Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nach Vorwürfen und Unfällen auf der Gorch Fock – Segelschulschiff ohne Zukunft?

Ein Beitrag von Andreas Dawidzinski aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *

Manuskript Andreas Dawidzinski

Die Gorch Fock ist der Stolz der Marine. Praktisch jeder Offizier war im Zuge seiner Ausbildung auf dem Drei-Master. Der Kommandant hat den Dienstgrad Kapitän zur See. Die Kommandanten der wesentlich größeren und moderne-ren Marine-Einheiten müssen sich mit einem niedrigeren Dienstgrad zufriedengeben.

Doch nach den Vorfällen auf dem Schiff hat Verteidigungsminister zu Gutten-berg die Zukunft der Gorch Fock in Frage gestellt:

O-Ton zu Guttenberg
„Ich habe zum einen angewiesen, dass die Gorch Fock unmittelbar in den Heimathafen zurückkehrt, dass die Gorch Fock so lange aus der Fahrbereit-schaft genommen wird, bis die Vorwürfe als solches geklärt sind, und im Zuge dessen eine Kommission ausgewertet hat, wie und ob das Ausbildungsschul-schiff Gorch Fock künftig gestaltet werden kann. Und ich sage das bewusst mit Blick auf die große Tradition dieses Schiffes.“

Die Betroffenheit in der Marine ist groß. Dabei ist die Frage, ob das Segel-schulschiff heute wirklich noch gebraucht wird, der Marine nicht grundsätzlich neu. Die Diskussion wird insbesondere nach einem Wechsel in der Marineführung regelmäßig neu geführt – allerdings nicht öffentlich. Bisher ist man immer zu dem Schluss gekommen, an der Gorch Fock festzuhalten. Der Zwang zu sparen und die Vorkommnisse an Bord des Schulschiffes könnten jetzt allerdings das Aus für die Dreimast-Bark bedeuten.

Denn die rund sechs Wochen dauernde seemännische Ausbildung an Bord dient vor allem der Teambildung. Die Offiziersanwärter sollen erfahren, wie wichtig Kooperation und Zusammenarbeit sind. Dieses Ziel kann man aber auch mit anderen Mitteln erreichen, an Land oder auf modernen Marine-Schiffen. Großbritannien, Frankreich und auch die US-Navy unterhalten bei-spielsweise keine großen Segelschulschiffe – halten diese für ein Relikt einer vergangenen Zeit.

Viele Marine-Offiziere empfinden die Reaktion des Verteidigungsministers auf die Gorch Fock-Affäre als Überreaktion. Dabei sind Probleme bei der Offiziers-ausbildung auf dem Segelschulschiff der Marine schon länger bekannt. Bei einer Befragung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr haben Offiziersanwärter bereits 2008, nach einem anderen tödlichen Unfall, das Sicherheitskonzept des Schiffes kritisiert. Beklagt wurden u.a., das „Klettern bei Nacht“ und das unter „Zwang aufentern“.

Offen ist, ob die Marine aus dieser Studie auch Konsequenzen gezogen hat. Nach Bekanntgabe der ersten Berichte über die Weigerung der angehenden Offiziere, nach dem tödlichen Absturz einer Kameradin wieder in die Takelage zu klettern, sagte Marine-Inspekteur Axel Schimpf im ZDF:

O-Ton Schimpf
„Die Gorch Fock ist für uns nach wie vor wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Wir schreiben unsere Ausbildung, wir schreiben unsere Konzepte ständig fort, um zeitgemäß zu bleiben und damit auch die Inhalte, die an Bord der Gorch Fock vermittelt werden.“

Das sehen inzwischen allerdings längst nicht mehr alle Offiziersanwärter so. Zwar bezeichnen viele Soldaten, die auf der Gorch Fock gefahren sind, die Ausbildung im Nachhinein als ein Highlight. Man werde an die eigenen Gren-zen geführt, und lerne manchmal, diese auch zu überschreiten. Es gibt aber auch kritische Stimmen. Nach dem tödlichen Unfall auf der Gorch Fock war zu hören, das sogenannte Aufentern, also das Steigen auf die Masten, sei freiwillig. Doch die Praxis sieht meist anders aus. Der Gruppendruck ist enorm groß. Ihm können sich die Offiziersanwärter nur schwer entziehen. Ein ehemaliger Marinesoldat, der bis 2004 vier Jahre Ausbilder auf der Gorch Fock war:

