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Kreativ gegen Rekruten-Gelöbnis

Berliner Bündnis plant Proteste / Kritik an Aufruf

Von Jérôme Lombard *

»Krieg beginnt hier, Widerstand auch!« Unter diesem Motto mobilisiert das Berliner »Bündnis gegen Krieg und Militarisierung« gegen das jährlich stattfindende Bundeswehr Gelöbnis im Bendlerblock am Freitag. Das aufrufende Bündnis besteht aus diversen linken und antimilitaristischen Initiativen und Gruppen der Friedensbewegung. Um 17 Uhr soll sich eine Demonstration vom U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße in Richtung Verteidigungsministerium in Bewegung setzen.

»Der Zug wird an verschieden Orten, die direkt oder indirekt mit Krieg und Rüstung zu tun haben vorbeiführen«, sagt Alina Mayer, Mitorganisatorin der Proteste. Am Bendlerblock angekommen, seien auch kreative Aktionen geplant. Die Polizei hat aber die Abschlusskundgebung vor dem Verteidigungsministerium untersagt. Das Bündnis erwägt, Klage gegen diese Entscheidung einzureichen.

Nach zwei Jahren Unterbrechung wird in Berlin wieder gegen die öffentliche Vereidigung neuer Bundeswehrrekruten protestiert. »Die Bundeswehr will mit ihren Gelöbnissen eine emotionale Zustimmung erzeugen und die Akzeptanz der Bundeswehr und ihrer Kriegseinsätze in der Bevölkerung vergrößern. Wir positionieren uns entschieden gegen dieses militaristische Herrschaftsritual«, erklärt Mayer.

Seit 1999 finden Bundeswehrgelöbnisse jedes Jahr am 20. Juli in Berlin statt. Die Bundeswehr knüpft mit diesem Datum an den Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler durch die Gruppe um Graf von Stauffenberg an. Die Organisatoren des Protestes weisen in ihrem Aufruf darauf hin, dass Stauffenberg keineswegs als Demokrat bezeichnet werden könne. Vielmehr begrüßte er die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Auch habe er sich aktiv an der Ausbildung von SA-Leuten beteiligt. Im Aufruf wird die verstärkte Werbeoffensive der Bundeswehr in Jobcentern und Schulen kritisiert. In Zeiten der Wirtschaftskrise versuche sich das Militär als krisenfester Arbeitgeber darzustellen.

Weiterhin wird der Krieg in Afghanistan thematisiert. Nicht Deutschlands Freiheit würde am Hindukusch verteidigt, sondern knallharte Wirtschaftsinteressen. Die Veranstalter warnen zudem vor einer Militärintervention in Syrien. Das Bündnis spricht sich auch gegen einen Krieg gegen den Iran aus.

Hieran üben andere linke Aktivisten Kritik. Der diesjährige Aufruf zu den Gelöbnix-Protesten sei völlig undifferenziert und unzureichend. Die sehr komplexe Situation im Nahen Osten und speziell die vom Iran ausgehende nukleare Bedrohung für Israel werde überhaupt nicht thematisiert, so die Kritiker. Mehrere linke Gruppen haben deswegen angekündigt, nicht teilnehmen zu wollen.

In den vergangenen Jahren gelang es Protestierenden immer wieder, mit spektakulären Aktionen die Gelöbniszeremonie zu stören. Im Jahre 2000 errichteten Aktivisten vor der Julius-Leber-Kaserne in Reinickendorf ein mobiles Wohnzimmer und hielten so offizielle Gäste an der Fahrt zum Bendlerblock kurzzeitig auf. Im Folgejahr gaben sich zwei Aktivistinnen als die Töchter des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping (SPD) aus. Sie konnten unentdeckt das Gelände des Bendlerblocks erreichen und ketteten sich dort - mit Trillerpfeifen ausgestattet - an.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. Juli 2012


