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Innere Führung – Leitbild der Vergangenheit?

Ein Beitrag von Julia Weigelt aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Das Konzept der Inneren Führung ist für die Bundeswehr mehr als eine Führungsphilosophie. Es ist eine Einstellung. Der Soldat ist kein reiner Befehlsempfänger, sondern weiterhin Bürger, mit Rechten und auch Pflichten. Das Konzept ist allerdings in die Jahre gekommen. Mit dem Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee droht es an Akzeptanz zu verlieren. Die Innere Führung – ein Leitbild der Vergangenheit? Julia Weigelt weiß mehr:


Manuskript Julia Weigelt

Sie gilt als Markenzeichen der Bundeswehr, mit dem sich die deutschen Streitkräfte gerne schmücken: Die Innere Führung mit dem Leitbild vom Staatsbürger in Uniform. Das Konzept soll die Bundeswehr in Einklang bringen mit der Gesellschaft und der demokratischen Grundordnung. Es verpflichtet die Soldaten auf Recht und Gesetz. Doch ist das Konzept der Inneren Führung für eine Einsatzarmee Bundeswehr überhaupt noch zeitgemäß? In der Bundeswehr rumort es. Vor allem junge, einsatzerfahrene Offiziere fühlen sich in der Inneren Führung nicht mehr aufgehoben. Sie sehen sich eher als Kämpfer denn als Staatsbürger in Uniform. Ihnen ist ein Leitbild, kreiert im Kalten Krieg, als es noch um Heimatverteidigung ging, zunehmend fremd.

Der ehemalige Fachbereichsleiter der Führungsakademie der Bundeswehr, Elmar Wiesendahl, kennt diese Tendenzen und fordert schon seit Jahren eine grundlegende Reform der Inneren Führung:

O-Ton Wiesendahl
„Die Innere Führung liefert ja einen geistigen Überbau. Sie schafft Identifikation, Orientierungssicherheit. Wenn sie das nicht mehr leistet, weil wir eine neue Armee haben, dann muss dieser geistige Überbau angepasst werden.“

Und es hätte eine gute Gelegenheit dafür gegeben: die jüngste Bundeswehrreform. Doch laut Militärsoziologe Wiesendahl hatten die Reformer beim Umbau der Streitkräfte vor allem die Personalstruktur im Fokus; um die Innere Führung wollte man sich irgendwann später kümmern:

O-Ton Wiesendahl
„Das war ein kapitaler Fehler. Denn wenn ich Strukturen verändere, muss ich auch die Kultur einer Organisation mit verändern.“

Vor fünf Jahren ist zwar die entsprechende Vorschrift zur Inneren Führung überarbeitet worden. Doch Elmar Wiesendahl geht diese Anpassung nicht weit genug. Im Zuge der Reform der Bundeswehr habe es Widerstände im Verteidigungsministerium gegeben, die bei der Inneren Führung letztlich alles beim Alten lassen wollten. Wiesendahl glaubt, der Grund dafür sei auch ein falsch verstandener Respekt vor Wolf Graf von Baudissin gewesen, dem Vater der Inneren Führung. Das Kernkonzept der Bundeswehr sei für Spitzenmilitärs und Politiker ein „heißen Eisen“, an dem sich keiner die Finger verbrennen wolle. Es drohe, an Bedeutung zu verlieren. Der ehemalige Dozent der Führungsakademie sieht dringenden Handlungsbedarf. Ein reines „Aussitzen“ ist für den Militärsoziologen hochproblematisch:

O-Ton Wiesendahl
„Darin sehe ich eine Gefahr, denn die Ausstrahlung in die Truppe hinein, zu den Soldaten hin, nimmt in dem Maße ab, wie gewissermaßen der Sinngehalt der Inneren Führung nicht mehr zur Gegenwart passt.“

Wiesendahls Sorge: Ohne eine Reform der Inneren Führung verselbständigen sich vorhandene Strömungen, wonach Soldaten vor allem Krieger sind. Doch Soldaten müssen nach Meinung des Militärsoziologen mehr leisten, als im Gefecht als Kämpfer zu bestehen. Sie seien auch Aufbauhelfer und Vermittler. Wiesendahl untersucht die Innere Führung vor allem unter dem Aspekt des Wandels der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zur Einsatzarmee. Aus einer Armee in und für die Gesellschaft sei eine Armee des Staates für macht- und sicherheitspolitische Zwecke geworden, sagt Wiesendahl. Bei einem derart diffusen Zielspektrum fehle ein neues, legitimitätsstiftendes Sinnkonzept.