O-Ton Gorch Fock-Ausbilder
„Der Druck ist auf jeden Fall da. Und man wird dann zwar nicht gemobbt, aber man ist ein Außenseiter. Und man muss halt mit dieser Gruppe mitziehen und man will das auch. Man hat auf jeden Fall diesen Druck, auch in der Gruppe mit hochgehen zu müssen. Und es stehen dann auch die Ausbilder unten und versuchen, einen schnell hoch zu bringen. Das ist ja praktisch auch eine Parade. Es wird also auch geguckt, dass das alles synchron abläuft. Und dann beeilt man sich natürlich. Zwar soll es dieses Wettentern nicht geben. Aber der Unteroffizier will dann schneller sein als der Mannschaftsdienstgrad, und der Lehrgangsteilnehmer will auch schneller sein als die Segelcrew.“

Immo von Schnurbein war mehr als sechs Jahre Kommandant der Gorch Fock – bis 1992. Er kann die gegenwärtige Diskussion nicht verstehen. Für ihn stellte sich nie die Frage, ob das Besteigen der Masten freiwillig ist oder nicht:

O-Ton von Schnurbein
„Es wurde eigentlich selbstverständlich angenommen, dass das Aufentern in die Takelage Teil des Dienstbetriebes ist und eine durchaus einzufordernde dienstliche Leistung ist, die gar nicht zur Diskussion steht. Also ich habe auch in den Jahren, die ich auf der Gorch Fock war, und das war ja eine ganze Weile, das nie erlebt. Ich kann mich nicht erinnern, weder als junger Offizier, noch als Erster Offizier, noch als Kapitän, dass da jemand hin gestanden wäre, und gesagt hätte, nö ich geh hier nicht rauf. ... Das ist so, wie wenn jemand bei der Fallschirmtruppe sagt, ich spring nicht.“

Doch in der Gesellschaft hat sich inzwischen vieles verändert. Altgediente Offiziere klagen über mangelnde Fitness der jungen Soldaten. Diese wiederum sind – anders als früher - nicht mehr bereit, alles klaglos hinzunehmen. Alte Rituale und sinnloser Drill werden vom neuen Offiziersnachwuchs schon einmal in Frage gestellt. Es gibt zunehmend eine Kluft zwischen jung und alt, aber auch zwischen angehenden Offizieren und der Stammbesatzung der Gorch Fock. Des Öfteren kommt es zu Spannungen und Konflikten. Ein ehemaliger Offiziersanwärter macht dafür das Verhalten seiner Kameraden mit verantwortlich:

O-Ton ehemaliger Offiziersanwärter
„Das lag teilweise auch an den Offiziersanwärtern, die schon ein bisschen hochnäsig gegenüber den Matrosen an Bord waren, die ja nun mal nicht so eine hohe Schulbildung hatten… Das Verhältnis war unterschiedlich. Einige kamen gut mit ihnen klar, andere weniger. Das hing auch sehr davon ab, wie viel Respekt man ihnen entgegenbrachte. Natürlich ist es so, das ist quasi eine andere Welt. Die [Stammsoldaten] sind aber an Bord diejenigen, die das Schiff steuern können, die können richtig gut segeln. Und das musste man einfach auch respektieren. Dann hatte man auch wenig Konflikte mit denen. Natürlich fühlten die sich an Bord auch als die richtigen Matrosen und sahen uns Offiziersanwärter eher als Gäste auf einer Kreuzfahrt.“

Auf dem Segelschulschiff prallen offenbar immer öfter verschiedene Welten aufeinander – und die Marineführung hat diese Entwicklung nicht richtig zur Kenntnis genommen, und an ihren alten Prozeduren und Verfahren weitge-hend festgehalten. Offiziersanwärter, die nicht auf die Masten des Segelschulschiffes klettern wollen – für den ehemaligen Gorch Fock-Kommandanten Immo von Schnurbein ist das nicht vorstellbar:

O-Ton von Schnurbein
„Aus meiner Sicht würde man unter normalen Umständen die Weigerung eines auf der Gorch Fock im Dienst befindlichen Mannes, nicht in die Tackelage zu gehen, als Gehorsamsverweigerung betrachten. Man kann sagen, da siegt dann die Angst. Und aus der Angst wird Feigheit. Und wer in der Ausbildung schon erkennen lässt, dass er den Gehorsam verweigert aus nicht bewältigter Angst, sprich Feigheit, da muss man sich dann schon fragen: Hast Du den richtigen Beruf erwählt?“

Das fragen sich inzwischen auch immer mehr Offiziersanwärter. Von den rund 200 jungen Männern und Frauen eines Marine-Offiziers-Jahrgangs haben sich in den vergangenen Jahren jeweils rund 20 Prozent entschieden, die Bundeswehr wieder zu verlassen. Die Abbrecherquote bei den 73 Offiziersanwärtern, die den tödlichen Unfall ihrer Kameradin miterleben mussten, dürfte erheblich höher sein. Wohl aus diesem Grund verweigert die Deutsche Marine hierzu jegliche Angaben.

