General wiederholt ins Kreuzfeuer der Kritik gebracht. Besonders, als Mattis 2005 anläßlich einer öffentlichen Diskussion in San Diego von seinen »lustigen« Erlebnissen in Afghanistan sprach und seinen Einsatz dort als »Riesenspaß« (a hell of a hoot) beschrieb. Als daraufhin einige Soldaten unter den Zuhörern ungläubig lachten, erklärte er: »Es macht Spaß, ein paar Leute zu erschießen.« Mattis war im Irak an der Zerstörung der Stadt Falludscha beteiligt und dafür zum Vier-Sterne-General befördert worden.

** Aus: junge Welt, 10. Juli 2010


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