Das ist nach Ansicht von Oberst Rainer Buske allerdings nicht notwendig. Buske ist Leiter des Zentralen Bereichs des Ausbildungszentrums Munster. Das Konzept der Inneren Führung sei gut, müsse nicht neu angepasst und verändert werden für die Einsatzarmee Bundeswehr, sagt der Stabsoffizier. Nur die Umsetzung könnte seiner Meinung nach besser laufen. Denn die Prinzipien der Inneren Führung täglich zu leben, sei auch eine Frage von menschlichem Charakter und Lebenserfahrung. Nicht jeder sei so gefestigt und erfahren. Der 58-Jährige war 2008 Kommandeur des Bundeswehr-Feldlagers in Kundus. Er war dabei, als sich ein Selbstmordattentäter an einem Kontrollpunkt in die Luft sprengte, zog mit eigenen Händen einen Soldaten aus einem brennenden Auto. Der erfahrene Soldat Buske wurde umfassend ausgebildet – und sagt doch, dass ihn der Tod im Krieg überrascht habe. Wie kann das sein? Muss Innere Führung nicht auch darauf vorbereiten?

O-Ton Buske
„Alles theoretisieren hilft Ihnen, als Korsettstange, aber es ist eine Grenzsituation. Für alle Soldaten, und ganz sicherlich auch für mich.“

Grenzsituationen im Einsatz lassen sich laut Buske kaum trainieren. Das sieht auch Fregattenkapitän Peter Buchner so. Der Offizier arbeitet am Zentrum Innere Führung in Koblenz. Hier soll das Leitbild der Bundeswehr vermittelt und weiterentwickelt werden. Für Buchner ist Innere Führung nach wie vor zeitgemäß – auch für die Einsatzarmee Bundeswehr. Sie sei zu einer Selbstverständlichkeit geworden, deren Wirken von den meisten Soldaten gar nicht mehr wahrgenommen werde. Dennoch haben die Dozenten am Zentrum jede Menge zu tun: Es geht ihnen um die „Integration der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft“ und die „Förderung der Motivation des Soldaten“, wie es auf der Homepage heißt. Doch gerade da liegt einiges im Argen. Vielen Soldaten ist nicht klar, warum durch ihren Einsatz die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt wird, so wie es der frühere Verteidigungsminister Peter Struck einst formuliert hatte. Warum arbeiten sie in Afghanistan mit Drogenbaronen, Warlords und Taliban-Sympathisanten zusammenarbeiten, die in Deutschland längst eingesperrt wären?

Für Fregattenkapitän Buchner ist es vor allem Aufgabe der Politik, den Sinn von Auslandseinsätzen zu vermitteln, gegenüber der Bevölkerung, aber auch gegenüber den Soldaten. Doch das ist nicht immer einfach: Warum ja zum Afghanistan-Einsatz, aber nein zur Beteiligung am Irak-Krieg?

O-Ton Buchner
„Der Preis ist natürlich dabei, dass das nicht mehr so schön einfach ist, wie es früher mal war. Aber Innere Führung war ja immer auch ein Bildungskonzept und von daher ist das natürlich eine weitere Bewährungschance für Innere Führung.“

Bewährungschance für die Innere Führung? Für Claus von Rosen muss bei der Umsetzung noch nachgebessert werden. Der Oberstleutnant a.D. leitet das Baudissin-Dokumentationszentrum an der Führungsakademie der Bundeswehr. Wolf Graf von Baudissin ist der Vater der Inneren Führung. Die vor fünf Jahren vorgenommene Überarbeitung der Dienstvorschrift zur Inneren Führung hält von Rosen für wenig gelungen. Darin seien die teils dramatischen Folgen des Einsatzes kaum beschrieben. Dies belege die Flut von Büchern, in denen Veteranen schildern, wie sie sich von ihrem Dienstherrn im Stich gelassen fühlen:

O-Ton von Rosen
„Baudissins Wunsch war es, den Soldaten genau in diesen Notlagen zu helfen. Er wusste das vom Kriege her, wie schwer das gewesen ist. Und denen wollte er helfen, dafür war Innere Führung gemacht – für eine Gesellschaft, die nicht mehr militaristisch war.“

Besonders schlimm findet der Baudissin-Experte, wenn sich betroffene Soldaten nach ihrem Einsatz vom Rest der Truppe absondern. Es entstehe eine Gruppe von Außenseitern, die sich unverstanden fühlt. Soldaten, denen es schwer falle, nach existenziellen Kriegserlebnissen wieder im deutschen Alltag anzukommen. Soldaten, die mit dem Leitbild der Inneren Führung, dem Ansatz des Staatsbürgers in Uniform, nichts mehr anfangen können. Was würde Baudissin dazu sagen? Claus von Rosen:

O-Ton von Rosen
„Wenn er das heute hören würde, wäre er vermutlich entsetzt darüber, dass dieser Ansatz verloren gegangen ist.“

Immer mehr Soldaten mit Einsatzerfahrung können also mit dem Konzept der Inneren Führung nichts mehr anfangen. Trotzdem sieht die Bundeswehr-Führung keinen Handlungsbedarf. Eine bedenkliche Entwicklung.

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien", 9. Februar 2013; www.ndr.de/info


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