Die Ausbildung auf der Gorch Fock hat wenig mit Seefahrer-Romantik zu tun. Sie bedeutet viel Stress und Entbehrung. Erst in dieser Woche hat der Wehr-beauftragte beklagt, dass die Soldaten in der Ausbildung häufig viel zu wenig Schlaf bekommen. Auf der Gorch Fock sind die Soldaten offenbar ständig übermüdet. Das ergibt sich schon aus den Abläufen auf dem Schiff. Der ehe-malige Ausbilder auf dem Dreimaster:

O-Ton ehemaliger Gorch Fock-Ausbilder
„Man hat wenig Schlaf. Man schläft ja auch in Hängematten. Man geht im Wachrhythmus mit, und hat jeden vierten Tag einmal die Möglichkeit, acht Stunden durchzuschlafen. Aber nur jeden vierten Tag. Ansonsten ist man auf See halt im Wachrhythmus mit drin. Das heißt also, wenn man da mit hoch-geht, ist man manchmal übermüdet, schlecht ausgeschlafen.“

Und dann kann es schnell zu Unfällen kommen. Am 7. November, dem Tag des tödlichen Unfalls, waren die neuen Offiziersanwärter erst zwei Tage an Bord. Sie waren gerade aus Deutschland gekommen. Jetleg und Klima-Umstellung waren möglicherweise noch nicht bewältigt. Es heißt, sie mussten an dem Tag frühmorgens gleich mehrmals auf – und niederentern, d.h. in die Takelage steigen und anschließend wieder hinunterklettern. Dazwischen soll es nur eine kurze Pause gegeben haben. Viele seien erschöpft gewesen. Nach dem man zum siebten Mal aufgeentert war, stürzte die Offiziersanwärte-rin aus rund 27 Metern Höhe ab. Möglicherweise hatte sie keine Kraft mehr, so ist zu hören.

Die Umstände des Unfalls werden weiterhin untersucht. Berichte, es gebe eine Mindestgröße für das Aufentern, weist die Marine zurück. Die verunglückte Offiziersanwärterin war 1,59 m groß. Es gibt allerdings weiterhin Spekulationen, die junge Soldatin habe nicht alle Voraussetzungen für das Aufentern erfüllt.

Die Frage der Sicherheit wird ein wichtiger Aspekt der Untersuchungen sein. Das Klettern in der Takelage ist nicht ganz ungefährlich. Für die Sicherheit könnte mehr getan werden, findet der ehemalige Gorch Fock-Ausbilder:

O-Ton ehemaliger Gorch Fock-Ausbilder
„Man ist angehalten, schnell hochzukommen, und dann auch teilweise an dieser einen schmalen Stelle, wo man mit drei Leuten gleichzeitig rübergeht, was auf anderen Traditionsseglern nicht Fall ist. Da wird das eher vermieden. Da wird dann eher Wert auf Sicherheit gelegt, und man ist da [bei der Gorch Fock] halt auch nicht gesichert an diesen schmalen Stellen. Auf der ALEXANDER VON HUMBOLDT ist man da gesichert. Man hat da extra eine Seilabsicherung. Die ist auf der Gorch Fock nicht vorhanden, an dieser einen schmalen Stelle. Das ist, wenn man zum Übergang auf die Wanten geht. Auf anderen Schiffen achtet man viel mehr auf Sicherheit. Und auch auf Ruhepausen während dieser Ausbildung. Und man wird da auch persönlicher geführt und hat nicht diesen Druck und diesen Drang, ganz schnell hoch gehen zu müssen und dabei die Sicherheit zu vernachlässigen.“

Auf die Untersuchung der Vorfälle und die Konsequenzen darf man wirklich gespannt sein.

Droht der Gorck Fock die Ausmusterung? Nicht ausgeschlossen. Die Planstellen und die frei werdenden Mittel könnte die Marine gut woanders gebrauchen. Absehbar ist aber schon jetzt, dass der Marine-Inspekteur zunehmend ins Blickfeld geraten wird. Was wusste Axel Schimpf von den Vorfällen? Und wie ist er damit umgegangen? Die Deutsche Marine hüllt sich in Schweigen. Von der immer wieder versprochenen Transparenz ist wenig zu spüren. Diese und andere offene Fragen könnten schon bald zu weiteren personellen Konsequenzen führen. Für die im Umbau befindliche Marine wäre das ein schwerer Schlag. Möglicherweise hält sich Verteidigungsminister zu Guttenberg deswegen bisher zurück – noch.

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 29. Januar 2011; www.ndrinfo.de

Lesen Sie auch:

Galeeren-Gerüchte – und zu Guttenberg rudert
Die "Gorch-Fock"-Affäre ist nur eine von vielen, nun will man mehr Geld zur Attraktivitätssteigerung (26. Januar 2011)
Guttenbergs Ministerium meutert
Tödliche Unfälle bei der Bundeswehr – Parlament und Öffentlichkeit wurden belogen (22. Januar 2011)




Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage