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Bundeswehrreform und Belastung durch Auslandseinsätze

Interview mit dem Wehrbeauftragten des Bundestages, Hellmut Königshaus, in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"


Andreas Flocken (Moderation)
Die Bundeswehr steht vor der größten Reform ihrer Geschichte. Die deutschen Streitkräfte sollen noch stärker als bisher auf Auslandseinsätze ausgerichtet werden. Für die betroffenen Soldaten ist das nicht nur eine Herausforderung, son¬dern auch eine enorme Belastung. Hierüber habe ich mit dem Wehrbeauftragten des Bundestages, Hellmut Königshaus, gesprochen. Ich habe Hellmut Königshaus zunächst gefragt, ob der Umbau der Bundeswehr und der Sparzwang möglicherweise die Gründe dafür sind, dass die Truppe zurzeit eher frustriert als hochmotiviert wirkt:


Interview Flocken / Königshaus

Königshaus: Jede Veränderung wird natürlich zunächst mal unter dem Gesichtspunkt der Risiken gesehen. Und erst im Zweiten guckt man, was für Chancen damit verbunden sind. Und eins ist natürlich klar: Eine Verkleinerung der Streitkräfte bedeutet immer auch die Möglichkeit, dass man möglicherweise an der einen und der anderen Stelle auch unmittelbar persönlich betroffen ist. Sei es dadurch, dass man als Zeitsoldat dann möglicherweise nicht verlängert wird, oder dass man eben nicht als Berufssoldat übernommen wird, oder dass man in eine ganz andere Verwendung kommt. Von daher ist die Verunsicherung natürlich auch unvermeidbar. Denn es ist klar: Der Einzelne, solange er nicht weiß, was nun ganz konkret geplant ist, fürchtet erst mal das Schlimmste und nicht das Beste. Und deshalb muss man sehen, dass man schnellstmöglich diese Klarheit auch vermittelt.

Flocken: Kritiker sagen aber auch, ohne Anschubfinanzierung ist eine Verkleinerung und ein Umbau der Bundeswehr zum Scheitern verurteilt. Kann man denn ernsthaft eine Bundeswehr reformieren, wenn gleichzeitig bis 2014 8,3 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Das ist doch die Quadratur des Kreises?

Königshaus: Das fürchte ich auch. Das ist zumindest eine sehr schwierige Aufgabe, und ich bin froh, dass ich sie nicht lösen muss, sondern der Minister. Aber in der Tat. Es wird sicherlich nicht ohne eine gewisse Anschubfinanzierung für die Reform gehen. Nur, wo das Geld herkommen soll, ob also bestimmte Beschaffungsvorhaben, die langfristig eingesetzt waren dann zurückgestellt werden, oder woher auch immer, das muss man dann sehen.

Flocken: Die Teilstreitkräfte müssen vor diesem Hintergrund natürlich sparen. Auch die Marine. Da hat es kürzlich auf der Gorch Fock erneut einen tödlichen Unfall gegeben. Mancher fragt sich jetzt, ob die Marine das Schiff wirklich zur Ausbildung braucht. Denn die Ausbildung der Kadetten wurde abgebrochen und sie konnte ja problemlos in Deutschland fortgesetzt werden. Und das Schiff ist ja vor allem auch ein Kostenfaktor. Könnte man nicht problemlos für die Ausbildung auf die Gorch Fock verzichten?

Königshaus: Das ist natürlich eine Frage, die zunächst einmal wirklich von der militärischen Führung beantwortet werden muss. Die Kosten-Nutzen-Betrachtung ist natürlich wichtig. Das muss man schon sehen. Es kostet natürlich viel, ein solches Schiff zu unterhalten. Mir wurden von vielen Seiten die besonderen Vorzüge auch immer wieder geschildert. Ich kann das im Moment aber nicht konkret einordnen. Aber klar ist auch, dass viele der Vorteile und viele der Notwendigkeiten, die mir dort geschildert wurden, eigentlich auch etwas mit Fragen der Repräsentation zu tun haben. Also mit Dingen, die eigentlich eher die jeweiligen Botschaften in den Ländern, die dort angelaufen werden, angehen.

Flocken: Aber dann müsste doch das Auswärtige Amt dafür bezahlen.

Königshaus: Das weiß ich jetzt nicht. Das ist nicht meine Aufgabe, das zu klären. Aber es ist so, dass eben noch andere als nur militärische Gesichtspunkte hier zu sehen sind. Auch die Repräsentation des Landes ist natürlich ein Teil der Aufgaben unserer Streitkräfte. Denken Sie eben nur an das Wachbataillon, das ja eben auch repräsentative Aufgaben übernimmt, oder eben auch die Flugbereitschaft, die auch über die eigentlichen Aufgaben der Streitkräfte hinausgehende Aufgaben hat. Das Budget des Verteidigungsministers ist nicht nur allein an militärischen, sondern eben auch an sonstigen Aufgaben dann entsprechend auszurichten.