Soldaten wieder unter sich

Proteste gegen Bundeswehrgelöbnis in Berlin müssen auf Abstand bleiben

Von Frank Brendle **


Nach zweijähriger Unterbrechung wird es in Berlin wieder eine Demonstration gegen das jährliche Bundeswehrgelöbnis geben – aber auch diese darf nicht in Hör- und Sichtweite der Soldaten: Die Polizei hat den Anmeldern vom Berliner Bündnis gegen Krieg und Militär mitgeteilt, der Zug am kommenden Freitag müsse einige hundert Meter vor dem Verteidigungsministerium stoppen. »Während in München und Stuttgart der Protest in Sicht und Hörweite bei öffentlichen Gelöbnissen erlaubt ist, wird in Berlin wieder einmal die Versammlungsfreiheit eingeschränkt«, erklärte das Bündnis dazu. Ob es eine Klage gegen den Auflagenbescheid einlegt, war bei Redaktionsschluß noch nicht entschieden. In den vergangenen Jahren hatten die Verwaltungsgerichte häufig zugunsten der Bundeswehr geurteilt.

Die Gelöbnix-Demonstration beginnt ab 17 Uhr am U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße und wird unter anderem am Sitz des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), dem Außenministerium, dem Rüstungsunternehmen EADS Deutschland GmbH und an der US-Botschaft vorbeiziehen. Anschließend soll es soweit wie möglich Richtung Verteidigungsministerium im Bendler-Block gehen, wo das Gelöbnis von 19 bis 20 Uhr stattfinden soll. Im Anschluß an die Demonstration wird es in Kreuzberg ab 20 Uhr auf dem Heinrichplatz unter dem Motto »Das Volk lacht das Militär aus« eine Videokundgebung geben.

Auch wenn der Protest einmal mehr draußen bleiben muß, wird das Gelöbnis weniger pompös werden als in den Vorjahren. Das liegt zum einen an der Verlegung ins Verteidigungsministerium. Medienberichten zufolge hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) gegenüber der Bundeswehr darauf gedrängt, nicht jedes Jahr den Platz vor dem Reichstag in Anspruch zu nehmen. Das Gelöbnis soll nun in jährlichem Wechsel mal auf dem Appellplatz des Ministeriums, mal auf dem Reichstagsrasen stattfinden.

Anders als in den vergangenen Jahren wird es diesmal auch keine prominenten Gastredner geben. Früher wurden gezielt Vertreter ausländischer Regierungen eingeladen, auch die Altkanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl haben schon die Ansprache gehalten. Im vergangenen Jahr war der damalige Bundespräsident Christian Wulff dran. Diesmal bleibt es eine innermilitärische Angelegenheit: Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, spricht zu den 400 Soldaten. Bei diesen handelt es sich um sogenannte Freiwillige Wehrdienstleistende, die zwischen zwölf und 23 Monaten abdienen.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Juli 2012


Meine Sicht

Jérôme Lombard findet Gelöbnisse unheimlich ***

Alle Jahre wieder. Am morgigen Freitag findet das alljährliche »feierliche Gelöbnis« im Militärministerium statt. Wie jedes Jahr werden wieder neue Rekruten der Bundeswehr vor der Öffentlichkeit ihre Treue zu »Volk« und »Vaterland« geloben.

Eigentlich sind diese Gelöbnisse aber gar nicht so öffentlich. Egal ob vor dem Reichstag oder im Bendlerblock - jedes Jahr wird die militärische Manifestation hermetisch abgeriegelt. Polizeibeamte patrouillieren in den Straßen, am Himmel ist das Brummen eines Helikopters zu vernehmen. Obwohl das Versammlungsrecht ein Grundrecht ist, dürfen Proteste gegen das Gelöbnis in Berlin seit 2009 nicht mal mehr in Sicht- und Hörweite stattfinden. Der Protest soll verpuffen.

Staatstragende Politiker betonen bei medienwirksamen Spektakeln wie einem solchen Gelöbnis gerne die bedeutende gesellschaftliche Rolle der Bundeswehr. Bundespräsident Gauck forderte von der Öffentlichkeit kürzlich ein klares Bekenntnis zu ihr. Man müsse sich mit der kämpfenden Truppe und ihren Einsätzen identifizieren. Eine Identifikation mit deutschen Streitkräften? Klingt schon unheimlich! In einer demokratischen Gesellschaft muss es jedenfalls möglich sein, berechtigte Kritik an der Armee und ihren Waffengängen hör- und sichtbar zu bekunden.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. Juli 2012 (Kommentar)


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