Flocken: Die neue Bundeswehr muss künftig ihren Nachwuchs vor allem auf dem freien Arbeitsmarkt gewinnen, denn die Wehrpflicht soll ja demnächst ausgesetzt werden. Das heißt, man benötigt vor allem Zeit- und auch Berufssoldaten. Bisher hat man ja vor allem auch aus der Wehrpflicht heraus rekrutiert. Man hat aber den Eindruck, dass sich die Bundeswehr auf diese neue Situation noch gar nicht richtig eingestellt hat. Denn bisher ist die Bundeswehr nicht gerade ein attraktiver Arbeitgeber auf dem freien Arbeitsmarkt.

Königshaus: Ja, und da muss sich natürlich in der Tat einiges ändern. Das beginnt natürlich zu allererst einmal bei dem täglichen Dienstbetrieb, vor allem eben für junge Soldaten und Soldatinnen, ja aus dem Zivilbereich kommen und andere Verhältnisse gewöhnt sind als wir sie im Moment dort im militärischen Alltag haben. Es geht vor allem um die Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Das ist ein ganz großes Problem. Wenn Sie sich einfach mal überlegen, wie häufig und wie lange vor allem, die Soldatenfamilien getrennt sind. Natürlich durch die Einsätze, die leider für den Einzelnen auch immer länger werden. Die sogenannten Stehzeiten gehen jetzt schon teilweise über sechs Monate hinaus. Für einige sind sie sogar noch länger. Aber es gibt eben auch dazwischen eine Vielzahl von Lehrgängen und anderen Dingen. Und deshalb fordere ich ja auch, dass man die Strukturreform jetzt wirklich als Chance nutzt, um wenigstens das, was außerhalb der Einsätze an Abwesenheitszeiten notwendig ist, dass man diese Zeiten reduziert. Zum Beispiel weiß dann jemand, der bei den Pionieren ist, ich bin im Raum XY, und zwar als Pionier. Und solange ich in diesem Pionier-Bereich tätig bin, bin ich bei Versetzungen nicht gezwungen, meine Region zu verlassen. Das heißt, ich kann dort ein Haus bauen, ich kann meine Kinder in der Kita anmelden oder an der Schule. Ich muss eben alles dies, was ich im Moment an Problemen habe, übrigens auch für die Partner oder die Partnerin was die Arbeitsplätze angeht usw., nicht immer wieder von Neuem lösen und sozusagen bei null anfangen. Wenn wir da schon vorankommen, haben wir viel gewonnen.

Flocken: Qualifizierte Bewerber zu bekommen wird für die Bundeswehr immer schwieriger, denn sie konkurriert mit der Wirtschaft. Soll die Bundeswehr deshalb auch stärker an Schulen für sich werben?

Königshaus: An Schulen zu werben, das ist natürlich immer ein bisschen eine schwierige Sache, weil es dort, wie Sie wissen natürlich sofort auch gesellschaftliche Widerstände gibt. Was die Bundeswehr an Schulen tun soll, ist, ganz objektiv über ihre Aufgaben zu informieren. Es ist immerhin eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die dort vertreten wird. Das glaube ich schon. Informieren - damit also auch die Einzelnen vorurteilsfrei in der Lage sind, dort zu entscheiden.

Flocken: Aber sind die Grenzen zwischen informieren und werben nicht fließend?

Königshaus: Ja, das ist ja immer so, dass die Grenze zwischen informieren und werben nicht klar, oder je nach Standort jedenfalls zu definieren ist. Ich glaube jedenfalls, es ist eine Aufgabe, die immerhin im Grundgesetz ausdrücklich so vorgesehen ist. Es ist eine staatspolitische Aufgabe, die für die Gesellschaft erbracht wird. Und es wäre komisch, wenn ausgerechnet dieser Teil in der Schule, die ja über die Dinge, insbesondere auch den Staatsaufbau und die Aufgaben der einzelnen staatlichen Institutionen unterrichten soll, wenn ausgerechnet dieser Teil ausgeklammert würde.

Flocken: Es wird ja immer wieder beklagt, dass das gesellschaftlich Interesse an der Bundeswehr zurückgegangen ist oder sich in Grenzen hält. Eine Verkleinerung der Bundeswehr könnte aber zur Folge haben, dass die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft weiter abnimmt. Ein Weg die Bundeswehr in der Gesellschaft zu verankern, waren bisher auch die öffentlichen Gelöbnisse der Wehrpflichtigen. Mit Aussetzung der Wehrpflicht wird es diese Gelöbnisse ja nicht mehr geben. Berufs- und Zeitsoldaten werden aber vereidigt. Diese Vereidigungen sind aber nicht öffentlich. Sollten diese Vereidigungen Ihrer Meinung nach künftig auch öffentlich sein, so ähnlich wie die öffentlichen Gelöbnisse? Wie sehen Sie das?

Königshaus: Ich hätte nichts dagegen. Ich sehe da überhaupt kein Problem. Denn es geht ja in erster Linie darum, auch der Öffentlichkeit zu zeigen: diese Streitkräfte sind nicht ein Staat im Staate, sondern sie sind Teil des Staates, sind Teil der Gesellschaft. Und deshalb ist es natürlich auch gut, wenn die Soldaten mit diesen Bekenntnissen, die sie ja dann abgeben zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung, zu dem Staat, dem sie dann dienen, zu der Gesellschaft, der sie dienen, wenn sie dies dann auch öffentlich bekunden. Prinzipiell ist klar, dass wir also eine Veranstaltung wie wir sie immer am 20. Juli in Berlin vor dem Reichstag haben, eigentlich fortsetzen sollten. Und wenn es keine Gelöbnisse mehr gibt, dann eben in anderer Form. Und dann bietet sich das ja quasi an, das in Form einer Vereidigung zu machen. Allerdings muss man auch ganz klar sagen, wie der Freiwilligen-Status der künftigen Kurzdiener dann aussehen soll. Das ist ja noch nicht abschließend definiert. Das muss man alles noch einmal abwarten.

Flocken: Die Bundeswehr ist eine Einsatzarmee. Immer wieder hat es von Ihren Vorgängern Klagen über die unzureichende Ausrüstung der Soldaten gegeben, insbesondere bei Auslandseinsätzen. Ist die Ausrüstung der Bundeswehr immer noch ein Drama, wie Sie im Sommer einmal beklagt haben?

Königshaus: Ich bin wirklich sehr froh, dass wir hier jetzt tatsächlich eine veränderte Situation haben. Ich habe mit Vertretern einer Arbeitsgruppe im Ministerium gesprochen, die sich speziell auch um die Ausrüstung im Einsatz kümmert und um Abhilfe einer Vielzahl von Problemen kümmert, die nicht nur von mir, sondern auch von anderer Seite dort gemeldet wurden kümmert. Also dort ist wirklich einiges auf gutem Weg, und hat sich massiv verbessert.

Flocken: Es gibt aber immer wieder von Soldaten Klagen, dass sie sich einen Teil der persönlichen Ausrüstung selbst kaufen müssten, etwa Feldhemden, Jacken, weil da zum Beispiel mehr reinpasst, weil sie so mehr transportieren können. Da gibt es doch immer noch Mängel. Warum ist das so?

Königshaus: Das hängt unter anderem damit zusammen, dass es unterschiedliche Vorstellungen zum einen von den Soldaten selbst gibt, wie eine optimale Ausstattung aussieht. Mir ist zum Beispiel gesagt worden, dass eine bestimmte Ausstattung an Bekleidung von den Soldaten als angenehmer empfunden wird, die aber eben bei einer objektiven Betrachtung der Sicherheit dann eben weniger Schutz bieten.

Flocken: Die Soldaten in Afghanistan beklagen sich immer wieder, dass der Kontakt zu den Angehörigen zu Hause per Telefon oder per Internet immer noch extrem schwierig ist. Die Verbindungen sind insbesondere auch sehr teuer, auch im Vergleich zu den NATO-Verbündeten, die da vergleichsweise keine Probleme haben. Das ist doch ein großes Defizit der Bundeswehr, die ja offiziell familienfreundlicher sein will, wenn sie ihren Soldaten keine geeigneten Kommunikationsmittel nach Hause bieten kann?

Königshaus: Also das ist wirklich eines der schlimmsten Defizite, das auch die Soldaten immer wieder ganz massiv beklagen. Ich habe allen Beteiligten im Ministerium gesagt, das ist nicht einfach nur eine schlichte Fürsorgefrage, sondern hier geht es um die Wahrnehmung von Grundrechten. Die Soldaten haben die Grundrechte genauso wie jeder andere Staatsbürger auch, soweit sie eben nicht durch den militärischen Einsatz konkret eingeschränkt werden. Der Dienstherr muss beispielsweise sicherstellen, dass sie sich jederzeit, auch über Internet, aus allen frei zugänglichen Quellen informieren können. Das ist aber im Moment nicht sicher gestellt.

Flocken: Warum tut sich die Bundeswehr so schwer damit?

Königshaus: Das frage ich mich auch. Wir haben jetzt gerade wieder eine neue Ausschreibung dieser Leistung. Wobei man sagen muss, die Ausschreibung bedeutet nicht, dass der Dienstherr auch nur einen Cent dazu beiträgt, sondern er regelt nur die Bedingungen. Und die Anforderung, die er dabei festgeschrieben hat, beschränkt sich wirklich auf ein absolutes Minimum.

Flocken: Was ist das Minimum?

Königshaus: Einmal in der Woche telefonieren mit der Familie, und das genügt mir offen gesagt nicht. Das hängt einmal damit zusammen, dass der Soldat natürlich nicht nur das Recht hat, von der Familie zu erfahren, was in der Welt vor sich geht, sondern dass er eben heutzutage auch über das Internet in der Lage sein muss, sich wie jeder amerikanische Soldat oder kanadische Soldat in Afghanistan zu informieren, was im Internet geboten wird. Und genau das Gleiche gilt natürlich für den Familienvater oder die Mutter, die natürlich per Skype sehen wollen, wie sich das Kind entwickelt hat, wie es zuhause zugeht. Alles dies ist eine Frage, die natürlich mit Kosten verbunden ist. Aber ich bin hier der Auffassung, dass das eine Frage ist, die tatsächlich unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Grundrechte zu sehen ist.

Flocken: In Afghanistan stehen die Soldaten in einem Kampfeinsatz. Inzwischen kommt es fast täglich zu Gefechten mit Aufständischen. Dabei werden Soldaten verwundet oder sogar getötet. Sie töten aber auch selbst, wenn sie in Gefahr geraten. Haben wir durch den Afghanistaneinsatz inzwischen nicht eine ganz andere Bundeswehr, auch ganz andere Soldaten, jedenfalls wenn diese aus Afghanistan zurückkehren?

Königshaus: Da ist in Teilen in der Tat so. Das sind vor allem diejenigen Einheiten, die auch wirklich nicht nur zeitlich, sondern auch mental besonders gefordert und belastet sind. Das sind beispielsweise die Kampfmittelbeseitiger aber auch viele andere, die immer wieder in den Einsatz gehen, weil sie eben dort unabdingbar erforderlich sind, wie beispielsweise die Fallschirmjäger aus Seedorf. Ich muss sagen, das sind heute Dinge, die wir früher so nicht kannten. Das ist nicht mehr die Bundeswehr, die sozusagen im Friedensbetrieb war, wo am Freitagnachmittag Schluss war, und Montag früh sind die Soldaten wieder angereist. Nein, das sind Dinge, die die Menschen komplett fordern, die vor allem auch die Angehörigen fordern.

Flocken: Wenn die Soldaten ganz verändert, oder mancher Soldat ganz verändert aus Afghanistan zurückkommt, kommt vor diesem Hintergrund nicht die Nachbereitung des Einsatzes manchmal etwas zu kurz? Denn manche Zeitsoldaten und Kurzdiener werden ja unmittelbar nach dem Auslandseinsatz entlassen.

Königshaus: Für die ist es in der Tat eine sehr schwierige Situation. Wir haben in diesem Zusammenhang zwei Dinge zu sehen. Zum einen die Soldaten, die bei der Bundeswehr bleiben. Um die kümmert man sich. Allerdings muss leider dort ein Mangel verwaltet werden, einfach deshalb, weil es gar nicht genügend Fachkräfte gibt, um solche Belastungsstörungen, wenn man sie so nennt, aufzuarbeiten. Oder psychische oder mentale Belastungen. Denn es müssen ja auch die Angehörigen in gleicher Weise mit einbezogen werden. Jeder, wenn er denn traumatisiert ist, wenn er erkrankt ist, jeder Erkrankte hat natürlich eine Corona von Mitbetroffenen um sich, die ihrerseits natürlich betreut werden müssen. Aber dann kommt der zweite Punkt. Und da haben Sie völlig Recht. Das sind die Personen, für die sich nach Lage der Dinge kaum jemand zuständig fühlt. Nämlich Soldaten, die aus der Truppe entlassen werden bzw. schon lange entlassen sind, bei denen die Störungen oder die Probleme, die Belastungsstörung, erst nach vielen Jahren auftreten. Da muss ich jetzt auch sagen, dort ist der Dienstherr natürlich in der Pflicht.

Flocken: Aus Afghanistan ist zu hören, dass es immer häufiger zu Spannungen und Konflikten zwischen Soldaten kommt, die im Gefecht waren, die also draußen sind, und den Soldaten, die vor allem im Feldlager tätig sind, also in der Etappe. Da gibt es manchmal so Kleinigkeiten, dass man sich über die Anzugsordnung der Soldaten, die gerade aus dem Gefecht ins Lager kommen, mokiert. Sind solche Spannungen, die offenbar inzwischen regelmäßig vorkommen, nicht eine bedenkliche Entwicklung?

Königshaus: Es gibt natürlich - das ist doch völlig klar - bei dem Einzelnen schon ein gewisses Nachdenken darüber: ich gehe dort raus, ich fahre auf Patrouille, ich bin unter Druck. Und wenn ich dann reinkomme, dann wird von mir auf einmal im Feldlager wieder militärische Ordnung erster Güte verlangt. Dann fühlt man sich natürlich etwas zurückgesetzt. Die anderen hatten diese Belastungen nicht und waren die ganze Zeit im Feldlager, wo sie übrigens auch hervorragende Arbeit leisten mussten. Es ist ja nicht so, dass die dort einfach nur so da sind und Däumchen drehen. Das hängt aber eben auch mit der konkreten Situation und mit der Ausrüstung dort zusammen. Wenn dort eben die Soldaten, wie das dort der Fall ist, sich selbst um solche Dinge wie Feldbetten usw. reißen müssen wenn sie rausfahren, dann hat das natürlich auch etwas mit diesen Spannungen zu tun.

Flocken: Aber gibt es in Afghanistan nicht inzwischen eine Art, ich sage einmal, Zwei-Klassen-Armee? Soldaten auf der einen Seite, die kämpfen, die rausgehen und die, ich sag mal in Anführungszeichen, „Nichtkämpfer“, die in erster Linie in Feldlagern sind. Da werden diese Missverständnisse und Reibereien inzwischen doch viel größer?

Königshaus: Das ist natürlich völlig unvermeidbar. Das hängt ja auch von der Aufgabe ab. Wenn Sie so wollen war das schon immer so. Das ist wie bei der Feuerwehr. Der, der unten an der Pumpe steht und unterstützt, ist natürlich in einer anderen Situation als der, der mit dem Atemgerät ins Feuer geht. Das ist nun mal so. Und da kommt es eben dann darauf an, dass man in der konkreten Einsatzsituation auch mit den Kameraden redet und solche Spannungen dann auch entsprechend aufarbeitet.

Flocken: Offiziell gehen die Bundeswehrsoldaten für jeweils vier Monate nach Afghanistan. Die Realität sieht aber inzwischen etwas anders aus: Sechs Monate werden immer mehr zur Regel. Die Soldaten der beiden neu aufgestellten Ausbildungs- und Schutzbataillone bleiben sechs Monate in Afghanistan. Sie sind gegen eine Verlängerung. Warum?

Königshaus: Weil die Begründung, die dafür gegeben wird, nur zum Teil trägt. Es wird ja gesagt, wenn die Soldaten länger dort bleiben, können wir länger von deren Erfahrungen profitieren. Das ist ja auch richtig. Insbesondere auch beim Partnering oder bei der Zusammenarbeit mit den afghanischen Partnern. Aber wenn ich nur einfach schlicht die Zeit von vier auf sechs Monate verlängere, habe ich diesen Bruch natürlich statt nach vier Monaten nach sechs Monaten. Aber ich habe ihn weiterhin. Und deshalb plädiere ich dafür, dass man fließende Übergänge schafft, dass die Afghanen zwar immer die gleiche Einheit vor sich haben, aber mit nach und nach wechselnden Gesichtern. Dann ist es auch nicht erforderlich, dass die Einzelnen sechs Monate bleiben, sondern man kann also sozusagen schubweise austauschen. Das ist das eine. Und das zweite ist, dass es nicht nur um militärische Gesichtspunkte geht, dass es nicht nur um das Befinden der afghanischen Partner geht, sondern wir haben es hier mit Menschen zu tun, die wir dort hinschicken. Die haben deutsche, eigene Partner. Familienpartner und auf deren Bedürfnisse müssen wir in gleicher Weise Rücksicht nehmen. Und deshalb ist das eine Frage der Abwägung. Die Abwägung hat für mich dazu geführt zu sagen, vier Monate sind wirklich genug. Und es gibt auch eine ganze Reihe von Hinweisen darauf, dass alles was über vier Monate hinausgeht auch tatsächlich die Belastungen noch weiter erhöht, als erforderlich und vertretbar ist.

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 2. Januar 2011; www.ndrinfo.de


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